Urteil des OLG Hamm vom 14.03.2017

OLG Hamm (bundesrepublik deutschland, karte, rücknahme der klage, kläger, zpo, vertragliche haftung, haftung, grund, gültigkeit, deutschland)

Oberlandesgericht Hamm, 9 U 85/78
Datum:
29.05.1979
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 U 85/78
Vorinstanz:
Landgericht Dortmund, 15 O 69/76
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 30. November 1977
verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund
abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefaßt:
Die Beklagte bleibt verurteilt, an den Kläger 220,- DM (i.W.:
zweihundertzwanzig Deutsche Mark) nebst 4 % Zinsen seit dem 2. März
1976 zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des ersten Rechtszuges trägt der Kläger zuzüglich zu
den ihm bereits durch Beschluß vom 8. August 1977 auferlegten Kosten
der teilweisen Klagerücknahme bezüglich der weiteren Kosten 98 %, die
Beklagte 2 %. Von den Kosten des zweiten Rechtszuges trägt der
Kläger 97 %, die Beklagte 3 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Entscheidungsgründe:
1
(gem. § 543 Abs. 1 ZPO)
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Der Kläger, ein iranischer Staatsangehöriger, verlangt nach einem Verkehrsunfall, den
er mit seinem in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen und versicherten Pkw,
VW K 70, in der ... auf der Straße von ... nach ... bei Kilometer 85 (von ... gehabt hat,
vollen Ersatz seines materiellen Schadens von der Beklagten als Haftpflichtversicherer
des unfallbeteiligten Pkw, Mercedes, der unter dem Zollkennzeichen ... ebenfalls in der
Bundesrepublik Deutschland für eine iranische Fahrzeughalterin zugelassen war und
von einem iranischen Staatsangehörigen geführt wurde. Er stützt sich dabei auf das ihm
nach dem Unfall vom Fahrer des Mercedes-Pkw ausgehändigte Doppel der "Grünen
Karte", in der unter der Rubrik: Vers.-Schein-Nr. die Nr. ... eingetragen ist. Das
Landgericht hat nach Rücknahme der Klage hinsichtlich des ursprünglich zusätzlich
verlangten Schmerzensgeldes bei Abstrichen zur Höhe einzelner Schadensposten dem
Grunde nach der Klage voll stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung von 8.261,75
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DM verurteilt. Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten mit dem Ziel
vollständiger Klageabweisung, die allerdings in der letzten mündlichen Verhandlung vor
dem Senat durch einverständliche Berufungsrücknahme der Beklagten auf den 220,-
DM nebst 4 % Zinsen seit dem 2.3.1976 übersteigenden Urteilsbetrag beschränkt
worden ist.
Die Berufung der Beklagten hat Erfolg. Die Klage ist zwar dem Grunde nach voll, der
Höhe nach jedoch nur im Umfang der Garantiewirkung der Grünen Karte begründet.
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1)
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Der Tenor des angefochtenen Urteils ist -wie sich aus dem Zusammenhang der
Entscheidungsgründe und der Kostenentscheidung ergibt, auf Grund eines
offensichtlichen Schreibversehens- unvollständig insofern, als am Ende des ersten
Absatzes nach ... "zu zahlen." der Satz: "Im übrigen wird die Klage abgewiesen."
einzufügen ist. Dieses offensichtliche Schreibversehen hat der Senat gem. § 319 ZPO
berichtigt.
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2)
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Da die Beklagte gem. §§ 12, 17 ZPO ihren allgemeinen Gerichtsstand in ... hat, ist die
deutsche Gerichtsbarkeit ungeachtet des im Ausland geschehenen Unfalls, der
ausländischen Staatsangehörigkeit der Unfallbeteiligten und des deshalb
anzuwendenden ausländischen Rechts international zuständig.
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3)
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Materiell-rechtlich sieht, wie in dem Gutachten von ..., vom 9.2.1977 (Bl. 32-48 d.A.) in
erster Instanz dargelegt ist, das deutsche Internationale Privatrecht als Deliktsstatut
grundsätzlich das Recht des Tatorts, für diesen Ausnahmefall jedoch, in dem die
Beteiligten sich im Lande des Tatorts nur zufällig auf der Durchreise von Deutschland
zum Iran bzw. umgekehrt begegnet sind, das gemeinsame Heimatrecht von Schädiger
und Geschädigten, also iranisches Recht vor. Das iranische Kollisionsrecht, das zwar
zivilrechtlich keine Bestimmungen über das Deliktsstatut enthält, verweist aber
strafrechtlich und auch in einem Gesetz über Sachschäden aus Verkehrsunfällen auf
das Recht des Tatorts, wie in dem oben angeführten Gutachten näher ausgeführt ist.
Mithin ist davon auszugehen, daß nach dem für das deutsche Gericht in erster Linie
maßgeblichen iranischen Recht das türkische Recht als Recht des Tatorts anzuwenden
ist. Da das türkische Recht seinerseits diese Verweisung des iranischen Rechts
annimmt, weil auch nach türkischem Recht das Recht des Tatorts maßgeblich ist,
kommt es auch in diesem Ausnahmefall auf dem Umweg über das iranische
Heimatrecht der Unfallbeneiligten zur Anwendung des türkischen Rechts als des
Tatortrechts.
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4)
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Nach dem materiellen türkischen Recht besteht ein Direktanspruch des Geschädigten,
also des Klägers, gegen den Haftpflichtversicherer des Schädigers, also die Beklagte
(Art. 55 Abs. 2 des türkischen StVG) im Rahmen der Deckungssumme. Diese richtet
sich aber nicht nach deutschem Recht, da dem Kläger der Nachweis eines am Unfallort
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gültigen Versicherungsvertrages zwischen der Halterin des unfallbeteiligten Mercedes-
Pkw, Fräulein ... und der Beklagten nicht gelungen ist. Der Antrag des Klägers, die
Vorlage des Versicherungsvertrages durch die Beklagte gem. § 421 ZPO anzuordnen,
geht fehl, ebenso der Antrag auf Vorlagevernehmung gem. § 426 ZPO. Dem Kläger
steht kein prozessualer Anspruch auf Vorlage des Versicherungsvertrages nach § 423
ZPO und auch kein materiell-rechtlicher diesbezüglicher Anspruch zu (vgl. Thomas-
Putzo, ZPO-Kommentar, 9. Aufl., § 422 Anm. 2 d). Die Vernehmung des von der
Beklagten für den Nichtabschluß eines Versicherungsvertrages und das Verfahren bei
Ausgabe der Grünen Karte benannten Zeugen ... hat ergeben, daß kein
Versicherungsvertrag abgeschlossen worden ist. Der Zeuge ... hat glaubhaft bekundet,
daß bei der Beklagten in der Hauptstelle ... wo alle Versicherungsverträge registriert
sind, kein Vertrag auf den Namen ... existiert. Deshalb kann nicht von den vertraglichen
deutschen Mindestdeckungssummen ausgegangen werden, vielmehr können nur die
auf Grund der Garantiewirkung der Grünen Karte geltenden Mindestdeckungsummen für
den Umfang der Haftung der Beklagten maßgeblich sein. Das Gutachten von ... geht auf
Grund mangelnder vorheriger Instruktion durch das Landgericht davon aus, daß sich der
Unfall bei oder in ... ereignet habe. In Wirklichkeit hat der Unfall aber in der Nähe von ...
stattgefunden, wie der polizeiliche Unfallbericht und die eigene Schadensanzeige des
Klägers an seinen Kasko-Versicherer "VVD" ausweisen. Mithin ergäbe selbst ein nach
deutschem Recht von der Halterin des schädigenden Fahrzeugs mit der Beklagten
geschlossener Haftpflichtversicherungsvertrag wegen der "Europa-Deckung", d.h. der
auf das Gebiet von Europa beschränkten Gültigkeit des Vertrages lt. § 2 Abs. 1 AKB, für
den Unfallschaden des Klägers keine Haftung der Beklagten. Der Kläger kann nämlich
eine Ausdehnung der angeblichen vertraglichen Haftung auf das asiatische Gebiet der
... nicht beweisen. Deshalb entfällt eine vertragliche Haftung der Beklagten ganz und
gar. Das Vorhandensein der Grünen Karte allein reicht zum Beweis eines
Versicherungsvertrages nicht aus, wenn auch in dem Londoner Abkommen (vgl.
Schmitt, System der Grünen Karte, Anhang S. 197) das als Grundlage in der ganzen
Türkei gilt (Schmitt, a.a.O., S. 48 unter Ziff. 2) von dem "Versicherten" in der Definition
des Art. 1 b als einer Person ausgegangen wird, die auf Grund einer
Versicherungspolice versichert ist und im Besitz einer grünen
Versicherungsbescheinigung (Grünen Karte) ist. Jedoch kommt es nach Art. 3 Abs. 1
letzter Halbsatz des Londoner Abkommens für die Regulierung des Schadensfalles
entscheidend nur auf die Gültigkeit, und zwar die formale Gültigkeit der ordnungsgemäß
oder sogar auch nur angeblich ordnungsgemäß (also evtl. gefälschten oder
fälschlicherweise) ausgestellten Grünen Karte an. Maßgeblich sind also allein die mit
dem Versicherungsverhältnis in keinem notwendigen Zusammenhang stehenden
Gültigkeitsdaten auf der Grünen Karte selbst (vgl. Schmitt, a.a.O., S. 98, 99). Die
Ansichten im Schrifttum, die bei Schmitt (S. 99 ff.) wiedergegeben sind, gehen zwar
hinsichtlich der rechtlichen Konstruktion auseinander, stimmen aber letztlich darin
überein, daß Leistungen vom Haftpflichtversicherer nur im Rahmen der örtlichen
Mindesthaftpflichtversicherungssummen zu erbringen sind. Dieser Ansicht Schmitts
(a.a.O. S. 116 unter 4. Ergebnis) tritt der Senat bei. Der Originalversicherungsvertrag
kann nicht als Grundlage der Regulierung im Ausland angesehen werden. Seine
Bedeutung im System der Grünen Karte erschöpft sich im wesentlichen darin, daß er
eine Voraussetzung für die Ausstellung einer Grünen Karte bildet, die im Ausland dann
aber letztlich eine selbständige von dem Versicherungsvertrag losgelöste Funktion hat.
Das trifft auch für die Türkei zu. Die Grüne Karte hat dort auch im Bereich der
Unfallstelle Gültigkeit, weil sie den außereuropäischen Landesteil der ... nicht
ausschließt (vgl. Schmitt a.a.O., S. 82), sie geht also weiter als ein normaler in
Deutschland abgeschlossener Versicherungsvertrag, der nur die Europa-Deckung des §
2 Abs. 1 AKB gewährleistet. Daß das unfallverursachende Fahrzeug mit dem auf der
Grünen Karte benannten Fahrzeug identisch ist, hat der Senat auf Grund seiner von
dem Zeugen Piechocki, Angestellten der Firma Daimler-Benz-AG, Stuttgart-
Untertürkheim, schriftlich beantworteten Anfrage gem. § 377 Abs. 3 ZPO festgestellt.
Die Grüne Karte garantiert jedoch nur das Eintreten für den Haftpflichtschaden nach
Maßgabe der an der Unfallstelle geltenden Mindestdeckung der gesetzlichen
Haftpflichtversicherung. Das sind in der Türkei ausweislich des Gutachtens von ... ...
nach Art. 50 Abs. 1 des türkischen StVG 2.000 TL für Sach- und 5.000 TL für
Personenschäden pro Person (15.000 TL bei mehreren Personen - vgl. Beklagte Bl.
137, 162 d.A. und Schmitt a.a.O., S. 82). Ein Direktanspruch des Klägers gegen die
Beklagte ist also nach dem anzuwendenden türkischen Recht nur im Rahmen dieses,
nach den türkischen Mindestversicherungssummen ausgerichteten Deckungsanspruchs
gegeben.
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5)
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Hinsichtlich des Sachschadens hatte der Kläger, wie erörtert, allenfalls einen Anspruch
gegen die Beklagte in Höhe von 2.000 TL, das sind 110,- DM. Das bedarf aber keiner
weiteren Erörterung, weil die Beklagte das erstinstanzliche Urteil insoweit nicht mehr
angreift, da sie hierzu die Berufung zurückgenommen hat.
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6)
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Zum Personenschaden hat der Kläger keine Ansprüche mehr. Die Haftung für
Personenschaden bei einer Person ist auf 5.000 TL begrenzt, bei mehreren Personen
auf 15.000 TL. Einer näheren Aufklärung, welche Beträge auf die verletzten Personen
entfallen, bedarf es insoweit nicht mehr. Der Kläger hat nämlich selbst vorgetragen, daß
die Heilungskosten vollständig von der Krankenkasse getragen worden sind. Die
allenfalls noch - nach türkischem Recht - zum Personenschaden zählenden
Transportkosten vom Krankenhaus - Taxifahrt: 600 TL - sind durch den von der
Beklagten insoweit nach Berufungsrücknahme nicht mehr angegriffenen Betrag von
weiteren 110,- DM reichlich abgegolten.
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Der Einholung eines weiteren Gutachtens zum türkischen Recht bedurfte es deshalb
nicht mehr.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92, 97, 515 Abs. 3, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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