Urteil des OLG Hamm vom 05.03.2006

OLG Hamm: unterbrechung der verjährung, invaliditätsgrad, teilklage, versicherungsvertrag, klagefrist, wiederherstellung, rechtshängigkeit, versicherer, bedürftigkeit, zustellung

Oberlandesgericht Hamm, 20 U 236/05
Datum:
05.03.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
20. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
20 U 236/05
Vorinstanz:
Landgericht Münster, 15 O 519/00
Tenor:
1.
Gemäß § 522 Abs.II Satz 2 ZPO wird dem Berufungskläger folgender
Hinweis erteilt:
Die eingelegte Berufung verspricht keine Aussicht auf Erfolg.
Der Senat beabsichtigt, sie durch Beschluß zurückzuweisen.
2.
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für die
Berufungsinstanz wird zurückgewiesen.
I.
1
Der Kläger nimmt den Beklagten auf Zahlung einer Invaliditätsentschädigung aus einer
privaten Unfallversicherung in Anspruch.
2
Vereinbart sind die AUB 61 sowie die "Besonderen Bedingungen für Mehrleistung bei
einem Invaliditätsgrad ab 90 %". Die Versicherungssumme beträgt 150.000,00 DM.
3
Der Kläger erlitt am 09.12.1997 bei einem Verkehrsunfall eine Verletzung der
Halswirbelsäule, ein Schädel-Hirn-Trauma II. Grades, ein subdurales Hämatom sowie
im weiteren Verlauf ein hirnorganisches Psychosyndrom.
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Aufgrund mehrerer vorprozessual eingeholter Gutachten ging der Beklagte von
folgenden Dauerschäden aus:
5
auf chirurgischem Gebiet:
20 %
auf neurologisch/psychologischem Gebiet:
20 %
auf HNO-ärztlichem Gebiet:
10 %
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Verletzung des Ringfingers:
1 %
51 %
Mit Schreiben vom 25.02.2000 rechnete der Beklagte die Invaliditätsentschädigung auf
der Basis einer Gesamtinvalidität von 51 % ab und zahlte unter Berücksichtigung eines
zuvor gezahlten Vorschusses von 60.000,00 DM weitere 16.500,00 DM, insgesamt also
76.500,00 DM.
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Der Kläger hat den Invaliditäsgrad von 51 % als unzureichend angesehen und weitere
30 % für angemessen gehalten, und zwar weitere 10 % auf chirurgischem Gebiet und
weitere 20 % wegen der psychosozialen/neurologischen Beeinträchtigungen.
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Mit der am 27.12.2000 eingereichten Klage hat der Kläger zunächst die Anträge
angekündigt,
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1. festzustellen, daß der als Unfallfolge bei ihm bestehende Gesamtinvaliditätsgrad
den bisher festgestellten Invaliditätsgrad von 51 % übersteigt und 80 % beträgt,
2. den Beklagten zu verurteilen, ihm entsprechend des festgestellten
Gesamtinvaliditätsgrades Invaliditätsleitungen wegen des Unfallereignisses vom
09.12.1997 aus dem Unfall-Versicherungsvertrag, Versicherungsscheinnummer
#####/####über die bisher gewährte Leistung hinaus zu zahlen.
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Sodann hat der Kläger zu Protokoll vom 15.02.2001 seine Anträge umgestellt und
beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an ihn 43.500,00 DM nebst 4 % Zinsen seit
Rechtshängigkeit zu zahlen.
12
Der Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt.
13
Das Landgericht hat Beweis erhoben und ein Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr.
B vom 23.09.2003 zu Ursachen und Auswirkungen des hirnorganischen
Psychosyndroms eingeholt. Der Sachverständige führt das beim Kläger festgestellte
psychoorganische Syndrom auf die durch den Unfall verursachte traumatische
Hirnverletzung zurück und bringt dafür einen Invaliditätsgrad von 60 % in Ansatz. Der
Sachverständige hat sein Gutachten mündlich (zu Protokoll vom 17.02.2004) erläutert
und darüber hinaus durch ein weiteres schriftliches Gutachten vom 06.07.2005 ergänzt.
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Nach Vorliegen des Sachverständigengutachtens hat der Kläger eine Gesamtinvalidität
von mehr als 90 % zugrundegelegt und die Ansicht vertreten, die doppelte
Versicherungssumme als Invaliditätsentschädigung verlangen zu können. Mit
Schriftsatz vom 26.08.2004 hat er beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an ihn 114.273,73 € zzgl. 5 Prozentpunkte Zinsen über
dem Basisizinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Der Beklagte hat die Berechnung des Klägers angegriffen und im übrigen hinsichtlich
der geltend gemachten Mehrforderung die Einrede der Verjährung erhoben.
17
Das Landgericht ist in seinem am 15.11.2005 verkündeten Urteil von einer
Gesamtinvalidität des Klägers von mindestens 91 % ausgegangen, hat jedoch der
Klage nur in Höhe von 22.241,19 € (Invaliditätsgrad 80 %) entsprochen. Darüber
hinausgehende Ansprüche der Klägers seien verjährt.
18
Der Kläger greift dieses Urteil mit seiner Berufung an.
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Er vertritt die Ansicht, Verjährung sei nicht eingetreten. Aus seinen zunächst gestellten
Anträgen sei deutlich geworden, daß er sämtliche ihm zustehenden Ansprüche aus dem
Versicherungsvertrag geltend machen wolle. Eine höhenmäßige Begrenzung sei ihm
nicht möglich gewesen, da hierfür zunächst eine Begutachtung erforderlich gewesen
sei. Erst nach Eingang sämtlicher Gutachten sei ihm die Bezifferung möglich gewesen.
Sein Feststellungsantrag habe auf vollumfänglichen Rechtsschutz gezielt, so daß eine
Verjährung nicht habe eintreten können. Entscheidend sei die Geltendmachung des
Anspruchs dem Grunde nach.
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Der Kläger begehrt Prozeßkostenhilfe für den Antrag,
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unter Aufhebung des Urteils des Landgerichtes Münster vom 15.11.2005 den
Beklagten zu verurteilen, weitere 92.032.54 € nebst 5 Prozentpunkten über dem
Basisizinssatz seit dem 08.01.2001 an ihn zu zahlen.
22
II.
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1. Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg.
24
Die Berufungsangriffe rechtfertigen nicht die Abänderung des landgerichtlichen Urteils.
25
Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, daß eine Teilklage die Verjährung
nur in Höhe des eingeklagten Teilanspruchs unterbricht.
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Gegenstand der am 27.12.2000 eingereichten Klage war ein Anspruch des Klägers auf
Zahlung einer Invaliditätsentschädigung auf der Basis einer Gesamtinvalidität von 80 %.
Nichts anderes ergab sich aus dem Feststellungsantrag. Die spätere Umstellung auf
einen Zahlungsantrag entsprach rechnerisch exakt der zugrundegelegten behaupteten
Gesamtinvalidität von 80 %. Richtig ist, daß in der Umstellung auf den Zahlungsantrag
kein Verzicht auf weitere Ansprüche zu sehen ist. Allerdings ging der
Feststellungsantrag auch nicht über die behauptete Invalidität von 80 % hinaus und
deckte daher keine Ansprüche auf eine höhere Entschädigung.
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Die Ansicht des Klägers, die Frage einer Unterbrechung der Verjährung von
Ansprüchen eines Versicherten aus einem Versicherungsvertrag werde durch § 12 Abs.
3 VVG und nicht durch § 12 Abs. 1 VVG geregelt (so Schriftsatz vom 12.10.2004, Seite
2), ist rechtsirrig.
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Sie vermengt - ebenso übrigens wie auch das OLG Nürnberg in dem angeführten Urteil
vom 21.03.2002 (8 U 2788/01 - VersR 2003, 846) - in unzulässiger Weise die
Verjährung (§ 12 Abs. 1 VVG) mit der Ausschlußfrist des § 12 Abs. 3 VVG. Das Institut
der gesetzlich geregelten Verjährung ist von der Ausschlußfrist, die der Versicherer dem
Versicherungsnehmer setzten kann, grundsätzlich zu unterscheiden und unterliegt nicht
denselben Kriterien.
29
Der BGH hat für die Klagefrist des § 12 Abs. 3 VVG entschieden, daß diese auch für den
gesamten Leistungsanspruch durch eine Teilklage gewahrt werden kann (Urteil vom
27.05.2001 - IV ZR 130/00 - VersR 2001, 1013). In derselben Entscheidung hat der BGH
zugleich noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Anwendung des zur
Klagefrist des § 12 Abs. 3 VVG entwickelten Grundsatzes, wonach eine Teilklage die
Frist bezüglich des gesamten Anspruchs wahrt, für die Verjährungsunterbrechung nicht
in Betracht kommt (aaO. unter Ziff. 2 b) m.w.N.). Der Senat folgt dieser
höchstrichterlichen Rechtsprechung.
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Die Entscheidung des OLG Nürnberg (aaO.) bietet keinen Anlaß zu einer
abweichenden Beurteilung, da dieses Urteil den für die Ausschlußfrist entwickelten
Grundsatz ganz offensichtlich unkritisch auf die Verjährung überträgt, ohne sich mit der
ausdrücklichen Differenzierung in der auch vom OLG Nürnberg zitierten Entscheidung
des BGH überhaupt zu befassen und diese zur Kenntnis zu nehmen. Fehlerhaft im
übrigen auch beruft sich das OLG Nürnberg auf die Entscheidung des Senats vom
27.05.1987 (20 U 335/86 - VersR 1988, 458), die ebenfalls nur zur Ausschlußfrist des §
12 Abs. 3 VVG ergangen ist und in der sich der Senat mit der Frage der Verjährung nicht
zu befassen hatte und sich dazu auch nicht geäußert hat.
31
Ein Sonderfall, wie ihn der III. Senat des Bundesgerichtshofs im Schadensersatzrecht
für die Fälle einer Änderung der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse dargestellt
hat (vgl. Urt. v.02.05.2002 - III ZR 135/01 - VersR 2002, 1253), liegt hier nicht vor. Dieser
Sonderfall gilt für Schadensersatzansprüche, bei denen die durch den prozessualen
Leistungsantrag gezogenen Grenzen für § 209 Abs. 1 BGB a.F. nicht gelten sollen,
wenn ein erst im Lauf des Rechtsstreits infolge Änderung der allgemeinen
wirtschaftlichen Verhältnisse erwachsender Mehrschadensbetrag offenbar wird. In
einem solchen Fall geht es - anders als im Streitfall - um eine Anpassung an eine nach
Klageerhebung eingetretene Werterhöhung.
32
Die vom III. Senat des BGH angeführte Entscheidung des Reichsgerichts vom
25.04.1921 (RGZ 102, 143) ist nicht einschlägig. Auch sie ist zum Schadensersatzrecht
ergangen und befaßt sich mit einem Anspruch aus § 249 Abs.II BGB, in dem der zur
Wiederherstellung einer beschädigten Sache erforderliche Geldbetrag eingeklagt
worden war, der sich teils wegen geänderter wirtschaftlicher Verhältnisse, teils wegen
einer vorprozessual fehlerhaften Begutachtung im Ergebnis als zu niedrig erwies.
Streitgegenstand dieser Entscheidung war der gemäß § 249 Abs. II BGB "zur
Wiederherstellung erforderliche" Geldbetrag, den das Reichsgericht einer
Geldentschädigung, etwa einem Anspruch aus §§ 251, 252 BGB, gegenüberstellt.
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Die für den Schadensersatz entwickelten Kriterien sind allerdings auf den vertraglichen
Anspruch eines Versicherungsnehmers auf eine Kapitalleistung im Fall einer Invalidität
nicht übertragbar.
34
In der Entscheidung vom 02.05.2002 hat der Bundesgerichtshof ausdrücklich
klargestellt, daß die Einholung eines Sachverständigengutachtens im Rahmen einer
gerichtlichen Beweisaufnahme nicht den Zweck hat, es dem Kläger zu ermöglichen,
seinen Schaden abschließend zu beziffern. Vielmehr geht es zu Lasten eines Klägers,
wenn er seine Forderung betragsmäßig nicht hinreichend überschaut.
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2. Der Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe ist zurückzuweisen.
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a) In der vorgelegten Erklärung des Klägers zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnissen ist der in erster Instanz zugesprochene und nicht angegriffene Betrag von
22.241,19 € nicht berücksichtigt, den der Kläger zur Finanzierung seiner Berufung
einzusetzen hat. Insoweit ist schon die Bedürftigkeit des Klägers (§§ 114, 115 ZPO)
nicht dargelegt.
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b) Im übrigen fehlt es der Berufung an der erforderlichen hinreichenden Aussicht auf
Erfolg; insoweit wird auf die Ausführungen zu Ziff. II, 1 verwiesen.
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III.
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Der Kläger erhält Gelegenheit, zu dem erteilten Hinweis zu Ziff. 1) binnen einer Frist von
3 Wochen ab Zustellung Stellung zu nehmen.
40
Auf die in Betracht kommende Gerichtsgebührenermäßigung (Kostenverzeichnis Nr.
1222) bei einer Berufungsrücknahme sei hingewiesen.
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