Urteil des OLG Hamm vom 02.07.2003

OLG Hamm: treu und glauben, unterhalt, elterliche sorge, einkünfte, erwerbstätigkeit, zwangslage, rechtskraft, kinderbetreuung, ehepartner, kapitalzahlung

Oberlandesgericht Hamm, 10 UF 62/02
Datum:
02.07.2003
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
10. Senat für Familiensachen
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 UF 62/02
Vorinstanz:
Amtsgericht Recklinghausen, 44 F 189/01
Tenor:
Auf die Berufung des Antragstellers wird das am 19. Februar 2002 ver-
kündete Urteil des Amtsgerichts Recklinghausen – 44 F 189/01 – im
Ausspruch zum nachehelichen Unterhalt teilweise abgeändert und wie
folgt neu gefaßt:
Der Antragsteller wird verurteilt, an die Antragsgegnerin nachehelichen
Unterhalt ab Rechtskraft der Scheidung bis Februar 2003 in Höhe von
monatlich 226 € und ab März 2003 bis Juli 2004 in Höhe von monatlich
90 € zu zahlen.
Die weitergehende Klage auf nachehelichen Unterhalt wird abgewie-
sen. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander
aufgehoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
G r ü n d e
1
I.
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Die Parteien haben am 2. Dezember 1988 die Ehe geschlossen, nachdem aus ihrer
Beziehung der am 20. Mai 1987 geborene Sohn X hervor gegangen war. Mit notariellem
Vertrag vom 27. Oktober 1988 (Kopie Bl. 4 ff d.A.) haben die Parteien vor der
Eheschließung für die Ehe Gütertrennung vereinbart und für den Fall der Scheidung den
Versorgungsausgleich ausgeschlossen, gegenseitig auf nachehelichen Unterhalt
verzichtet sowie erklärt, übereinstimmend vorschlagen zu wollen, dass die elterliche
Sorge für das Kind der Mutter übertragen werden solle. Innerhalb der Ehe ist am 21. Juli
1990 die Tochter X1 geboren worden. Im April 1995 kam es zu Auseinandersetzungen
der Eheleute, in deren Folge der Antragsteller eigene Räumlichkeiten im Dachgeschoß
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der ehelichen Wohnung bezogen; seit November 2000 leben die Eheleute vollständig
getrennt.
Im vorliegenden, durch den Antragsteller im April 2001 eingeleiteten
Scheidungsverfahren hat die Antragsgegnerin nachehelichen Unterhalt in Höhe von
monatlich 1.258 DM (entsprechend 643,21 €) verlangt.
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Durch das angefochtene Verbundurteil ist die Ehe der Parteien – unter Aufhebung des
die Scheidung abweisenden Versäumnisurteils vom 21. August 2001 – geschieden und
der Antragsteller zur Zahlung von nachehelichem Unterhalt verurteilt worden in Höhe
von monatlich 534,30 € bis einschließlich Juli 2004. Dabei ist ein Mindestbedarf von
1.425 DM zugrunde gelegt, auf welchen eigene Einkünfte der Antragsgegnerin in Höhe
von monatlich 630 DM angerechnet worden sind und ein zusätzlicher Bedarf für
Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 250 DM hinzu gesetzt worden ist. Wegen
der Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen. Hinsichtlich des
Scheidungsausspruchs ist das Urteil rechtskräftig seit dem 25. Juni 2002.
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Mit der Berufung verfolgt der Antragsteller das Ziel, den Unterhaltsanspruch der
Antragsgegnerin vollständig abzuweisen. Er hält den vertraglichen Ausschluß des
Unterhaltsanspruchs für wirksam und ist der Auffassung, der Antragsgegnerin seien
Einkünfte aus einer halbschichtigen Erwerbstätigkeit zuzurechnen. Im übrigen beruft er
sich auf Verwirkung, da die Antragsgegnerin Einkünfte verschwiegen habe.
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Die Antragsgegnerin hält den notariellen Vertrag für unwirksam und bezeichnet den im
vorliegenden Verfahren geltend gemachten Unterhaltsanspruch in zweiter Instanz als
Teilklage.
7
II.
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Die Berufung des Antragstellers ist nur teilweise begründet. Mit dem angefochtenen
Urteil geht auch der Senat von der Wirksamkeit des notariellen Vertrages aus. Der
Antragsgegnerin steht nur ein geringerer Unterhalt zu, ab März 2003 sind höhere
Eigeneinkünfte fiktiv zuzurechnen.
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Der Unterhaltsanspruch der Antragsgegnerin ist im Ergebnis nicht durch die
Vereinbarung im Vertrag vom 27. Oktober 1988 ausgeschlossen. Dieser Vertrag und der
darin enthaltene Unterhaltsverzicht sind wirksam. Nach der im Privatrecht herrschenden
Privatautonomie sind Vertragspartner in der Ausgestaltung ihrer Verträge grundsätzlich
frei, jedoch sind sittenwidrige Verträge unwirksam, welche gegen das Anstandsgefühl
aller billig und gerecht Denkenden verstoßen, § 138 Absatz 1 BGB.
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Eine Regelung zu Lasten des Sozialamtes, welche zu einer Nichtigkeit nach § 138 BGB
führen würde, liegt nicht vor. Denn zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses – vor
Eheschließung – stand der Antragsgegnerin ohnehin kein Anspruch auf nachehelichen
Unterhalt zu. Da ersichtlich die Eheschließung von der Unterzeichnung des Vertrages
abhängig war, bestand von vornherein keine Aussicht, künftig einen Anspruch auf
nachehelichen Unterhalt zu erwerben (vgl. dazu BGH FamRZ 1992, 1403).
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Ein Fall sittenwidriger Benachteiligung liegt nach den Entscheidungen des
Bundesverfassungsgerichts (FamRZ 2001, 343 = BVerfGE 103, 89; FamRZ 2001, 985)
auch dann vor, wenn die vertraglichen Regelungen in besonders einseitiger Weise
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vertragliche Lasten aufbürden. Für die Bewertung als unwirksam ist entscheidend, ob
der Vertrag nicht Ausdruck gleichberechtigter Partnerschaft ist, sondern auf einer
erheblich ungleichen Vertragsposition beruht mit einer einseitigen Dominanz eines der
Ehepartner.
Nach der gesetzlichen Regelung sind nicht nur eine Einschränkung, sondern auch der
vollständige Ausschluß sowohl von nachehelichem Unterhalt als auch von
Zugewinnausgleich und von Versorgungsausgleich möglich (§§ 1585 c, 1408, 1587 o
BGB). Es kann für einseitige Dominanz sprechen, wenn von allen drei Möglichkeiten
Gebrauch gemacht wird (so OLG München Familiensenat Augsburg FamRZ 2003, 35).
Zu beurteilen sind jedoch jeweils die Verhältnisse des einzelnen Falles. So bestand im
Fall des OLG München ein ganz erhebliches Einkommens- und Vermögensgefälle der
Ehepartner, in den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts war auf Seiten der
Frau eine besondere Zwangslage dadurch gegeben, dass die Frau im Zeitpunkt des
Vertragsschlusses schwanger war. Solche Umstände liegen hier nicht vor. Beide
Parteien waren erwerbstätig und beabsichtigten, das auch weiterhin zu sein. Ihre
Einkommens- und Vermögensverhältnisse waren relativ bescheiden, aber – wie sie im
notariellen Vertrag ausdrücklich bestätigt haben – geeignet, den eigenen
Unterhaltsanspruch zu sichern und auch eine ausreichende Altersversorgung sicher zu
stellen. Allerdings verdiente der Antragsteller ausweislich des Steuerbescheides für das
Jahr 1988 deutlich mehr als die Antragsgegnerin, sein Einkommen lag mit brutto 35.602
DM aber nicht in einer so außergewöhnlichen Höhe, welche die Antragsgegnerin als
gelernte Einzelhandelskauffrau nicht auch hätte erreichen können. Es kommt hinzu,
dass der Antragsteller sein Einkommen ausschließlich aus Gewerbebetrieb erzielte, die
Antragsgegnerin dagegen überwiegend aus nichtselbständiger Arbeit mit
entsprechenden Rentenanwartschaften.
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Der Sohn der Parteien war zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses schon fast
eineinhalb Jahre alt. Der vom Bundesverfassungsgericht angesprochene existentielle
Umbruch der Lebensverhältnisse einer schwangeren Frau liegt nach diesem Zeitraum
bereits weit zurück. Auch eine psychische Zwangslage bestand auf Seiten der
Antragsgegnerin nicht. Es war vielmehr die Antragsgegnerin selbst, welche den
Antragsteller vor dessen Reise nach Amerika vor die Wahl gestellt hatte, sie entweder
zu heiraten oder sie werde die Beziehung beenden, die bereits mehrere Jahre
bestanden hatte und wiederholten Krisen ausgesetzt gewesen war. Nach Darstellung
der Antragsgegnerin hat der Antragsteller dann nach seiner Rückkehr erklärt, er werde
sie nur heiraten nach Abschluß eines Ehevertrages mit Verzicht auf Unterhalt,
Zugewinn- und Versorgungsausgleich. Diese Forderung wird vor dem Hintergrund
verständlich, dass der Antragsteller bereits einmal geschieden war und erst wenige
Monate zuvor den Unterhaltsanspruch seiner früheren Ehefrau durch eine
Kapitalzahlung abgefunden hatte. Angesichts des von der Antragsgegnerin gestellten
Ultimatums kann von einer einseitigen Dominanz des Antragstellers nicht gesprochen
werden; die Parteien haben insoweit in etwa auf "gleicher Augenhöhe" verhandelt.
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Dass aus der Ehe der Parteien ein weiteres Kind hervorgegangen ist, kann nicht
rückwirkend zur Unwirksamkeit des Vertrages führen. Denn für die Beurteilung einer
einseitigen Dominanz ist auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses
abzustellen (so auch OLG München FuR 2003, 233). Nach dem Vorbringen der
Antragsgegnerin war bei Abschluß des Vertrages ein weiteres Kind jedoch weder
geplant noch beabsichtigt.
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Auf den Ausschluß des Unterhaltsanspruchs kann sich der Antragsgegner jedoch nach
§ 242 BGB insoweit nicht berufen, als dieser gegen Treu und Glauben verstößt. Ein
solcher Verstoß ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dann zu bejahen,
wenn überwiegende schutzwürdige Interessen gemeinschaftlicher Kinder entgegen
stehen, unabhängig davon, ob sich die zur Zeit der Vereinbarung des
Unterhaltsverzichts bestehenden oder erwarteten Verhältnisse erst nachträglich so
entwickelt haben oder schon bei Abschluß des Vertrages absehbar waren (BGH
FamRZ 1992, 1403 mit weiteren Nachweisen, FamRZ 1997, 873). Der
Unterhaltsanspruch steht dem berechtigten Ehegatten in einem solchen Fall insoweit
zu, als er auf die Unterhaltsbeträge angewiesen ist, um den Betreuungspflichten
gegenüber den Kindern nachkommen zu können.
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Die Betreuung der Kinder ist beeinträchtigt, wenn dem Ehegatten nicht die finanziellen
Mittel verbleiben, um die existentiellen Grundbedürfnisse abdecken zu können. Dieses
Existenzminimum bemißt der Senat in der Regel mit 730 €, bei einem Erwerbstätigen
mit 840 € (vgl. auch Ziffer 32 Leitlinien des Oberlandesgerichts Hamm zum
Unterhaltsrecht, Stand 1. Juli 2001, jetzt Ziffer 21.4.2 der Leitlinien Stand 1. Juli 2003).
Es bestehen keine Anhaltspunkte, davon im vorliegenden Fall abzuweichen.
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Zum Zeitpunkt der Rechtskraft der Scheidung waren die Kinder der Parteien 15 und
knapp 12 Jahre alt. Die Antragsgegnerin hatte schon während der Trennungszeit eine
Fortbildungsmaßnahme zur Förderung ihrer Berufsaussichten begonnen. Eine
weitergehende Erwerbsobliegenheit besteht bis zum Ende dieser Maßnahme nicht, d.h.
bis einschließlich Februar 2003.
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Die während dieser Zeit an die Antragsgegnerin ausgezahlten 614 € Unterhaltsgeld
sind auf ihren Bedarf anzurechnen. Der Krankenvorsorgebedarf ist gedeckt durch das
zusätzlich gezahlte Qualifizierungsgeld, ferner sind die Kosten der Kinderbetreuung
während der Unterrichtszeit abgedeckt durch die Zahlung von Kinderbetreuungsgeld.
Es verbleibt ein offener, vom Antragsteller noch zu deckender restlicher Bedarf in Höhe
von 840 € - 614 € = 226,00 €.
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Ab März 2003 ist der Antragsgegnerin ein erzielbares Nettoeinkommen von 750 € fiktiv
zuzurechnen. Die von ihr im Senatstermin vorgetragenen Bemühungen um eine
Erwerbstätigkeit mit monatlich lediglich fünf bis sechs Bewerbungen reichen nicht aus,
um ihrer Erwerbsobliegenheit nachzukommen. Das gilt auch unter Berücksichtigung des
Umstandes, dass der Antragsgegnerin wegen der Kinderbetreuung und wegen der bis
Februar 2003 absolvierten Schulungsmaßnahme nicht in gleichem Umfang Zeit für
Bewerbungen zur Verfügung stand wie einem Arbeitslosen. Der Antragsgegnerin sind
auch die relativ geringen Kosten für weitere Bewerbungen zuzumuten.
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Bei der Höhe des erzielbaren Verdienstes geht der Senat von einer halbschichtigen
Erwerbstätigkeit der Antragsgegnerin sowie von der Tatsache aus, dass die
Antragsgegnerin als gelernte Einzelhandelskauffrau und aufgrund ihrer früheren
Tätigkeit als Sekretärin durchaus gehobene Verdienstmöglichkeiten hat, zumal sie sich
durch die im März 2003 abgeschlossene Fortbildungsmaßnahme weiter qualifiziert hat.
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Es verbleibt ein offener Bedarf von 840 € - 750 € = 90,00 €.
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Ob wegen der Geburt des in der Ehe geborenen Kindes, welches bei der Bemessung
des Unterhalts für die Antragsgegnerin vorstehend im Rahmen der Bewertung ihrer
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Erwerbsobliegenheit berücksichtigt wurde, eine Anpassung der übrigen Regelungen
des notariellen Vertrages angebracht ist, braucht im vorliegenden Rechtsstreit nicht
entschieden zu werden.
Es besteht keine Veranlassung, die Revision zuzulassen. Die Bewertung der Merkmale
des vorliegenden Einzelfalles anhand der in der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs aufgestellten Kriterien hat
keine grundsätzliche Bedeutung; die Zulassung ist auch nicht zur Fortbildung des
Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, § 543
Absatz 2 ZPO.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 93 a Absatz 1, 708 Ziffer 10 ZPO.
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