Urteil des OLG Hamm vom 10.10.2007

OLG Hamm: umrechnung, anwartschaft, versorgung, rückrechnung, verminderung, bemessungsgrundlage, vergleich, realteilung, höchstbetrag, versicherung

Oberlandesgericht Hamm, 12 UF 367/06
Datum:
10.10.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
12. Senat für Familiensachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
12 UF 367/06
Vorinstanz:
Amtsgericht Kamen, 5a F 76/06
Schlagworte:
Zusatzversorgung, Dynamik
Normen:
VAHRG §§ 1, 10a, BGB §§ 1587, 1587a, 1587b
Leitsätze:
Eine erst im Zeitpunkt der Abänderungsentscheidung nach § 10a
VAHRG als volldynamisch zu beurteilende Rente (hier:
Zusatzversorgung bei der VBL) ist nicht mit Hilfe der BarwertVO,
sondern unter Verwendung der jeweiligen aktuellen Rentenwerte der
gesetzlichen Rentenversicherung auf das Ehezeitende umzurechnen
(abweichend von BGH, Beschluss vom 25.04.2007 - XII ZB 206/06 =
NJW-RR 2007, 1153ff. = FamRZ 2007, 1084ff.).
Die aufgrund eines vorzeitigen Bezugs nach dem Ehezeitende
eingetretenen Kürzungen dieser Rente sind bei der Berechnung ebenso
unberücksichtigt zu lassen wie die wegen des vorzeitigen Bezugs bis
zum 65. Lebensjahr eingetretenen Rentensteigerungen.
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragstellerin vom 20. Dezember 2006 wird
der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Kamen vom 20.
November 2006 insoweit abgeändert, als zu Lasten der Versorgung des
Antragsgegners bei der VBL in L (Personalnr. #####1) auf dem
Versicherungskonto Nr. #####2 der Antragstellerin bei der DRV Bund in
C Rentenanwartschaften von monatlich 192,88 DM, bezogen auf den 31.
08. 1996, begründet werden.
Im übrigen verbleibt es bei dem angefochtenen Beschluss.
Gerichtsgebühren werden nicht erhoben. Im übrigen findet eine
Kostenerstattung nicht statt.
Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.000,- €
festgesetzt.
Der Senat lässt die Rechtsbeschwerde zu.
Gründe:
1
I)
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Die Parteien sind durch Urteil des AG Kamen vom 14. März 1997 (Aktenzeichen 11 F
387/96) geschieden. Das Amtsgericht hatte im Rahmen seines
Scheidungsverbundurteils den Versorgungsausgleich zugunsten der Ehefrau
durchgeführt, indem es zu ihren Gunsten Rentenanwartschaften vom
Versicherungskonto des Ehemannes nach § 1587b Abs. 1 BGB in Höhe von 325,34 DM
übertragen und zu Lasten von dessen Zusatzversorgungsanwartschaften bei der
jetzigen Antragstellerin Rentenanwartschaften nach § 1 Abs. 3 VAHRG in Höhe von
64,76 DM begründet hatte.
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Bei der Bewertung hatte das Amtsgericht den unverfallbaren Teil der Anwartschaft des
Ehemannes bei der Antragstellerin als statisch beurteilt und unter Anwendung der
BarwertVO dynamisiert.
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Zwischenzeitlich bezieht der Ehemann seit dem 1. März 2002 eine Altersrente bei der
Antragstellerin, die wegen vorzeitigen Bezuges gekürzt ist. Auch die Ehefrau bezieht
bereits eine Rente.
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Die VBL als Antragstellerin hat am 23. 05. 2006 die Abänderung der Entscheidung
beantragt. Das bei ihr bestehende Anrecht des Ehemannes sei mit seinem – durch den
vorzeitigen Rentenbezug ungekürzten - Wert als im Leistungsstadium volldynamisch zu
bewerten, so dass sich die Berechnung des Versorgungsausgleichs ändere.
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Das Amtsgericht Kamen hat neue Auskünfte der Träger der gesetzlichen
Rentenversicherung eingeholt. Danach hat es mit dem angegriffenen Beschluss die
ursprüngliche Regelung zum Versorgungsausgleich abgeändert, indem es zu Gunsten
der Ehefrau Rentenanwartschaften vom Versicherungskonto des Ehemannes nach
§ 1587b Abs. 1 BGB in Höhe von 370,30 DM übertragen und zu Lasten von dessen
Zusatzversorgungsanwartschaften bei der Antragstellerin Rentenanwartschaften nach
§ 1 Abs. 3 VAHRG in Höhe von 118,78 DM begründet hat.
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Dem hat das Amtsgericht, wie von der DRV Bund jeweils mitgeteilt, ehezeitbezogene
Rentenanwartschaften der Ehefrau bei der DRV Bund in Höhe von 1.571,64 DM und auf
Seiten des Ehemannes Rentenanwartschaften bei der DRV Bund in Höhe von 2.312,24
DM sowie eine jetzt als teildynamisch bewertete Anwartschaft bei der Antragstellerin
zugrunde gelegt, die es nach Umrechnung mit einem dynamisierten Betrag von
monatlich 237,57 DM in die Ausgleichsberechnung eingestellt hat.
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Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin, die zunächst eingewendet
hat, bei der Dynamisierung sei die BarwertVO nicht in der seit dem 3. Mai 2006 gülti-
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gen Fassung angewendet worden. Zwischenzeitlich teilt sie die Bedenken des Senats,
wonach das bei ihr bestehende Anrecht des Ehemannes als volldynamisch zu
beurteilen sei.
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II)
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Die Beschwerde der Antragstellerin ist gemäß §§ 64 Abs. 3 FGG, 621a Abs. 1 Satz 1,
621e Abs. 1 und Abs. 3, 517, 520 ZPO, § 20 Abs. 1 FGG zulässig. Sie ist auch auf der
Grundlage des § 10a Abs. 1, 4 und 5 VAHRG begründet. Dies beruht im wesentlichen
auf einer im Vergleich zum Amtsgericht veränderten Bewertung der Anwartschaft des
Antragsgegners bei der Beschwerdeführerin.
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1.)
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Die Zusatzversorgungsrente des Ehemannes ist zunächst von der Antragstellerin
zutreffend mit dem Wert mitgeteilt worden, der sich ohne die Abschläge durch den
vorzeitigen Ruhestand des Ehemannes ergeben würde. Die hierdurch nach dem
Ehezeitende eingetretene Verminderung der Betriebsrente ist nämlich unberücksichtigt
zu lassen, weil die Verminderung ausschließlich nach dem für das Ehezeitende
maßgeblichen Stichtag erfolgt ist (BGH FamRZ 2005, 1455 ff. und BGH, Beschluss vom
9. Mai 2007, XII ZB 77/06 - zit. nach Juris - für den vorzeitigen Bezug der gesetzlichen
Rente; OLG Celle, FamRZ 2006, 1041f.). In der Berücksichtigung der nachträglich
vorgenommenen Abschläge durch den vorzeitigen Rentenbezug läge eine Veränderung
der Bemessungsgrundlage, die gegen den das Versorgungsausgleichsverfahren
beherrschenden Halbteilungsgrundsatz verstieße.
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2.)
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Aufgrund des nunmehr erreichten Leistungsstadiums ist die Zusatzversorgungsrente
des Ehemannes zudem als volldynamische Versorgung in die Berechnung einzustellen.
Hierin liegt keine Veränderung der Bemessungsgrundlage, sondern nur eine –
notwendige - Veränderung in der Bewertung der Zusatzversorgungsrente. Eine im
Zeitpunkt der Entscheidung über den Abänderungsantrag nach § 10a VAHRG bereits
laufende Rente, die im Leistungsstadium als volldynamisch zu beurteilen ist, ist
unabhängig davon, ob das Anrecht auch im Anwartschaftsstadium volldynamisch war,
ohne Umwertung in den Versorgungsausgleich einzubeziehen (BGH FamRZ 2005, 601
f. m. Anm. Bergner, aaO, 602 ff.).
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3.)
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Der Ehemann hat die Zusatzversorgungsrente vorzeitig seit März 2002 bezogen. Diese
Zusatzversorgungsrente hat seither jeweils zum 1. Juli eines jeden Jahres Steigerungen
um 1% erfahren. Abzustellen ist im Rahmen der Abänderungsentscheidung nicht auf
den Wert, den die Betriebsrente des Ehemannes bei der Antragstellerin bei
Rentenbeginn im März 2002 hatte, sondern auf den Wert zum Zeitpunkt der
Entscheidung. Dies folgt aus der hier zur Anwendung gelangenden Regelung des § 10a
Abs. 1 Nr. 1 VAHRG, wonach die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung über
den Abänderungsantrag maßgeblich sind. Die fiktiv ungekürzte Rente kann aber nicht in
vollem Umfang um die seit März 2002 eingetretenen Steigerungen erhöht werden, weil
die Steigerungen bis zum Erreichen des 65. Lebensjahres des Ehemannes (25. Februar
2007) nur auf dem Umstand beruhen, dass dieser die Rente vorzeitig und unter
Hinnahme von Abschlägen bezogen hat. Wenn und weil die Abschläge durch die
vorzeitige Inanspruchnahme unberücksichtigt bleiben, dürfen auch die allein hierauf
beruhenden zwischenzeitlichen Steigerungen nicht berücksichtigt werden; ansonsten
wäre die Fiktion der ungekürzten Rente unvollständig und damit fehlerhaft. Die
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Rentensteigerungen dürfen demnach nur insoweit berücksichtigt werden, als sie nach
Erreichen des 65. Lebensjahres eingetreten sind. Insoweit ist nur eine Steigerung,
nämlich diejenige zum 1. Juli 2007, zu berücksichtigen. Damit erhöht sich der mitgeteilte
Ehezeitanteil der Betriebsrente von 214,98 € um 1% auf 217,13 €.
4.)
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Allerdings kann in den öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich nicht der (fiktive)
derzeitige Rentenzahlbetrag einbezogen werden. Vielmehr muss das Anrecht des
Antragsgegners bei der VBL – ebenso wie die gesetzlichen Rentenanwartschaften
beider Parteien – auf den gesetzlichen Bewertungsstichtag – das Ende der Ehezeit
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i.S. des § 1587 Abs. 2 BGB – zurückbezogen werden (OLG Celle, aaO, 273; Bergner,
aaO, S. 603f.).
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Die Rückrechnung des Anrechtes kann, wenn der Halbteilungsgrundsatz nicht verletzt
werden soll, unabhängig von der tatsächlichen Dynamik, welche das Anrecht zwischen
dem Ehezeitende und dem heutigen Zeitpunkt erfahren hat, nur entsprechend dem
Vorschlag von Bergner (aaO, 603) unter Verwendung des aktuellen Rentenwertes der
gesetzlichen Versicherung (Vergleich aktueller Rentenwert heute/Rentenwert zum
Ehezeitende) erfolgen. Denn der Ausgleich erfolgt durch Begründung von
Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung. Dabei findet zur Sicherung der
Dynamik nach § 1587b Abs. 6 BGB eine Umrechnung in Entgeltpunkte statt. Aus den
Entgeltpunkten, multipliziert mit dem jeweils gültigen aktuellen Rentenwert, errechnet
sich der jeweils aktuell an die Antragstellerin auszuzahlende Rentenbetrag. Eine
tatsächliche Halbteilung des Anrechtes des Ehemannes findet auf dieser Grundlage nur
dann statt, wenn es nach genau denselben Maßstäben auf das Ehezeitende
zurückgerechnet wird. Indem die errechnete fiktive Rente in aktueller Höhe von 217,13 €
durch den aktuellen Rentenwert (RWBestV 2007, BGBl. I, 554) von 26,27 € (51,3796541
DM) geteilt und mit dem für das Ehezeitende maßgeblichen aktuellen Rentenwert von
46,67 DM multipliziert wird, errechnet sich ein Wert zum Ehezeitende von 197,23 EUR =
385,75 DM.
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Der Senat folgt nicht der Berechnungsweise des BGH (NJW-RR 2007, 1153, 1155 =
FamRZ 2007, 1084 ff., 1085f.), der eine Rückrechnung nach der BarwertVO vornimmt.
Würde mit der vom BGH angewandten Methode gerechnet, ergäbe sich folgender Wert
der Versorgung zum Ehezeitende:
23
Alter zum Ehezeitende: 44 Jahre
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Vervielfacher = 4,6; nach Erhöhung um 50% = 6,9.
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Jahresrente fiktiv = 217,13 € x 12 = 2.605,56 €;
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2.605,56 x 6,9 = 17.978,36 € entsprechend 35.162,62 DM;
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Entgeltpunkte: 35.162,62 DM x 0,0000915531 = 3,2192 EP;
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Dynamische Anwartschaft = 3,2192 x 46,67 DM =
150,24 DM
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Die Umrechnung mit Hilfe der BarwertVO erscheint dem Senat systemfremd; sie führt
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zum Zeitpunkt der Entscheidung ersichtlich nicht zu der angestrebten Halbteilung. Die
BarwertVO ist zur Rückrechnung volldynamischer Anrechte auf ein Ehezeitende nicht
geeignet, weil sie auf die Umrechnung nicht (voll-)dynamischer Anrechte zugeschnitten
ist. Bei Anwendung der Berechnungsmethode des BGH würde es im Ergebnis bei der
Bewertung der Zusatzversorgung zum Ehezeitende als teildynamisch verbleiben. Es
käme zu einer nur unwesentlichen Anhebung des seinerzeit eingestellten dynamisierten
Betrages von 129,53 DM, welcher noch auf der Beurteilung der Anwartschaft als sowohl
im Anwartschafts- als auch im Leistungsstadium statisch beruhte.
III)
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Daraus ergibt sich folgende Berechnung:
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A. Anwartschaft der Antragstellerin:
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Bei der DRV Bund in C . . . . . 1.571,64 DM
34
Versicherungsnr. #####2
35
Die Bewertung erfolgt nach § 1587a Abs. 2 Nr.2 BGB.
36
insgesamt: . . . . . . . . . . . 1.571,64 DM
37
B. Anwartschaften des Antragsgegners:
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1. Bei der DRV Bund in C . . . . . . 2.312,24 DM
39
Versicherungsnr. #####3
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Die Bewertung erfolgt nach § 1587a Abs. 2 Nr.2 BGB.
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2. Bei der VBL in L (Beschwerdeführerin)
42
Es handelt sich um ein Anrecht der betrieblichen Altersversorgung nach § 1587a
Abs. 2 Nr.3 BGB.
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Hier wird ein Wert von 197,23 € in die Berechnung eingestellt, der sich auf der
Grundlage der obigen Rechtsausführungen errechnet.
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(197,23 EUR = 385,75 DM)
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Monatsrente . . . . . . . . . . . 385,75 DM
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Eine Umrechnung ist nicht erforderlich. Es handelt sich um den Ehezeitanteil der
Versorgung.
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Der Versorgungsträger läßt die Realteilung nicht zu. Es handelt sich um einen
inländischen öffentlichrechtlichen Versorgungsträger.
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Das ergibt folgende Übersicht:
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splittingfähig gem. § 1587b Abs. 1 BGB mit EP: . . 2.312,24 DM
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Quasisplitting nach § 1 Abs. 3 VAHRG: . . . . . . 385,75 DM
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insgesamt: . . . . . . . . . . . 2.697,99 DM
52
Ausgleich
53
Nach § 1587a Abs. 1 BGB ist der Ehegatte mit den höheren Anrechten
ausgleichspflichtig:
54
1571,64 – 2.697,99 = . . . . . . . . . -1.126,35 DM
55
Ausgleichspflicht des Antragsgegners: . . . . . 563,18 DM
56
Nach § 1587b Abs. 1 BGB hat der Versorgungsausgleich durch Rentensplitting zu
erfolgen in Höhe von:
57
(2312,24 - 1571,64) / 2 = . . . . . . . . . 370,30 DM
58
Der Ausgleich erfolgt durch analoges Quasisplitting nach
59
§ 1 Abs. 3 VAHRG in Höhe von:
60
385,75 / 2 = . . . . . . . . . . . . 192,88 DM
61
Der Höchstbetrag nach § 1587b Abs. 5 BGB beträgt: 1.283,01 DM
62
Er ist nicht überschritten.
63
Die Änderung beträgt:
64
563,18 - 390,1 = 173,08 DM
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Die Voraussetzungen einer Änderung nach § 10a Abs. 1 VAHRG sind gegeben. Die
Änderung ist auch wesentlich i.S. des § 10a Abs. 2 VAHRG.
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Die Anordnung der Umrechnung in Entgeltpunkte folgt § 1587b Abs. 6 BGB.
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IV)
68
Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 16, 30 Abs. 2, 99 Abs. 3 Nr. 3, 131 Abs. 2
KostO, § 13a FGG.
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Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf den §§ 621e Abs. 2, 543 Abs. 2 Nr. 2
ZPO. Der Senat weicht von dem Beschluss des BGH vom 25.04.2007 – XII ZB 206/06,
NJW-RR 2007, 1153 ff. = FamRZ 2007, 1084 ff., ab.
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