Urteil des OLG Hamm vom 09.11.2010

OLG Hamm (kläger, abweisung der klage, veränderung der verhältnisse, wesentliche veränderung, zpo, höhe, erwerbsunfähigkeit, termin, gutachten, kind)

Oberlandesgericht Hamm, II-3 UF 177/09
Datum:
09.11.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
3. Senat für Familiensachen
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
II-3 UF 177/09
Vorinstanz:
Amtsgericht Ahaus, 11 F 50/09
Tenor:
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts –
Familiengericht - Ahaus vom 4. August 2009 (Az. 11 F 50/09)
dahingehend abgeändert, dass die Klage insgesamt abgewiesen wird.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
1
(abgekürzt nach § 540 Abs. 1 ZPO):
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I.
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Die Beklagten sind die Kinder des Klägers aus dessen geschiedener Ehe. Die Beklagte
zu 1 ist am 3. Januar 1999, der Beklagte zu 2 am 1. März 2000 und die Beklagte zu 3 am
29. August 2001 geboren.
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Der Kläger ist mit Urteil des Amtsgerichts Ahaus vom 15. August 2006 (Az: 11 F 107/05,
GA 6) zur Unterhaltszahlung an seine drei Kinder in Höhe von 100 % des
Regelbetrages der Regelbetragsverordnung verpflichtet worden. Die gegen dieses
Urteil gerichtete Berufung des Klägers ist mit Urteil des 12. Familiensenats des OLG
Hamm vom 12. September 2007 zurückgewiesen worden (Az: 12 UF 261/06, GA 10).
Dabei ist das – sachverständig beratene - Oberlandesgericht davon ausgegangen, der
Kläger sei erwerbsfähig und könne ein Nettoeinkommen in Höhe von rund 1.800 €
erzielen. Hinzu komme eine Rente. Damit sei der Kläger leistungsfähig.
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Der Kläger, diplomierter Elektrotechniker, war bis Ende 1999 selbständig tätig. Er
entwickelte, produzierte und installierte Steuerungen für Flüssigfütterungsanlagen in der
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Landwirtschaft. Im Jahr 2000 verkaufte er die Firma. Anschließend war er auf
Honorarbasis als Dozent tätig. Auch diese Tätigkeit stellte er nach der Trennung von der
Mutter der Beklagten ein. Aufgrund eines Leidens der Atemwege ist er mit einem GdB
von 20 v.H. als schwerbehindert anerkannt.
In der Folge der Trennung und mehrerer familiengerichtlicher Verfahren wurde der
Kläger vermehrt wegen psychischer Leiden behandelt. Seiner Argumentation, er sei
deshalb nicht mehr erwerbsfähig, sind in dem genannten Ursprungsverfahren weder das
Amts- noch das Oberlandesgericht gefolgt. Dieser Auffassung der Gerichte lagen
zugrunde Gutachten der Sachverständigen X und Dr. S aus dem Jahr 2007.
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Der Kläger bezieht eine Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 717,14 €. Für die
Krankenversicherung wendet er 143,64 € auf. Er wohnte bis Ende August 2010 in einem
Haus, für das er Arbeitsleistungen zu erbringen und die Nebenkosten zu tragen hatte.
Miete zahlte er nicht. Zum 1. September 2010 hat der Kläger eine anderweitige
Wohnung angemietet. Ferner entstehen ihm Kosten für den Umgang mit den drei
Beklagten an 1 ½ Tagen wöchentlich.
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Die Beklagten verfügen über keine eigenen Einkünfte. Das staatliche Kindergeld erhält
die Kindesmutter, bei der die Beklagten leben.
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Der Kläger hat geltend gemacht, er sei arbeitsunfähig erkrankt und könne keinen
Kindesunterhalt mehr zahlen.
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Die Beklagten haben die Abweisung der Klage beantragt und vorgetragen, eine
Abänderung des Unterhaltstitels sei nicht angezeigt. Der Kläger könne arbeiten. Zudem
sei ihm ein Wohnvorteil zuzurechnen, weil er mietfrei wohne.
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Mit dem angefochtenen Urteil ist der Unterhaltstitel dahingehend abgeändert worden,
dass der Kläger ab April 2009 nur noch Unterhalt in Höhe von monatlich 70 € je Kind zu
zahlen hat. Im Übrigen ist die Klage abgewiesen worden. Der Kläger sei nicht mehr in
der Lage, die titulierten Unterhaltsbeträge zu zahlen. Er sei jetzt erwerbsunfähig
aufgrund einer psychischen Erkrankung. Das ergebe sich aus der Begutachtung durch
den Psychiater Dr. O vom Gesundheitsamt des Kreises C. Die Erkrankung des Klägers
habe zu einer nachhaltigen und schweren Beeinträchtigung der psychosozialen und
beruflichen Funktionsfähigkeit geführt. Andererseits beziehe der Kläger aber eine
Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 700,16 €. Hinzu komme ein Betrag in Höhe von
300 €, weil er mietfrei wohne und lediglich Arbeitsleistungen erbringen müsse. Deshalb
sei es angemessen, dass der Kläger jedem Kind 70 € zahle.
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Dagegen wenden sich die beklagten Kinder, die mit der Berufung die Aufhebung des
angefochtenen Urteils und die Abweisung der Klage begehren. Der Kläger sei nicht
erwerbsunfähig.
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Die Beklagten beantragen,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufungen der Beklagten zurückzuweisen.
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Auch der Kläger greift das angefochtene Urteil mit einer Berufung an. Er macht geltend,
das Amtsgericht sei zwar zu Recht von seiner Erwerbsunfähigkeit ausgegangen. Es
hätte ihn jedoch nicht zur Zahlung von monatlich 70 € je Kind verurteilen dürfen.
Insoweit sei er nicht leistungsfähig. Insbesondere seien zu Unrecht 300 € als Mietvorteil
angesetzt worden. So habe er sämtliche Nebenkosten des Hauses zu tragen gehabt.
Zudem habe er, um das Haus mietfrei zu nutzen, 300 € monatlich für die Fertigstellung
des Hauses aufbringen müssen.
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Der Kläger beantragt,
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das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit es ihn verurteilt, ab April 2009
monatlich für jedes Kind 70 € zu zahlen, und das Urteil des Amtsgerichts –
Familiengericht - Ahaus vom 15. August 2006 – 11 F 107/05 – dahin abzuändern,
dass auch insoweit seit April 2009 keine Unterhaltspflicht des Klägers mehr
besteht.
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Die Beklagten beantragen,
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die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil und hinsichtlich des
zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes auf den vorgetragenen Inhalt der
gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen ergänzend Bezug genommen. Der
Senat hat die Parteien gemäß § 141 ZPO angehört. Die Akte 3 UF 167/09 OLG Hamm
lag vor und war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
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II.
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Die Berufungen sind form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig.
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Die Berufungen der Beklagten sind begründet, diejenige des Klägers ist unbegründet.
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1. Berufung der Beklagten
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Auf die Berufungen der Beklagten war die von dem Kläger erhobene Abänderungsklage
insgesamt abzuweisen. Die von dem Kläger behauptete wesentliche Veränderung der
Verhältnisse, auf die er sein Abänderungsbegehren stützt, und zwar die Veränderung
seiner Einkommensverhältnisse durch Eintritt einer Erwerbsunfähigkeit, kann nicht
festgestellt werden.
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a)
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Der Kläger stützt die Abänderungsklage darauf, er sei nicht (mehr) erwerbsfähig und
deshalb nicht leistungsfähig. Dem ist das Amtsgericht auf der Grundlage einer bloßen
Kurzstellungnahme des Gesundheitsamtes gefolgt (GA 20), die jedoch nicht den
Anforderungen an einen Sachverständigenbeweis genügt. Der Senat hat daher einen
Beweisbeschluss erlassen (GA 85) und Prof. Dr. u2 von der Universitätsklinik N zum
Sachverständigen bestellt. Der Kläger hat sich aber der Beweisaufnahme widersetzt.
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Zunächst hat er der Begutachtung durch den bestellten Sachverständigen
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widersprochen, aber seinen behandelnden Nervenarzt Dr. u von der Schweigepflicht
entbunden (wenn auch nur beschränkt auf die Anhörung im Senatstermin). Auf den
Hinweis des Senats, dass er die Beweislast für den Wegfall seiner Erwerbsfähigkeit
trage, hat der Kläger zusätzlich den behandelnden Arzt der Klinik Tecklenburger Land,
bei der er 2009 in Behandlung war, von der Schweigerpflicht entbunden.
Der Senat hat sodann versucht, das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen auf
dieser Basis einzuholen. Das war dem gerichtlich bestellten Sachverständigen indes
nicht möglich, der darauf hingewiesen hat, er müsse den Kläger persönlich untersuchen,
möglicherweise sogar stationär, um die Fragen des Senats beantworten zu können.
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Die erteilten Schweigepflichtentbindungen hat der Kläger nun zurückgezogen. Er wolle
nicht, dass sein Gesundheitszustand im Rahmen des vorliegenden Verfahrens öffentlich
und insbesondere seiner geschiedenen Frau zugänglich gemacht werde. Der Senat hat
einen Termin anberaumt, zu dem er nicht die behandelnden Ärzte, sondern nur den
gerichtlichen Sachverständigen geladen hat, um den Kläger in Anwesenheit des
Sachverständigen anzuhören.
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Daraufhin hat der Kläger mitteilen lassen, er werde sich nicht im Termin begutachten
lassen. Schließlich hat er erklärt, weder er noch seine Prozessbevollmächtigte würden
zum Termin erscheinen, wenn eine Begutachtung im Termin beabsichtigt sei. Der Senat
hat die Anordnung der Ladung des Sachverständigen zum Termin aufgehoben.
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b)
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Der Senat kann die Begutachtung des Klägers durch den gerichtlich bestellten
Sachverständigen nicht erzwingen (vgl. BGH FamRZ 2010, 720). Ohne diese
Begutachtung konnte der Beweis der Erwerbsunfähigkeit indes nicht geführt werden.
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Der Kläger hat zwar einige – auch neuere – ärztliche Unterlagen vorgelegt, die seinen
Vortrag bestätigen. Aufgrund des Bestreitens der Beklagten bedurfte es indes zur
Überzeugung des Senats der Beweisaufnahme durch Einholung eines
Sachverständigengutachtens. Dieses konnte allein auf der Grundlage der vorliegenden
ärztlichen Stellungnahmen nicht erstellt werden. Auch eine Befragung der
behandelnden Ärzte war – wenn sie überhaupt zielführend gewesen wäre – jedenfalls
deshalb nicht möglich, weil der Kläger die Schweigepflichtentbindung widerrufen hat.
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Andere Beweismittel waren nicht geeignet, eine hinreichende Überzeugung des Senats
von der Erwerbsunfähigkeit des Klägers herbeizuführen, § 286 ZPO. Das gilt zunächst
für die von dem Amtsgericht herangezogene schriftliche Äußerung des
Sozialpsychiatrischen Dienstes des Kreises C – Dr. O (GA 20). Es handelt sich hierbei
um einen gut zwei Seiten langen Vermerk, der weder eine eingehende Untersuchung
des Klägers noch eine hinreichend fundierte, den Anforderungen an gerichtliche
Gutachten genügende ärztliche Stellungnahme erkennen lässt. Zudem ist der Verfasser
des Vermerks vorbefasst und damit nicht hinreichend neutral, da er den Kläger aus einer
Gruppenpsychotherapie in den Jahren 2006 und 2007 kennt.
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Entsprechendes gilt für die von dem Kläger vorgelegten
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Aus diesen kann allenfalls gefolgert werden, dass
der behandelnde Arzt den Kläger durchgehend für arbeitsunfähig hielt. Damit wird der
erforderliche Beweis indes nicht geführt, zum einen weil die Arbeitsunfähigkeit der
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Erwerbsunfähigkeit nicht gleichsteht, zum anderen aber auch deshalb, weil der
Einschätzung des behandelnden Arztes, den aus dem Patientenverhältnis heraus ein
Vertrauensverhältnis mit dem Kläger verbindet, beweisrechtlich ein wesentlich
geringerer Stellenwert zukommt als dem Gutachten eines renommierten und neutralen,
gerichtlich bestellten Sachverständigen.
c)
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Nach alledem ist davon auszugehen, dass die Frage der Erwerbsfähigkeit sich nicht
anders darstellt als in dem Urteil angenommen wird, dessen Abänderung der Kläger
begehrt, bzw. in dem Berufungsurteil, mit dem die Berufung gegen dieses Urteil
zurückgewiesen wurde. Die Darlegungs- und Beweislast für eine Verschlechterung der
Erwerbschancen liegt bei dem Kläger als Unterhaltspflichtigem (Palandt/Diederichsen,
BGB, 68. Aufl., vor § 1601 Rdn. 68, 69, 71). In dem Berufungsurteil heißt es: "Denn der
[… Kläger …] ist auch unter Berücksichtigung seines Gesundheitszustands in der Lage
zu arbeiten und eine vollschichtige Tätigkeit auszuüben. [….] In Anbetracht der
Ausbildung, der Fähigkeiten und der Erwerbsbiographie des [… Klägers …] war daher
nicht auszuschließen, dass der [… Kläger …] (bei Steuerklasse I) zumindest einen
monatlichen Nettodurchschnittsverdienst in Höhe von rund 1.800 € erzielen kann. Eine
Kürzung dieses fiktiven Einkommens ist nicht veranlasst. Dass unterhaltsrechtlich
berücksichtigungsfähige Abzüge vorzunehmen sind, hat der [… Kläger …] nicht
substantiiert vorgetragen." Diesen Ausführungen schließt der Senat sich an. Sie gelten
mangels Darlegung und Beweis von Veränderungen unverändert (vgl.
Palandt/Diederichsen, aaO, Rdn. 72) und führen dazu, dass der Kläger – fiktiv -
leistungsfähig ist, den drei Beklagten den titulierten Kindesunterhalt zu zahlen. Dabei
kann dahinstehen, ob wegen ersparter Wohnkosten der Selbstbehalt zu kürzen ist.
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d)
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Auf den Umstand, dass die Beklagten Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz
(UVG) beziehen, kommt es nicht an. Streitgegenständlich sind nämlich allein die nach
Rechtshängigkeit der Abänderungsklage entstandenen Unterhaltsansprüche. Deshalb
ergibt sich bereits aus § 265 Abs. 2 ZPO, dass ein etwaiger Anspruchsübergang gemäß
§ 7 UVG vorliegend unbeachtlich ist (vgl. OLG Hamm FamRZ 1997, 278).
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2. Berufung des Klägers
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Hat angesichts der anzunehmenden Leistungsfähigkeit des Klägers die Berufung der
Beklagten Erfolg, ergibt sich zugleich, dass die auf die Behauptung der
Leistungsunfähigkeit gestützte Berufung des Klägers zurückzuweisen war.
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3.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 97, 708 Nr. 10, 711,
713 ZPO.
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Der Kläger hat beantragt, die Rechtsbeschwerde zuzulassen unter dem Gesichtspunkt
der Überprüfung der Aussagefähigkeit von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. In
Betracht käme vorliegend allein die Zulassung der Revision, Art. 111 Abs. 1 FGG-RG, §
543 Abs. 2 ZPO. Der Senat hat jedoch von einer Zulassung abgesehen. Die
Zulassungsvoraussetzungen sind nicht erfüllt, § 543 Abs. 2 ZPO. Weder hat die
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Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, noch erfordern die Fortbildung des Rechts
oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des
Revisionsgerichts. Insbesondere ist weder ersichtlich noch vorgetragen, dass die
beweisrechtliche Bedeutung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen des
behandelnden Arztes im vorliegenden Zusammenhang umstritten oder ungeklärt wäre
(vgl. nur Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 7. Aufl., §
1 Rdn. 532 m.w.N.). Der Kläger verkennt, dass die unterhaltsrechtliche Frage der
Erwerbsunfähigkeit der arbeitsrechtlichen Frage der Arbeitsunfähigkeit nicht entspricht
und dass deshalb den von ihm vorgelegten Urteilen von Arbeitsgerichten vorliegend
keine entscheidende Bedeutung zukommt.
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