Urteil des OLG Hamm vom 16.06.1998

OLG Hamm (kläger, abweisung der klage, vernehmung von zeugen, überwiegende wahrscheinlichkeit, ersatz, schmerzensgeld, schaden, acker, zpo, pferd)

Oberlandesgericht Hamm, 27 U 206/97
Datum:
16.06.1998
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
27. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
27 U 206/97
Vorinstanz:
Landgericht Dortmund, 5 O 154/97
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird - unter Zurückweisung des
Rechtsmittels im übrigen - das am 8. September 1997 verkündete Urteil
der 5. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund abgeändert.
Die Beklagte bleibt verurteilt, an den Kläger 2.993,16 DM nebst 4 %
Zinsen von 1.825,00 DM seit dem 25. Februar 1997 und von 1.168,16
DM seit dem 10. Mai 1997 sowie ein Schmerzensgeld von weiteren
2.000,00 DM zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten der ersten Instanz tragen der Kläger 60 %, die Beklagte
40 %.
Die Kosten der Berufungsinstanz werden dem Kläger zu 55 % und der
Beklagten zu 45 % auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
1
Der Kläger hat unter teilweiser Klagerücknahme von der Beklagten, auch im Wege der
Feststellungsklage wegen des Zukunftsschadens, vollen materiellen und immateriellen
Schadensersatz (Schmerzensgeldvorstellung: 4.500,00 DM) verlangt aufgrund eines
Unfalls am 28.12.1996 gegen 14.00 Uhr/14.30 Uhr in C auf der etwa 2,30 m breiten
Straße "B N", bei dem sein in eine Kutsche eingespanntes Pferd "P" bei Begegnung mit
dem von der Beklagten von der dortigen Reithalle weggeführten Fuchs "Surgutsch" so
durchging, daß das Gespann auf einen angrenzenden Acker geriet und umkippte. Dabei
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zog sich der Kläger einen Abriß sämtlicher Außenbänder am rechten Fußgelenk, eine
Fraktur des Außenknöchels, Knochenabsplitterungen am Innenknöchel sowie multiple
Prellungen zu, deretwegen er bis zum 30.03.1997 arbeitsunfähig war.
Der Kläger hat behauptet, der Fuchs mit einem ohne Sattel und Zaumzeug aufsitzenden
8 bis 10 jährigen Mädchen habe, als er von der Beklagten am Führstrick gehalten, das
Gespann erreicht gehabt habe, mit seiner Kruppe dagegen gedrückt, so daß er, der
Kläger, auf den Acker geraten sei. Da die Beklagte den Fuchs dann nicht mehr habe
halten können, sei dieser frei in Richtung der Stallungen galoppiert. Als "O" das
gesehen habe, sei in ihm der Herdentrieb erwacht, worauf er unkontrolliert mit der
Kutsche auf den tiefgefrorenen Acker ausgebrochen sei.
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Die Beklagte hat demgegenüber behauptet, der am Zügel geführte Fuchs "T" sei
gesattelt und voll aufgetrenst gewesen. Der Kläger sei ihr in hohem Tempo
entgegengekommen und habe vergeblich versucht "Ossi" durchzuparieren. Als die
Kutsche dabei in eine Feldfurche neben der Straße geraten sei, sei "P" in Panik
durchgegangen. Erst darauf habe sich ihr Fuchs nach rechts abgedreht und in Flucht zu
den Stallungen abgesetzt.
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Das Landgericht hat dem Kläger nach uneidlicher Vernehmung von Zeugen unter
Klageabweisung im übrigen hauptsächlich auf den materiellen Schaden 5.986,31 DM
sowie ein Schmerzensgeld von 4.000,00 DM zugesprochen und die Pflicht der
Beklagten zum Ersatz des künftigen immateriellen Schadens festgestellt. Zur
Begründung ist im wesentlichen ausgeführt: Der Kläger könne aus dem Gesichtspunkt
der Tierhalterhaftung gemäß §§ 833, 847 BGB von der Beklagten dem Grunde nach
vollen Ersatz beanspruchen, weil der Unfall nachweislich auf das Verhalten von "T"
zurückzuführen sei. Der entsprechenden Aussage des Zeugen L sei zu folgen, während
die Zeugen S und L keine verläßlichen Wahrnehmungen gemacht bzw. nicht
unparteiisch ausgesagt hätten. An materiellem Schadensersatz stünden dem Kläger
5.686,31 DM (rechnerisch richtig: 5,986,31 DM) zu; als Schmerzensgeld seien
4.000,00 DM angemessen. Das auf den Ersatz des künftigen immateriellen Schadens
gerichtete Feststellungsbegehren sei in Anbetracht der erlittenen Verletzungen des
Klägers begründet.
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Die Beklagte findet sich mit diesem Urteil, auf das wegen der Einzelheiten verwiesen
wird, nicht ab. Sie will die Abweisung der Klage erreichen.
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Die Beklagte rügt die Beweiswürdigung des Landgerichts und bezweifelt zudem einen
immateriellen Zukunftsschaden des Klägers.
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Die Beklagte beantragt,
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abändernd die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er verteidigt das angefochtene Urteil.
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Wegen des Vorbringens der Parteien im einzelnen wird auf den vorgetragenen Inhalt
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der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Der Senat hat die Parteien gemäß § 141 ZPO persönlich gehört und M O, I L sowie T L
als Zeugen uneidlich vernommen. Wegen des Ergebnisses wird auf den
Berichterstattervermerk zur Berufungsverhandlung verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung ist teilweise begründet.
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Die Beklagte schuldet als Tierhalter dem Kläger gemäß §§ 833, 847 BGB zwar
grundsätzlich Ersatz seines materiellen und immateriellen Schadens, dieser muß sich
jedoch gemäß § 254 BGB eine hälftige Anspruchsminderung gefallen lassen, weil ihn
die Tiergefahr seines Pferdes "P" belastet.
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Als Unfallursache steht unstreitig eine willkürliche durch "Surgutsch" ausgelöste
Reaktion von "P" und also eine typische Tiergefahr im Sinne von § 833 BGB fest, die
sich hier verwirklicht hat. Die von beiden Parteien problematisierte Frage, welches der
beiden Pferde die primäre Ursache gesetzt hat, ist nicht zu klären. Keine der Aussagen
der Zeugen, die unverkennbar im Lager der einen oder anderen Seite stehen und
dementsprechend die Unfallversion der jeweils ihnen nahestehenden Partei bestätigt
haben, verdient den Vorzug. Für eine bewußte Falschaussage in der einen oder
anderen Richtung gibt es keinen Anhalt. Daß die eine oder andere Version die ganz
überwiegende Wahrscheinlichkeit für sich hätte, kann man nicht sagen. Insoweit ist
auch mit einer von beiden Seiten in Anspruch genommenen Verhaltenstypizität von
Pferden nichts auszurichten, weil das ein konkret anderes Situationsverhalten nicht
ausschließt. Bei mithin gleichwertigen, einander widersprechenden Angaben der
Parteien und Aussagen der Zeugen muß die Streitfrage offen bleiben.
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Der rechtlichen Würdigung ist danach nur zu unterstellen, daß die Begegnung beider
Pferde wechselseitig unberechenbare Reaktionen ausgelöst hat, die schließlich auf
Seiten des Klägers zu einer unkontrollierten Fahrt des Gespanns über die
angrenzenden Äcker geführt hat, bei der die Kutsche umgekippt und der Kläger verletzt
worden ist. Mithin ist der Schaden nicht nur von "T" sondern auch von "P" verursacht
worden. Bei ungeklärtem Sachverhalt kommt nur eine gleiche Gewichtung der
Ursachenanteile in Frage. Im übrigen wäre der Verursachungsanteil von "T" selbst dann
nicht stärker zu gewichten, wenn der Fuchs primär auffällig geworden wäre, weil das
fest eingespannte Pferd "P" für das Gespann und also auch für den Kläger ein größeres
Gefahrenmoment bedeutete.
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Der Höhe nach ist der materielle Schaden des Klägers mit 5.986,31 DM unstreitig, der
Rahmen des ihm gebührenden Schmerzensgeldes steht ebenfalls außer Frage. Mit
Blick auf die ihm nach §§ 833, 254 BGB zuzurechnende Tiergefahr von "P" beschränkt
sich sein materieller Anspruch auf 2.993,16 DM und ein angemessenes
Schmerzensgeld auf 2.000,00 DM. Das auf Ersatz etwaigen künftigen materiellen
Schadens gerichtete Feststellungsbegehren unterliegt dagegen der Abweisung, weil die
leichten Verletzungen des Klägers ausgeheilt sind und kein brauchbarer Anhalt eines
möglichen Zukunftsschadens dargetan ist. Daß neuerdings geklagte
Rückenbeschwerden eines Bandscheibenvorfalls wegen mit dem Unfall zu tun hätten,
ist nicht zu erkennen und auch sonst nicht ansatzweise belegt.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92, 97, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
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Die Urteilsbeschwer liegt für beide Parteien unter 60.000,00 DM.
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