Urteil des OLG Hamm vom 24.05.2006

OLG Hamm: einkünfte, anrechenbares einkommen, berufliche weiterbildung, selbstbehalt, umschulung, arbeitsunfähigkeit, trennung, arbeitsfähigkeit, belastung, arbeitsstelle

Oberlandesgericht Hamm, 11 UF 237/05
Datum:
24.05.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
11. Senat für Familiensachen
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 UF 237/05
Vorinstanz:
Amtsgericht Gronau, 13 F 145/04
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 01.09.2005 verkündete Urteil
des Amtsgerichts - Familiengericht - Gronau teilweise abgeändert und
wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für die Zeit von Dezember
2004 bis April 2005 folgenden Kindesunterhalt zu zahlen: für D
monatlich 234,- € und für J monatlich 192,- €.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz werden der Klägerin zu 9/10
und dem Beklagten zu 1/10 auferlegt.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin 4/5 und
der Be-klagte 1/5 zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Die Parteien haben 1996 geheiratet. Aus der Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen: D,
geboren am 27.10.1998, und J, geboren am 06.12.2002. Nach am 01.08.2004 erfolgter
Trennung verlangt die Klägerin mit der vorliegenden, am 27.08.2004 eingereichten
Klage Kindes- und Trennungsunterhalt. Dem liegt Folgendes zu Grunde:
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Der Beklagte ist gelernter Tischler, hat aber während der Ehe überwiegend
Lohnersatzleistungen bezogen, nachdem er bereits im Jahre 1982 bei einem
Arbeitsunfall einen Bruch des Querfortsatzes am 4. Lendenwirbel erlitten hatte. Bei einer
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ersten Rehabilitationsmaßnahme im Juni/Juli 1992 wurde bereits eine berufliche
Weiterbildung oder Umschulung empfohlen. Der Beklagte erwarb daraufhin einen
Ausbildungsschein. Nachdem eine zweite Rehabilitationsmaßnahme im Mai 1997
keinen Erfolg gebracht hatte, verlor er seinen Arbeitsplatz als Tischler. Eine ab August
1999 laufende ABM-Maßnahme als Vorarbeiter/Ausbilder beim Anlernen von
Jugendlichen zum Tischler endete im März 2001. Nach einer weiteren Reha-Maßnahme
im Mai/Juni 2001 wurde festgestellt, dass der Beklagte zwar nicht mehr als Tischler
arbeiten, aber mittelschwere körperliche Tätigkeiten noch vollschichtig ausüben und
insbesondere als Vorarbeiter oder Arbeitspädagoge im bisherigen Berufsfeld tätig sein
könne. Eine solche Tätigkeit hat der Beklagte in der Folgezeit aber nicht gefunden,
sondern blieb arbeitslos. Statt dessen begann er 2002 eine Umschulungsmaßnahme
zum Groß- und Außenhandelskaufmann, die er im April 2004 wegen zu häufiger
Fehlzeiten abbrach.
Nach der Trennung bezog der Beklagte zunächst Arbeitslosenhilfe, ab Januar 2005
dann Arbeitslosengeld II. Am 01.04.2005 stürzte er auf der Treppe und zog sich eine
Luxationsfraktur im rechten oberen Sprunggelenk zu, die operativ versorgt wurde. Das
zur Stabilisierung eingebrachte Material wurde am 22.02.2006 ambulant entfernt. Ob
Funktionseinschränkungen verbleiben werden, ist bisher nicht geklärt.
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Im Jahre 2001 hat der Beklagte als Alleineigentümer ein Reihenhaus mit 50 qm
Wohnfläche erworben, das als Ehewohnung diente. Er bewohnt es seit der Trennung
allein. Ob er die dafür aufgenommenen Kredite bedient, ist streitig.
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Die Klägerin hat ohne Vortrag zum Einkommen des Beklagten für die Kinder Unterhalt
nach Einkommensgruppe 1 und für sich selbst das Existenzminimum von monatlich
730,- € verlangt.
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Sie hat beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an sie ab September 2004 wie folgt Unterhalt zu
zahlen:
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monatlich je 192,- € für D und J;
monatlich 730,- € Trennungsunterhalt für sich selbst.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hat geltend gemacht, er könne auf Grund seiner gesundheitlichen
Beeinträchtigungen nicht mehr in seinem Beruf als Tischler arbeiten. Auch die
beabsichtigte Umschulung zum Kaufmann habe er aus gesundheitlichen Gründen
abbrechen müssen. Er beabsichtige jetzt aber, sich mit einer Ich-AG als Tischler
selbständig zu machen, wenn das Arbeitsamt das befürworte und fördere, denn bei
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freier Zeiteinteilung könne er seinen Gesundheitsproblemen besser Rechnung tragen.
Das Amtsgericht hat die Klage durch Urteil vom 01.09.2005 mit der Begründung
abgewiesen, der Beklagte sei leistungsunfähig, denn ihm stehe weniger als der
notwendige Selbstbehalt zur Verfügung. Die Zurechnung fiktiver Einkünfte komme nicht
in Betracht, denn nach den vorgelegten Berichten über die Reha-Maßnahmen sei der
Beklagte fast immer als weiterhin arbeitsunfähig entlassen worden. Daher sei nicht
ersichtlich, wie er eine Arbeitsstelle hätte finden können.
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Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit der Berufung. Sie rügt, dass sich aus
den vorgelegten Berichten über den Verlauf der Reha-Maßnahmen gerade nicht ergebe,
dass der Beklagte erwerbsunfähig sei. Er sei daher gehalten gewesen, sich rechtzeitig
und intensiv um eine Wiedereingliederung in den Erwerbsprozess zu bemühen. Da
weder dargetan noch ersichtlich sei, dass er solche Bemühungen unternommen habe,
sei ihm der als Tischler mögliche Verdienst fiktiv zuzurechnen, der mit 1.850,- € netto zu
veranschlagen sei. Zusätzlich sei der Wohnwert der eigengenutzten Immobilie zu
berücksichtigen, was eine Herabsetzung des Selbstbehalts um monatlich 226,- €
rechtfertige, da er statt der im Selbstbehalt enthaltenen Kosten von 380,- € nur solche
von monatlich 154,- € habe. Dann könne er ohne weiteres die Beträge zahlen, die sie in
erster Instanz verlangt habe.
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Sie meint, die Sprunggelenksfraktur im April 2005 könne sich auf die Zurechnung fiktiver
Einkünfte nicht auswirken, denn wie ein möglicher Arbeitgeber auf die Erkrankung
reagiert hätte, sei nicht zu prognostizieren.
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Gemäß der vom Senat bewilligten Prozesskostenhilfe beantragt die Klägerin unter
Rücknahme der weitergehenden Berufung,
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den Beklagten unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils wie folgt zur
Unterhaltszahlung zu verurteilen:
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für D monatlich 241,- € für die Zeit von Dezember 2004 bis April 2005, monatlich
169,- € für die Zeit von Mai bis Juni 2005, monatlich 144, € für die Zeit von Juli bis
November 2005 und monatlich 157,- € ab Dezember 2005;
für J monatlich 192,- € für die Zeit von Dezember 2004 bis April 2005, monatlich
169,- € für die Zeit von Mai bis Juni 2005, monatlich 144,- € für die Zeit von Juli bis
November 2005 und monatlich 130,- € ab Dezember 2005.
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20
Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er verteidigt die Entscheidung des Amtsgerichts und verweist auf das Scheitern der
Umschulung und die im April 2005 erlittene Sprunggelenksfraktur. Er meint, auch im
Falle fiktiver Veranlagung könne ihm nicht mehr als das bei der letzten ABM-Stelle
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erzielte Einkommen von brutto 1.380,- € zugerechnet werden, was zu einem nur
geringfügig über dem Selbstbehalt liegenden Einkommen führe.
Dem Wohnvorteil stünden Belastungen gegenüber, so dass auch eine Reduzierung des
Selbstbehalts ausscheide.
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Entscheidungsgründe
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Die Berufung ist zulässig, hat aber nur in geringem Umfang Erfolg. Zwar steht dem
Grunde nach außer Streit, dass der Beklagte seiner Ehefrau und den beiden Kindern,
die sich nicht selber unterhalten können, gemäß den §§ 1601 ff., 1361 BGB
unterhaltspflichtig ist. Die vorgelegten Unterlagen rechtfertigen entgegen der Auffassung
des Amtsgerichts auch durchaus die Zurechnung fiktiver Einkünfte, die Möglichkeit der
Fiktion endet aber in Folge der Sprunggelenksfraktur des Beklagten Ende April 2005.
Ab diesem Zeitpunkt bleibt es daher bei der vom Amtsgericht angenommenen
Leistungsunfähigkeit des Beklagten.
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1. Ansprüche für die Zeit von September bis November 2004:
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1. tatsächliche Einkünfte:
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29
Die Feststellung des Amtsgerichts, dass der Beklagte aus seinen Lohnersatzleistungen
keinen Unterhalt zahlen kann, greift die Berufung nicht an. Daran ändert nichts, dass
nach seinen Angaben im Senatstermin die bisher nicht berücksichtigte
Eigenheimzulage von jährlich 1.200,- € hinzukommt.
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a)
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Nach dem Bescheid der Agentur für Arbeit vom 30.08.04 hatte er zwar einen Anspruch
auf Arbeitslosenhilfe in Höhe von täglich 25,41 €, was einem Monatsbetrag von 762,30
€ entspricht (25,41 € * 30 Tage), wegen der von der BfA zurückgeforderten Überzahlung
von Übergangsgeld in Höhe von 2.421,60 € ist der Auszahlungsbetrag gemäß dem
Bescheid vom 20.09.04 aber auf täglich 5,96 € reduziert worden, was einem
monatlichen Auszahlungsbetrag von 178,80 € entspräche. Da vom 05.08. bis 31.12.04
aber insgesamt 3.576,09 € gezahlt worden sind und nur 2.421,60 € zu verrechnen
waren, müssen 1.154,49 € zur Auszahlung gekommen sein; das sind, bezogen auf die
Gesamtzeit von 149 Tagen, täglich 7,75 €, pro Monat demnach 232,50 €.
32
b)
33
Hinzuzurechnen ist die Eigenheimzulage mit monatsanteilig 100,- € (1.200,- € : 12
Monate) und der Wohnwert des Reihenhauses, den der Senat, ausgehend von der
unbestritten gebliebenen Angabe, die Wohnfläche betrage 50 qm, mit 275,- € ansetzt
(50 qm * 5,50 €). Mit einem Wohnwert von 300,- € zu rechnen, was einem Mietpreis von
6,- € pro qm entspräche, wäre angesichts der ländlichen Prägung Hs übersetzt.
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Die Grundstückslasten sind abzuziehen. Belegt sind vierteljährliche Zins- und
Tilgungsleistungen an die KfW in Höhe von 112,63 € + 352,37 € = 465,- € sowie
jährliche Kosten für die Wohngebäudeversicherung und den Schornsteinfeger in Höhe
von 134,54 € + 43,64 € = 178,18 €. Hingegen sind die Schulden gegenüber der M nach
den Angaben des Beklagten im Senatstermin bereits erledigt.
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Die Klägerin hat zwar bestritten, dass die vorgenannten Kosten tatsächlich bezahlt
worden sind, der Senat hält aber für glaubhaft, dass der Beklagte die geringen Kosten
von rund 170,- € laufend zahlt, weil er sonst sein Eigentum gefährden würde und eine
Wohnung mieten müsste, die zum gleichen Preis kaum zu haben ist.
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Auf der Grundlage der vorstehenden Erörterungen ergibt sich folgender Wohnwert:
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Wohnwert 275,00 €
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./. mtl. Finanzierungslasten (1/3 von 465,- €) 155,00 €
39
./. mtl. Kosten für Versicherung und Schornsteinfeger (1/12 von 178,18 €) 14,85 €
40
verbleiben 105,15 €
41
c)
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Insgesamt beträgt das verfügbare Einkommen daher 232,50 € + 105,15 € Wohnwert +
100,- € anteilige Eigenheimzulage = 437,65. Es liegt damit weiterhin unter dem
notwendigen Selbstbehalt von 730,- € und ermöglicht keinerlei Unterhaltszahlungen.
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1.2
44
Dem Beklagten statt der Lohnersatzleistungen fiktive Erwerbseinkünfte zuzurechnen,
kommt für die Zeit bis einschließlich November 2004 nach Auffassung des Senats nicht
in Betracht.
45
Die Klägerin hat während des Zusammenlebens hingenommen, dass der Beklagte trotz
der im Bericht vom Entlassungsbericht vom 06.06.01 bescheinigten Arbeitsfähigkeit
keine erfolgversprechenden Bemühungen um eine neue Erwerbstätigkeit unternommen
und auch die Umschulung zum Kaufmann im April 2004 wegen zu häufiger Fehlzeiten
abgebrochen hat. Wer aber während der Ehe das Leben von Lohnersatzleistungen
hinnimmt, muss dem Unterhaltspflichtigen nach der Trennung ausreichend Gelegenheit
geben, sich neu zu orientieren. Dem Beklagten ist daher ab der durch das Schreiben
vom 25.05.04 erfolgten Trennungserklärung und der damit verbundenen Aufforderung
zur Unterhaltszahlung die übliche Frist für die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz
zuzubilligen, die angesichts der schwierigen Lage auf dem Arbeitsmarkt und der schon
ab März 2001 bestehenden Arbeitslosigkeit mit gut sechs Monaten zu bemessen ist und
erst mit Ablauf des November endet.
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2. Ansprüche für die Zeit von Dezember 2004 bis März 2005:
47
2.1
48
Die tatsächlichen Einkünfte haben sich ab Januar 2005 zwar leicht verbessert, weil das
ab diesem Zeitpunkt gezahlte Arbeitslosengeld II monatlich 477,08 € betragen hat, auch
unter Berücksichtigung des Wohnwerts von monatlich 105,31 € und der
Eigenheimzulage von monatlich 100,- € ergibt sich aber weiterhin kein den notwendigen
Selbstbehalt von 730,- € übersteigendes Einkommen.
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2.2 fiktive Einkünfte:
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Die Auffassung des Amtsgerichts, nach dem aus den ärztlichen Berichten über die
Rehabilitations-Maßnahmen deutlich gewordenen Gesundheitszustand des Beklagten
sei nicht ersichtlich, wie er eine Arbeitsstelle hätte finden können, ist nicht
nachvollziehbar. Gemäß dem letzten Entlassungsbericht vom 06.06.2001 ist vielmehr
davon auszugehen, dass er zwar nicht mehr im erlernten Beruf als Tischler arbeiten,
aber immerhin vollschichtig mittelschwere körperliche Tätigkeiten ohne überwiegende
Zwangshaltungen ausüben oder als Arbeitspädagoge oder Vorarbeiter im Berufsfeld
des Tischlers tätig sein könnte.
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Dieser Annahme steht nicht entgegen, dass der Beklagte die ab 2002 durchgeführte
Umschulung zum Groß- und Außenhandelskaufmann abgebrochen hat, weil er sich
trotz der Möglichkeit zum Wechsel zwischen Sitzen und Stehen häufig krankmelden
musste und schließlich zu viele Fehlzeiten aufgewies. Eine Verschlechterung des
Gesundheitszustands gegenüber der Einschätzung im letzten Entlassungsbericht folgt
daraus nicht, denn die von Zeit zu Zeit auftretenden Rückenbeschwerden sind nach wie
vor gut zu behandeln und hindern die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit nicht.
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Bei der am 15.02.05 durchgeführten Untersuchung zur Bewilligung einer neuen Reha-
Maßnahme ab Mai 2005 ist zwar Arbeitsunfähigkeit ab dem 25.01.05 bescheinigt
worden, es ist aber weder belegt noch ersichtlich, dass diese Arbeitsunfähigkeit länger
angedauert hätte, zumal ein sofortiger Beginn der Reha-Maßnahme gerade nicht
befürwortet worden ist.
53
Also ist davon auszugehen, dass es dem Beklagten möglich gewesen wäre, bis Ende
November 2004 eine seiner verbliebenen Erwerbsfähigkeit entsprechende Arbeitsstelle
zu finden, wenn er sich ab Ende Mai 2004 im gebotenen Umfang darum bemüht hätte.
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Bei der Prognose der möglichen Einkünfte ist zu allerdings berücksichtigen, dass
Stellen als Arbeitspädagoge selten sind und Vorarbeiterstellen nicht an jemanden
vergeben werden, der seit über drei Jahren nicht mehr in seinem Beruf gearbeitet hat.
Da der Beklagte die schwere körperliche Tätigkeit als Tischler nicht mehr ausüben
kann, hätte er sich daher auf der Grundlage seiner erlernten handwerklichen
Fähigkeiten einen Anlernberuf mit nur mittelschwerer körperlicher Arbeit suchen
müssen. Da ihm angesichts der gesundheitlichen Anfälligkeit nicht mehr als 167
Arbeitsstunden pro Monat zuzumuten sind und der erzielbare Stundenlohn unter
Berücksichtigung aller Umstände trotz vorhandener Qualifikationen auf nicht mehr als
9,- € zu schätzen ist, errechnet sich ein mögliches Brutto-Monatseinkommen von 1.503,-
€ (167 Stunden à 9 €). Davon wären nach den ab 2005 gültigen Steuer- und
Abgabetarifen übrig geblieben:
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Bruttolohn 1.503,00 €
56
./. Lohnsteuern (Steuerklasse 1/ 1 Kinderfreibetrag) 126,33 €
57
./. SoliZ 0,00 €
58
./. RV-Beitrag 146,54 €
59
./. AV-Beitrag 48,85 €
60
./. KV-Beitrag (Beitragssatz:14,3) 107,46 €
61
./. PV-Beitrag 12,77 €
62
möglicher Nettoverdienst 1.061,05 €
63
Nur den Bruttobetrag von 1.380,- € zu Grunde zu legen, den der Beklagte bei seiner
letzten Stelle als Vorarbeiter und Ausbilder beim Diakonieverbund T erzielt haben will,
gibt es keinen Anlass, denn insoweit handelte es sich um eine ABM-Stelle, die der
Wiedereingliederung ins Arbeitsleben diente und daher im Lohnniveau nicht typisch ist.
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Addiert man die Eigenheimzulage von monatsanteilig 100,- € und den Wohnwert von
105,15 € zu dem vorgenannten fiktiven Arbeitsverdienst, ergibt sich ein anrechenbares
Einkommen von 1.266,20 €.
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2.3 Bedarf:
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Bei diesem Einkommen ist der Bedarf der beiden Kinder aus Einkommensgruppe 1 zu
entnehmen und beträgt für D, der schon im Oktober 2004 in die zweite Altersstufe
aufgerückt ist, 241,- € und für J 199,- €. Dass in erster Instanz für D nur ein geringerer
Betrag geltend gemacht worden ist, steht dem Einsatz des zutreffenden Tabellenbetrags
nicht entgegen, denn der Beklagte hat sich nicht auf fehlenden Verzug berufen.
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Die Berechnung des Bedarfs der Klägerin selbst erübrigt sich angesichts der
eingeschränkten Leistungsfähigkeit und der Tatsache, dass die Klägerin dem
Kindesunterhalt Vorrang einräumt.
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2.4 Leistungsfähigkeit:
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Wird der Beklagte fiktiv veranlagt, steht ihm auch der notwendige Selbstbehalt für
Erwerbstätige zu, der 840,- € beträgt. Eine Kürzung des Selbstbehalts wegen geringerer
Wohnkosten kommt nicht in Betracht, wenn – wie geschehen – der Nutzungswert des im
Eigentum des Beklagten stehenden Reihenhauses mit dem angemessenen Mietwert
bei der Einkommensberechnung berücksichtigt wird.
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Also stehen für Unterhaltszwecke 1.266,20 € ./. 840,- € = 426,20 € zur Verfügung, so
dass der Bedarf der beiden Kinder, der sich auf 241,- € + 199,- €= 440,- € beläuft, zu
96,9 % erfüllt werden kann, Dann sind zu zahlen:
71
für D: 241,- €* 96,9 % = 233,53,- €
für J: 199,- €* 96,9 % = 192,83 €
72
73
Gerundet sind dann – auch unter Beachtung der Vorschriften über die
Kindergeldanrechnung - 234,- € und 192,- € zu zahlen.
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3. Ansprüche für die Zeit vom 01.05.2005 bis zum 10.03.2006:
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Für die Zeit ab dem 01.05.2005 stellt sich die im PKH-Beschluss des Senats vom
22.02.2006 noch offen gelassene Frage, ob die Einkommensfiktion zu beenden ist, weil
der Beklagte die ihm fiktiv zugerechnete Stelle wegen der am 01.04.2005 erlittenen
Sprunggelenksfraktur in der Probezeit voraussichtlich wieder verloren hätte. Sie ist zu
bejahen.
76
a)
77
Eine Einkommensfiktion auf unbestimmte Zeit kann nicht angenommen werden, da im
Arbeitsleben immer gewisse Veränderungen eintreten können, wozu auch der Verlust
des Arbeitsplatzes aus in der Person des Unterpflichtigen liegenden Gründe gehört
(Kalthoener/Büttner, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 9. Auflage, Rdnr.
635).
78
Aus den Arztberichten nach der Sprunggelenksfraktur ist zu entnehmen, dass der
Beklagte bis über den 07.07.2005 hinaus gänzlich arbeitsunfähig war (Bl. 149: keine
volle Belastung des Beins für weitere sechs Wochen; Reha-Maßnahme ab dem
16.06.05 (Bl. 155): auch danach fortbestehende Arbeitsunfähigkeit).
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Der Beklagte hat zwar nicht belegt, wie lange die Arbeitsunfähigkeit über den 07.07.05
hinaus angedauert hat, gleichwohl wird man nicht annehmen können, dass er schon
bald nach der Reha-Maßnahme wieder voll einsatzfähig war. Aus dem Attest des
Hausarztes vom 20.03.06 ergibt sich zwar, dass vor der im Februar 2006 erfolgten
Materialentfernung keine Arbeitsunfähigkeit mehr bestand, andererseits aber auch, dass
nach der Operation schon bei leichter bis mittlerer kurzfristiger Belastung Schmerzen
aufgetreten sind und das Verbleiben von Funktionseinbußen bis heute nicht absehbar
ist. Da solche körperlichen Beeinträchtigungen nach einer operativ versorgten Fraktur
eher normal sind, ist davon auszugehen, dass jeder Arbeitgeber nach dem Unfall des
gesundheitlich sowieso labilen Beklagten Anfang April 2005 keine andere Möglichkeit
gesehen hätte, als das Arbeitsverhältnis innerhalb der üblichen Probezeit von 6
Monaten, die im April noch nicht abgelaufen war, ohne Angabe von Gründen mit einer
Frist von 2 Wochen gemäß § 622 Abs. 3 BGB zu beenden. Unter Einrechnung der Zeit
zur Einholung der notwendigen Informationen wäre eine Kündigung mit hoher
Wahrscheinlichkeit zum 30.04.2005 erfolgt.
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Zwar hat die Klägerin Recht, dass eine solche Reaktion des Arbeitgebers nicht
zwingend ist, gleichwohl kommt insoweit keine Beweislastentscheidung zu Lasten des
Beklagten in Betracht, denn unter Berücksichtigung aller Umstände bleiben bei
lebensnaher Betrachtung keine vernünftigen Zweifel daran, dass ein potentieller
Arbeitgeber die Möglichkeit der Kündigung auch genutzt hätte.
81
b)
82
Auch wenn man mangels genauerer Atteste davon ausgeht, dass der Beklagte ab
August 2005 wieder arbeitsfähig war, so gab es doch durch die Schmerzen bei der
Belastung des Sprunggelenks weitere Beeinträchtigungen, welche die nach
Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit gebotenen erneuten Bewerbungen zusätzlich
erschwerten. Der Beklagte hatte deshalb nach Einschätzung des Senats vor der
endgültigen Klärung etwa verbleibender Funktionseinschränkungen des Sprunggelenks
keine reelle Chance, erneut einen Arbeitsplatz zu finden. Dass der Beklagte unterlassen
hat, sich sogleich ab dem 07.07.2005 erneut zu bewerben, kann deshalb noch nicht
wieder zur Zurechnung fiktiver Einkünfte führen.
83
c)
84
Also ist für den gesamten Zeitraum vom 01.05.2005 bis zum 10.03.2006 auf die seit
Beginn des Jahres 2005 unveränderten tatsächlichen Einkünfte abzustellen, die
keinerlei Unterhaltszahlungen ermöglichen.
85
4. Ansprüche ab dem 11.03.06:
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Nach dem Attest des Hausarztes des Beklagten vom 20.03.2006 war dieser zwar nur bis
zum 10.03.2006 arbeitsunfähig geschrieben, konnte sich also ab dem 11.03.2006 erneut
um in Stelle in den oben näher umschriebenen Berufsfeldern bewerben, dennoch sind
bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung die Voraussetzungen für die
erneute Zurechnung fiktiver Einkünfte noch nicht wieder eingetreten.
87
Inwieweit die vom Hausarzt beschriebenen, nach der Sprunggelenksfraktur
verbliebenen bewegungsabhängigen Schmerzen seine Einsatzfähigkeit beeinträchtigen
und aktuelle Bewerbungen sinnlos machen, weil der Zeitpunkt der endgültigen
Genesung noch offen ist, bedarf im vorliegenden Verfahren keiner weiteren
medizinischen Aufklärung. Selbst wenn sich nämlich ergeben würde, dass der Beklagte
bereits jetzt bei seinen Bewerbungsgesprächen einen klaren Zeitrahmen für die
Überwindung aller Beschwerden angeben könnte, ist die ihm dafür zustehende Frist von
5 bis 6 Monaten noch nicht abgelaufen, so dass auch die Zurechnung fiktiver Einkünfte
noch nicht wieder in Betracht kommt. Es bleibt daher bis auf weiteres bei seiner
Leistungsunfähigkeit.
88
Die nähere Prüfung der Voraussetzungen für die erneute Zurechnung fiktiver Einkünfte
ist daher einer künftigen Leistungsklage vorzubehalten.
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Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 97, 92 ZPO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 708 Ziffer 10 ZPO.
90