Urteil des OLG Hamm vom 26.02.2002

OLG Hamm: besitz, anstalt, gewahrsam, herausgabe, ausstattung, marke, behörde, tausch, auflage, ermessensspielraum

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Vorinstanz:
Oberlandesgericht Hamm, 1 Vollz (Ws) 323/01
26.02.2002
Oberlandesgericht Hamm
1. Strafsenat
Beschluss
1 Vollz (Ws) 323/01
Landgericht Arnsberg, Vollz 288/00
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens 1. und 2. Instanz fallen dem Betroffenen zur
Last (§ 121 Abs. 1 u. 4 StVollzG).
Der Geschäftswert beträgt 100,- Euro.
G r ü n d e :
Der Betroffene verbüßt zur Zeit eine Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Werl.
Anlässlich einer Haftraumkontrolle am 23. August 2000 wurde festgestellt, dass er im
Besitz eines Radioweckers der Marke "Y" war, der in der Erlaubniskarte des Betroffenen
nicht eingetragen war. Das Gerät wurde daraufhin eingezogen und zur Habe des
Betroffenen verfügt. Nach den Feststellungen des zugleich eingeleiteten
Disziplinarverfahrens hatte sich der Betroffene diesen Radiowecker offensichtlich "im
Tauschwege" von einem Mitgefangenen verschafft.
Gegen die Entscheidung des Leiters der Justizvollzugsanstalt, den Radiowecker zur Habe
des Gefangenen zu nehmen, hat der Betroffene Widerspruch eingelegt. Dieser blieb
erfolglos, weil nach Auffassung des Präsidenten des Justizvollzugsamtes ein Gefangener
gemäß § 83 Abs. 1 StVollzG nur solche Sachen annehmen darf, die ihm von der Anstalt
oder mit deren Zustimmung überlassen worden sind. Eine solche Erlaubnis liege nicht vor.
Der dagegen gerichtete Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung hatte keinen
Erfolg, weil nach Auffassung der Strafvollstreckungskammer eine hinrei-
chende Begründung des Antrags nicht vorlag. Die gegen diese Entscheidung gerichtete
Rechtsbeschwerde des Betroffenen führte zur Aufhebung dieser Entscheidung, weil die
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von dem Betroffenen zur Begründung seines Antrags auf gerichtliche Entscheidung in
Bezug genommenen weiteren Vollzugsverfahren (hier: Vollz 214 u. 258/2000) von der
Strafvollstreckungskammer nicht dargestellt und berücksichtigt
worden waren. Der Senat hat deshalb mit Beschluss vom 13. Juli 2001 das Verfahren zur
erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht Arnsberg zurückverwiesen.
Die Strafvollstreckungskammer hat nunmehr mit Beschluss vom 20. November 2001 den
Leiter der Justizvollzugsanstalt verpflichtet, den am 1. September 2000 zur Habe verfügten
Radiowecker der Marke "Y" an den Antragsteller herauszu-
geben. Die Strafvollstreckungskammer hat dazu u.a. folgendes ausgeführt:
"Der vom Antragsteller gestellte Vornahmeantrag im Sinne von § 113 StrVollzG hat
Erfolg, weil der Antragsgegner zur Herausgabe des Wecker verpflichtet ist. Dies ergibt sich
aus § 19 StrVollzG. Gemäß § 19 Abs. 1 S. 1 StrVollzG darf der Gefangene seinen Haftraum
im angemessenem Umfang mit eigenen Sachen ausstatten. Diese Regelung regelt den
Besitz von Gegenständen zur Verbesserung des allgemeinen Lebenskomforts, zu denen
auch der Besitz eines Weckers gehört. Die Ausstattung des Haftraumes des Antragstellers
mit einem Wecker ist angemessen. Denn sie entspricht demjenigen, was einem
Gefangenen zur menschenwürdigen Gestaltung einer Privatsphäre zugestanden werden
muß bzw. im Hinblick auf die räumlichen Möglichkeiten der JVA zugestanden werden
kann. Es sind auch keine Ausschlußgründe i. S. von § 19 Abs. 2 StrVollzG ersichtlich. Dass
der Gegenstand die Sicherheit und Ordnung der Anstalt gefährden könnte, ist nicht
ersichtlich und auch vom Antragsgegner nicht vorgetragen worden.
Der Herausgabeverpflichtung der Behörde steht auch nicht die Regelung des § 83 Abs.
1 entgegen. Hiernach darf der Gefangene nur Sachen im Gewahrsam haben oder
annehmen, die ihm von Vollzugsbehörde oder mit ihrer Zu-
stimmung überlassen werden. Ohne Zustimmung darf er nur Sachen von geringem
Wert von einem anderen Gefangenen annehmen.
Dabei kann offenbleiben, ob hier die Regelung des § 83 Abs. 1 S. 1 StrVollzG
einschlägig ist oder es sich um einen Gegenstand im Sinne von § 83 Abs. 1 S. 2 StVollzG
handelt, der ohne Zustimmung der Vollzugsbehörde entgegen-
genommen werden darf. Denn jedenfalls wäre die Vollzugsbehörde auch dann zur
Zustimmung zur Überlassung des Weckers verpflichtet gewesen, wenn es sich hierbei
nicht um einen geringwertigen Gegenstand handelt. Denn die Kriterien, mit deren Hilfe die
Anstalt ihre positive oder negative Entscheidung zur Zustimmung zu treffen hat, ergeben
sich aus den allgemeinen Vorschriften betreffend den Gewahrsam von Sachen. Dazu
gehört auch § 19 StrVollzG (vgl. Carlies/Müller, Dietz, Strafvollzugsgesetz § 83 Rdnr. 1).
Aufgrund der Regelung des § 19 StrVollzG war der Antragsteller aber gerade nach dem
oben gesagten zum Besitz des Weckers berechtigt. Weil der Antragsgegner jedenfalls zu
Unrecht die Zustimmung zum Besitz des Weckers versagt hätte, war die Entscheidung, den
Wecker an sich zu nehmen und zur Habe zur verfügen rechtswidrig und dem Antragsteller
steht ein Anspruch auf Herausgabe des Weckers zu."
Gegen diese Entscheidung richtet sich die in zulässiger Weise eingelegte
Rechtsbeschwerde des Leiters der Justizvollzugsanstalt. Das Rechtsmittel war zur
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen und führt zur Aufhebung der
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angefochtenen Entscheidung, sowie zur Zurückweisung des Antrags auf gerichtliche
Entscheidung.
Die Entscheidung der Vollzugsbehörde, den Radiowecker zur Habe des Betroffenen zu
nehmen, beruht ersichtlich auf dem Umstand, dass der Betroffene diesen Gegenstand, der
offensichtlich nicht von geringem Wert i.S. von § 83 Abs. 1 Satz 2 StVollzG ist, ohne die
Zustimmung der Vollzugsbehörde von einem anderen Gefangenen angenommen hat.
Damit hat der Betroffene aber zweifelsfrei gegen
§ 83 Abs. 1 Satz 1 StVollzG verstoßen, denn er darf nur Gegenstände im Besitz oder
Gewahrsam haben oder annehmen, die ihm von der Vollzugsbehörde oder mit
deren vorheriger Zustimmung überlassen werden. Das gilt auch für Gegenstände, die ihm
von anderen Gefangenen - ggf. durch Tausch - überlassen werden. Eine solche
Zustimmung liegt hier indes nicht vor, so dass die Vollzugsbehörde dem Betroffenen den
Besitz des Radioweckers zu Recht entzogen hat.
Soweit die Strafvollstreckungskammer meint, auf das Fehlen der gemäß § 83 Abs. 1
StVollzG erforderlichen Zustimmung komme es nicht an, weil diese schon des-
halb hätte erteilt werden müssen, da aus § 19 StVollzG ein Recht zum Besitz des
Radioweckers folge, ist dies rechtsfehlerhaft.
Die Strafvollstreckungskammer geht dabei im Ansatz zwar zutreffend davon aus, dass im
Rahmen des § 83 StrVollzG möglicherweise auch die Kriterien des § 19 StVollzG zu
berücksichtigen sind, wenn der fragliche Gegenstand der Ausstattung des Haftraumes
dienen soll (vgl. Callies/Müller-Dietz, 9. Auflage, RNr. 1 zu § 83 StrVollzG).
Die Strafvollstreckungskammer verkennt aber, dass die Voraussetzungen des § 19
StrVollzG nicht alleiniger Maßstab für die Erteilung oder Verweigerung der Zustim-
mung sein können, sondern dafür auch andere Kriterien - wie allgemeine Vollzugs-
ziele, Unterbindung von Schwarzgeschäften und Abhängigkeiten zwischen Gefangenen
etc.- maßgeblich sein können.
Vor allem aber lässt die angefochtene Entscheidung außer Betracht, dass die Beurteilung
der Voraussetzungen des § 83 StrVollzG wie auch die dabei gege-
benenfalls mitzuberücksichtigenden Kriterien des § 19 StrVollzG zunächst allein Sache der
Vollzugsbehörde ist, der insoweit ein eigenverantwortlicher Beurteilungs-
spielraum zusteht. Die Strafvollstreckungskammer hat im Verfahren nach § 109 StrVollzG
lediglich zu prüfen, ob die Vollzugsbehörde ihr Beurteilungsermessen fehlerfrei ausgeübt
hat.
Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn für die Vollzugsbehörde keine andere
als die von der Strafvollstreckungskammer für richtig erachtete Entscheidung in Betracht
käme, der Ermessensspielraum des Vollzuges also "auf Null reduziert" wäre.
Dies ist unter den gegebenen Umständen vorliegend aber ersichtlich weder hinsichtlich der
allgemeinen Voraussetzungen des § 83 StrVollzG noch der Voraus-setzungen des § 19
StrVolllzG der Fall.
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Sofern der Betroffene noch nachträglich auf Erteilung der Zustimmung gem. § 83 StrVollzG
anträgt, wird die Vollzugsbehörde darüber unter Berücksichtigung obiger Grundsätze zu
entscheiden haben.
Der angefochtene Beschluss war deshalb aufzuheben und der Antrag des Betroffenen auf
gerichtliche Entscheidung zurückzuweisen.