Urteil des OLG Hamm vom 09.11.2010

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Oberlandesgericht Hamm, I-19 U 38/10
Datum:
09.11.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
19. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-19 U 38/10
Vorinstanz:
Landgericht Hagen, 4 O 170/06
Schlagworte:
Sowiesokosten
Normen:
§ 635 BGB a.F.
Leitsätze:
"Sowiesokosten" bleiben dann unberücksichtigt, wenn der Auftraggeber
bei von Beginn an ordnungsgemäßer Herstellung des Werks nicht mit
diesen Mehrkosten belastet geblieben wäre, weil er sie bei Veräußerung
des Werks (hier Hauseigentum) an den Erwerber hätte weitergeben
können.
Tenor:
Die Berufung des Beklagten gegen das am 28. Januar 2010 verkündete
Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Hagen wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich
der Kosten der Streithelfer der Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung
in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages,
wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von
110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe:
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I.
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Gemäß § 540 Abs.1 ZPO wird auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen
Urteils Bezug genommen, soweit sich aus dem Nachfolgenden nichts anderes ergibt.
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Das Landgericht hat den Beklagten wegen der von diesem für die Bauvorhaben der
Klägerin erbrachten mangelhaften Tragwerksplanung zur Zahlung von Schadensersatz
verurteilt und festgestellt, dass der Beklagte der Klägerin zum Ersatz der aus der
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Rissbildung im Bereich der leichten Trennwände der Obergeschosse und der giebel-
und gartenseitigen Außenwände der im Tenor näher bezeichneten Objekte verpflichtet
ist. Das Landgericht hat von den laut Sachverständigengutachten zur Beseitigung der
Rissschäden erforderlichen Kosten iHv 150.856,95 € einen Abzug von Sowiesokosten
nicht vorgenommen mit der Begründung, die Kosten bezögen sich nicht auf eine
Beseitigung der Ursachen der Risse, so dass im Rahmen der Schadensbeseitigung
keine Betonmehrkosten als Sowiesokosten anfielen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Rechtsfrage beschränkte Berufung des
Beklagten, ob die Klägerin sich von dem erstinstanzlich ausgeurteilten Betrag einen
Abzug für Sowiesokosten iHv 32.844,- € entgegenhalten lassen muss. Er argumentiert,
wären die statischen Berechnungen von ihm korrekt durchgeführt worden, hätte die
Klägerin die Decke über dem Erdgeschoss um 8 cm stärker ausführen lassen müssen.
Hierdurch wären pro Objekt Mehrkosten von 1.200,- € netto angefallen. Dies mache bei
27 Häusern den Betrag von 32.844,- € brutto aus, um den die erstinstanzlich zuerkannte
Urteilssumme zu kürzen sei.
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Der Beklagte beantragt,
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das angefochtene Urteil hinsichtlich des tenorierten Zahlbetrages teilweise
abzuändern und die Klage abzuweisen, soweit er zur Zahlung von mehr als
128.222,49 € nebst Zinsen iHv 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit
dem 26.05.2006 verurteilt worden ist.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Streithelfer haben keinen Antrag gestellt.
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Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres
erstinstanzlichen Sachvortrages. Sie meint, die der Höhe nach bestrittenen
Sowiesokosten müssten unberücksichtigt bleiben, weil das Landgericht nur die Kosten
der Beseitigung der Mängelsymptome zuerkannt habe. Die eigentliche Mängelursache,
nämlich die im Querschnitt zu dürftig ausgebildete Betondecke über dem Erdgeschoss,
bleibe unverändert. Durch die Beseitigung nur der Risse erhalte sie keinen
wirtschaftlichen Vorteil, den es auszugleichen gelte. Sowiesokosten müssten aber auch
deshalb unberücksichtigt bleiben, weil solche nur in ihrem unmittelbaren
Vertragsverhältnis zum Beklagten berücksichtigungsfähig seien. Mehrkosten für eine
von Beginn an korrekte statische Berechnung wären aber – so unstreitig – nicht
angefallen. Dass bei von Beginn an richtiger Ausführung der Decken
Materialmehrkosten entstanden wären, komme dem Beklagten nicht zugute. Das
betreffe allein das Vertragsverhältnis zu dem Rohbauunternehmer. Im Übrigen hätte sie,
wenn ihr diese Mehrkosten von Beginn an bekannt gewesen wären, diese in ihre
Preisgestaltung einkalkuliert und einen entsprechend modifizierten Preis auch bei den
anschließend mit den Erwerbern geschlossenen Verträgen durchsetzen können.
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Hinsichtlich des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze
nebst den damit überreichten Anlagen verwíesen.
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II.
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Die Berufung des Beklagten ist unbegründet.
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Der Klägerin steht gegen den Beklagten ein sich aus § 635 BGB a.F.ergebender
Schadensersatzanspruch in Höhe des von dem Landgericht zuerkannten Betrages iHv
insgesamt 161.066,49 € zu. Gem. Art. 229 § 5 EGBGB beurteilt sich der vorliegende Fall
nach dem BGB in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung. Denn der Statikervertrag,
aus dem die Klägerin Gewährleistungsrechte herleitet, ist vor dem 01.01.2002
geschlossen worden.
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Die grundsätzliche Schadensersatzpflicht des Beklagten steht außer Streit. In der
Berufungsinstanz ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der Beklagte eine fehlerhaft
Statik erstellt hat und es deswegen zu den beschriebenen Rissen an den errichteten
Objekten gekommen ist.
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Der zur Beseitigung der Risse erforderliche Betrag iHv 150.856,95 € unterliegt entgegen
der Ansicht des Beklagten keiner Kürzung unter dem Gesichtspunkt etwaiger
Sowiesokosten.
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Der Aufwendungs- oder Schadensersatzanspruch des Bestellers ist um die Mehrkosten,
um die die Bauleistung bei einer ordnungsgemäßen Ausführung von vornherein teurer
geworden wäre, zu kürzen. Dabei ist bei der Ermittlung der Sowiesokosten von der zur
Bauzeit üblichen, aus damaliger Sicht sicher zum Erfolg führenden Arbeitsweise
auszugehen.
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Entgegen der Ansicht der Klägerin geht es dabei nicht isoliert nur um die im
unmittelbaren Vertragsverhältnis zwischen ihr und dem Beklagten eventuell
entstandenen Mehrkosten des Statikerhonorars, die bei von Beginn an richtiger
statischer Berechnung angefallen wären. Richtigerweise ist vielmehr eine
Gesamtsaldierung vorzunehmen, so dass die Mehrkosten zu ermitteln sind, um die das
Bauvorhaben insgesamt teurer geworden wäre, wenn der Statiker nicht eine
unzutreffende Berechnung abgeliefert hätte. Die Kontrollüberlegung ist die: hätte der
Statiker richtig gerechnet, hätte der Bauherr dem Rohbauunternehmer wegen höherer
Materialkosten einen höheren Werklohn zahlen müssen, um die statischen
Anforderungen nicht zu vernachlässigen.
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Die Auffassung des Landgerichts, solche Sowiesokosten seien hier in dem von der
Klägerin geltend gemachten Schadensersatzbetrag nicht enthalten, weil diese
ausschließlich den Betrag verlange, der erforderlich sei, um die nach außen hin in
Erscheinung getretenen Symptome (Risse) des Mangels (zu geringe Deckenstärke) zu
beseitigen, ist allerdings unzutreffend. Dabei hat sich das Landgericht möglicherweise
auf die Ausführungen des Sachverständigen U in dessen Sachverständigengutachten v.
18.11.2008, unter 3.2.1, Bl. 5, gestützt. Dort hat der Sachverständige ausgeführt,
Sowiesokosten fielen nicht an, weil hier nicht der Mangel an sich, sondern nur dessen
Folgeerscheinungen beseitigt würden.
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Ebenso wie die Klägerin den Käufern der jeweiligen Hausgrundstücke die Errichtung
eines funktionstauglichen Hauses schuldete, schuldete der Beklagte als Ergebnis
seiner Beauftragung der Klägerin einen werkvertraglichen Erfolg, nämlich zutreffende
statische Vorgaben für die Errichtung eines standsicheren Gebäudes, ohne dass sich
als Folge einer unzureichend dimensionierten Decke Risse im Mauerwerk zeigen.
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Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die unzureichend dimensionierten Decken
keine nachteiligen Folgen für die Standsicherheit eines jeden Gebäudes haben. Ebenso
besteht Einigkeit darüber, dass sich die Gebäude endgültig gesetzt haben, so dass nach
Beseitigung der nach außen hin in Erscheinung getretenen Risse keine weiteren Risse
für die Zukunft zu besorgen sind. Daher sind die nunmehr geltend gemachten
Mängelbeseitigungskosten erforderlich aber auch abschließend, um den ursprünglich
geschuldeten funktionstauglichen Zustand der Gebäude ohne Risse herzustellen.
Soweit nach der auf die Ausführungen des Sachversändigen U gestützten Bewertung
des Landgerichts der Klägerin auch nach fachgerechter Verschließung der Risse für
jedes der 23 betroffenen Objekte ein merkantiler Minderwert von jeweils 2.700,- €
verbleibt, hat der hinter dem Beklagten stehende Haftpflichtversicherer den sich insoweit
ergebenden Gesamtbetrag an die Klägerin gezahlt. Es ist daher jetzt insgesamt der
Zustand hergestellt, den die Klägerin von Beginn an gehabt hätte, wenn sie mit den
damit verbundenen Mehrkosten für jedes einzelne Gebäude eine stärker ausgebildete
Decke über dem Erdgeschoss hätte bauen lassen. Im Grundsatz handelt es sich bei den
bei ordnungsgemäßer Ausführung der Arbeiten ohnehin anfallenden Mehrkosten für
Beton um Sowiesokosten, die von den ermittelten Schadensbeseitigungskosten in
Abzug zu bringen wären.
Gleichwohl scheidet eine Berücksichtigung dieser Kosten als Sowiesokosten
vorliegend aus. Dies deshalb, weil der Klägerin, auch bei von Beginn an korrekter
statischer Berechnung durch den Beklagten, keine Mehrkosten entstanden wären, mit
denen diese belastet geblieben wäre. Die Klägerin hätte die durch eine stärkere
Dimensionierung der Decken verursachten Mehrkosten bei ihrer Preisgestaltung
berücksichtigen und die Mehrkosten über den Kaufpreis an die Erwerber weitergeben
können (vgl. BGH VII ZR 140/88, NJW-RR 1990, 278). Den darauf abzielenden,
erstmals in der Berufung vorgetragenen Sachverhalt berücksichtigt der Senat bei seiner
Entscheidung, § 531 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, weil das Landgericht frühzeitig zu erkennen
gegeben hat, dass es aus seiner Sicht aus anderen Gründen auf die Frage der
Sowiesokosten nicht ankomme. Veranlassung seitens der Klägerin, zu diesem Punkt
detailliert vorzutragen, bestand daher damals nicht.
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Dass der Klägerin die Weitergabe der Mehrkosten im Rahmen der mit den jeweiligen
Erwerber geschlossenen Kaufverträge nicht möglich gewesen wäre oder die Klägerin
aus anderen Gründen davon abgesehen hätte, und daher mit den Mehrkosten belastet
geblieben wäre, hat der Beklagte nicht schlüssig dargelegt.
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Die Klägerin hat plausibel und nachvollziehbar dargelegt, dass sie die sich durch eine
korrekte statische Berechnung ermittelten Materialmehrkosten in ihre Preiskalkulation
aufgenommen und diese Mehrkosten an die einzelnen Erwerber weiter gegeben hätte
und den um die Mehrkosten erhöhten Kaufpreis auch am Markt hätte durchsetzen
können. Der Beklagte hat seine statische Berechnung unter dem 06.05.1999
fertiggestellt und dem von der Klägerin beauftragten Architekten am 10.05.1999
übergeben. Demgegenüber sind nach dem unbestritten gebliebenen Vortrag der
Klägerin aus der Berufungserwiderung die ersten Erwerberverträge im August 1999
geschlossen worden. Selbst wenn die Klägerin die einzelnen Objekte bereits vor
Vorlage der statischen Berechnung erstmals kalkuliert haben sollte, bestand auch in
diesem Fall in zeitlicher Hinsicht ausreichend Gelegenheit für die Klägerin, die Objekte
unter Berücksichtigung von sich aus einer korrekten statischen Berechnung ergebenden
Materialmehrkosten neu zu kalkulieren.
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Zwar hat der Beklagte behauptet, wegen der Geringfügigkeit der Mehrkosten von 1.200,-
€ pro Haus hätte die Klägerin diese nicht weitergegeben, weil sich der Kaufpreis nicht
an den zu erwartenden Baukosten, sondern an der Vermarktungsmöglichkeit des
Hauses orientiere. Dieser Sachvortrag erschöpft sich aber in einer bloßen Vermutung.
Denn der Beklagte hat auch nach dem entsprechenden Hinweis des Senats mit seinem
Schriftsatz vom 15.10.2010 keine Tatsachen dargelegt, dass jeder potentielle Käufer
von dem Erwerb eines solchen Objekts abgesehen hätte, wenn er 1.200,- € mehr als
tatsächlich geschehen für den Erwerb des Objekts hätte aufwenden müssen. Für die
Richtigkeit dieser zudem nicht unter Beweis gestellten Behauptung spricht nichts.
Zutreffend ist, dass sich der Kaufpreis für ein Objekt nicht allein nach dessen
Herstellungskosten richtet. Maßgebliche Faktoren der Preisbildung sind nicht zuletzt
auch die Nachfrage nach entsprechenden Objekten in der konkreten Lage und deren
aktuelle Vermarktungsmöglichkeit. Angesichts der Tatsache, dass sämtliche Objekte
vermarktet werden konnten, ist hier der Schluss gerechtfertigt, dass die Erwerber auch
bereit gewesen wären, einen um 1.200,- € höheren Kaufpreis zu zahlen, zumal sich eine
solche Erhöhung mit Blick auf den Gesamtkaufpreis pro einzelnem Haus als geringfügig
darstellt. Dieser Schluss ist um so mehr gerechtfertigt, weil den Erwerbern wegen des
oben dargestellten Zeitablaufs erst gar nicht zur Kenntnis gelangt wäre, dass wegen des
geringeren Materialeinsatzes die einzelnen Häuser ursprünglich um 1.200,- €
preiswerter hätten angeboten werden sollen. Es ist auch kein Anhaltspunkt dafür
ersichtlich, dass die Klägerin die Mehrkosten für jedes einzelne Gebäude übernommen
hätte. Zwar belaufen sich diese pro Objekt auf überschaubare 1.200,- €. Legt man aber
die Gesamtzahl der zu errichtenden Gebäude zugrunde, so wächst sich diese Position
zu einem ungleich höheren Kostenfaktor aus, bei dem nichts darauf hindeutet, dass die
Klägerin diese Mehrkosten zu Lasten einer Schmälerung ihrer Gewinnmarge
übernommen hätte. Da es dem Beklagten als Schädiger obliegt, die Voraussetzungen
für die Berücksichtigungsfähigkeit von Sowiesokosten darzulegen und zu beweisen, der
Beklagte diese Voraussetzungen aber nicht hat darlegen können, sind die Mehrkosten
für die stärkere Ausbildung der Betondecken nicht als Sowiesokosten zu
berücksichtigen.
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III.
26
Die Entscheidungen zur Kostentragung und vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf
den §§ 97 Abs.1, 101, 709 Nr. 10, 711, ZPO.
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Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe gemäß § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
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