Urteil des OLG Hamm vom 21.02.1989

OLG Hamm (abnahme des werks, form und inhalt, abnahme, zpo, vollmacht, nichtigkeit, klageerhebung, beihilfe, unwirksamkeit, sache)

Oberlandesgericht Hamm, 26 U 132/88
Datum:
21.02.1989
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
26. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
26 U 132/88
Vorinstanz:
Landgericht Paderborn, 4 O 434/87
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 06.05.1988 verkündete Urteil
der 4. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn aufgehoben.
Die Sache wird zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das
Landgericht Paderborn zurückverwiesen, welches auch über die Kosten
der Berufungsinstanz zu entscheiden hat.
Tatbestand:
1
Die Klägerin ist Subunternehmerin der Beklagten. Die Parteien haben unter dem
24.04./30.04.1986 einen Werkvertrag miteinander geschlossen, wonach die Klägerin
Rohbauarbeiten an dem Haus xxx des Bauherren xxx ausführen sollte. Die Geltung der
VOB/B war vereinbart. Herr xxx hatte durch notariellen Vertrag vom 09.12.1985 das
Grundstück von der Beklagten, die sich gleichzeitig zum Bau eines Hauses auf dem
Grundstück verpflichtet hatte, erworben. Der Bauherr wurde im Rechtsstreit 4 O 415/87
Landgericht Paderborn von der Beklagten auf Zahlung von Werklohn aus der Erstellung
des Hauses in Anspruch genommen. In diesem Rechtsstreit wurde er durch die
Rechtsanwälte Dres. xxx vertreten. Die Parteien des dortigen Rechtsstreits haben sich
außergerichtlich unter dem 05.09.1988 geeinigt, daß der Bauherr xxx zur Erledigung
aller Forderungen, die in dem dortigen Rechtsstreit geltend gemacht worden waren, an
die Beklagte einen Betrag von 22.500,00 DM zahlt. Daraufhin ist das erwähnte
Verfahren nicht weiter betrieben worden.
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Im vorliegenden Rechtsstreit klagt die Klägerin gegenüber der Beklagten eine
Restforderung aus drei Abschlagsrechnungen und einer weiteren Rechnung des
Bauvorhabens ein. Sie wurde zunächst von den Rechtsanwälten xxx pp. vertreten. Das
Landgericht hat durch Beschluß vom 28.10.1987 die Prozeßbevollmächtigten der
Klägerin auf Bedenken gegen ihr Tätigwerden aus § 45 Ziff. 2 BRAO hingewiesen.
Wegen des Inhalts dieses Beschlusses wird auf Blatt 114, 115 der Akten verwiesen.
Daraufhin haben die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin ihr Mandat niedergelegt. Die
Vertretung der Klägerin wurde von den Rechtsanwälten xxx übernommen. Diese
reichten eine neue, von Rechtsanwalt xxx unterzeichnete Klageschrift bei Gericht ein.
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Diese wurde zugestellt.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der von ihr geltend gemachte Anspruch sei
fällig, da eine Abnahme stattgefunden habe. Die ihr zustehende Restforderung sei von
ihr zutreffend berechnet worden.
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Die Klägerin hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie 12.155,74 DM nebst 8 % Zinsen seit dem
29.05.1987 zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat die Abnahme des Werks, Leistungsumfang und Berechnung bestritten. Sie hat
geltend gemacht, ihr seien Nachlässe und Skonti zugesagt worden. Sie hat die Einrede
des nicht erfüllten Vertrages sowie Minderung unter Berufung auf Mängel vorgetragen.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat die Auffassung vertreten, die Klage
sei unzulässig. Die Rechtsanwälte xxx hätten gegenüber § 45 Ziff. 2 BRAO verstoßen,
weil sie eine andere Partei in derselben Rechtssache bereits in entgegengesetztem
Interesse beraten oder vertreten hätten. Dieser Mangel sei nicht durch die
Mandatsübernahme und neue Klageerhebung durch die Rechtsanwälte xxx geheilt
worden. Rechtsanwalt xxx habe die neue Klage aus dem Büro der Rechtsanwälte xxx
pp. erhalten; durch seine Unterzeichnung und Klageerhebung habe er "praktisch
Beihilfe" zum Verstoß der Rechtsanwälte xxx pp. begangen.
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Gegen dieses Urteil richtet sich die Klägerin mit der Berufung.
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Die Klägerin vertritt die Auffassung, daß bereits nicht die ursprünglichen
Prozeßbevollmächtigten durch ihre Tätigkeit für sie § 45 Ziff. 2 BRAO verletzt hätten.
Jedenfalls habe die mögliche Nichtigkeit des Geschäftsbesorgungsvertrages gemäß §
134 BGB wegen Verletzung von § 45 BRAO nicht zur Unwirksamkeit der
Prozeßvollmacht geführt; auf jeden Fall aber sei die Klageerhebung und die Vertretung
durch die Rechtsanwälte xxx von diesem Mangel nicht erfaßt.
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Die Beklagte beantragt,
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in Abänderung des angefochtenen Urteils dieses aufzuheben und den Rechtsstreit
an das Landgericht zurückzuverweisen,
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hilfsweise,
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die Beklagte auf Zahlung von 12.155,74 DM nebst 8 % Zinsen seit dem 29.05.1987
zu verurteilen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie ist der Auffassung, die Klage sei nicht schlüssig, da die Klägerin aus
Abschlagsrechnungen vorgehe, aber gleichzeitig behaupte, die Abnahme sei erfolgt.
Die Klägerin müsse nunmehr die Schlußrechnung erteilen. Im übrigen wiederholt die
Beklagte ihren erstinstanzlichen Vortrag.
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Die Klägerin ist der Auffassung, sie könne aus den Abschlagsrechnungen klagen, da
die Beklagte bisher eine Abnahme verweigert habe.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung hat Erfolg.
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Zu Unrecht hat das Landgericht die Klage als unzulässig abgewiesen. Der Senat hat
gemäß § 538 Abs. 1 Ziff. 2 ZPO das Urteil aufgehoben und die Sache an das
Landgericht zur weiteren Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der
Berufungsinstanz, zurückverwiesen. Eine eigene Sachentscheidung des Senats im
Sinne des § 540 ZPO erscheint nicht sachdienlich.
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I.
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Entgegen der Rechtsauffassung des Landgerichts ist die Klage zulässig.
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Dabei kann dahinstehen, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 45 Ziff. 2
BRAO hinsichtlich der Tätigkeit der Dres. xxx pp. für die Klägerin und den Bauherren
xxx gegenüber der Beklagten vorliegen. Selbst wenn man nämlich trotz
unterschiedlicher Vertragsbeziehungen der genannten Personen den Begriff "dieselbe
Rechtssache" bejaht und darüber hinaus § 134 BGB die Unwirksamkeit des
zugrundeliegenden Geschäftsbesorgungsvertrages herbeiführen läßt (OLG Köln AnwBl.
1980, 70), führt die Anwendung von § 45 Ziff. 2 BRAO aus mehreren Erwägungen nicht
zur Unzulässigkeit der Klage:
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1.
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Die Wirksamkeit der Prozeßvollmacht des Anwalts wird durch die Nichtigkeit des
zugrundeliegenden Geschäftsbesorgungsvertrages nämlich nicht berührt
(Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 20. Aufl., § 80 Rdnr. 2; OLG Köln MDR 1974, 310; Urteil des
8. Senats des Oberlandesgerichts Hamm vom 17.10.1988 - 8 U 58/88 -, vgl. auch
Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 47. Aufl. § 79 Anm. 1 zur vergleichbaren
Rechtslage bei Verstoß gegen das Rechtsberatungsmißbrauchsgesetz; a.A. OLG
Hamm, Urteil des 5. Senats vom 21.09.1987 - 5 U 48/87). Einen gegenteiligen Schluß
enthält auch die Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln (AnwBl 1980, 70) nicht. Die
sich lediglich über die Unwirksamkeit des Geschäftsbesorgungsvertrages verhält. Deren
Erstreckung auf die Prozeßvollmacht widerstreitet das Abstraktionsprinzip, welches
jedenfalls für die Prozeßvollmacht uneingeschränkt gilt. Der Gesetzgeber hat mit gutem
Grund ein Übergreifen der Nichtigkeit des zugrundeliegenden materiellen
Rechtsverhältnisses auf die Prozeßvollmacht nicht vorgesehen. Das Interesse der
Rechtsordnung an der Rechtsbeständigkeit von Prozeßhandlungen ist vorrangig zu
bewerten. Das Verfahrensrecht ist dringend darauf angewiesen, daß die im Verlauf des
Rechtsstreits von den Parteien und ihren Vertretern vor Gericht abgegebenen
Erklärungen und die von ihnen vorgenommenen Prozeßhandlungen grundsätzlich ihre
Geltung behalten, so daß sich der Prozeßgegner auf sie und ihre Rechtsbeständigkeit
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verlassen kann. Dieses sichert das Abstraktionsprinzip. Mögliche Fehler des
Grundgeschäftes schlagen deshalb auf die Prozeßvollmacht nicht durch; diese ist
vielmehr erst dann unwirksam, wenn dieses ausdrücklich aus den Regeln der ZPO
hervorgeht.
Der Umkehrschluß, weil ein § 155 Abs. 5 BRAO entsprechender Passus in § 45 Ziff. 2
BRAO fehle, müsse in Fällen der vorliegenden Art von einer Nichtigkeit von
Rechtshandlungen des Rechtsanwalts auch im Verfahrensrecht ausgegangen werden,
hieße, das Rangverhältnisses beider Normen zu mißachten. Überzeugend ist allein der
folgende Erst-recht-Schluß: Wenn schon § 155 Abs. 5 BRAO bei der viel stärkeren
Sanktion des Berufs- und Vertretungsverbots eine Wirksamkeit der Prozeßhandluangen
anerkennt, muß dieses erst recht für § 45 Ziff. 2 BRAO, der lediglich das Tätigwerden
des Rechtsanwalts in Einzelfällen betrifft, gelten.
29
2.
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Darüberhinaus ist für ein Eingreifen von § 45 Ziff. 2 BRAO nach Ausscheiden der
Sozietät xxx aus dem Mandatsverhältnis mit der Klägerin kein Raum mehr. Der
bisherige Prozeßbevollmächtigte hatte sein Mandat gemäß § 87 ZPO wirksam
niedergelegt; der neue hatte es übernommen und eine neue Klageschrift eingereicht.
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Mit der Argumentation, die Rechtsanwälte xxx hätten zur Fortsetzung des Parteiverrats
der Rechtsanwälte xxx pp. durch Unterzeichnung deren Schriftsatzes "praktisch
Beihilfe" geleistet, kann die Anwendung von § 45 Ziff. 2 BRAO nicht begründet werden:
Gemäß den vom BGH NJW 1989, 394 betonten Grundsätzen kommt es nicht darauf an,
wer Urheber eines anwaltlichen Schriftsatzes ist, sondern allein, wer ihn unterzeichnet
hat. Dadurch übernimmt der Anwalt die volle Verantwortung für den Inhalt des
Schriftsatzes. Demzufolge ist somit allein darauf abzustellen, ob Rechtsanwalt xxx die
Merkmale des § 45 Ziff. 2 BRAO erfüllt, nicht, ob dieses auf den Urheber des
Schriftsatzes zutrifft und Rechtsanwalt xxx "Beihilfe leistet". Auf Rechtsanwalt xxx trifft
jedoch die in § 45 Ziff. 2 BRAO festgehaltene Interessenkollision unstreitig nicht zu.
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Der vorliegende Fall weist auch nicht Besonderheiten auf, in denen die Rechtsprechung
eine Ausnahme von der Maßgeblichkeit der Unterschrift anerkennt: Rechtsanwalt xxx
hat weder seine Verantwortlichkeit für den Schriftsatz abgelehnt - im Gegenteil: noch in
der mündlichen Verhandlung hat er angegeben, Satz für Satz selbst geprüft zu haben -
noch lassen Form und Inhalt des sorgfältig erstellten und mit umfangreichen Anlagen
versehen Schriftsatzes das Fehlen einer eigenverantwortlichen Überprüfung erkennen.
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II.
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Eine eigene Entscheidung des Rechtsstreits durch den Senat ist nicht sachdienlich; die
Sache ist nicht entscheidungsreif.
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Dem Vortrag der Klägerin in der Berufungsinstanz ist zu entnehmen, daß die Beklagte
eine Abnahme verweigert hat. Wenn die Klägerin aber eine Abnahme nicht mehr
behauptet, bleibt ihre Klage auf Abschlagszahlung schlüssig. In diesem Fall ist
aufzuklären, ob Nachlässe und Abzüge vereinbart sind. Hierzu sind Zeugen zu
vernehmen. Gegebenenfalls durch Einschaltung eines Sachverständigen ist
abzuklären, ob Mängel vorliegen und zur Zurückbehaltung gegenüber der
Abschlagsforderung berechtigen.
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Will die Klägerin allerdings weiter eine Abnahme behaupten, ist sie darauf hinzuweisen,
daß sie eine Schlußrechnung erstellen und daraus klagen muß. Sie hat allerdings, folgt
man Werner/Pastor (der Bauprozeß, 5. Aufl. Rdnr. 873) die Möglichkeit, die bisherige
Abschlagszahlung, gegebenenfalls hilfsweise vorgetragen, als "Teilklage" zu bewerten.
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Durch dieses Urteil ist die Beklagte in Höhe von 12.155,74 DM beschwert.
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