Urteil des OLG Hamm vom 15.09.2000

OLG Hamm: letztwillige verfügung, verfügung von todes wegen, scheidung, erbvertrag, versicherungsschutz, rechtsschutzversicherung, form, rechtskraft, testament, beurkundung

Oberlandesgericht Hamm, 20 U 20/00
Datum:
15.09.2000
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
20. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 U 20/00
Vorinstanz:
Landgericht Münster, 15 O 333/99
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 11. November 1999
verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird
zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Entscheidungsgründe:
1
I.
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Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einer Rechtsschutzversicherung - vereinbart sind
die ARB 75 - auf Gewährung von Deckungsschutz für eine beabsichtigte
Haftpflichtklage ihrer Mutter H. R. gegen die Erbin des Notars B. in L. in Anspruch.
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Sie macht geltend, der Notar habe bei der Beurkundung eines Erbvertrages ihrer Eltern
H. und W. R. vom 06.11.1979 seine notarielle Belehrungs- und Betreuungspflicht
entsprechend § 17 BeurkG verletzt. Er habe seinerzeit gewußt, daß die Eheleute R. vor
einer Trennung standen. Gleichwohl habe er im Erbvertrag nicht für Klarstellung
gesorgt, daß - wie die Klägerin behauptet - die Vertragsparteien die erbvertragliche
Regelung auch für den Fall einer Scheidung ihrer Ehe aufrechterhalten wollten.
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Die Ehe der Eheleute R. wurde im Jahre 1981 rechtskräftig geschieden. Mitte der 80er
Jahre heiratete W. R. erneut und setzte durch Testament vom 10.01.1986 seine zweite
Ehefrau zur Alleinerbin ein. Am 01.12.1998 ist er verstorben.
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Im Rechtsstreit 16 O 100/99 LG Münster hat die Mutter der Klägerin vergeblich die
Feststellung ihrer Alleinerbenstellung nach dem Tode des W. R. begehrt. Die gegen
dessen zweite Ehefrau gerichtete Klage ist rechtskräftig abgewiesen worden.
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Die Beklagte verweigert Versicherungsschutz. Sie hält die Mutter der Klägerin nicht für
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mitversichert und beruft sich überdies darauf, daß der Versicherungsfall vorvertraglich
eingetreten sei.
Durch das angefochtene Urteil hat das Landgericht die Klage mit der Begründung
abgewiesen, die in der Klage als versicherte Person benannte Frau H. R. sei nicht
mitversichert.
8
II.
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Die gegen dieses Urteil gerichtete zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Die
Beklagte ist nicht zur Deckung der in dem von der Mutter der Klägerin beabsichtigten
Notarhaftungsprozeß anfallenden Kosten verpflichtet.
10
1.
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Zu Recht hat das Landgericht angenommen, daß Versicherungsschutz für die Mutter der
Klägerin nach § 27 Abs. 1 S. 4 ARB 75 nicht besteht. Ein innerer sachlicher Bezug
zwischen dem Rechtsschutz-Versicherungsfall und der Tätigkeit der Mutter der Klägerin
für deren landwirtschaftlichen Betrieb ist nicht gegeben.
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Erstmals in der Berufungsinstanz sind jedoch Gesichtspunkte vorgetragen worden, die
eine Agentenfehlberatung begründen können, aufgrund derer die Klägerin
beanspruchen kann, daß ihre Mutter von der Beklagten wie eine mitversicherte Person
behandelt wird. Unstreitig versichert die Beklagte im Rahmen des
Landwirtschaftsrechtsschutzes einen Altenteiler kostenfrei mit, wenn dieser im
Antragsformular eingetragen worden ist. Mit Schriftsatz vom 28.08.2000 hat die Klägerin
die Altenteilerstellung ihrer Mutter substantiiert begründet, was die Beklagte dazu
bewogen hat, die Mitversicherung der Frau H. R. als Altenteilerin zu policieren.
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2.
14
Selbst wenn man die Mutter der Klägerin wie eine mitversicherte Person ansähe, könnte
dies der Berufung jedoch nicht zum Erfolg verhelfen, weil der Versicherungsfall bereits
in unversicherter Zeit eingetreten und deshalb von der Beklagten nicht zu decken ist.
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Unstreitig besteht Versicherungsschutz aus dem von der Klägerin abgeschlossenen
Versicherungsvertrag ab 24.05.1993. Deshalb könnte eine Eintrittspflicht der Beklagten
allenfalls dann gegeben sein, wenn als Versicherungsfall der Tod des W. R. am
01.12.1998 anzunehmen wäre. Dieser von der Berufung vertretenen Rechtsauffassung
vermag der Senat indes nicht beizupflichten.
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Nach § 14 Abs. 1 ARB 75 gilt als Versicherungsfall der Eintritt des dem
Schadenersatzanspruch zugrundeliegenden Schadenereignisses.
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Der in der Rechtsschutzversicherung geführte Streit darüber, ob für die Definition des
Begriffs "Schadenereignis" auf die Schadenursache (hier: behauptetes
Notarfehlverhalten im November 1979) oder den zeitlich später eingetretenen
Schadeneintritt abzustellen ist (vgl. Harbauer, Rechtsschutzversicherung, 6. Aufl., § 14
ARB 75 Rdn. 11 ff.; Prölss-Martin, VVG, 26. Aufl., § 14 ARB 75 Rdn. 1 m.w.N.), bedarf im
Streitfall einer näheren Erörterung und Klärung nicht.
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Stellt man mit der Beklagten (unter Berufung auf OLG Düsseldorf r+s 1990, 88) bei
einem notariellen Fehlverhalten im Zusammenhang mit einer Beurkundung stets auf die
Schadenursache in Form der notariellen Pflichtverletzung ab, ist die Vorvertraglichkeit
des Versicherungsfalls evident.
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Sieht man demgegenüber - wozu der Senat neigt - als Versicherungsfall i.S.d. § 14 Abs.
1 ARB 75 erst das äußere Ereignis, das einen Schaden unmittelbar herbeigeführt hat,
gilt im Ergebnis nichts anderes. Der Versicherungsfall ist dann nämlich mit Eintritt der
Rechtskraft der Scheidung der Eheleute H. und W. R. am 16.10.1981 eingetreten.
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Der hier geltend gemachte Schaden resultiert aus der Vorschrift des § 2077 Abs. 1 S. 1
BGB. Danach ist eine letztwillige Verfügung, durch die der Erblasser seinen Ehegatten
bedacht hat, unwirksam, wenn die Ehe vor dem Tode des Erblassers aufgelöst worden
ist. Zwar betrifft die Vorschrift nach ihrem Wortlaut ("letztwillige Verfügung", vgl. § 1937
BGB) und ihrer systematischen Stellung (5. Buch, 3. Abschnitt: "Testament") nur die
einseitige Verfügung von Todes wegen, ist aber aufgrund der insoweit gleichartigen
Interessenlage nach § 2279 BGB auch auf den Erbvertrag anzuwenden. Das
maßgebende Ereignis i.S.d. § 2077 Abs. 1 S. 1 BGB ist nicht der Tod des Erblassers
oder - wie hier - einer Erbvertragspartei, sondern die Auflösung der Ehe vor dem Tod.
Mit der Auflösung der Ehe ist der Erbvertrag unwirksam geworden. Daraus folgt, daß für
die Mutter der Klägerin der aus der behaupteten notariellen Pflichtverletzung
entstandene Schaden bereits mit Rechtskraft der Scheidung im Jahre 1981 entstanden
ist.
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Entgegen der Berufung kann nicht davon ausgegangen werden, daß zum
Scheidungszeitpunkt lediglich eine Vorstufe des Schadeneintritts in Form eines
drohenden Schadens (Gefährdung) anzunehmen ist. Wäre die Klarstellung i.S.d. § 2077
Abs. 3 BGB im Erbvertrag erfolgt, hätte die Klägerin trotz Scheidung eine sichere
Rechtsposition im Hinblick auf die erbvertraglichen Regelungen behalten. Aufgrund des
behaupteten Notarfehlverhaltens hat sie diese Rechtsposition, die bis zur Scheidung
bestand, verloren. Bereits das ist ein Schaden. Es war nunmehr für die Klägerin
zumindest höchst unsicher, ob sie zu einem späteren Zeitpunkt in der Lage sein werde,
den Beweis dafür zu erbringen, daß der beidseitige Erblasserwille bei Abschluß des
Erbvertrages dahin ging, daß der Vertrag auch für den Fall einer späteren Scheidung
der Vertragspartner Gültigkeit behalten sollte. Tatsächlich hat die Klägerin - wie das
rechtskräftige Urteil des Landgerichts Münster vom 28.07.1999 (16 O 100/99) zeigt -
diesen Beweis nicht erbringen können.
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Da der Versicherungsfall bereits in vorvertraglicher Zeit eingetreten ist, kommt es auf die
zwischen den Parteien weiter erörterte rechtliche Streitfrage, ob die Beklagte den nach
Auffassung des Senats berechtigten Einwand mangelnder Erfolgsaussichten der von
der Mutter der Kläger beabsichtigten Haftpflichtklage (§ 17 Abs. 1 ARB 75) erstmals im
Deckungsprozeß vorbringen darf, nicht entscheidend an.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 und 713 ZPO.
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Die Beschwer der Klägerin beträgt 13.476,00 DM.
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