Urteil des OLG Hamm vom 23.10.2006

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Oberlandesgericht Hamm, 3 U 141/06
Datum:
23.10.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
3. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 U 141/06
Vorinstanz:
Landgericht Dortmund, 4 O 177/05
Tenor:
weist der Senat darauf hin, dass beabsichtigt ist, die Berufung des
Klägers gegen das am 30.03.2006 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer
des Landgerichts Dortmund durch einstimmigen Senatsbeschluss nach
§ 522 111 ZPO zurückzuweisen.
Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 2 Wochen ab
Zustellung dieses Beschlusses.
Gründe:
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1.
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Die Berufung des Klägers gegen das klagabweisende Urteil des Landgerichts
Dortmund hat keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche
Bedeutung. Eine Entscheidung des Senates ist weder zur Fortbildung des Rechts noch
zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten.
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Das Landgericht hat die Klage, die sich auf Schmerzensgeldleistung aus
übergegangenem Recht des am 21.09.2003 verstorbenen Vaters des Klägers N richtet,
nach den getroffenen Feststellungen zu Recht abgewiesen.
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Die Berufungsbegründung gebietet keine Zweifel an der Richtigkeit des
landgerichtlichen Urteils und rechtfertigt keine dem Kläger günstigere Entscheidung.
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2.
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Das Rechtsmittel wirft den Beklagten — Trägerin des Klinikums E und Direktor der
dortigen Neurochirurgischen Klinik — erneut vor, den mit Verdacht auf eine
interzerebrale Blutung vom Rettungsnotdienst der Stadt E1 am 23.07.2003 gegen 19.30
Uhr zur Einlieferung in die Unfallklinik angekündigten Patienten unter Hinweis auf einen
zur gleichen Zeit laufenden Operationseinsatz des neurochirurgischen OP-Teams
zunächst abgewiesen zu haben, so dass es — nach einer zwischenzeitlichen
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Vorstellung im Krankenhaus E — erst gegen 21.05 Uhr zur Aufnahme mit
anschließender neurochirurgischer Behandlung im Klinikum E kam; auf die so
verzögerte Aufnahme und Behandlung in der Unfallklinik E führt das Rechtsmittel den
Tod des Vaters des Klägers zurück.
Die Berufungsangriffe vermögen jedoch keine Haftung der Beklagten wegen
Behandlungsverzögerungen zu Lasten des Vaters des Klägers zu begründen.
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3.
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Den erstinstanzlich festgestellten Sachverhalt zu den Abläufen am Abend des
23.07.2003 bis zur Aufnahme des Patienten N im Klinikum Nord würdigt die
angefochtene Entscheidung in rechtlicher Hinsicht fehlerfrei dahin, dass den Beklagten
kein Pflichtversäumnis anzulasten ist. Dabei hat das Landgericht die Umstände des
Notfalleinsatzes bis zur Behandlungsaufnahme im Hause der Beklagten zu 2) durch
Vernehmung der Zeugen T5, Dr. H und Dr. T4 unter Hinzuziehung der mitgeteilten
Einsatzaufzeichnungen der Feuerwehr-Rettung der Stadt E1 in dem erforderlichen
Umfange aufgeklärt. Zu einer weitergehenden Befragung eines medizinischen
Sachverständigen bestand — da es vorliegend um die rechtliche Bewertung des
Pflichtenkreises des Krankenhauses gegenüber einem noch nicht zur Behandlung
aufgenommenen Patienten geht — keine Veranlassung.
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4.
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Den Beklagten ist zunächst nicht vorzuwerfen, den als Notfallpatient für die
Neurochirurgie angekündigten Vater des Klägers nicht auf die erste Anfrage hin
aufgenommen zu haben. Der Senat folgt insoweit nicht der mit der Berufung vertretenen
Auffassung, es sei die Verpflichtung der Beklagten zu 2) gewesen, den angekündigten
Notfallpatienten zunächst einmal aufzunehmen und diversen Voruntersuchungen zu
unterziehen. Ein derartiges Verhalten hätte vielmehr aufgrund der vom Zeugen Dr. T4
glaubhaft geschilderten Bindung des vorhandenen neurochirurgischen OP-Teams durch
einen anderweitigen Notfall-Eingriff an einem Kopfschuss-Patienten geradezu ein
haftungsbegründendes (Übernahme) Verschulden der Beklagten zu 2) dargestellt. Ist
ein Krankenhaus aufgrund seiner personellen und/oder sachlichen Ausstattung
absehbar nicht in der Lage, einem (Notfall)Patienten die dem fachlichen
Behandlungsstandard entsprechende ärztliche Behandlung zuteil werden zu lassen, so
darf es diese Behandlungsaufgabe auch nicht übernehmen (vgl. etwa: BGH, NJW 1983,
1374ff. (für die Narkoseüberwachung bei unzureichender personeller Ausstattung); OLG
Saarbrücken, OLGR 2000, 139 ff. und OLG Köln, NJW-RR 2003, 1032 (jeweils zur
Weiterbehandlung trotz ungeeigneter Behandlungsmöglichkeiten im eigenen Haus)).
Hier bedurfte der vom Rettungsdienst zur Aufnahme angekündigte Patient erkennbar
einer schnellstmöglichen neurochirurgischen Behandlung. Diese konnte zum Zeitpunkt
der Ankündigung seiner Einlieferung gegen 19.30 Uhr von dem im Klinikum E
vorhandenen neurochirurgischen Notfall-OP-Team jedenfalls nicht auf absehbare Zeit
gewährleistet werden, da man sich in einer gerade begonnenen anderweitigen Notfall-
OP befand. Es war daher sachgerecht, die anreisende Besatzung des Rettungswagens
fernmündlich auf die derzeit nicht gegebene Behandelbarkeit eines weiteren
neurochirurgischen Notfallpatienten im Klinikum E hinzuweisen und auf eine
anderweitige Behandlungsmöglichkeit hinzuwirken.
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Allerdings können sich Pflichten zur Übernahme einer angedienten
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(Notfall)Krankenhausbehandlung aufgrund der öffentlich-rechtlichen Pflichtenstellung
eines Krankenhausträgers ergeben,- dies jedoch nur, soweit Aufnahmekapazitäten
bestehen (Steffen/Dressier, Arzthaftungsrecht, 9. Aufl., Rdnr. 67). Die Möglichkeit zur
gebotenen Behandlung des Patienten N am Abend des 23.07.2003 durch ein
neurochirurgischen OP-Team bestand jedoch — wie die Bekundungen des Zeugen Dr.
T4 ergeben haben — aufgrund der personellen Ausstattung zum Zeitpunkt der ersten
Anfrage nicht. Als sie sich während der zweiten Anfrage aus dem Krankenhaus in C
ergab, ist der Patient unverzüglich im Hause der Beklagten zu 2) aufgenommen und
operativ versorgt worden.
5.
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Dass am Abend des 23.07.2003 im Hause der Beklagten zu 2) kein weiteres
neurochirurgischen Operationsteam zur Verfügung stand, beruht schließlich — wie das
Landgericht zu Recht ausgeführt hat — nicht auf einem Organisationsverschulden der
Beklagten.
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Die öffentlich-rechtlich geregelte Verpflichtung eines Krankenhauses, alle
behandlungsbedürftigen Patienten — mit Vorrang für Notfallpatienten — entsprechend
seiner Aufgabenstellung zu versorgen, besteht in Nordrhein-Westfalen nach Maßgabe
der Feststellungen im Krankenhausplan der Landesregierung (§ 2 I 1 und 2 KHG NW).
Auf seiner Grundlage hatte das in der Tragerschaft der Beklagten zu 2) stehende
Klinikum Nord als Krankenhaus der Maximalversorgung hinsichtlich des angebotenen
Behandlungsspektrums - und eingebunden in die Notfallversorgung im Bereich E1 —
seinen Auftrag gegenüber der Bevölkerung zu erfüllen. Die organisatorischen
Vorkehrungen der Beklagten — insbesondere für die Notfallversorgung - mussten sich
an diesem Versorgungsauftrag ausrichten und nicht — wie die Berufung fordert - die
ausnahmslose Behandlung aller im Einzugsgebiet des Klinikums "anfallenden"
Notfallpatienten zur gleichen Zeit gewährleisten. Weder das Klage- noch das
Berufungsvorbringen legt dar, dass die (nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme auch
am Abend des 23.07.2003) vorgehaltenen Notfallkapazitäten im Klinikum Nord
unzureichend gewesen wären, um den Versorgungsauftrag dieses Klinikums für
neurochirurgische Notfallpatienten nach Maßgabe des geltenden Krankenhausplans zu
erfüllen. Zu Recht hat das Landgericht im übrigen den Aussagen der im Notfalldienst
erfahrenen Zeugen entnommen, dass es sich bei dem unglücklichen Zusammentreffen
zweier neurochirurgischer Notfälle zur fast Zeitgleichen Versorgung im Klinikum Nord
mit daraus folgenden Kapazitätsproblemen ihrer Erfahrung nach um einen
Ausnahmefall gehandelt habe, so dass auch deshalb kein Anhalt für eine evidente
Versorgungslücke besteht. Dass schließlich keineswegs allein das Klinikum Nord für
die Versorgung aller neurochirurgischen Notfälle in E1 in Betracht kam (und
organisatorisch vorzusorgen hatte), sondern lediglich nach Maßgabe der
Krankenhausplanung des Landes an dem Versorgungsauftrag mit bestimmter Kapazität
beteiligt war, zeigt sich schließlich darin, dass die Rettungseinsatzkräfte auch bei
konkreten anderen Kliniken des örtlichen Umfeld nach der dortigen
Aufnahmemöglichkeit bezüglich des Notfallpatienten anfragten.
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Im Ergebnis ist die Klage nach alledem zu Recht abgewiesen worden.
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