Urteil des OLG Hamm vom 09.12.2008

OLG Hamm: unterbringung, anspruch auf rechtliches gehör, schutz der gesundheit, persönliche anhörung, ärztliche behandlung, heilbehandlung, psychose, zwangsbehandlung, befragung, eingriff

Oberlandesgericht Hamm, 15 Wx 283/08
Datum:
09.12.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
15. Ziivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
15 Wx 283/08
Vorinstanz:
Landgericht Bielefeld, 23 T 647/08
Tenor:
Die Bestellung von Rechtsanwältin X zur Verfahrenspflegerin wird
aufgehoben, nachdem der Betroffene nunmehr (wieder) anwaltlich
vertreten ist.
Der angefochtene Beschluss und der Beschluss des Amtsgerichts Bad
Oeynhausen vom 18.07.2008 werden aufgehoben. Die Sache wird zur
erneuten Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht
zurückverwiesen.
G r ü n d e :
1
I.
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Das Amtsgericht hat nach Einholung eines Gutachtens der Sachverständigen T die
geschlossene Unterbringung des Betroffenen zum Zwecke der medikamentösen
Behandlung bis zum 17.01.2009 genehmigt, ohne die sofortige Wirksamkeit der
Entscheidung anzuordnen. Zuvor hatte es den Betroffenen persönlich angehört und ihm
eine anwaltliche Verfahrenspflegerin bestellt. Das Sachverständigengutachten war dem
Betroffenen zuvor nicht bzw. nur in Auszügen bekannt gemacht worden, da die
Sachverständige von einer Bekanntgabe vor einer Besserung seines
Gesundheitszustandes abgeraten hatte.
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Gegen diese Entscheidung hat der Betroffene durch seinen damaligen
Verfahrensbevollmächtigten sofortige Beschwerde einlegen lassen. Nachdem sein
Verfahrensbevollmächtigter das Mandat niedergelegte hatte, hat der Betroffene das
Rechtsmittel selbst begründet. Parallel hierzu hat die Kammer die Verfahrenspflegerin
angehört.
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Das Landgericht hat durch den angefochtenen Beschluss die sofortige Beschwerde
zurückgewiesen, ohne den Betroffenen nochmals persönlich anzuhören. Gegen diese
Entscheidung richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen, die er
durch Schriftsatz seiner neuen Verfahrensbevollmächtigten hat einlegen lassen.
5
II.
6
Die sofortige weitere Beschwerde ist nach den §§ 70 m Abs. 1, 70 h Abs. 1, 70 g Abs. 3,
27, 29 FGG statthaft sowie formgerecht eingelegt.
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In der Sache ist das Rechtsmittel begründet, weil die Entscheidung des Landgerichts
auf einer Verletzung des Rechts beruht (§ 27 Abs. 1 S. 1 FGG).
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In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist das Landgericht zutreffend von einer zulässigen
sofortigen Erstbeschwerde des Betroffenen ausgegangen. Die Sachentscheidung des
Landgerichts hält rechtlicher Nachprüfung hingegen nicht stand.
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Nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer,
die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, nur zulässig, solange sie zum Wohl des
Betreuten erforderlich ist, weil eine Untersuchung des Gesundheitszustandes, eine
Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff notwendig ist, ohne die Unterbringung des
Betreuten nicht durchgeführt werden kann und der Betreute aufgrund einer psychischen
Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der
Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann. Der
Ausschluss der Einsichtsfähigkeit muss sich auf die Notwendigkeit der nur durch die
Unterbringung möglichen Heilbehandlung beziehen (BayObLG BtPrax 1996, 28, 29;
FamRZ 1999, 1304; OLG Düsseldorf FamRZ 1995, 118). Der nach § 1906 Abs. 1 S. 2
BGB vorausgesetzte Ausschluss der Einsichtsfähigkeit des Betroffenen ist
gleichzusetzen mit dem Ausschluss seiner Fähigkeit zur freien Willensbestimmung, die
jede betreuungsrechtliche Maßnahme gegen den natürlichen Willen des Betroffenen
voraussetzt (vgl. BayObLG NJW-RR 1998, 1014, 1015).
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Von diesen rechtlichen Grundsätzen ist das Landgericht im Grundsatz auch
ausgegangen. Die Auffassung des Betroffenen, er könne mangels "Fremd- oder
Eigengefährdung" nicht geschlossen untergebracht werden, geht fehl. Es geht
vorliegend nämlich nicht um eine Unterbringung nach dem PsychKG oder § 1906 Abs.1
Nr.1 BGB, bei denen eine Eigengefährdung eine eigenständige
Tatbestandsvoraussetzung für die Unterbringung ist, sondern um eine solche zum
Zwecke der Behandlung (§ 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Die von dem Betroffenen
angeführte Entscheidung des BVerfG betrifft eine vorläufige Unterbringung (gemäß §
1906 Abs.1 Nr.2 BGB). Soweit dort allerdings eine Fremd- oder Eigengefährdung
erörtert wird, betreffen diese Ausführungen die Prüfung der Eilbedürftigkeit. Zu der
Frage, inwieweit dieser Aspekt auch bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer
Unterbringung Bedeutung erlangt vgl. weiter unten.
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Zu den Unterbringungsvoraussetzungen hat das Landgericht in tatsächlicher Hinsicht
mit näheren Ausführungen Folgendes festgestellt:
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Der Betroffene leide an einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung, nämlich
einer schizophrenen Psychose. Die notwendige Heilbehandlung könne ohne
Unterbringung nicht durchgeführt werden, da dem Betroffenen jede Krankheitseinsicht
und damit jede Behandlungsbereitschaft fehle. Die zwangsweise Unterbringung sei
auch notwendig und verhältnismäßig, da bereits eine deutliche Verschlechterung der
Erkrankung zu verzeichnen sei und bei einem unbehandelten Fortschreiten eine
zunehmende Persönlichkeitsdeformation mit einer noch zunehmenden, erheblichen
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Verschlechterung der bereits jetzt erheblich reduzierten Lebensqualität drohe.
Diese tatsächliche Würdigung stützt sich auf das Gutachten der Sachverständigen T, die
Gutachten der beiden zuvor im Rahmen des Betreuungsverfahrens tätigen
Sachverständigen, die Anhörung des Betroffenen durch das Amtsgericht sowie die
Stellungnahme der Betreuungsbehörde. Der Senat kann zwar die innere Schlüssigkeit
der Annahmen der Vorinstanzen soweit es um das Vorliegen einer die freie
Willensbildung ausschließenden Erkrankung geht, insbesondere auch unter
Berücksichtigung der eigenen Schreiben und Eingaben des Betroffenen,
nachvollziehen, gleichwohl beruhen die Feststellungen der Vorinstanzen auf einer
verfahrensfehlerhaften Grundlage, nämlich einem Verstoß gegen die Aufklärungspflicht
(§ 12 FGG) und -soweit das Verfahren des Landgerichts betroffen ist- die Pflicht zur
persönlichen Anhörung des Betroffenen (§§ 70m Abs.3, 69g Abs.5 FGG).
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Im Einzelnen gilt insoweit das Folgende:
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Die Behauptung des Betroffenen, er sei über die Bestellung der Sachverständigen T
nicht informiert worden, kann dahinstehen. Das Amtsgericht hat den
Bestellungsbeschluss nach Aktenlage an den Betroffenen abgeschickt. Sollte er den
Beschluss nicht erhalten haben, könnte es hierauf nur dann ankommen, wenn er bei
rechtzeitiger Information wesentliche Einwendungen gegen die Person der
Sachverständigen vorgebracht hätte. Denn der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nur
dann effektiv verletzt, wenn ein Informationsmangel dem Betroffenen relevanten
Sachvortrag abgeschnitten hat. Hierzu trägt er jedoch nichts vor.
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Die Rüge des Betroffenen, die Sachverständige habe ihr Gutachten ohne eine
hinreichende persönliche Untersuchung oder Befragung im Sinne des § 70e Abs.1 Satz
1 FGG erstellt, greift nicht durch. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des
Senats, dass nach dem Gesetzeszweck keine allgemein gültigen Anforderungen an die
Art und Weise der psychiatrischen Untersuchung/Befragung gestellt werden können. §
70e Abs.1 Satz 1 FGG soll als besondere Ausprägung des Amtsermittlungsgrundsatzes
einerseits eine hinreichende fachliche Begutachtung sicherstellen und andererseits
abstrakt gehaltene Gutachten "nach Aktenlage" ausschließen. Dementsprechend ist
zunächst jedenfalls ein persönlicher Kontakt zwischen dem Sachverständigen und eine
wie auch immer geartete Kommunikation erforderlich, die unter medizinisch-fachlichen
Gesichtspunkten nach Lage des Einzelfalles eine fundierte Aussage ermöglicht. Aus der
mit der sofortigen weiteren Beschwerde angeführten obergerichtlichen Rechtsprechung
(OLG Köln FamRZ 1999, 873; 2001, 310; OLGR 2005, 271; BayObLG FamRZ 1995,
1082) ergibt sich nichts anderes, da dort Fälle beurteilt wurden, in denen die
Sachverständigen aufgrund der Art des persönlichen Kontakts die Aussagekraft ihrer
eigenen Schlussfolgerungen jeweils in Frage gestellt, insbesondere bloße
Verdachtsdiagnosen gestellt hatten. Meint der Sachverständige hingegen, aufgrund der
Besonderheiten des Einzelfalles genüge eine auch ungewöhnliche
Untersuchungssituation für eine fundierte Beurteilung, so ist das Gutachten durch das
Gericht nicht schon aus Rechtsgründen zu verwerfen, sondern allein in tatsächlicher
Hinsicht kritisch zu überprüfen.
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Gemessen hieran ist das Vorgehen der Sachverständigen nicht zu beanstanden. Das
Aufsuchen der Familie des Betroffenen und des Betroffenen selbst war in besonderem
Maße geeignet, der Sachverständigen ein unmittelbares Bild von der Lebenssituation
des Betroffenen zu vermitteln. Dass die Sachverständige sich mit der verbalen
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Ablehnung einer Untersuchung durch den Betroffenen nicht zufrieden gegeben, sondern
versucht hat, ihn gleichwohl in ein Untersuchungsgespräch zu verwickeln, ist ebenfalls
nicht zu beanstanden. Denn aus den Vorgutachten war die ambivalente Haltung des
Betroffenen, die auch das gerichtliche Verfahren wie ein roter Faden durchzieht,
bekannt, so dass ein Meinungsumschwung auf Seiten des Betroffenen durchaus im
Bereich des Möglichen lag.
Insgesamt war der persönliche Kontakt geeignet, der Sachverständigen einen
persönlichen Eindruck von dem Betroffenen und seinen Lebensumständen zu
vermitteln. Die notwendige Befragung des Betroffenen hat sodann in dem Telefonat am
25.01.2008 stattgefunden.
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Auf sich beruhen kann auch die Rüge der weiteren Beschwerde, das Gutachten sei dem
Betroffenen durch die Vorinstanzen nicht (vollständig) zur Kenntnis gegeben worden.
Tatsächlich hat der Betroffene im Laufe des Erstbeschwerdeverfahrens eine
vollständige Kopie des Gutachtens erhalten und konnte daher objektiv dazu Stellung
nehmen. Von daher bemerkt der Senat nur vorsorglich, dass für die Kammer Anlass
bestanden hätte, von der Sachverständigen eine nähere Begründung für ihre
Empfehlung, von einer Bekanntgabe abzusehen, anzufordern.
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Auf einer ungenügenden Sachaufklärung beruhen die Entscheidungen der
Vorinstanzen jedoch insoweit, als sie sich auch hinsichtlich der Prüfung der
Verhältnismäßigkeit mit den bisher getroffenen Feststellungen der Sachverständigen
begnügt haben.
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Die mit der Behandlungsnotwendigkeit der Anlasserkrankung begründete medizinische
Unterbringung ist nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht an die engeren
Voraussetzungen des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB - Suizidgefahr, erhebliche
Gesundheitsbeschädigung – gebunden( vgl. oben), weshalb dem
Verhältnismäßigkeitsprinzip als notwendigem Korrektiv für die Eingriffe in das
Freiheitsrecht des Betroffenen besondere Bedeutung zukommt (vgl. hierzu und zum
Folgenden BGH NJW 2006, 1277). Der drohende Gesundheitsschaden muss danach
so gewichtig sein, dass er den mit der beabsichtigten Unterbringungsmaßnahme
verbundenen Freiheitseingriff zu rechtfertigen vermag. Für den Bereich einer
neuroleptischen Medikation als notwendiger Heilbehandlung muss dabei in jedem
Einzelfall eine therapeutische Indikation bestehen und der mögliche therapeutische
Nutzen der Behandlung gegen die Gesundheitsschäden abgewogen werden, die ohne
die Behandlung entstehen würden. Insoweit kann daher auch die Unterbringung nach §
1906 Abs.1 Nr.2 BGB nicht unabhängig von dem Gesichtspunkt einer Eigengefährdung
beurteilt werden, hier jedoch nicht im Sinne drohender Selbsttötung oder
Selbstverletzung, sondern im Sinne der drohenden Folgen eines Unterlassens der
notwendigen Behandlung.
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Es liegt auf der Hand, dass ein noch strengerer Prüfungsmaßstab anzulegen ist, wenn
die Freiheitsentziehung mit einer Zwangsbehandlung des Betroffenen verbunden
werden muss und soll, was hier der Fall sein dürfte. Dies folgt schon daraus, dass in
diesem Falle nicht nur die Unterbringung und ihre Dauer, sondern auch der mit der
Zwangsbehandlung verbundene Eingriff und dessen Folgen in die gebotene
Güterabwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einzubeziehen sind. Bei
der Prüfung, ob eine sechsmonatige Behandlung eines untergebrachten Betroffenen
unter Zwang dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit noch entspricht, sind an die
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Gewichtigkeit des ohne Behandlung drohenden Gesundheitsschadens, aber auch an
die Heilungs- bzw. Besserungsprognose strengere Anforderungen zu stellen sein.
Die Sachverständige hat hierzu Folgendes ausgeführt:
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Die geschilderte psychotische Symptomatik sei dringend behandlungsbedürftig, um
einer weiteren Chronifizierung und zunehmenden Residualsymptomatik mit
Persönlichkeitsdeformität entgegen zu wirken, Impulsdurchbrüche mit nicht
ausschließbarer akuter Eigen- und Fremdgefährdung, weitere Verluste in persönlicher,
sozialer, beruflicher, familiärer und finanzieller Hinsicht und Einschränkungen der
Lebensqualität möglichst zu vermeiden, aber auch um die Belastungen der Familie,
insbes. der herzinfarktgefährdeten, deutlich depressiven Mutter zu lindern bzw. diese zu
entlasten.
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Diese Ausführungen sind nicht hinreichend, um aus ihnen in tatsächlicher Hinsicht eine
ausreichende Grundlage für die soeben beschriebene, strenge Prüfung der
Verhältnismäßigkeit zu gewinnen. Die Belastung der Familienangehörigen des
Betroffenen, so schlimm und bedauerlich sie sein mag, kann nicht Maßstab der
Entscheidung sein, da § 1906 Abs.1 Nr.2 BGB allein dem Schutz der Gesundheit des
Betroffenen dient. Die Gefahr von Impulsdurchbrüchen ist bei einer nicht behandelten
Psychose nie sicher auszuschließen. Anhaltspunkte, dass diese Gefahr hier über die
abstrakte Möglichkeit hinausgeht, vermag der Senat dem Gutachten und dem weiteren
Akteninhalt nicht zu entnehmen.
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Auch soweit die Sachverständige hier, wie an anderen Stellen des Gutachtens, auf den
Gesundheitszustand des Betroffenen eingeht, bleibt dies aus Sicht des Senats zu
abstrakt, als dass sich hiermit eine langfristige Unterbringung mit einer -jedenfalls
zeitweisen- zwangsweisen Behandlung rechtfertigen ließe. Nach den oben dargelegten
Grundsätzen muss das Gericht vor der Genehmigung einer längerfristigen
Unterbringung auf der einen Seite konkrete Feststellungen hinsichtlich der
gegenwärtigen Beeinträchtigungen des Betroffenen sowie der zu erwartenden weiteren
Schäden und auf der anderen Seite hinsichtlich der Behandlungsaussichten im Sinne
des mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Besserungszustandes treffen. Nur so
lässt sich überhaupt prüfen, ob der Grad der zu erwartenden Verbesserung den
schwerwiegenden Eingriff in die Freiheitsrechte des Betroffenen rechtfertigen kann.
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Die Beschreibung der gegenwärtigen Beeinträchtigungen des Betroffenen mag dabei
gerade noch ausreichen, wobei allerdings zu bemerken ist, dass der Betroffene einen
Teil der von der Sachverständigen zugrunde gelegten Anknüpfungstatsachen bestritten
hatte. Zu wenig konkret bleibt hingegen die Prognose hinsichtlich einer drohenden
Verschlechterung. Insoweit besteht hier die Besonderheit, dass der von der
Sachverständigen beschriebene Verlust an sozialer und lebenspraktischer Kompetenz
durch das Elternhaus und den Betreuer zu einem erheblichen Teil kompensiert werden
konnte. Die bei einer Psychose häufiger anzutreffenden Beeinträchtigungen in Dingen
der grundlegenden Versorgung treffen auf den vorliegenden Fall -jedenfalls bislang-
nicht zu. Es hätte daher einer konkreten Beschreibung der zu erwartenden
Krankheitsfolgen bei einem unbehandelten Verlauf und deren Auswirkungen auf die
tatsächliche Lebensgestaltung des Betroffenen bedurft.
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Ebenfalls zu wenig konkret erscheint dem Senat die Beschreibung der möglichen
Behandlung und der Erfolgsaussichten. Nach Maßgabe der o.a. Entscheidung des
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Bundesgerichtshofs ist für eine auf eine Zwangsbehandlung hinauslaufenden
Unterbringungsgenehmigung zumindest der Rahmen festzustellen, in welchem sich die
ärztliche Behandlung bewegen soll. Die Feststellung, dass eine neuroleptische
Medikation erforderlich sei, ist insoweit unzureichend. Hinsichtlich der Erfolgsaussichten
ist zwar nachvollziehbar, dass die Sachverständige mangels Erfahrungswerten aus
Vorbehandlungen keine Prognose hinsichtlich des individuellen Therapieerfolges
abgeben kann, es bedarf aber zumindest der Feststellung, welcher Therapieerfolg nach
allgemeinen Erfahrungswerten mit hoher Wahrscheinlichkeit erreicht werden kann.
Unter Therapieerfolg ist dabei die konkrete Verbesserung der Lebensqualität des
Betroffenen oder (vgl. oben) die Vermeidung konkret drohender Verschlechterungen zu
verstehen.
Der Senat kann der verfahrensrechtlichen Beurteilung des Landgerichts nicht folgen,
eine erneute persönliche Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren sei
entbehrlich gewesen, weil von ihr für die Entscheidung keine neuen Erkenntnisse zu
erwarten gewesen seien. Die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer langfristigen –
hier halbjährlichen – Unterbringung, die erkennbar zusätzlich mit einer
Zwangsmedikation verbunden werden soll, muss die persönlichen Lebensverhältnisse
des Betroffenen berücksichtigen und kann verantwortlich nur getroffen werden, wenn die
Kammer sich einen persönlichen Eindruck von dem Betroffenen verschafft hat.
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Mag die Verhältnismäßigkeit der genehmigten Unterbringung danach auch nicht
feststehen, so ist die Sache doch noch nicht zur abschließenden Entscheidung reif. Der
Senat ist zwar aufgrund des Rechtsfehlers der landgerichtlichen Entscheidung zu einer
eigenständigen Würdigung des Tatsachenstoffes berechtigt. Allerdings ergeben sich
aus den bisher eingeholten Gutachten und dem weiteren Akteninhalt deutliche
Anhaltspunkte dafür, dass ein unbehandeltes Fortschreiten der Krankheit zu weiteren
Beeinträchtigungen des Betroffenen führen wird. Neben einer Verschlechterung des
psychotischen Krankheitsbildes, die nach den bisherigen Ausführungen der
Sachverständigen naheliegend, allerdings nicht hinreichend konkret beschrieben ist, ist
auch die bislang noch nicht abschließend geklärte Frage einer Herz-Kreislauf-
Erkrankung und deren negative Beeinflussung durch die Folgen der Psychose genauer
aufzuklären. Die Vorinstanzen hätten die Sachverständige daher zu einer
konkretisierenden Ergänzung ihres Gutachtens veranlassen müssen. In diesem
Rahmen hätte das Landgericht zugleich die Möglichkeit gehabt, den Einwendungen des
Betroffenen hinsichtlich der von der Sachverständigen zugrunde gelegten
Anknüpfungstatsachen weiter nachzugehen. Der Hinweis der Kammer auf die ihr
bekannte Zuverlässigkeit der Sachverständigen ist als Grundlage der richterlichen
Überzeugungsbildung nämlich nur insoweit tragfähig, als es um Tatsachen geht, die
Gegenstand der eigenen Wahrnehmung der Sachverständigen waren. Soweit ein
Sachverständiger hingegen Tatsachen verwertet, die ihm von dritter Seite mitgeteilt
worden sind, muss sich der Tatrichter von der Richtigkeit einen eigenen Eindruck
verschaffen, soweit es -ggf. nach einer ergänzenden Stellungnahme des
Sachverständigen- hierauf ankommt.
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Ergänzende tatsächliche Ermittlungen durchzuführen, ist dem Senat als
Rechtsbeschwerdegericht versagt. Die Sache mußte deshalb in die Tatsacheninstanz
zurückverwiesen werden. Da bereits die Entscheidung des Amtsgerichts auf einer
unzureichenden Tatsachengrundlage beruht und die ursprüngliche Befristung der
amtsgerichtlichen Entscheidung infolge des Zeitablaufs mittlerweile kaum noch Sinn
macht, hat der Senat sein Ermessen dahingehend ausgeübt, die Sache an das
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Amtsgericht zurückzuverweisen.
Das Amtsgericht wird nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden haben, ob es die
bisherige Sachverständige mit einer Aktualisierung und Ergänzung des Gutachtens
nach Maßgabe der o.a. Kriterien betraut oder -insbesondere im Hinblick auf die jetzt zu
erwartenden verfahrensrechtlichen Einwendungen, mithin im Interesse einer zügigen
Verfahrensförderung- einen neuen Sachverständigen beauftragt. Nach dem bisherigen
Verhalten des Betroffenen wird, sollte eine Begutachtung anders nicht zu erreichen sein,
auch die Anwendung von Zwangsmitteln (§ 70 e Abs. 2 FGG) zu prüfen sein.
Schließlich weist der Senat darauf hin, dass das Amtsgericht, sollte es erneut zu einer
Genehmigung der Unterbringung gelangen, mit Rücksicht auf den zwischenzeitlich
eingetretenen Zeitablauf die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit seiner Entscheidung
in Betracht ziehen muss, so dass sich ein (ergänzender) Gutachtenauftrag auch auf die
Frage der Eilbedürftigkeit einer Behandlung erstrecken sollte.
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