Urteil des OLG Hamm vom 22.12.2009

OLG Hamm (wiedereinsetzung in den vorigen stand, begründung, wiedereinsetzung, verletzung, rüge, verteidiger, inhalt, einspruch, brandenburg, umstand)

Oberlandesgericht Hamm, (3) 6 Ss OWi 984/09 (330)
Datum:
22.12.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
3. Senat für Bußgeldsachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
(3) 6 Ss OWi 984/09 (330)
Vorinstanz:
Amtsgericht Minden, 15 OWi 128/09
Schlagworte:
Begründung der Wiedereinsetzung und Begründung der
Rechtsbeschwerde
Normen:
OWiG § 74
Leitsätze:
Der Umstand, dass in einem Schriftsatz zunächst Wiedereinsetzung
beantragt und begründet wird und im Anschluss daran zum Schluss des
Schriftsatzes erst Rechtsbeschwerde eingelegt wird, welche in einem
späteren Schriftsatz mit der allgemein erhobenen Sachrüge bgründet
wird, führt dann nicht dazu, dass keine wirksame Verfahrensrüge wegen
Verletzung des § 74 OWiG erhoben wurde, wenn die Begründung der
Wiedereinsetzung trotz der entgegenstehenden Schriftsatzgestaltung
ausnahmsweise auch als Begründung der Rechtsbeschwerde
heranzuziehen ist. Das ist dann der Fall, wenn der Beschwerdeführer
bzw. sein Verteidiger die Schriftsatzgestaltung unter offensichtlicher
Verkennung der Abgrenzung von Rechtsbeschwerde und
Wiedereinsetzung gewählt haben und im Rahmen der
Wiedereinsetzungsbegründung ausschließlich Gründe vorgetragen
werden, die die Rechtsbeschwerde rechtfertigen könnten.
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über
die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Minden
zurückverwiesen.
Gründe
1
I.
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Das Amtsgericht hat mit dem angefochtenen Urteil den Einspruch des Betroffenen
gegen den Bußgeldbescheid des Landrates des Kreises N vom 07.01.2009, in dem
gegen den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 64 km/h
außerhalb geschlossener Ortschaften eine Geldbuße von 481,25 Euro und ein
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zweimonatiges Fahrverbot verhängt worden war, gem. § 74 OWiG verworfen.
Gegen das Urteil wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde. Er rügt die
Verletzung materiellen Rechts.
4
II.
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Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
6
1.
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Auf die Sachrüge hin kann das Rechtsbeschwerdegericht bei einem angefochtenen
Urteil nach § 74 OWiG nur eine Überprüfung auf das Vorliegen von
Verfahrenshindernissen hin vornehmen. Solche sind hier nicht gegeben.
8
2.
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Die der Sache nach erhobene Rüge der Verletzung des § 74 Abs. 2 OWiG hat Erfolg.
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a) Die für die Rüge eines Verstoßes nach § 74 Abs. 2 OWiG erforderliche
Verfahrensrüge wurde noch ausreichend in der nach § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 344
Abs. 2 StPO gebotenen Form erhoben und begründet.
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Der Verteidiger des Betroffenen hat nach Zustellung des in Abwesenheit verkündeten
Urteils mit Schriftsatz vom 12.08.2009 zunächst Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
beantragt. Der Schriftsatz ist so aufgebaut, dass auf Seite 1 Wiedereinsetzung beantragt
wird, sondern werden "Gründe" ausgeführt. Auf Seite 3 unten heißt es dann: "Neben
dem Wiedereinsetzungsgesuch fechte ich das am 29. Juli 2009 verkündete Urteil des
Amtsgerichts Minden mit der Rechtsbeschwerde an." Es folgt ein Akteneinsichtsgesuch.
Noch innerhalb der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist hat der Verteidiger dann mit
Schriftsatz vom 09.09.2009 beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben. Unter
"Gründe" heißt es dann: "Ich erhebe die Sachbeschwerde".
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Zwar würde, selbst wenn man die Erhebung der Sachrüge in eine Verfahrensrüge
umdeutet (entsprechend § 300 StPO) und den Inhalt des angefochtenen Urteils
heranzieht, dies einer Rüge der Verletzung des § 74 OWiG oder einer Rüge der
Verletzung der Aufklärungspflicht im Zusammenhang mit einer etwaigen
Entschuldigung des Betroffenen nicht zum Erfolg verhelfen. Der Inhalt der
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bzw. der ärztlichen Bescheinigung vom 28.07.2009
ist nicht mitgeteilt. Deswegen wäre es dem Rechtsbeschwerdegericht nicht möglich, zu
überprüfen, ob das Amtsgericht den Einspruch des Betroffenen zu Recht nach § 74
OWiG verworfen hat.
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Indes muss man in dem vorliegenden Sonderfall die Begründung des
Wiedereinsetzungsgesuchs zur Begründung der Verfahrensrüge mit heranziehen.
Dagegen spricht zwar die Gestaltung des Schriftsatzes vom 12.08.2009, worin die
Begründung allein unter dem Gliederungspunkt "Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand" erfolgt ist und erst am Schluss – nach dieser Begründung - Rechtsbeschwerde
(ohne nähere Begründung) eingelegt wird. Dagegen spricht auch, dass die
Rechtsbeschwerde noch einmal gesondert begründet wurde – eben nur mit der
Sachrüge.
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Andererseits kann nicht allein die rechtlich unzutreffende Gliederung eines Schriftsatzes
dazu führen, dass Rechtsmittelvorbringen zurückgewiesen wird, wenn der
Beschwerdeführer bzw. sein Verteidiger offensichtlich die Abgrenzung zwischen
Wiedereinsetzung und Rechtsbeschwerde verkennen und im Rahmen der
Wiedereinsetzungsbegründung nur Umstände vorgetragen werden, die allein geeignet
sein könnten, die Rechtsbeschwerde zu rechtfertigen (OLG Brandenburg NStZ-RR
1997, 275). So verhält es sich hier. In dem Schriftsatz vom 12.08.2009 wird der Inhalt
des ärztlichen Attests vom 28.07.2009, welches ausweislich der Urteilsgründe dem
Gericht vor Urteilsfassung vorlag und welches deswegen für ein
Wiederseinsetzungsgesuch nicht relevant war (vgl. OLG Brandenburg a.a.O.),
wiedergeben und vorgetragen, dass wegen des vor dem Termin eingereichten Attestes
der Einspruch nicht hätte verworfen werden dürfen, also dass das Gericht den begriff der
genügenden Entschuldigung verkannt hat. Das Attest sei eindeutig und nicht, wie im
Urteil ausgeführt wird, "nichtssagend".
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b) Die Rüge ist auch begründet.
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Das Urteil kann keinen Bestand haben, weil es sich mit dem geltend gemachten
Entschuldigungsgrund nicht genügend befasst. Dabei kommt es allein darauf an, ob der
Betroffene genügende entschuldigt war, nicht, ob er sich genügend entschuldigt hat.
Ausweislich des ärztlichen Attestes war der Betroffene aber am Terminstrage "aus
gesundheitlichen Gründen" daran gehindert, einen Gerichtstermin wahrzunehmen.
Dieses Attest kann nicht als nichtssagend bewertet werden. Allein der Umstand, dass
darin keine Diagnose enthalten ist, reicht dafür nicht aus (BayObLG NZV 1998, 426). Es
handelt sich auch nicht um eine bloße Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die für sich
genommen eine Verhandlungsunfähigkeit nicht unbedingt belegt. Hatte das Gericht
Zweifel an der Richtigkeit des Attestes, hätte es diesen nachgehen müssen, was aber
nicht geschehen ist.
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