Urteil des OLG Hamm vom 10.02.2010

OLG Hamm (zeuge, erwerber, verwaltungsgericht, beurkundung, gemeinde, höhe, inhalt, schaden, notar, verkäufer)

Oberlandesgericht Hamm, 11 U 273/09
Datum:
10.02.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
11. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 U 273/09
Vorinstanz:
Landgericht Siegen, 1 O 195/08
Normen:
§ 19 BNotO
Leitsätze:
Zur Frage der Kausalität der Amtspflichtverletzung bei UInterlassen
einer durch den Notar gebotenen Sachverhaltsaufklärung
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 28. August 2009 verkündete
Urteil der Einzelrichterin der 1. Zivilkammer des Landgerichts Siegen
wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
1
I.
2
Die Klägerin nimmt den Beklagten aus eigenem Recht und aus abgetretenem Recht
ihres Ehemannes wegen Verletzung seiner Amtspflichten als Notar auf Schadensersatz
in Anspruch. Sie wirft ihm vor, bei der Beurkundung eines Grundstückskaufvertrages
absprachewidrig eine für sie nachteilige Regelung aufgenommen zu haben, durch die
sie als Veräußerer später festgesetzte Erschließungsbeiträge hätten übernehmen
müssen.
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Der Ehemann der Klägerin - der Zeuge R - ist Leiter des Bauordnungs- u.
Bauplanungsamtes der Stadt Z1. Er und die Klägerin waren Eigentümer eines
Grundstücks in der benachbarten Gemeinde X, Gemarkung I, Flur X, Flurstück 497
(postalisch: B-Straße 20).
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Der Bau- und Planungsausschuss der Gemeinde X fasste am 17.06.1998 den
Beschluss, den Bereich der Grundstücke B-Straße 18-20 zu erschließen. Nach
entsprechender Errichtung der Erschließungsanlage wurden die Klägerin und der
Zeuge R durch Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde X vom 26.06.2001 zur
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Zeuge R durch Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde X vom 26.06.2001 zur
Zahlung eines Erschließungskostenbeitrags in Höhe von 10.768,16 DM (entsprechend
5.505,67 EUR) herangezogen.
Der gegen diesen Bescheid erhobene Widerspruch vom 18.07.2001 wurde durch
Widerspruchsbescheid vom 15.10.2001 als unbegründet zurückgewiesen, wobei zuvor
am 20.08.2001 die beantragte Aussetzung der Vollziehung des Beitragsbescheides
bewilligt worden war.
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Die Klägerin und der Zeuge R machten am 14.11.2001 bei dem Verwaltungsgericht
Arnsberg - 6 K 4519/01 - eine Anfechtungsklage gegen den Beitragsbescheid in Gestalt
des Widerspruchsbescheides anhängig. Die Berichterstatterin der 6. Kammer des
Verwaltungsgerichts führte am 23.07.2002 einen Ortstermin B-Straße 20 durch, bei dem
zugleich die Sach- und Rechtslage erörtert wurde.
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In der Folgezeit entschlossen die Klägerin und der Zeuge R sich, das Grundstück in X
zu veräußern und sie erteilten einem Immobilienmakler, dem Zeugen N, einen
Vermittlungsauftrag. Der Zeuge N benannte als Kaufinteressenten Herrn Dr.-Ing. K und
dessen Ehefrau y, die das Objekt mehrfach besichtigten und sodann den
Kaufentschluss fassten.
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Die Beurkundung des entsprechenden Kaufvertrages sollte der Beklagte durchführen.
Zu diesem Zweck teilte der Zeuge N dem Beklagten am 28.04.2003 mit, dass am
30.04.2003 ein Beurkundungstermin stattfinden soll. Der Zeuge N übersandte dem
Beklagten zur Vorbereitung der Vertragsurkunde eine detaillierte Aufstellung über den
Inhalt des beabsichtigten Kaufvertrages.
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Im Vorfeld der Beurkundung meldete der Zeuge R sich telefonisch bei dem Beklagten.
Er setzte ihn über das seinerzeit noch bei dem Verwaltungsgericht Arnsberg wegen des
Erschließungsbeitrags anhängige Verfahren in Kenntnis. Der genaue Inhalt des
Telefonats ist zwischen den Prozessparteien streitig.
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Am 30.04.2003 beurkundete der Beklagte zu seiner UR-Nr. ##/03 den vorgesehenen
Grundstückskaufvertrag. Der Kaufpreis belief sich auf 292.000,-- EUR. Im Hinblick auf
den Erschließungsbeitrag fand folgende vom Beklagten aufgesetzte Formulierung unter
Ziff. II. 3. Eingang in die vertragliche Regelung:
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Der Käufer erklärt, dass hinsichtlich der noch zu zahlenden Erst-
erschließungsbeiträge nach BauGB ein Verfahren vor dem Verwaltungsgericht
Arnsberg anhängig ist, dem Widerspruch der Verkäufer wurde bislang nicht
abgeholfen. Sollten die Erschließungsbeiträge entrichtet werden müssen, werden
diese von den Verkäufern gezahlt.
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In dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Arnsberg fand am 10.07.2003 ein
Verhandlungstermin statt, in dem der Sitzungsvertreter des Bürgermeisters der
Gemeinde X den Heranziehungsbescheid zurücknahm und den Rechtsstreit in der
Hauptsache für erledigt erklärte.
13
Mit Schreiben vom 07.03.2006 kündigte der Bürgermeister der Gemeinde X gegenüber
den Erwerbern Dr. K und Frau y an, sie zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von
5.335,28 EUR heranziehen zu wollen.
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Daraufhin baten die Erwerber die Klägerin und den Zeugen R mit Schreiben vom
11.03.2006 um Übernahme dieses Betrages im Hinblick auf die unter Ziff. II. 3. des
notariellen Vertrages getroffene Regelung, wonach die Verkäufer die Erschließungs-
beiträge übernehmen würden.
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Die Klägerin und der Zeuge R erwiderten mit Schreiben vom 15.03.2006, dass eine
Übernahme des Erschließungsbeitrages nicht in Betracht komme. Die Regelung unter
Ziff. II. 3. beziehe sich nur auf die Übernahme des Erschließungsbeitrages, der mit
Bescheid vom 26.06.2001 festgesetzt und seinerzeit vom Verwaltungsgericht Arnsberg
überprüft worden sei. Nach Aufhebung des Bescheides sei die Beitragspflicht der
Verkäufer weggefallen. Es bestehe kein Anlass, den nunmehr neu festzusetzenden
Beitrag an die Käufer zu erstatten.
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Durch Bescheid vom 10.05.2006 wurden Dr. K und seine Ehefrau zur Entrichtung eines
Erschließungskostenbeitrags in Höhe von 5.335,28 EUR herangezogen. Der von ihnen
dagegen am 06.06.2006 erhobene Widerspruch wurde durch Bescheid vom 30.08.2006
zurückgewiesen. Daraufhin wandte sich Dr. K mit Schreiben vom 09.09.2006 erneut an
die Klägerin und den Zeugen R mit dem Angebot, das bevorstehende Verfahren beim
Verwaltungsgericht Arnsberg stellvertretend auf eigenes Kostenrisiko zu führen. Aus
dem Schreiben geht zudem hervor, dass das Verwaltungsgericht Arnsberg in dem
vorausgegangenen Rechtsstreit nur die öffentliche Widmung der neu erstellten
Erschließungsanlage bezweifelt und deshalb der Gemeinde X die Aufhebung des
Bescheides empfohlen habe. Diese Widmung sei am 24.08.2005 nachgeholt worden.
Zudem verwies Dr. K auf ein weiteres Schreiben der Gemeinde X vom 31.03.2006 in
dem bestätigt worden sei, dass der nunmehr zum zweiten Mal geltend gemachte
Erschließungsbeitrag vollständig in dem durch Bescheid vom 26.06.2001 festgesetzen
Beitrag enthalten gewesen sei. Die Klägerin und der Zeuge R gingen auf das Angebot
der Prozessführung nicht ein. Der Festsetzungsbescheid über den Beitrag in Höhe von
5.335,28 EUR wurde bestandskräftig.
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Mit Klageerhebung vom 17.11.2006 nahmen Dr. K und seine Ehefrau die Klägerin und
den Zeugen R in einem vor dem Landgericht Siegen geführten Rechtsstreit - 1 O 171/07
- auf Erstattung des Erschließungsbeitrags in Anspruch, woraufhin die Klägerin und der
Zeuge R dem Beklagten am 07.02.2007 den Streit verkündeten. Durch Urteil vom
07.09.2007 wurden die Klägerin und der Zeuge R antragsgemäß als Gesamtschuldner
zur Zahlung von 5.335,28 EUR zzgl. Nebenforderungen verurteilt. Zur Begründung
führte das Landgericht aus, die Regelung in Ziff. II. 3. des notariellen Vertrages sehe
eine Kostenlast der Veräußerer vor, die lediglich die gesetzliche Regelung in § 436 Abs.
1 BGB widerspiegele. Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung wurde
zurückgenommen, nachdem der Vorsitzende des 19. Zivilsenats des OLG Hamm durch
Schreiben vom 29.01.2008 auf die Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels hingewiesen
und ausgeführt hatte, die Klausel sehe aus objektivierter Sicht eine Kostenlast der
Verkäufer vor, die interessengerecht sei, weil es sich um eine bereits erstellte
Erschließungsanlage handele.
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Die Klägerin ließ sich einen etwaigen gegen den Beklagten bestehenden Regress-
anspruch von ihrem Ehemann am 09.10.2008 - anteilig - abtreten und macht diesen
Regressanspruch zum Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits.
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Dazu hat die Klägerin behauptet: Sie und ihr Ehemann hätten die Erschließungskosten
nur insoweit übernehmen wollen, als sie sich gegen einen entsprechenden
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Heranziehungsbescheid durch Rechtsbehelf hätten zur Wehr setzen können, also nur
hinsichtlich des beim Verwaltungsgericht Arnsberg anhängigen Bescheides. Die
Erwerber hingegen hätten die Erschließungsbeiträge übernehmen sollen, sofern sie
durch einen neuen Heranziehungsbescheid festgesetzt worden wären, weil sie - die
Klägerin und ihr Ehemann - dann keinen Einfluss auf etwaige Rechtsbehelfe hätten
nehmen können. Genau dieses Anliegen sei dem Beklagten ausdrücklich bei der
telefonischen Unterredung vor der Beurkundung mitgeteilt worden. Nach ihrer - der
Klägerin und ihres Ehemannes - laienhaften Einschätzung sei die gewünschte
Regelung der Kostenlast auch in der vom Beklagten in Ziff. II. 3. gewählten
Formulierung umgesetzt worden, denn würde man darin lediglich eine Wiederholung
der gesetzlichen Regelung sehen, wäre die Klausel überflüssig. Offenbar habe der
Beklagte den gewünschten Parteiwillen aber entgegen § 17 Abs. 1 S. 1 BeurkG nicht
unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, denn das Landgericht Siegen und der 19.
Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm hätten die vertragliche Vereinbarung im
Vorprozess anders als gewünscht ausgelegt.
Als Folge dieser pflichtwidrig geschaffenen Unklarheit müsse der Beklagte die
Belastung mit dem Erstattungsanspruch der Erwerber ausgleichen und dazu folgende
durch Urteil des Landgerichts Siegen - 1 O 235/06 - vom 05.10.2007 titulierte Beträge
ersetzen:
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Hauptforderung 5.335,28 EUR
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Zinsen bis 04.03.2008 415,26 EUR
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ausgerechnete Zinsen 79,10 EUR
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außergerichtliche Kosten 356,47 EUR
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6.185,95 EUR
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Die Klägerin hat beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an sie 6.185,95 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu zahlen.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte hat behauptet: Er habe in der streitgegenständlichen Vertragsklausel
deutlich und unmissverständlich genau das zum Ausdruck gebracht, was nach seinem
damaligen Kenntnisstand Wille der Vertragsparteien gewesen sei - nämlich, dass die
Verkäufer uneingeschränkt die (Erst-) Erschließungsbeiträge übernehmen sollten. Ihm
gegenüber sei weder in dem Telefonat mit dem Zeugen R noch während der
Beurkundung deutlich gemacht worden, dass die Käufer - abweichend von der
gesetzlichen Regelung - die Erschließungsbeiträge insoweit tragen sollten, als sie
durch einen neuen Bescheid festgesetzt würden. Außerdem habe er - der Beklagte - bei
Verlesen der Urkunde auch die Erschließungskosten thematisiert. Bei dieser
Gelegenheit sei von Klägerseite nicht zum Ausdruck gebracht worden, dass man eine
von der Gesetzeslage abweichende Regelung wünsche. Der Beklagte hat bezüglich der
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Kausalität einer etwaigen Pflichtverletzung für den geltend gemachten Schaden
bestritten, dass die damaligen Erwerber - wenn ihnen das Ansinnen der Kläger
hinsichtlich der Erschließungskosten mitgeteilt worden wäre - den Kaufvertrag
überhaupt unterschrieben hätten.
Das Landgericht hat die Parteien angehört, die Zeugen R und N vernommen und die
Klage durch Urteil vom 07.08.2009 mit folgender Begründung abgewiesen: Die Klägerin
habe nicht den Beweis geführt, dass sie und der Zeuge R mit den Käufern eine von §
436 BGB abweichende Regelung vereinbart hätten. Zwar habe der Zeuge R bei seiner
Vernehmung Entsprechendes bestätigt. Dem stehe aber die nicht minder glaubhafte
Aussage des Zeugen N gegenüber, der sich als Verhandlungsstand notiert habe, dass
die Erschließungskosten von den Verkäufern zu tragen seien. Eine
Amtspflichtverletzung könne auch nicht darin gesehen werden, dass der Beklagte die
von ihm behauptete Belehrung über die Erschließungsbeiträge unterlassen habe. Denn
nach den eigenen Angaben der Klägerseite habe vor der Beurkundung ein Telefonat
über die Erschließungskosten stattgefunden, so dass keine weitere Belehrungspflicht
bestanden habe.
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Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihren erstinstanzlichen
Vortrag bekräftigt:
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Der Beklagte habe seine Pflicht zur Sachverhaltsklärung nicht ernst genommen und im
Übrigen auch seine Pflicht verletzt, die Parteien eingehend über die - nach Ansicht des
Beklagten auch unter Zugrundelegung von Ziff. II. 3. weiterhin gültige - gesetzliche
Regelung in § 436 BGB zu belehren. Das sei unterblieben, so dass die Klägerseite
davon ausgegangen sei, die Käufer würden die Erschließungsbeiträge tragen.
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Dass hingegen eine vom gesetzlichen Standard abweichende Vereinbarung mit dem
Beklagten telefonisch vorbesprochen gewesen sei, ergebe sich nicht nur aus der
Aussage ihres Ehemannes, sondern auch aus der Aussage des Zeugen N. Denn dieser
habe bekundet, der vom Zeugen R gewünschte Regelungsgehalt sei so kompliziert
gewesen sei, dass er - der Zeuge N - den Zeugen R vorsorglich an den Beklagten
verwiesen habe. Außerdem habe der Zeuge N bekundet, auch er sei davon
ausgegangen, dass die Käufer die Erschließungsbeiträge zu zahlen hätten, die nach
der Umschreibung entstehen. Genau das werde mit der Klage geltend gemacht, denn
die Belastung mit den Erschließungsbeiträgen beruhe auf dem nach der Eigentums-
umschreibung erlassenen Bescheid vom 10.05.2006.
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Schließlich behauptet die Klägerin alternativ, dass Herr Dr. K und seine Frau – wäre
ihnen im Beurkundungstermin die Kostenaufbürdung erstmals mitgeteilt worden – sie
damit einverstanden gewesen wären bzw. dass sich statt dessen ein anderer
Interessent gefunden hätte, der ihr Grundstück zu gleichen Konditionen erworben und
künftige Erschließungsbeiträge übernommen hätte.
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Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Landgerichts Siegen vom 28.08.2009 abzuändern und den Beklagten zu
verurteilen, an sie Klägerin 6.185,95 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozent-
punkten zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Beklagte bezieht sich auf sein erstinstanzliches Vorbringen: Es sei unzutreffend,
dass er die Vertragsbeteiligten nicht über die Erschließungskosten belehrt habe.
Dementsprechend habe er auch die - der Gesetzeslage entsprechende - eindeutige
Formulierung aufgenommen "Sollten die Erschließungsbeiträge entrichtet werden
müssen, werden diese von den Verkäufern bezahlt." Dass zusätzlich etwas über das
seinerzeitige Gerichtsverfahren in die Urkunde aufgenommen worden sei, habe mit dem
nach ausführlichen Schilderungen geäußerten Wunsch des Zeugen R zusammen-
gehangen, dessen Einsatz in dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren positiv zu
betonen.
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Der Senat hat die Parteien angehört und den Zeugen N mit dem aus dem
Berichterstattervermerk vom 10.02.2010 ersichtlichen Inhalt vernommen. Wegen der
weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt
der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die tatsächlichen Feststellungen
des Landgerichts in seinem angefochtenen Urteil Bezug genommen.
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II.
43
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
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Die Klägerin kann von dem Beklagten nicht gem. § 19 Abs. 1 S. 1 BNotO - der einzig in
Betracht kommenden Anspruchsgrundlage - den Ersatz des vom Landgericht Siegen zu
ihren Lasten ausgeurteilten Betrages von insgesamt 6.185,95 EUR verlangen.
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1. Die Klägerin geht allerdings im Ansatz zu Recht davon aus, dass dem Beklagten
anlässlich der Beurkundung des Grundstückskaufvertrages eine Verletzung seiner aus
§ 17 BeurkG folgenden notariellen Amtspflichten anzulasten ist.
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Nach dieser Regelung soll ein Notar im Vorfeld einer Beurkundung den Willen der
Beteiligten erforschen, den Sachverhalt klären und zur Vermeidung von Irrtümern die
Beteiligten über die rechtliche Tragweite des Geschäftes belehren (§ 17 Abs. 1 BeurkG).
Sofern Zweifel verbleiben, ob das Rechtsgeschäft dem wahren Willen der Parteien
entspricht, soll der Notar diese Bedenken bei der Beurkundung mit den Beteiligten
erörtern (§ 17 Abs. 2 BeurkG).
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Diesen Obliegenheiten ist der Beklagte nicht gerecht geworden. Nach dem Ergebnis der
erstinstanzlich protokollierten Beweisaufnahme steht für den Senat fest, dass der Zeuge
R in dem Telefonat mit dem Beklagten diesem gegenüber den Willen zum Ausdruck
gebracht hat, künftig festgesetzte Erschließungsbeiträge mögen von den Erwerbern
getragen werden. Dagegen wiederholte der objektivierte Bedeutungsgehalt der vom
Beklagten in Ziff. II. 3. seiner Urkunde gewählten Formulierung lediglich die gesetzliche
Regelung in § 436 Abs. 1 BGB, wonach die Veräußerer die auf die bereits errichteten
Erschließungsanlagen bezogenen Beiträge zu übernehmen haben.
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Der Zeuge R sagte vor dem Landgericht aus, er habe mit Herrn Dr. K und Frau y bei der
Hausbesichtigung vereinbart, dass die Erwerber den Erschließungsbeitrag übernehmen
sollten, sofern dieser neu festgesetzt werden würde. Diesen Verhandlungs-stand habe
er - der Zeuge R - auch dem Beklagten in dem vor der Beurkundung geführten Telefonat
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mitgeteilt und gebeten, einen entsprechenden Inhalt in den Kaufvertrag aufzunehmen.
Die Glaubhaftigkeit dieser Zeugenaussage steht für den Senat insoweit nicht in Zweifel,
als der Zeuge R dem Beklagten den Wunsch nach einer die Erwerber belastenden
Kostenregelung mitgeteilt haben will. Eine solche Intention war aus Sicht der
Veräußerer durchaus nachvollziehbar, weil der Zeuge R als Bauamtsleiter die
Erfolgsaussichten des bei dem Verwaltungsgericht Arnsberg anhängigen Rechtsstreits
gut abschätzen konnte, während es für ihn möglicherweise schwierig sein würde, gegen
einen neuen Festsetzungsbescheid vorzugehen, weil dieser an die Erwerber adressiert
sein würde. Deshalb erscheint es als durchaus plausibel, dass für ihn - den Zeugen R -
und die Klägerin mit der Erledigung des damaligen Rechtsstreits vor dem
Verwaltungsgericht Arnsberg auch zugleich das "Thema Erschließungsbeitrag" erledigt
sein sollte.
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Sofern der Beklagte dagegen abstreitet, dass eine von der Gesetzeslage abweichende
Regelung der Kostenlast getroffen werden sollte, mag das nicht ausschließbar seinem
subjektiven Verständnis des mit dem Zeugen R geführten Telefonats entsprechen, nicht
aber dem maßgeblichen objektivierten Inhalt dieses Gesprächs. Denn falls der Zeuge R
lediglich eine der Gesetzeslage entsprechende Regelung gewünscht hätte, hätte er den
Beklagten nicht anzurufen brauchen. Insoweit sagte auch der Zeuge N bei seiner
erstinstanzlichen Vernehmung aus, die Vorgaben des Zeugen R hinsichtlich des
Erschließungsbeitrags seien "sehr umfangreich" gewesen. Das spricht ebenfalls gegen
den Wunsch nach einer gesetzeskonformen Standardlösung.
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Dem Beklagten wiederum oblag es gem. § 17 Abs. 1 S. 1 BeurkG, diesen auf eine
Kostenbelastung der Erwerber gerichteten "wahren" Willen der Grundstücksveräußerer
zu ermitteln. Falls sich der Beklagte über den entsprechenden Inhalt dieses
Geschäftswillens nicht im Klaren gewesen sein sollte, hätte er bei dem Zeugen R
entweder anlässlich des Telefonats oder spätestens im Beurkundungstermin
nachfragen müssen, welcher genaue Regelungsgehalt von ihm gewünscht war.
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Dieser Obliegenheit ist der Beklagte nicht nachgekommen. Statt dessen hat er ohne
Rückfrage die dem Willen der Klägerin und des Zeugen R widersprechende
Formulierung in Ziff. II. 3. des Kaufvertrages aufgenommen, die wiederum auf
Klägerseite einen Inhaltsirrtum (§ 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB) hervorrief über den nur
vermeintlich ihrem Willen entsprechenden Bedeutungsgehalt dieser Vertragsklausel.
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2. Trotz der pflichtwidrig unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung und Erforschung des
Parteiwillens kann die Klägerin von dem Beklagten den geltend gemachten Schaden
nicht ersetzt verlangen, weil nicht festgestellt werden kann, dass dieser Schaden auf der
dem Beklagten anzulastenden Pflichtverletzung beruht.
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Ob ein geltend gemachter Schaden im Sinne des § 19 Abs. 1 S. 1 BNotO aus der
Amtspflichtverletzung entstanden ist, richtet sich danach, welchen Verlauf die Dinge bei
pflichtgemäßem Verhalten genommen hätten und wie die Vermögenslage des
Betroffenen sich darstellen würde, wenn der Notar die Pflichtverletzung nicht begangen
hätte (BGH NJW-RR 2009, S. 199 (200); BGH NJW-RR 2003, S. 1498 (1499)). Sofern
einem Notar wie hier - die pflichtwidrige Unterlassung der Aufklärung des Parteiwillens
und einer darauf bezogenen Erörterung im Beurkundungstermin angelastet wird, muss
untersucht werden, wie die Dinge beim Hinzudenken gerade dieser unterlassenen
Handlungen verlaufen wären (BGH NJW-RR 1988, S. 1367 (1368);
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Ganter/Hertel/Wöstmann, Handbuch der Notarhaftung, 2. Aufl. 2009, Rnr. 2146;
Arndt/Lerch/Sandkühler, Kommentar zur BNotO, 6. Aufl. 2008, § 19 Rnr. 139). Weil die
Beantwortung der damit zusammenhängenden Fragen den Bereich der
haftungsausfüllenden Kausalität betrifft, braucht die Klägerin als Anspruchstellerin
wegen des insoweit herabgesetzten Beweismaßes des § 287 ZPO lediglich darzulegen
und zu beweisen, dass der Schaden mit deutlich überwiegender Wahrscheinlichkeit bei
pflichtgemäßer Vorgehensweise ausgeblieben wäre (BGH NJW-RR 1996, S. 781).
Sofern der Beklagte bei dem Zeugen R genau nachgefragt hätte, wer die
Erschließungsbeiträge für die bereits errichteten Anlagen für den Fall tragen soll, dass
ein Festsetzungsbescheid neu erlassen wird, hätten die Klägerin und der Zeuge R mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit betont, dass die Erwerber die Erschließungsbeiträge
übernehmen sollen.
56
Dass allerdings im nächsten Schritt Herr Dr. K und Frau y oder etwaige andere
Interessenten mit der von Klägerseite angedachten Kostenaufbürdung einverstanden
gewesen wären und das Grundstück unter ansonsten gleichbleibenden Konditionen
erworben hätten, lässt sich selbst unter Berücksichtigung der für die Klägerin günstigen
Beweiserleichterung nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit feststellen.
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Die bisherige Behauptung der Klägerin ging dahin, dass Herr Dr. K und Frau y eine
entsprechende Regelung der Kostenlast tatsächlich akzeptiert hatten. Allerdings ließ
diese Behauptung sowohl im Vorprozess als auch im hiesigen Rechtsstreit konkrete
Ausführungen dahingehend vermissen, welche über eine bloße Erörtertung des
Erschließungsbeitrags hinausgehende Vereinbarung genau mit den Erwerbern
getroffen worden sein soll.
58
Erstmals ergab sich aus der Aussage des Zeugen R bei seiner Vernehmung am
13.07.2009, es sei mit Herrn Dr. K und Frau y abgemacht gewesen, dass diese die
Einbauküche übernehmen sollten als Ausgleich für etwaige künftig von ihnen zu
begleichende Erschließungsbeiträge. Diese Aussage – die sich die Klägerin offenbar zu
eigen macht – ist indessen nicht glaubhaft:
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Zum einen stellt die behauptete Vereinbarung einer Gegenleistung in Gestalt der
Einbauküche ein so bemerkenswertes und vordergründig plausibles Detail dar, dass
dessen frühzeitige Geltendmachung bereits im Vorprozess zu erwarten gewesen wäre.
Eine solche Vereinbarung widerspricht aber dem tatsächlichen Gang der Geschehnisse.
Denn Herr Dr. K und Frau y haben nicht nur im Vorprozess hinreichend deutlich
gemacht, dass sie keinen Erschließungsbeitrag zahlen wollten. Vielmehr wurde dieser
Standpunkt von den Erwerbern - entgegen der Behauptung der Klägerin im
Senatstermin - bereits in ihrer ersten gegenüber der Klägerseite abgegebenen
schriftlichen Stellungnahme vom 11.03.2006 vertreten, unmittelbar nachdem die
Gemeinde X mit einem am 07.03.2006 aufgesetzten Schreiben die Erhebung des
Erschließungsbeitrages angekündigt hatte. Dass es mehrere Jahre nach dem Ankauf
des Grundstücks zu einer wiederholten Erhebung des seinerzeit bereits bei dem
Verwaltungsgericht Arnsberg streitbefangenen Erschließungsbeitrags kommen würde,
war möglicherweise für den Zeugen R vorhersehbar, nicht aber für die Erwerber. Für sie
bestand auch kein Anlass, eine verbindliche Regelung über einen Erschließungsbeitrag
zu treffen, bei dem weder Grund noch Höhe vorhersehbar waren. Auch der Zeuge N
bekundete bei seiner erstinstanzlichen Vernehmung, er könne sich nicht vorstellen,
dass sich Herr Dr. K und Frau y zur Übernahme eines etwaigen Erschließungsbeitrags
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bereit gefunden hätten, weil eine solche Regelung schwammig und unüblich gewesen
wäre.
Dementsprechend fand in der ansonsten sehr detaillierten Textvorgabe, die der Zeuge
N dem Beklagten vor der Beurkundung übersandte, eine Abmachung über künftige
Erschließungsbeiträge keine Erwähnung, während umgekehrt die auf die Einbauküche
bezogene Wertanrechnung von 5.000,-- EUR durchaus angeführt wurde. Der Senat
wertet auch dies als Indiz, dass die den Erschließungsbeitrag betreffende Kostenlast der
Erwerber nicht dem seinerzeitigen Verhandlungsstand entsprach.
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Wenn man von der hilfsweise seitens der Klägerin behaupteten – und vom Beklagten
zulässigerweise bestrittenen – Variante ausgeht, dass die Übernahme der
Erschließungs-beiträge zwar nicht im Vorfeld ausgehandelt wurde, aber von Herrn Dr. K
und seiner Ehefrau im Beurkundungstermin so akzeptiert worden wäre, hat die Klägerin
für ihre Behauptung keinen Beweis angetreten.
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Soweit die Klägerin weiter hilfsweise vorträgt, im Falle einer ablehnenden Haltung des
Herrn Dr. K und Frau y zu der gewünschten Kostenaufbürdung wäre dennoch eine
anderweitige Veräußerung des Grundstücks zu den von Klägerseite vorgegebenen
Konditionen und zu dem Kaufpreis von 292.000,-- EUR erfolgt, hat die Klägerin dafür
Beweis angetreten durch Benennung des Zeugen N.
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Nach dessen ergänzend durchgeführter Vernehmung lässt sich zwar eine alternative
Veräußerung zu den von Klägerseite gewünschten Bedingungen als in Betracht
kommende Möglichkeit nicht ausschließen; sie lässt sich aber andererseits auch nicht
mit der für die Zuerkennung des Schadens nötigen überwiegenden Wahrscheinlichkeit
feststellen.
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Der mit der Vermittlung des Grundstücks beauftragte Zeuge N bekundete insoweit, den
Maklerauftrag am 19.11.2002 erhalten zu haben. Die in dem ersten Exposé genannte
Preisvorstellung von 305.000,00 EUR sei in der Folgezeit auf 295.000,-- EUR reduziert
worden. Es hätten sich mehrere Kaufinteressenten gemeldet, insbesondere ein Oberarzt
aus T. Mit ihm sei auch das Objekt besichtigt worden, ohne dass der Zeuge N sich
insoweit an konkrete Preisverhandlungen erinnern konnte. Der Zeuge N hielt es für
relativ unwahrscheinlich, dass der Oberarzt das Objekt zum Exposépreis von
295.000,00 EUR gekauft hätte. Nach Darlegung des Zeugen N
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wäre dann ausgehend vom tatsächlichen Kaufpreis von 292.000,00 EUR der
Exposépreis unter Hinzurechnung des vom Erwerber noch zu zahlenden
Erschließungsbeitrags von mehr als 5.000,00 EUR überschritten worden. Ein solches
wirtschaftliches Ergebnis - so der Zeuge N - habe er in seiner 25jährigen Berufstätigkeit
noch nicht erzielt.
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Der Zeuge N bekundete des weiteren, dass außer dem Oberarzt kein weiterer
Interessent für das Grundstück vorhanden gewesen sei, mit dem er nähere
Verhandlungen geführt hätte. Er selbst – der Zeuge N – habe sich zwar grundsätzlich
auch persönlich für das Objekt interessiert. Wegen der abgelegenen Lage sei es aber
für ihn nicht ernsthaft in Betracht gekommen.
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Damit hat die Klägerin den Beweis der Ursächlichkeit der pflichtwidrig unterbliebenen
Sachverhaltsaufklärung für die als Schaden angeführte Belastung mit dem
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Erschließungsbeitrag nicht führen können. Vielmehr ist nicht auszuschließen, dass der
Klägerin und dem Zeugen R auch bei pflichtgemäßer Vorgehensweise des Beklagten
ein entsprechender finanzieller Nachteil entstanden wäre.
III.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10
ZPO.
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