Urteil des OLG Hamm vom 28.05.1980

OLG Hamm (antrag, kläger, vvg, fristlose kündigung, grobe fahrlässigkeit, ordentliche kündigung, kündigung, zeuge, versicherungsverhältnis, unterschrift)

Oberlandesgericht Hamm, 20 U 322/79
Datum:
28.05.1980
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
20. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Teilurteil
Aktenzeichen:
20 U 322/79
Vorinstanz:
Landgericht Essen, 12 O 419/79
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 25. September 1979
verkündete Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Essen
abgeändert.
Es wird festgestellt, daß ein Versicherungsverhältnis zwischen den
Parteien entsprechend dem Versicherungsschein Nr. 559 752/1-17 vom
25.7.1978 besteht.
Der Hilfswiderklageantrag zu Ziffer 2) wird abgewiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.
Tatbestand:
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Der Kläger war in den Jahren 1962 bis 72 wegen Lungentuberkulose mehrfach in
ärztlicher Behandlung. Wegen dieser Vorerkrankungen lehnte die DKV den Abschluß
einer Krankenversicherung ab. Daraufhin wandte sich der Kläger an die Agentur
Barbara Stockebrandt. Dort verhandelte er Ende Juni/Anfang Juli 1978 mit deren
Ehemann und Angestellten, dem Zeugen Franz Stockebrandt. Bei der Beklagten ging
anschließend ein Versicherungsantrag für den Kläger ein, den der Zeuge ... von der
Bezirksdirektion Essen der Beklagten ausgefüllt hatte. Diese Angaben enthalten keine
Angaben über Vorerkrankungen. Der Antrag ist mit dem Namen des Klägers
unterschrieben. Bei dieser Unterschrift handelt es sich um eine Pausfälschung, wie
nach der Beweisaufnahme in zweiter Instanz unstreitig geworden ist.
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Am 15.11.1978 begab sich der Kläger erneut wegen Lungen-TBC in stationäre
Krankenhausbehandlung.
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Mit Schreiben vom 8.1.1979 erklärte die Beklagte ihren Rücktritt vom
Versicherungsvertrag gemäß §§ 16 ff VVG. Gleichzeitig kündigte sie vorsorglich gemäß
§ 41 Abs. 2 VVG. Während der Berufungsinstanz erklärte die Beklagte vorsorglich die
Anfechtung gemäß §§ 119, 123 BGB mit Schreiben vom 1.2.1980. Gleichzeitig sprach
sie vorsorglich die ordentliche Kündigung nach dem Inhalt des Vertrages zum 31.7.1980
aus.
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Der Kläger hat behauptet, er habe nur einen Antrag unterschrieben, den der Zeuge ...
unter Angabe der Vorerkrankungen ausgefüllt habe. Die Agentur ... habe diesen Antrag
an die Beklagte weitergeleitet, und er sei auch in den Bereich der Beklagt gelangt.
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Der Kläger hat beantragt,
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a)
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festzustellen, daß das Versicherungsverhältnis der Parteien zu Versicherungsschein-Nr.
559 752/1-17 noch fortbesteht und weder durch Rücktritt gemäß § 16 ff VVG noch durch
Kündigung gemäß § 41 Abs. 2 VVG beendet worden ist,
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b)
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festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, aus diesem Versicherungsverhältnis dem
Kläger die vertragliche Leistungen zu erbringen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat behauptet, der ihr vorgelegte Antrag sei von dem Zeugen ... nach den Angaben
des Zeugen ... ausgefüllt worden. Dieser ihr zugeleitete Antrag sei dann später von dem
Kläger persönlich oder mit dessen Vollmacht unterschrieben worden.
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Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme die Klage abgewiesen. Wegen der
Begründung wird auf das angefochtene Urteil verwiesen.
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Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit der form- und fristgerecht eingelegten
und begründeten Berufung.
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Er wiederholt sein Vorbringen erster Instanz und weist darauf hin, daß nach der
Beweisaufnahme erwiesen sei, daß er einen ordnungsgemäßen Antrag mit Angaben
über seine Vorerkrankungen bei der Agentur Stockebrandt abgegeben und
unterschrieben habe. Dieser ordnungsgemäße Antrag sei dann von dem Zeugen ... an
den Zeugen ... weitergeleitet worden.
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Der Kläger beantragt,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach seinen, erstinstanzlichen Anträgen
zu erkennen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie erhebt weiterhin hilfsweise Widerklage mit dem Antrag,
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hilfsweise festzustellen,
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1)
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daß dem Kläger für sein Krankenhausaufenthalt vom 15.11.1978 bis 5.1.1979 wegen
seiner rechtsseitigen kabernösen Lungen-TBC im St. Hedwig-Hospital in
Gelsenkirchen-Resse ein Krankenhaustagegeld nicht zusteht;
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2)
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daß das Versicherungsverhältnis wirksam gekündigt ist zum Ende des ersten
Versicherungsjahres zum 31.7.1979;
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3)
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weiter hilfsweise, daß das Versicherungsverhältnis wirksam gekündigt ist zum Ende des
zweiten Versicherungsjahres per 31.7.1980.
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Auch die Beklagte wiederholt ihr bisheriges Vorbringen. Sie hält die Ausführungen des
angefochtenen Urteils für zutreffend. Sie behauptet, der Kläger habe lediglich den
Antrag ohne Angabe der Vorerkrankungen einreichen wollen. Außerdem seien nur
dieser maßgeblich, da nur dieser ihrer Geschäftsstelle zugegangen sei.
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Der Kläger beantragt,
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die Widerklage zu 2) abzuweisen.
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Im übrigen läßt er sich auf die Hilfswiderklage nicht ein und stellt keinen Antrag.
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Der Senat hat Beweis erhoben durch mündliches Gutachten der Sachverständigen
Zimmermann. Diese gab an, die Unterschrift unter dem Antrag, bei dem keine
Vorerkrankungen angegeben seien, sei eindeutig gefälscht. Es sei eine echte
Unterschrift des Klägers auf diesen Antrag durchgepaust worden.
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Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der
gewechselten Schriftsätze und beigefügten Anlagen verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung ist begründet. Zwischen den Parteien ist ein Versicherungsvertrag nach
Maßgabe des Versicherungsscheines abgeschlossen worden, der auch zur Zeit noch
Bestand hat.
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Der Kläger hat einen von ihm unterschriebenen Antrag auf Abschluß einer
Krankenversicherung an die Beklagte bei der Agentur ... eingereicht. Bei diesem Antrag
handelt es sich nicht um den Antrag, in dem die Frage nach Vorerkrankungen verneint
wurde und das bei der Beklagten nach deren Vorbringen allein eingegangen sein soll.
Bei diesem Antrag ist nämlich die Unterschrift des Beklagten, die nach der
Beweisaufnahme in zweiter Instanz unstreitig geworden ist, gefälscht worden. Hinzu
kommt noch, daß dieser Antrag unstreitig von dem Zeugen ... ausgefüllt wurde. Damit
kann es sich nicht um den Antrag handeln, den der Zeuge Stockebrandt nach seiner
Aussage entgegengenommen hat und der nach dessen Angaben von dem Zeugen
richtig ausgefüllt und vom Kläger selbst unterschrieben wurde. Das hier diese beiden
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untersuhiedlichen Anträge nebeneinander existierten, folgt einmal aus der Aussage des
Zeugen S. und zum anderen aus dem schriftlichen Vermerk des Zeugen ... vom
1.3.1979 (Bl. 15, 30 d.A.). Der Zeuge ... hat in diesem Vermerk ebenfalls ausgeführt, daß
der Antrag des Klägers "neu gefertigt" wurde, also schon vorhanden war, und dann zur
Unterschrift durch den Kläger an den Zeugen ... zusammen mit dem früheren Antrag
zurückgegeben wurde.
Dieser vom Kläger unterschriebene Antrag ist auch der Beklagten zugegangen, als ihn
der Zeuge ... an sich nahm. Dieser Zeuge ist nämlich als Angestellter der Agentin der
Beklagten nach § 43 Ziff. 1 VVG zum Empfang für die Beklagte berechtigt. Diese
Ermächtigung wird zwar durch § 6 AVB eingeschränkt. Jedoch braucht sich der Kläger
diese Besuuhränkung nur bei Kenntnis oder grober Fahrlässigkeit zurechnen zu lassen
(§ 47 VVG). Kenntnis des Klägers ist von der Beklagten nicht einmal behauptet. Auch
eine grobe Fahrlässigkeit kann bei nicht besonders hervorgehobenen Regeln der AVB
nicht angenommen werden (OLG Hamm, Vers. 72, 248; zustimmend Prölls/Martin § 47
Anm. 2).
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Den Antrag des Klägers hat die Beklagte mit Schreiben, vom 7.8.1978, dem der
Versicherungsschein beigefügt war, angenommen. Dadurch ist zwischen den Parteien
ein Versicherungsverhältnis mit dem aus dem Versicherungsschein ersichtlichen Inhalt
zustandegekommen.
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Dies ist für den Fall, daß der Antrag, der vom Kläger unterzeichnet wurde und seine
Vorerkrankungen richtig angab, bei der Beklagten einging und von ihr auch
angenommen werden sollte, eindeutig. Aber auch dann, wenn nur der gefälschte und
sachlich unrichtige Antrag bei der Beklagten einging, besteht das
Versicherungsvertragsverhältnis zwischen den Parteien. Das Schreiben der Beklagten
vom 7.8.1978 ist aus der Sicht des Klägers als Annahme seines Antrages zu werten, da
ihm von dem zweiten, unrichtigen Antrag mit der gefälschten Unterschrift nichts bekannt
war. Die Beklagte hat für eine Kenntnis des Klägers nichts dargetan.
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Der zwischen den Parteien damit geschlossene Versicherungsvertrag hat auch noch
Bestand.
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Die Beklagte hat kein Rücktrittsrecht nach §§ 16, 17, 41 Abs. 2 VVG. Es ist hier nicht
festzustellen, daß der Kläger unrichtige Angaben über seine Vorerkrankungen gemacht
hat. Der inhaltich falsche Antrag stammt nicht vom Kläger. Deshalb entfällt auch eine
Anfechtung wegen arglistiger Täuschung. Eine Verfälschung des Antrags durch
zwischengeschaltete Agenten der Beklagten wäre eine Täuschung durch Dritte, die der
Kläger nicht kannte oder kennen mußte (§ 123 Abs. 2 Satz 1 BGB).
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Die Beklagte kann auch nicht nach §§ 119, 120 BGB wirksam anfechten Nach ihrer
Darstellung - von der hier ausgegangen werden mag - hat sie zwar einen Antrag
angenommen, der so nicht vom Kläger gestellt war. Dies ist auf eine unrichtige
Übermittlung der Erklärung des Klägers durch einen Empfangsboten des Beklagten
zurückzuführen. Dies geht zu Lasten des Erklärungsempfängers, der auf einen solchen
Vorgang keine Anfechtung stützen kann (Palandt-Heinrichs, § 120, Anm. 1; § 130 Anm.
2 a, aa; Erman/H. Westermann, § 120 Anm. 4), auch wenn von einer vorsätzlich falschen
Übermittlung, ausgegangen werden muß. In jedem Fall hat die Beklagte das Risiko für
die in ihrem Machtbereich erfolgte Entstellung und Änderung des
Versicherungsantrages zu tragen. Sie kann sich dem nicht durch eine Anfechtung
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entziehen.
Eine an sich möglich vertragsgemäße Kündigung nach § 2 Abs. 2 Ziff. c 1 AVB ist erst
mit Schreiben vom 1.2.1980 (Bl, 104 d.A.) zum 31.7.1980, nicht aber schon zum
31.7.1979 ausgesprochen worden. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist ihr
Schreiben vom 8.1.1979 (Bl. 9 d.A.) nicht als eine solche Kündigung aufzufassen, da
dort auf das Kündigungsrecht nach § 2 AVB nicht hingewiesen worden ist und sich aus
dem Schreiben auch nicht ausdrücklich ergibt, daß eine solche fristgemäße Kündigung
angesprochen sein sollte. Das Schreiben vom 8.1.1979, das zunächst nur eine fristlose
Kündigung nach § 41 Abs. 2 VVG enthält, kann auch nicht in eine fristgemäße
Kündigung umgedeutet werden (§ 140 BGB). Ob dies generell möglich wäre, mag hier
offen bleiben. Es kann jedenfalls nicht ohne weiteres unterstellt werden, daß die
Beklagte auf jeden Fall ihre Beziehung zu dem Kläger enden lassen wollte. Die
Hinweise in dem Schreiben auf §§ 16 ff, 41 Abs. 2 VVG machen deutlich, daß die
Beklagte aus falschen Angaben des Klägers, seien diese verschuldet oder
unverschuldet, Folgerungen herleiten wollte. Daraus läßt sich nicht entnehmen, daß die
Klägerin auf jeden Fall, auch wenn der Kläger zutreffende und richtige Angaben
gemacht haben sollte, unbedingt das Vertragsverhältnis baldmöglichst beenden wollte.
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Danach ist der Klageantrag zu 1), mit dem die Feststellung des Bestehens eines
Versicherungsvertragsverhältnisses verlangt wird, begründet. Der Klageantrag zu 2) ist
nur eine Schlußfolgerung aus dem ersten Antrag und hat keine selbständige
Bedeutung. Er braucht ohne Kostenfolge nicht beschieden zu werden. Daraus, daß dem
Klageantrag zu 1) entsprochen wird, folgt gleichzeitig auch, daß die Hilfswiderklage zu
2) als unbegründet abzuweisen ist.
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Hinsichtlich der weiteren Anträge der Hilfswiderklage hat sich der Kläger im
Senatstermin nicht eingelassen. Insoweit ist durch Versäumnisurteil vom heutigen Tage
entschieden worden. Diesem blieb auch die Kostenentscheidung vorbehalten.
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Der Wert der Beschwer beträgt 3.000 DM.
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