Urteil des OLG Hamm vom 29.09.2003
OLG Hamm: verschulden, tagessatz, betriebsgefahr, abbiegen, sachverständigenkosten, rückstufung, handbuch, abrechnung, vertrauensschutz, hauptsache
Oberlandesgericht Hamm, 6 U 95/03
Datum:
29.09.2003
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
6. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 U 95/03
Vorinstanz:
Landgericht Detmold, 1 O 525/02
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird – unter Zurückweisung des
Rechtsmittels im Übrigen – das am 11. März 2003 verkündete Urteil der
Zivilkammer I des Landgerichts Detmold teilweise abgeändert.
Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Fa. M
GmbH, J-Straße 6, ####1 M2, 1.719,63 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit dem 11.10.2002 zu zahlen,
abzüglich am 25.11.2002 auf die Hauptforderung gezahlter 1.688,13
Euro.
In Höhe des gezahlten Teilbetrages von 1.688,13 Euro ist der
Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt.
Die Kosten des ersten Rechtszuges tragen zu 87 % der Kläger und zu
13 % die Beklagten.
Die Kosten der Berufungsinstanz tragen zu 86 % der Kläger und zu 14 %
die Beklagten.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Entscheidungsgründe:
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Die Berufung des Klägers hat teilweise Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
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1.
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Aufgrund der vom Landgericht getroffenen Feststellungen geht auch der Senat davon
aus, dass der rechte Fahrtrichtungsanzeiger am Fahrzeug des Klägers in Tätigkeit war,
als dieser sich der Einmündung der Straße T näherte. Hinreichende Anhaltspunkte für
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Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser auf der Aussage des Zeugen Dr.
T2 beruhenden Feststellungen ergeben sich weder aus der vom Kläger zuvor
zurückgelegten Fahrtstrecke noch daraus, dass der Zeuge die Unfallstelle zunächst
verlassen hat und erst später wieder dorthin zurückgekehrt ist, denn hierfür hat er einen
plausiblen Grund angegeben.
2.
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Bei dieser Sachlage fällt dem Kläger ein fahrlässiger Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO zur
Last, wohingegen ein unfallursächliches Verschulden der Beklagten zu 1) sich nicht
feststellen lässt, insbesondere kein Verstoß gegen die Vorfahrtsregeln. Zwar befuhr der
Kläger die übergeordnete, die Beklagte zu 1) dagegen die durch Verkehrszeichen
untergeordnete Straße, aus welcher sie in die Vorfahrtstraße einbiegen wollte. Dass sie
hiermit begonnen hat, obwohl sich auf der Vorfahrtstraße der Kläger näherte, gereicht ihr
aber nicht zum Verschulden, weil sie damit rechnen durfte, dass er entsprechend dem
an seinem Fahrzeug eingeschalteten Blinker nach rechts in die von ihr befahrene
Straße abbiegen werde.
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Allerdings hat der 9. Zivilsenat des OLG Hamm in seinem kürzlich in NZV 03, 414
veröffentlichten Urteil 9 U 169/02 vom 11.03.2003 ausgeführt, dass der wartepflichtige
Fahrzeugführer der Ankündigung einer angezeigten Fahrtrichtungsänderung des
Vorfahrtberechtigten erst und nur dann vertrauen darf, wenn dieser auch durch
eindeutige Geschwindigkeitsherabsetzung und Beginn des Abbiegens die verlässliche
Annahme begründet, dass er einbiegen und dadurch dem Wartepflichtigen die
Gelegenheit zum gefahrlosen Einfahren in die Vorfahrtstraße geben werde. Ob dem in
dieser Allgemeinheit gefolgt werden kann, oder ob im Grundsatz das Blinkzeichen des
Vorfahrtberechtigten ausreicht, um beim Wartepflichtigen einen Vertrauensschutz zu
begründen, der nur dann eingeschränkt wird, wenn das übrige Fahrverhalten des
Vorfahrtberechtigten Zweifel an seinem Abbiegewillen aufkommen lässt (so etwa
Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl. 2003, § 8 StVO Rdn. 54; Hentschel/Janker
KVR "Fahrtrichtungsanzeige" S. 14 ff), braucht hier nicht abschließend entschieden zu
werden, denn nach den vom Landgericht nachvollziehbar getroffenen Feststellungen
ließ die Fahrweise des Klägers an seinem Abbiegewillen keinen Zweifel aufkommen.
Vielmehr hatte der Zeuge Dr. T2, welcher dem Fahrzeug des Klägers folgte, nicht nur
wegen des Blinkzeichens, sondern auch aufgrund des übrigen Fahrverhaltens des
Klägers den Eindruck, dass dieser abbiegen werde.
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3.
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Wenn danach auch ein unfallursächliches Verschulden lediglich auf Seiten des Klägers
festzustellen ist, so führt das nach Auffassung des Senats unter den Umständen des
vorliegenden Falls jedoch nicht dazu, dass er den vollen Schaden allein zu tragen hat.
Denn die Betriebsgefahr des von der Beklagten zu 1) geführten Fahrzeugs fällt bei der
Abwägung gemäß § 17 StVG nicht vollständig zurück. Die Betriebsgefahr eines
Fahrzeugs, welches aus untergeordneter Straße in eine Vorfahrtstraße einfährt, auf
welcher sich andere Fahrzeuge dem Einmündungsbereich nähern, ist wesentlich
erhöht. Da auf der anderen Seite nicht geklärt werden kann, weswegen der Blinker am
Fahrzeug des Klägers in Tätigkeit war, ob etwa nach einem vorangegangenen
Fahrstreifenwechsel die Rücklenkbewegung nicht für die Betätigung des
Blinkrückholers ausgereicht hat, oder ob der Kläger den Blinkerhebel versehentlich und
unbemerkt betätigt hat, kann von einem gravierenden Verschulden auf seiner Seite nicht
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ausgegangen werden. Nach Auffassung des Senats ist deswegen eine Quotierung im
Verhältnis von 70:30 zu Lasten des Klägers, wie sie die Beklagte zu 2) auch in ihrem
Schreiben vom 21.11.2002 zugrundegelegt hat, angemessen.
4. Zur Höhe gilt folgendes:
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4.1
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Beim Nutzungsausfall ist die Ausfalldauer von 15 Kalendertagen außer Streit. Der
Tagessatz wird jedoch vom Kläger in der Klageschrift zu hoch, von der Beklagten zu 2)
in ihrem Schreiben vom 21.11.2002 dagegen zu niedrig angesetzt. Das Fahrzeug ist in
der in der Praxis gebräuchlichen Tabelle von Sanden/Danner/Küppersbusch in der
Gruppe H eingestuft. Da es beim Unfall jedoch bereits 14 Jahre alt war, erscheint für den
Tagessatz eine Rückstufung um 2 Gruppen angemessen (vgl. auch
Danner/Küppersbusch, NZV 89, 11), so dass hier der Ansatz von 50,00 Euro
entsprechend der Gruppe F sachgerecht erscheint. Der Nutzungsausfallschaden ist
demgemäß mit 750,00 Euro zu bemessen.
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4.2
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Die Auslagenpauschale gemäß § 26 BRAGO, welche der Kläger für die vorprozessuale
Regulierungstätigkeit seines Prozessbevollmächtigten hier in Höhe von 23,20 Euro
geltend macht, kann nicht gesondert angesetzt werden. Zwar wird teilweise vertreten,
dass die außergerichtliche Postpauschale mit den Auslagen eines sich anschließenden
Gerichtsverfahrens nicht zu verrechnen ist (vgl. Jahnke, in: Anwalts-Handbuch
Verkehrsrecht, Teil 5, Rz. 122; AG Emmerich, AnwBl 93, 641). Es ist aber mit dem Sinn
der Anrechnungsbestimmungen und der Postgebührenpauschalierung nicht zu
vereinbaren, dass Postgebührenpauschalen auf solche Gebühren berechnet werden
können, die ihrerseits wegen der Anrechnungsbestimmungen nicht in Rechnung gestellt
werden dürfen (vgl. Hansens, JurBüro 87, 1744, 1746). Der Sinn der
Anrechnungsbestimmung des § 118 II 1 BRAGO besteht in einer Begrenzung des
Gebührenanspruchs des Anwalts; dem würde eine dopelte Berücksichtigung der
Auslagenpauschale widersprechen.
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Unter Einbeziehung der unstreitigen Schadenspositionen gestaltet sich die Abrechnung
daher wie folgt:
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Fahrzeugschaden 4.570,59 Euro
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Sachverständigenkosten 386,51 Euro
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Nutzungsausfall 15 x 50,00 Euro = 750,00 Euro
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Pauschale 25,00 Euro
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Gesamtschaden 5.732,10 Euro
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Entsprechend der Haftungsquote von
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30 % war demnach die Klage in
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Höhe von 1.719,63 Euro
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begründet, bis am 25.11.2002 durch
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die Zahlung 1.688,13 Euro
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in dieser Höhe die Erledigung eintrat.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 100, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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