Urteil des OLG Hamm vom 01.04.2008

OLG Hamm: gewerbe, ordnungswidrigkeit, steuerstrafverfahren, eintrag, abgrenzung, nebenverdienst, pauschal, arbeitskraft, handwerk, berufsbild

Oberlandesgericht Hamm, 3 Ss OWi 167/08
Datum:
01.04.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
3. Senat für Bußgeldsachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 Ss OWi 167/08
Vorinstanz:
Amtsgericht Bielefeld, 39 OWi 73 Js 1710/07 – 947/07
Normen:
HandwO § 117; SchwarzArbG § 8
Leitsätze:
Zu den Anforderungen an die Feststellungen bei Verstößen gegen § 117
HandwO und § 8 SchwarzArbG
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden
Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über
die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Bielefeld
zurückverwiesen.
Gründe:
1
I.
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Das Amtsgericht Bielefeld hat die Betroffene mit den angefochtenen Urteil wegen
vorsätzlicher Ausübung des Friseurhandwerks als stehendes Gewerbe ohne Eintrag in
die Handwerksrolle zu einer Geldbuße von 1.500 € verurteilt.
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Das Amtsgericht hat folgende Feststellungen zur Sache getroffen:
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"In der Zeit vom 15.10.2003 bis zum 14.03.2007 bot die Betroffene in dem Alten- und
Pflegeheim "L" in der T-Straße in ####1 C Frisördienstleistungen an und führte diese
auch aus. Die Tätigkeit übte die Betroffene jeden 2. Mittwoch in der Zeit zwischen 05.30
Uhr 13.30 Uhr in ihr dafür von der Heimleitung zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten
aus.
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Erst auf einen entsprechenden Hinweis des Ordnungsamtes der Stadt C meldete die
Betroffene das Gewerbe am 06.03.2007 rückwirkend zum 15.10.2003 an.
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Die Betroffene übte die Frisörtätigkeit in vorgenannten Zeitraum auch aus, obwohl sie
wußte, daß sie nicht über einen Meistertitel für das Frisörhandwerk
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und die erforderliche Eintragung in die Handwerksrolle der Handwerkskammer P zu C
verfügte.
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Erst am 05.03.2007 wurde die Betroffene aufgrund einer Ausnahmebewilligung gemäß
§ 7 b HandwO in die Handwerksrolle eingetragen.
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In dem vorgenannten Tatzeitraum erzielte die Betroffene Einkünfte in Höhe von
insgesamt 10.446,00 Euro.
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Im einzelnen stellte die Betroffene folgende Beträge in Rechnung:
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Monat in Rechnung gestellte Beträge (netto=brutto)
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Okt 03 127,00 €
13
Nov 03 115,00 €
14
Dez 03 223,00 €
15
Jan 04 305,00 €
16
Feb 04 263,00 €
17
Mrz 04 340,00 €
18
Apr 04 248,00 €
19
Mai 04 262,00 €
20
Jun 04 262,00 €
21
Jul 04 241,00 €
22
Aug 04 252,00 €
23
Sep 04 359,00 €
24
Okt 04 285,00 €
25
Nov 04 224,00 €
26
Dez 04 231,00 €
27
Jan 05 327,00 €
28
Feb 05 245,00 €
29
Mrz 05 380,00 €
30
Apr 05 333,00 €
31
Mai 05 290,00 €
32
Jun 05 339,00 €
33
Jul 05 248,00 €
34
Aug 05 426,00 €
35
Sep 05 180,00 €
36
Okt 05 265,00 €
37
Nov 05 228,00 €
38
Dez 05 124,00 €
39
Jan 06 210,00 €
40
Feb 06 67,00 €
41
Mrz 06 368,00 €
42
Apr 06 158,00 €
43
Mai 06 231,00 €
44
Jun 06 219,00 €
45
Jul 06 230,00 €
46
Aug 06 283,00 €
47
Sep 06 278,00 €
48
Okt 06 214,00 €
49
Nov 06 284,00 €
50
Dez 06 335,00 €
51
Jan 07 194,00 €
52
Feb 07 253,00 €
53
SUMME: 10.446,00 €
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Bislang hat die Betroffene diese Einnahmen nicht versteuert. Aufgrund einer
entsprechenden Selbstanzeige der Betroffenen wurde gegen sie zwischenzeitlich ein
Steuerstrafverfahren eingeleitet."
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Das Amtsgericht hat weiter ausgeführt:
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"Nach den getroffenen Feststellungen hat sich die Betroffene einer Ordnungswidrigkeit
nach § 117 Abs. 1 Nr. 1 HandwO schuldig gemacht. Denn sie hat entgegen § 1 Abs.1
Satz 2 HandwO das Frisör-Handwerk als stehendes Gewerbe ausgeübt, obwohl sie
wusste, dass sie nicht über den erforderlichen Meistertitel und den Eintrag in die
Handwerksrolle verfügte."
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Das Amtsgericht hat einen Verstoß gegen § 8 Abs. 1 Nr. 1 e) SchwarzArbG mangels
erheblichen Umfangs der erbrachten Dienstleistungen als nicht gegeben erachtet und
sich zur Begründung ausgeführt, dass es sich lediglich um einen geringen
Nebenverdienst der Betroffenen mit durchschnittlich 254,78 Euro brutto/Monat gehandelt
habe, womit sie unter der Geringfügigkeitsgrenze des § 8 Abs. 1 SGB IV liege. Auch
habe die Arbeitszeit nur 2 ½ Stunden pro Woche betragen.
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Die Staatsanwaltschaft Bielefeld und die Betroffene erheben mit ihren
Rechtsbeschwerden jeweils die Sachrüge.
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II.
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Die Rechtsbeschwerden sind gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG statthaft und im
Übrigen zulässig. Sie führen auf die erhobene allgemeine Sachrüge zur Aufhebung des
angefochtenen Urteils in vollem Umfang und zur Zurückverweisung an das Amtsgericht
Bielefeld.
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1.
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Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen und der Staatsanwaltschaft (§ 46 OWiG
i.V.m. § 301 StPO) war das Urteil aufzuheben, soweit die Betroffene verurteilt worden ist.
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Die getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung der Betroffenen wegen einer
Zuwiderhandlung gegen § 117 Abs. 1 Nr. 1 HwO i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 HwO nicht.
Gemäß § 46 OWiG, § 267 Abs. 1 S. 1 StPO müssen die Urteilsgründe auch bei
Verurteilung wegen einer Ordnungswidrigkeit die für erwiesen erachteten Tatsachen
angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Ordnungswidrigkeit gefunden
werden. Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht, weil die
Urteilsgründe dem Rechtsbeschwerdegericht bereits nicht die Prüfung erlauben, dass
die Betroffene den äußeren Tatbestand der genannten Ordnungswidrigkeit erfüllt hat.
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Die Feststellungen enthalten nicht die insoweit erforderliche Darlegung, welche
handwerklichen Arbeiten im Einzelnen die Betroffene ohne Eintragung in die
Handwerksrolle im Rahmen eines stehenden Gewerbes ausgeführt hat, und zwar für
jeden Auftrag, nach Art, Umfang, Zeit und Ort (vgl. Senat, Beschluss vom 18.02.2008 – 3
SsOWi 51/08; m.w.N.). Dieser Darlegungen bedarf es zur Überprüfung, ob die
Leistungen dem Kernbereich des jeweiligen Handwerks zuzuordnen sind und in
erheblichem Umfang vorgenommen wurden, und deshalb hierzu die Eintragung in die
Handwerksrolle notwendig war. Arbeitsvorgänge, die beispielsweise auch aus der Sicht
des vollhandwerklich arbeitenden Betriebes dieser Sparte als untergeordnet und damit
vom Typ her gesehen als unwesentlich erscheinen, vermögen die Annahme eines
handwerksfähigen Betriebes nicht zu begründen. Das betrifft Tätigkeiten, die wegen
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ihres geringen Schwierigkeitsgrades schon nach kurzer Anlernzeit ausgeführt werden
können und die allein den Randbereich des jeweiligen Handwerks erfassen (vgl. zur
Abgrenzung § 1 Abs. 2 S. 2 HwO; Senat a.a.O.), wobei im vorliegenden Fall auch
wertend auf das in § 2 Friseur-MstrV (BGBl. 2001 I, S. 638) zum Ausdruck gebrachte
Berufsbild zurückgegriffen werden kann (vgl. Senat a.a.O.).
In dem angefochtenen Urteil wird lediglich pauschal festgestellt, dass die Betroffene
Friseurdienstleistungen anbot und ausführte, eine genauere Darlegung der Tätigkeiten
nach Art und Umfang mit einer Abgrenzung zwischen den für das Gewerbe
wesentlichen und nebensächlichen Tätigkeiten fehlt dagegen. Es spricht zwar vieles
dafür, dass mit "Friseurdienstleistungen" für das Gewerbe wesentliche Tätigkeiten
gemeint sind. Das ist im vorliegenden Fall erst recht naheliegend, weil die
Friseurtätigkeiten in Alterheimen – wie allgemein bekannt ist – zumeist an Personen
vorgenommen werden, die gerade nicht mehr zu einem auswärtigen Friseur gehen
können, so dass sie auf die "Volldienstleistung" im Heim angewiesen sind. Mit der
erforderlichen Klarheit ergibt sich das allerdings weder ausdrücklich noch aus dem
Gesamtzusammenhang der Urteilgründe.
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2.
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Soweit die Betroffene nicht (auch) wegen eines Verstoßes gegen § 8 Abs. 1 d) und e)
SchwArbG verurteilt worden ist, war das Urteil auf die Rechtsbeschwerde der
Staatsanwaltschaft aufzuheben.
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Das SchwarzArbG ist zum 01.08.2004 in Kraft getreten und damit jedenfalls auf einen
Teil des Tatzeitraums anwendbar.
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Zu Unrecht bewertet das Amtsgericht den "erheblichen Umfang" der Dienstleistungen
nur nach ihrer wöchentlich Dauer und der Höhe der durch sie erzielten Einnahmen.
Richtigerweise ist der erhebliche Umfang von Dienst- oder Werkleistungen im Sinne
von § 8 Abs. 1 Nr. 1 SchwarzArbG nach objektiven Maßstäben zu beurteilen.
Maßgeblich ist, ob die Arbeitskraft der Betroffenen für eine nicht zu kurze Zeit voll,
überwiegend oder laufend in Anspruch genommen wird, sowie die Dauer, Häufigkeit,
Regelmäßigkeit und Intensität der Arbeitsleistung und der Grad der dafür erforderlichen
Vorbildung, Verwendung von Hilfsmitteln und Material sowie der eventuelle Einsatz von
Hilfskräften. Dagegen kommt es nicht darauf an, ob dem Betroffenen durch die Tätigkeit
wirtschaftliche Vorteile in erheblichem Umfang zugeflossen sind; er kann auch Verlust
gemacht haben (vgl. Senat a.a.O.; OLG Hamm Beschl. v. 27.01.2006 – 4 SsOWi
887/05).
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Die getroffenen Feststellungen erlauben aufgrund ihrer Unvollständigkeit insoweit keine
eigene Sachentscheidung des Senats nach § 79 Abs. 6 OWiG.
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Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass nur ein vorsätzlicher Verstoß nach § 8 Abs.
1 SchwarzArbG bußgeldbewehrt ist (vgl. § 10 OWiG).
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3.
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Im Hinblick auf die aufgezeigten Rechtsfehler kann das angefochtene Urteil keinen
Bestand haben. Es war mit den zugrunde liegenden Feststellungen insgesamt
aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht Bielefeld zurückzuverweisen. Die
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Zurückverweisung an eine andere Abteilung desselben Amtsgerichts war nicht
angezeigt.
III.
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Der Senat weist zudem im Hinblick auf das eingeleitete Steuerstrafverfahren auf die
Regelung des § 84 Abs. 1 und 2 OWiG i.V.m. § 264 StPO hin.
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IV.
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Bei der erneuten Entscheidung wird das Amtsgericht auch über die Kosten des
Rechtsbeschwerdeverfahrens zu befinden haben.
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