Urteil des OLG Hamm vom 05.08.2008

OLG Hamm: psychiatrische untersuchung, selbstschädigung, grundstück, verhinderung, eng, vertretungsmacht, haus, bestätigung, entsorgung, krankheitsfall

Oberlandesgericht Hamm, 15 Wx 181/08
Datum:
05.08.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
15. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
15 Wx 181/08
Vorinstanz:
Landgericht Detmold, 3 T 345/07
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird zur
erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht
zurückverwiesen.
Gründe
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I.)
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Mit Beschluss vom 22.11.2007 hat das Amtsgericht nach Einholung eines
Gutachtens des Sachverständigen Leitz für den Betroffenen eine Betreuung
angeordnet. Für die Aufgabenkreise Gesundheitsfürsorge,
Aufenthaltsbestimmung, Wohnungsangelegenheiten, Vertretung gegenüber
Ämtern, Behörden und Versicherungen, Postangelegenheiten und Organisation
sozialpflegerischer Dienste hat es den Beteiligten zu 2) zum Betreuer, für den
Bereich der Vermögensangelegenheiten den Beteiligten zu 3) zum
Zusatzbetreuer bestellt.
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Anlass für die Einleitung des Betreuungsverfahrens war ein
ordnungsbehördliches Einschreiten gegen den Betroffenen. Dieser sammelt auf
dem von ihm bewohnten Hausgrundstück verschiedene Sachen in einem
Umfang, der zu einer erheblichen Vermüllung des Grundstücks und des Hauses
sowie einem damit einhergehenden massiven Ungezieferbefall (Ratten) geführt
hatte.
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Gegen die Anordnung der Betreuung hat der Betroffene Beschwerde erhoben.
Das Landgericht hat die Beteiligten zu 1) bis 3) mündlich angehört und ein
mündliches Ergänzungsgutachten des Sachverständigen Zimmer eingeholt.
Diesem ist der Betroffene zwar aufgrund von Kontakten aus den 90er Jahren
bekannt, eine psychiatrische Untersuchung des Betroffenen im Vorfeld des
landgerichtlichen Termins war dem Sachverständigen jedoch nicht möglich. Mit
Beschluss vom 06.03.2008 hat das Landgericht die Betreuung aufgehoben.
Hiergegen wendet sich der Beteiligte zu 4) mit der weiteren Beschwerde.
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II.)
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Die sofortige weitere Beschwerde ist nach den §§ 27, 29, 69g FGG statthaft sowie
formgerecht eingelegt.
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Die Beschwerdebefugnis des Beteiligten zu 4) ergibt sich unmittelbar aus § 69g
Abs.1 S.1 FGG.
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In der Sache ist die sofortige weitere Beschwerde begründet, da die Entscheidung
des Landgerichts auf einer Verletzung des Rechts beruht, § 27 Abs.1 FGG. Dies
führt zur Aufhebung der Entscheidung und der Zurückverweisung der Sache an
das Landgericht.
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In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist das Landgericht zutreffend von einer
zulässigen Erstbeschwerde der Beteiligten zu 1) ausgegangen.
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In der Sache hält die landgerichtliche Entscheidung der rechtlichen Prüfung
hingegen nicht stand. Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass § 1896
Abs.1a BGB der Anordnung einer Betreuung entgegensteht, weil der Betroffene in
der Lage sei, seinen Willen frei zu bestimmen. Diese Einschätzung ist von
Rechtsfehlern beeinflusst. Die Kammer hat die Voraussetzungen der Fähigkeit zur
freien Willensbildung zwar in Anlehnung an den Beschluss des OLG Köln vom
25.01.2006 (FGPrax 2006, 117f) zutreffend umschrieben. Bei der Subsumtion des
vorliegenden Falles unter diese rechtlichen Grundsätze hat sie jedoch den
Wertungsrahmen, der sich aus ihnen ergibt, einseitig in Richtung der
intellektuellen Einsichtfähigkeit in das Wesen einer rechtlichen Betreuung
verschoben.
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Entscheidend ist demgegenüber aber, wie das Landgericht eingangs der Gründe
auch zutreffend referiert hat, ob der Betroffene die Einsicht in den Grund, die
Bedeutung und Tragweite einer Betreuung entwickeln (BT-Drucks 15/2494, 28)
und im Weiteren auch entsprechend dieser Einsicht handeln kann
(Staudinger/Bienwald, BGB, Bearb. 2006, § 1896 Rdn.73). Die Einsichtsfähigkeit
in den Grund der Betreuung setzt dabei denknotwendig voraus, dass der
Betroffene seine Defizite wenigstens im Wesentlichen zutreffend einschätzen
kann. Nur dann ist es ihm nämlich möglich, die für und gegen eine Betreuung
sprechenden Umstände gegeneinander abzuwägen. Die Auffassung des
Landgerichts, der Betroffene sei zu einer solchen Abwägung noch fähig, wird
danach von seinen eigenen tatsächlichen Feststellungen nicht getragen. Denn
die Kammer hat, insoweit in Übereinstimmung mit beiden Sachverständigen,
festgestellt, dass der Betroffene aufgrund einer psychischen Erkrankung, die
jedenfalls die Voraussetzungen einer schwerwiegenden Persönlichkeitsstörung
erfüllt, nicht mehr in der Lage ist, seine Sammelleidenschaft und deren
Auswirkungen realistisch einzuschätzen. Auch habe er insoweit seine
Steuerungsfähigkeit verloren. Nach den genannten Kriterien ist der Betroffene
dann aber jedenfalls in dem Bereich der insoweit betroffenen Wohnungs- und
Grundstücksangelegenheiten zu einer freien Willensbildung nicht mehr in der
Lage.
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Auf diesem Rechtsfehler beruht die landgerichtliche Entscheidung, da sich ohne
weitere tatsächliche Feststellungen nicht ausschließen lässt, dass die
Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers jedenfalls hinsichtlich
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einzelner Aufgabenbereiche vorliegen. Das Vorliegen einer psychischen
Erkrankung ist nach den Feststellungen des Landgerichts ebenso zu bejahen, wie
ein Ausschluss der freien Willensbestimmung jedenfalls für die Bereiche, die die
Wohnsituation des Beteiligten zu 1) auf seinem Grundstück betreffen. Ob die
Beeinträchtigung des Betroffenen über diese Bereiche hinausgreift, ist derzeit
unklar und bedarf der weiteren Aufklärung. Es geht dabei weniger um die
medizinische Beurteilung der Krankheitsfolgen als vielmehr um die eher rein
tatsächliche Frage, inwieweit die krankheitsbedingte Sammelleidenschaft auch zu
selbstschädigenden Fehlreaktionen des Betroffenen in angrenzenden
Sachbereichen führt, etwa in finanziellen Angelegenheiten oder dem
Behördenverkehr.
Hiermit in tatsächlicher Hinsicht eng verbunden ist die Frage der
Betreuungsnotwendigkeit, wie er in der Stellungnahme des Beteiligten zu 3)
angesprochen wird. Nach dem bisherigen Stand der Feststellungen kann eine
Betreuung unter dem Aspekt der Notwendigkeit oder Verhältnismäßigkeit einer
Betreuung (§ 1896 Abs.2 BGB) allerdings nicht generell verneint werden. Im
Vordergrund der Betreuungsnotwendigkeit steht die Lebens- und Wohnsituation
des Betroffenen mit den sich hieraus ergebenden gesundheitlichen und
finanziellen Folgegefahren für den Betroffenen. Eine hinreichende Einflussnahme
war dem Beteiligten zu 3) und seiner Ehefrau gerade in diesem Punkt in der
Vergangenheit nicht möglich.
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Die Anordnung einer Betreuung für den Bereich der Wohnungs- und
Grundstücksangelegenheiten ist auch nicht von vorneherein ohne
Erfolgsaussichten. Entgegen der Einschätzung des Beteiligten zu 3) ist das
primäre Ziel einer Betreuung in dem genannten Bereich, wie bereits
angesprochen, die Verhinderung einer gesundheitlichen und wirtschaftlichen
Selbstschädigung des Betroffenen. Das Bewirken einer Verhaltensänderung bei
dem Betroffenen ist hierfür zwar wünschenswert, aber nicht zwingend erforderlich.
Vielmehr ist ein Betreuer aufgrund seiner gesetzlichen Vertretungsmacht
grundsätzlich in der Lage, auch ohne die aktive Mitwirkung des Betroffenen
geeignete Maßnahmen zur Verbesserung der Wohnsituation durchzusetzen.
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Zu berücksichtigen ist andererseits, dass der Beteiligte zu 3) sowohl vor
Anordnung der Betreuung als auch in seiner Funktion als Ergänzungsbetreuer
einiges für den Betroffenen erreichen konnte. Es bedarf daher näherer Erörterung
mit den Beteiligten, ob der Betroffene nunmehr eine weitergehende Hilfe seines
Schwagers, auch im Sinne einer regelmäßigen (Fremd-) Reinigung des
Grundstücks, zulassen kann, und der Beteiligte zu 3) sich in der Lage sieht, dies
zu veranlassen. Dabei bemerkt der Senat allerdings, dass Maßstab der
Betreuungsnotwendigkeit die Verhinderung einer finanziellen und
gesundheitlichen Selbstschädigung des Betroffenen und nicht die durch die
Ordnungsbehörde zu wahrenden Interessen ist. Die Hilfestellung im Sinne des
Veranlassens der Reinigung von Haus und Grundstück müsste daher deutlich
unterhalb der Eingriffsgrenze für die Ordnungsbehörde einsetzen, wenn noch von
einer einigermaßen geordneten, und damit auch kostengünstigeren Entsorgung
der gelagerten Gegenstände gesprochen werden kann.
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Je nachdem, welche Problembereiche und Hilfemöglichkeiten durch den
Beteiligten zu 3) und seine Ehefrau sich hier ergeben, könnte von der Bestellung
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eines Betreuers gänzlich abgesehen oder, wenn eine rein familiäre Hilfestellung
nicht hinreichend tragfähig erscheint, der Beteiligte zu 3), so er dem Landgericht
geeignet erscheint und er hierzu bereit ist, zum ehrenamtlichen Betreuer bestellt
werden. Soweit letzteres nicht in Betracht kommt, wäre allerdings die Bestätigung
der Betreuerbestellung jedenfalls für den Bereich der Wohnungs- und
Grundstücksangelegenheiten und, soweit diese Aufgabenstellung sonst leer
laufen würde, die Vermögens- und Behördenangelegenheiten in Betracht zu
ziehen. Im Übrigen, also insbesondere hinsichtlich Gesundheitsfürsorge und dem
hiermit zusammenhängenden Aufenthaltsbestimmungsrecht, sieht der Senat nach
Aktenlage im Hinblick auf die Hilfestellung durch den Beteiligten zu 3) und dessen
Ehefrau keinen akuten Betreuungsbedarf. Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich,
dass diese dem Betroffenen im Krankheitsfall ihre Hilfe verweigern würden.
Letztlich bleibt die Beurteilung auch dieser Frage jedoch dem Landgericht nach
Maßgabe seiner aktuellen Erkenntnisse vorbehalten.
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