Urteil des OLG Hamm vom 01.03.2006

OLG Hamm: raub, diebstahl, tatsächliche sachherrschaft, fahrzeug, versicherungsnehmer, wegnahme, gewahrsam, gewalt, wagen, geschwindigkeit

Oberlandesgericht Hamm, 20 U 177/05
Datum:
01.03.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
20. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 U 177/05
Vorinstanz:
Landgericht Münster, 15 O 543/04
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 16.08.2005 verkündete
Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Münster abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
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I.
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Der Kläger nimmt den Beklagten aus einer Hausratversicherung (VHB 92) in Anspruch
und verlangt Enschädigungsleistungen für entwendete Gegenstände.
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Der Kläger war am 02.06.2003 mit Jagdfreunden zur Jagd in Polen aufgebrochen.
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Man fuhr mit dem PKW Mercedes G 400 des Zeugen Q.
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Am Tatort hinter der Grenze in der Nähe von E betraten der Kläger, ein zwischenzeitlich
zugestiegener Dolmetscher und der Zeuge I gegen 12.50 Uhr einen Lebensmittelmarkt,
um einzukaufen, da man sich in der Jagdhütte selbst versorgen mußte.
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Der Zeuge Q blieb draußen neben seinem Fahrzeug stehen; der Schlüssel steckte.
Plötzlich sprangen unbekannte Täter in den Wagen und fuhren ab. Es gelang dem
Zeugen Q nicht, sie zu hindern. Er wurde mitgeschleift und blieb verletzt und bewußtlos
liegen; er mußte anschließend in einem Krankenhaus behandelt werden.
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Der Kläger kam aus dem Lebensmittelmarkt und sah noch, wie der Wagen davonfuhr
und den Zeugen Q mitschleifte. Der Kläger lief hinter dem Wagen her, konnte ihn aber
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nicht weiter verfolgen. Dann wendete das Fahrzeug, das in eine Sackgasse gefahren
war, und kam mit hoher Geschwindigkeit auf den Kläger zugefahren. Der Kläger
versuchte, sich dem Fahrzeug in den Weg zu stellen, mußte aber zur Seite springen, um
nicht überfahren zu werden.
Der Kläger hat behauptet, ihm seien Gegenstände im Wert von 12.027,00 € entwendet
worden. Davon sind 6.150,00 € anderweitig erstattet worden.
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Der Rest in Höhe von 5.877,00 € ist Gegenstand der Klage.
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Der Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt mit der Begründung, es liege kein
in der Hausratversicherung versicherter Schadenfall vor.
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Das LG hat nach Vernehmung der Zeugen Q, I und N der Klage in vollem Umfang
stattgegeben und Ansprüche aus § 12 Nr.5 a VHB 92 bejaht. Wegen weiterer
Einzelheiten auch zum Sach- und Streitstand in erster Instanz wir auf das am
16.08.2005 verkündete Urteil Bezug genommen.
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Der Beklagte greift das Urteil mit der Berufung an und wiederholt seine Auffassung, der
vom Kläger dargelegte Entwendungsfall sei als ein räuberischer Diebstahl nach den
VGB 92 nicht in der Außenversicherung versichert.
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Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Er ist insbesondere der Ansicht, es
handele sich bei dem Angriff gegen den Kläger um einen versicherten Raub, da die
Täter bei ihrer Flucht in die Sackgasse noch keinen eigenen Gewahrsam an den dem
Kläger gehörenden Sachen begründet hätten.
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Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivortrags wird auf den Inhalt der gewechselten
Schriftsätze Bezug genommen.
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II.
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Die Berufung ist zulässig und begründet. Sie führt zur Abänderung des erstinstanzlichen
Urteils und zur Abweisung der Klage als unbegründet.
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Der kriminelle Überfall am 02.06.2003 in Polen hat keine Leistungspflicht des Beklagten
in der vom Kläger genommenen Hausratversicherung ausgelöst.
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Der Senat teilt die Ansicht des Landgerichts, daß es sich bei dem Tathergang am
02.06.2003 zunächst um einen Raub gegen den Zeugen Q sowie im zweiten
Handlungsteil um einen räuberischen Diebstahl zum Nachteil des Klägers gehandelt
hat.
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Der Raub, bei dem Gewalt gegen den Zeugen Q ausgeübt wurde, ist nach dem
Versicherungsvertrag nicht versichert, denn Raub ist nach § 5 Abs. 2 VHB 92 entweder
dann versichert, wenn er am Versicherungsort - das war die Wohnung des Klägers -
verübt wird. Oder Raub ist in der Außenversicherung gemäß § 12 Abs. 5 a) VHB 92
versichert, wenn der Raub an dem Versicherungsnehmer oder an einer Person
begangen wird, die mit dem Versicherungsnehmer in häuslicher Gemeinschaft lebt.
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Daß diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, ist zwischen den Parteien nicht im
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Streit.
Der räuberische Diebstahl ist entweder nach § 5 Abs. 1 d) VHB 92 am Versicherungsort
sowie in der Außenversicherung gemäß § 12 Abs. 4 VHB versichert, wenn die
Voraussetzungen des § 5 Nr.1 d) VHB 92 vorliegen. Er ist danach gebäudegebunden,
mithin nur dann versichert, wenn sich die Tat in einem Raum eines Gebäudes abspielt.
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Danach ist der gegen den Kläger gerichtete Angriff der Täter, der der Erhaltung ihres
durch die Wegnahme des PKW erlangten Gewahrsams diente, als ein räuberischer
Diebstahl in der Hausratversicherung nicht versichert, da er sich nicht in einem Raum,
sondern auf der Straße zutrug.
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Der Senat folgt nicht der Ansicht des Landgerichts, der Fall eines räuberischen
Diebstahls gegen einen Versicherungsnehmer sei einem Raub gleichzustellen.
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Die Gleichstellung verbietet sich deshalb, weil die Bedingungen ganz klar zwischen
dem Raub einerseits und dem räuberischen Diebstahl andererseits unterscheiden und
beide Varianten unterschiedlich regeln. Daß die Gewährung von Versicherungsschutz
bei den beiden Straftatbeständen von unterschiedlichen Voraussetzungen abhängig
gemacht wird, ist für den Versicherungsnehmer nicht überraschend, wie der Kläger
anmerkt. Bei verständigem und aufmerksamem Lesen der Bedingungen erschließt sich
dem Versicherungsnehmer durchaus, in welchem Umfang ihm in der
Außenversicherung Versicherungsschutz versprochen wird.
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Der Hinweis des Landgerichts auf die Kommentierung von Martin
(Sachversicherungsrecht, D XIII Rn. 4 ff) sowie auf ein Urteil des BGH vom 10.02.1971
(IV ZR 100/69 - VersR 1971, 257 f), mit dem es die Gleichstellung von Raub und
räuberischerm Diebstahl in der Außenversicherung begründen will, verfängt nicht, weil
sowohl die Kommentierung als auch die angeführte Entscheidung sich auf andere
Bedingungen (Sonderbedingungen für die Beraubungsversicherung) zu den alten AEB
(abgedruckt bei Martin, S. 48 ff, S. S. 63) beziehen. In diesen Bedingungen wird Schutz
gegen "Beraubung und räuberische Erpressung" versprochen, wobei der Begriff
"Beraubung" nicht einem Tatbestand des StGB entspricht und rein
versicherungsrechtlich auszulegen ist.
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Anders wird jedoch in den einschlägigen VHB 92 mit eindeutigen Begriffen und
Definitionen aus dem StGB gearbeitet, so daß entscheidende - aus dem unscharfen
Begriff der Beraubung abgeleitete - Gründe aus dem Urteil vom 10.02.1971 nicht
greifen. Darauf hat der Beklagte in seiner Berufungsbegründung zu Recht hingewiesen.
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Der Senat kann sich schließlich nicht der vom Kläger vertretenen Auffassung
anschließen, die Täter hätten am 02.06.2003 nicht einen räuberischen Diebstahl,
sondern einen Raub verübt, indem sie mit dem Mercedes G 400 des Zeugen Q mit
rasanter Geschwindigkeit auf ihn zugefahren seien.
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Ob Raub ( § 249 StGB) oder räuberischer Diebstahl (§ 252 StGB) vorliegen,
unterscheidet sich dadurch, daß beim Raub das Nötigungsmittel "Gewalt" oder
"Drohung" zum Zwecke der Wegnahme eingesetzt wird, während beim räuberischen
Diebstahl das Nötigungsmittel der Sicherung der Beute (Gewahrsamserhaltung) dient.
Vorausgesetzt wird eine vollendete Vortat (Diebstahl oder jede andere Form der
Wegnahme in Zueignungsabsicht - so Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl. § 252 Rn. 3).
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Der Gewahrsam des Klägers an seinen in dem Fahrzeug befindlichen
Hausratgegenständen war gebrochen, als die Täter mit dem Fahrzeug abfuhren,
spätestens jedoch, als sie den Zeugen Q abgeschüttelt hatten. Zugleich begründeten
sie neuen, eigenen Gewahrsam.
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Beim Diebstahl von Kraftfahrzeugen wird die Wegnahme mit dem Wegfahren als
vollendet angesehen (Tröndle/Fischer, aaO. § 242, Rn. 20 m.w.N.), wobei schon eine
kurze Fahrstrecke genügt. Vollendet mit dem Wegfahren ist zugleich auch die
Wegnahme von Gegenständen wie etwa des Reisegepäcks, das sich im Fahrzeug
befindet. Es wäre lebensfremd, aus dem Umstand, daß die Täter zunächst in eine
Sackgasse fuhren, wendeten und sodann mit hoher Geschwindigkeit zurück und auf
den die Straße versperrenden Kläger zufuhren, eine tatsächliche Sachherrschaft des
Klägers an seinem Gepäck noch bis zu seinem rettenden Sprung zur Seite abzuleiten.
Der Kläger hatte keinen Zugriff mehr auf sein Gepäck, das in der Gewalt der Täter war.
Diese drohten vielmehr, auf frischer Tat betroffen, durch ihr rasantes Zufahren auf den
Kläger mit einer gegenwärtigen Gefahr für dessen Leib und Leben, um sich weiterhin im
Besitz des gestohlenen Fahrzeugs und dessen Inhalts zu erhalten, ein Verhalten, das
den Tatbestand des § 252 StGB erfüllt.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 708 Nr.10 ZPO; die Zulassung der
Revision war nicht veranlaßt (§ 543 ZPO n.F.).
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