Urteil des OLG Hamm vom 06.02.2004

OLG Hamm: schadenersatz, transport, abtretung, gegenforderung, bevollmächtigung, verdacht, dokumentation, inventar, quote, vollstreckbarkeit

Oberlandesgericht Hamm, 9 U 97/03
Datum:
06.02.2004
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 U 97/03
Vorinstanz:
Landgericht Detmold, 1 O 548/99
Schlagworte:
Kosten eines Schadensgutachtens
Normen:
§§ 823 Abs. 1, 249 BGB
Leitsätze:
Erleidet der Vollstreckungsschuldner durch unsachgemäße Einlagerung
seines im Wege der Zwangsräumung untergestellten Inventars einen
Schaden, kann er die zur Schadensermittlung aufgewandten
Gutachterkosten auch dann in voller Höhe ersetzt verlangen, wenn nur
ein Teil des Rechtsgutes Einlagerungsschäden aufweist, sofern das
Gutachten in dem in Auftrag gegebenen Umfang zur
zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war.
Tenor:
Die Berufung der Beklagten und auch die Berufung der Klägerin gegen
das am 14. April 2003 verkündete Urteil der Zivilkammer I des
Landgerichts Det-mold werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsrechtszuges werden der Beklagten zu 63 %
und der Klägerin zu 37 % auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
G r ü n d e
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I.
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Anlässlich der im März 1999 erfolgten Räumungsvollstreckung gegen die Klägerin
wurde die Beklagte von der zuständigen Gerichtsvollzieherin mit dem Abtransport und
der Lagerung des Inventars beauftragt. Nach Freigabe des Räumungsgutes durch die
Gerichtsvollzieherin kam es im Mai 1999 zunächst zu zwei Abholversuchen der von der
Klägerin beauftragten Spedition W, die jedoch wegen Streitigkeiten über die
Dokumentation von Vollständigkeit und Zustand dieses Gutes scheiterten. Im Juni 1999
ließ die Klägerin das Inventar dann bei der Beklagten abholen, wobei zur
Dokumentation der an den eingelagerten Gegenständen vorhandenen Schäden, die
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nach der Darstellung der Klägerin von der Beklagten verursacht worden sind und um die
die Parteien in dem vorliegenden Prozess streiten, der Schadengutachter T für die
Klägerin tätig war. Dieser stellte ihr für sein Auftragsgutachten 3.000,00 DM in
Rechnung.
Die Klägerin hat behauptet, ihre Einrichtungsgegegenstände seien bei Räumung und
Lagerung durch die Beklagte infolge unsachgemäßen Transportes und unzureichender
Verpackung beschädigt worden. Mit ihrer Klage hat sie zunächst 16.143,96 DM wegen
Beschädigung ihres Inventars (Antrag zu 1), 1.841,96 DM wegen verhinderter Einsätze
der Firma W, hilfsweise wegen weiterer Transportschäden (Antrag zu 2), sowie 3.000,00
DM wegen überhöhter Lagerkosten (Antrag zu 3) als Schadenersatz begehrt. Das
Landgericht hat durch rechtskräftiges Grund- und Teilurteil vom 05.07.2000 festgestellt,
dass die Klage hinsichtlich des Antrages zu 1. dem Grunde nach gerechtfertigt ist,
soweit die Klägerin für die ihr entstandenen Gutachterkosten sowie für Schäden an
einzelnen Möbelstücken Schadenersatz begehrt. Bei diesen Möbelstücken und
Einrichtungsgegenständen handelt es sich um eine dunkle Kommode, einen
Wohnzimmerschrank mit Bleiverglasung, das Oberteil eines Wohnzimmerschrankes mit
Schnitzereien und einen Barockrahmen des Landschaftbildes mit Schild "Q".
Hinsichtlich des Hauptantrages zu 2. hat das Gericht die Klage abgewiesen und die
Entscheidung über den Hilfsantrag - wie auch über den Antrag zu 3. - dem Schlussurteil
vorbehalten.
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Nach Erlass dieses Urteils hat die Klägerin noch Ersatz der Transport- und
Lagerschäden an ihrem Umzugsgut in Höhe von 8.254,28 EUR (Antrag 1), weiteren
Schadenersatz in Höhe von 941,78 EUR wegen Transport- und Lagerschäden (Antrag
2: Hilfsantrag) sowie weiterhin Schadenersatz in Höhe von mindestens 1.533,88 EUR
wegen überhöhter Lagerkosten (Antrag 3) begehrt.
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Die Beklagte ist diesem Begehren - wie bisher - entgegengetreten und hat behauptet,
die Möbel der Klägerin seien alt, gebraucht, teilweise beschädigt und insgesamt wertlos
gewesen. Die von ihr berechneten Kosten für die Lagerung des Räumungsgut seien
angemessen und könnten im Übrigen von der Klägerin mangels Vertragsverhältnisses
nicht beanstandet werden. Hilfsweise hat die Beklagte die Aufrechnung mit der
angeblichen Gegenforderung einer Frau I in Höhe von 2.600,00 EUR. erklärt und hierzu
behauptet, diese habe, vertreten durch ihren Rechtsanwalt N, eine unstreitig
rechtskräftig titulierte Forderung gegen die Klägerin in Höhe von insgesamt 388.068.98
DM in Höhe der Gegenforderung an sie abgetreten.
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Die Wirksamkeit der Abtretung und die Bevollmächtigung des RA N sind von der
Klägerin bestritten worden.
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Das Landgericht hat nach Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens
der Klägerin 1.513,88 Euro zugesprochen und die weitergehende Klage abgewiesen.
Es ist davon ausgegangen, dass die Klägerin Ansprüche auf Ersatz der gesamten
Gutachterkosten in Höhe von 1.533,88 Euro sowie auf Ersatz beschädigter
Einrichtungsgegenstände in Höhe von 2.500,00 Euro, d.h. insgesamt 4.113,88 Euro,
erlangt hatte, und hat diese aufgrund der für wirksam erachteten Hilfsaufrechnung um
2.600,00 Euro auf 1.513,88 Euro gekürzt.
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Gegen dieses Urteil wenden sich beide Parteien mit der Berufung, wobei die Klägerin
weiterhin den Ersatz überhöhter Lagerkosten in Höhe von 686,57 Euro begehrt sowie
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mit einer beabsichtigten Berufungserweiterung die Kürzung ihrer Forderung durch die
Hilfsaufrechnung um 2.600,00 Euro angreift, während die Beklagte Klageabweisung
beantragt, soweit sie zu einem höheren Betrag als 363,47 Euro verurteilt worden ist.
II.
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Die zulässigen Berufungen sind unbegründet.
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1.
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Das Landgericht hat einen Schadenersatzanspruch der Klägerin wegen der nach dem
27. Mai 1999 (1. Abholversuch der Fa. W, Bl. 20 d.A.) entstandenen Lagerkosten
zutreffend mit der Begründung fehlender vertraglicher Beziehungen zwischen den
Parteien sowie mangels Rechtsgutverletzung i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB verneint. Auch der
in der Berufungsbegründung enthaltene Hinweis auf § 286 BGB führt zu keinem
anderen Ergebnis, da auch diese Vorschrift ein Vertragsverhältnis voraussetzt. Des
weiteren kommt auch ein Anspruch aus § 990 Abs. 2 BGB nicht zum Zuge, da die
Beklagte rechtmäßige Besitzerin des Umzugsgutes war.
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Soweit die Klägerin im Wege der Berufungserweiterung Ersatz weiterer 2.600,00 Euro
mit der Begründung der Unwirksamkeit der von der Beklagten erklärten
Hilfsaufrechnung mit der unstreitig rechtskräftig zuerkannten Forderung der Frau I
(gegen sie) geltend machen will, ist dieses Begehren aussichtslos, da der Rechtsanwalt
N entgegen der klägerischen Darstellung von Frau I auch bevollmächtigt war, diese
Forderung an die Beklagte abzutreten.Zwar lässt sich der im Original zu den Akten
gereichten formularmäßigen Vollmacht (Bl. 287 d.A.) die Bevollmächtigung zu einer
Abtretung nicht ohne weiteres entnehmen; jedoch hat die Beklagte eine Erklärung der
Frau I vorgelegt, in der die Abtretung von dieser ausdrücklich genehmigt worden ist.
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2.
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Die Klägerin kann auch die in Rechnung gestellten Kosten des Schadengutachters T in
voller Höhe ersetzt verlangen. Dass die Beklagten dem Grunde nach hierzu verpflichtet
sind, ist in dem Gundurteil des Landgerichts rechtskräftig festgestellt worden. Die
Ersatzpflicht erstreckt sich aber auch der Höhe nach auf den vollen Kostenbetrag für die
gesamte Inventarprüfung und nicht etwa nur auf die dem Anteil der tatsächlich
festgestellten Transportschäden entsprechende Quote.
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Die Entscheidung über die Höhe des ersatzfähigen Gutachterkosten hängt wesentlich
davon ab, ob die Beauftragung des Schadengutachters in dem in Rechnung gestellten
Umfang zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig ist, wobei diese
Beurteilung unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Falles aus der Sicht
ex ante vorgenomnen werden muss. Ein derartiger schutzwürdiger Informationsbedarf
besteht dabei dann, wenn und soweit zum Zeitpunkt der Beauftragung des
Sachverständigen aus Sicht eines verständigen Betrachters Verdachtsmomente
vorhanden sind, die bei vernünftiger Beurteilung einen Argwohn im Hinblick auf
Transport- und Lagerschäden begründen können. Hingegen ist grundsätzlich
unerheblich, in welchem Umfang der begründete Verdacht sich nachträglich realisiert,
sofern der Gutachter überhaupt erst nach Durchführung der gesamten Überprüfung zu
einer abschließenden Klärung des Schadenumfanges gelangen kann.
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So liegt der Fall hier. Der Schadengutachter T hat bei seiner Vernehmung als Zeuge
ausgesagt, die Einrichtungsgegenstände seien teilweise nur notdürftig mit Decken
abgedeckt gewesen und es sei im Übrigen kein Schutz gegen Transportschäden
gegeben gewesen. In Anbetracht dieser äußeren Verdachtsanzeichen war die Klägerin
berechtigt, ihrem sich im Rahmen des Vernünftigen haltenden Verdacht auf derartige
Schäden nachzugehen und ihr insoweit betroffenes Inventar zum Zweck der
Beweissicherung in vollem Umfang sachverständig überprüfen zu lassen. Hieraus folgt
die uneingeschränkte Ersatzfähigkeit der Gutachterkosten.
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III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Voraussetzungen für eine
Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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