Urteil des OLG Hamm vom 23.02.2006

OLG Hamm: pflichtverteidiger, vertrauensverhältnis, wahlverteidiger, vollmacht, abberufung, verfahrensablauf, wechsel, sucht, verhinderung, gerichtsverhandlung

Oberlandesgericht Hamm, 2 Ws 53 u. 54/06
Datum:
23.02.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ws 53 u. 54/06
Vorinstanz:
Landgericht Bochum, 12 KLs 35 Js 334/05
Tenor:
Die Beschwerden werden auf Kosten der Beschwerdeführer als
unzulässig verworfen.
G r ü n d e :
1
Auf der Grundlage der umfangreichen Anklage der Staatsanwaltschaft Bochum vom 15.
November 2005 findet seit dem 9. Januar 2006 die Hauptverhandlung gegen C und
dessen Vater O vor dem Landgericht Bochum statt. Wegen des Umfangs des
Verfahrens, der Haftsituation und der zu erwartenden Dauer der Hauptverhandlung hat
der Vorsitzende der zuständigen 12. großen Strafkammer (Wirtschaftsstrafkammer) des
Landgerichts Bochum am 24. November 2005 Rechtsanwalt I aus C2 zum
Pflichtverteidiger des Angeklagten C, der zu diesem Zeitpunkt bereits durch
Rechtsanwalt H aus F als Wahlverteidiger verteidigt wurde, bestellt, jedoch ohne zuvor
den Angeklagten zur Person des zu bestellenden Pflichtverteidigers gehört zu haben.
2
Auf Vorschlag und auf Wunsch des Angeklagten ist sodann am 6. Dezember 2005
Rechtsanwalt M aus L als weiterer Pflichtverteidiger bestellt worden.
3
Die gegen die Bestellung des Rechtsanwalts I gerichtete Beschwerde des Angeklagten
vom 28. November 2005, die für diesen durch Rechtsanwalt H eingelegt und später
noch ergänzend begründet sowie auch von Rechtsanwalt M für den Angeklagten nach
seiner Beiordnung ergänzend begründet worden ist, ist durch ausführlichen
Senatsbeschluss vom 5. Januar 2006 (2 Ws 315/05), auf den Bezug genommen wird,
verworfen worden.
4
Mit Schriftsatz des Pflichtverteidigers M vom 9. Januar 2006 hat der Angeklagte
beantragt, die Bestellung von Rechtsanwalt I als Pflichtverteidiger zurückzunehmen und
ihm die Möglichkeit einzuräumen, an dessen Stelle einen zweiten Pflichtverteidiger
"seines Vertrauens" zu benennen.
5
Diesen Antrag auf Zurücknahme der Bestellung von Rechtsanwalt I hat der Vorsitzende
der Strafkammer durch Beschluss vom 12. Januar 2006, der am selben Tag, dem dritten
Tag der Hauptverhandlung, verkündet worden ist, zurückgewiesen. Zur Begründung hat
er zum einen auf den Senatsbeschluss vom 5. Januar 2006 Bezug genommen und zum
6
anderen dargelegt, dass ein gestörtes Vertrauensverhältnis zwischen dem Angeklagten
und Rechtsanwalt I weder hinreichend vorgetragen noch ersichtlich ist, zumal der
Angeklagte offenbar von vornherein die Anbahnung eines eventuellen
Vertrauensverhältnisses erst gar nicht ermöglichen will.
Hiergegen richtet sich die am 18. Januar 2006 beim Landgericht Bochum eingegangene
Beschwerde des Rechtsanwalts H vom 16. Januar 2006 sowie die am 19. Januar 2006
eingegangene und an diesem Tage als Anlage zum Protokoll genommene Beschwerde
des Rechtsanwalts M vom 18. Januar 2006.
7
Diesen Beschwerden hat der Vorsitzende der Strafkammer durch Beschluss vom
24. Januar 2006, der im Hauptverhandlungstermin an diesem Tage verkündet worden
und als Anlage zum Protokoll genommen worden ist, nicht abgeholfen.
8
Eine Beschwerde gegen die Ablehnung der Zurücknahme der
Pflichtverteidigerbestellung wäre dem Grunde nach zwar statthaft (vgl. den o.g.
Senatsbeschluss vom
9
5. Januar 2006 m.w.N.), gleichwohl sind die Beschwerden der Rechtsanwälte H und M
jedoch unzulässig.
10
Beide Beschwerdeführer haben ihre Beschwerden nämlich offensichtlich im eigenen
Namen eingelegt.
11
Zwar ist im Zweifel davon auszugehen, dass die Einlegung eines Rechtsmittels nicht im
eigenen Namen des Verteidigers erfolgt, sofern nicht gegenteilige Anhaltspunkte
bestehen (vgl. Senatsbeschluss vom 25. November 2004 in 2 Ws 302/04).
12
Aus den Gesamtumständen folgt indes, dass die Beschwerden hier nicht im Namen des
Angeklagten eingelegt worden sind.
13
Dies ergibt sich insbesondere aus folgenden Erwägungen:
14
Die frühere Beschwerdeeinlegung vom 28. November 2005 durch Rechtsanwalt H
gegen die Bestellung des Rechtsanwalts I erfolgte ausdrücklich namens und im Auftrag
des Angeklagten C.
15
Auch in dem von Rechtsanwalt H formulierten Antrag vom 11. Januar 2006, mit
welchem die Mitglieder der Strafkammer wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt
worden sind, ist klargestellt, dass die Ablehnung durch den Angeklagten C erfolgt.
16
Demgegenüber formuliert Rechtsanwalt H in seinem Beschwerdeschriftsatz vom 16.
Januar 2006 wie folgt: "lege ich ... Beschwerde ein.".
17
Gleiches gilt für die Formulierungen des Rechtsanwalts M.
18
Während er mit Schriftsatz vom 23. Dezember 2005 gegenüber dem Senat namens und
in Vollmacht seines Mandanten zur Frage der Entpflichtung des Rechtsanwalts I
Stellung nimmt und auch im Schriftsatz vom 9. Januar 2006 namens und in Vollmacht
des Angeklagten die Abbestellung des Rechtsanwalts I als
19
Pflichtverteidiger beantragt hat, formuliert er in seinem Beschwerdeschriftsatz vom 18.
Januar 2006 ausdrücklich: "lege ich ... Beschwerde ein.".
20
Ferner ist nach dem Gesamtzusammenhang des Vorbringens der beiden Verteidiger
und aufgrund ihres bisher gezeigten Prozessverhaltens der Verdacht nicht von der Hand
zu weisen, auch ein eigenes Interesse daran haben zu können, dass der zur
Verfahrenssicherung bestellte Rechtsanwalt I, mit dem sie offenbar jede
Zusammenarbeit ablehnen, wieder abberufen wird.
21
Weder dem Wahlverteidiger in eben dieser Eigenschaft (vgl. OLG Koblenz,
22
StV 1981, 530; Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 143 Rdnr. 7), noch dem
23
- weiteren - Pflichtverteidiger steht aber ein eigenes Beschwerderecht gegen die
Ablehnung der Zurücknahme der Pflichtverteidigerbestellung zu.
24
Allerdings ist letzterer Fall bislang nur in jener Konstellation entschieden worden, dass
sich der Pflichtverteidiger gegen die Ablehnung der Zurücknahme seiner eigenen
Bestellung wendet (vgl. OLG Bamberg, MDR 1990, 460; OLG Hamburg, NJW 1998, 621
m.w.N.). Da das Institut der Pflichtverteidigung jedoch dem Zweck dient, im öffentlichen
Interesse das justizförmige Verfahren zu sichern (vgl. OLG Bamberg a.a.O.), gilt nichts
anderes, wenn der weitere Pflichtverteidiger gegen die Ablehnung der Zurücknahme der
Bestellung des ersten Pflichtverteidigers vorgehen will. Die Sachlage ist insoweit mit der
im o.g. Senatsbeschluss vom 25. November 2004 entschiedenen Fallgestaltung
vergleichbar, als der Pflichtverteidiger im eigenen Namen gegen seine eigene
Entpflichtung eine - unzulässige - Beschwerde erhebt.
25
Demgemäß waren die Beschwerden der Rechtsanwälte H und M
26
- entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft - als unzulässig zu
verwerfen, wobei die Kosten der erfolglosen Rechtsmittel gemäß § 473 Abs. 1 StPO den
Beschwerdeführern aufzuerlegen waren.
27
Auch dem handschriftlichen Schreiben des Angeklagten selbst vom 16. Januar 2006
kann auch unter Beachtung entsprechender Anwendung des § 300 StPO nicht die
Einlegung einer Beschwerde gegen den Beschluss des Strafkammervorsitzenden vom
12. Januar 2006 entnommen werden, zumal er in erster Linie sein besonderes
Vertrauensverhältnis zu seinem Wahlverteidiger Rechtsanwalt H hervorhebt, darüber
hinaus auf seine Freiheit zur Verteidigerwahl, die ihm aber ohnehin nicht abgeschnitten
werden soll, hinweist und schließlich die Erwartung zum Ausdruck bringt, dass ihm eine
faire Gerichtsverhandlung zuteil wird, was sich allerdings von selbst versteht.
28
Selbst wenn man aber davon ausgehen würde, dass die Beschwerden der Verteidiger
vom 16. bzw. 18. Januar 2006 nicht im eigenen, sondern im Namen des Mandanten
erhoben worden sein sollen, und auch das Schreiben des Angeklagten selbst vom 16.
Januar 2006 als Beschwerde gegen den Beschluss vom 12. Januar 2006 anzusehen
wäre, wäre diesem Rechtsmittel der Erfolg zu versagen.
29
Insoweit gelten die Gründe des Senatsbeschlusses vom 5. Januar 2006 im
Wesentlichen fort. Ebenso kann auf die in jeder Hinsicht zutreffenden Gründe des
angefochtenen Beschlusses vom 12. Januar 2006 Bezug genommen werden.
30
Es ist zum einen nichts dafür vorgetragen worden, dass Rechtsanwalt I eine in seiner
Person liegende grobe Pflichtverletzung vorzuwerfen wäre, die zu seiner Entpflichtung
führen müsste (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 143 Rdnr. 3).
31
Der Zweck der Pflichtverteidigung, dem Beschuldigten einen geeigneten Beistand zu
sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, müsste
ernsthaft gefährdet sein. Allein Differenzen über den Inhalt und den Umfang der
Verteidigung reichen dabei grundsätzlich nicht aus, einen Wechsel des
Pflichtverteidigers bzw. seine Abberufung vorzunehmen. Dies folgt aus der rechtlichen
Selbstständigkeit des Verteidigers. Er ist Verteidiger, nicht Vertreter des Beschuldigten
(vgl. Senatsbeschluss vom 19. Januar 2006 in 2 Ws 296/05).
32
Es ist nichts dafür vorgetragen oder ersichtlich, dass Rechtsanwalt I die Verteidigung
unsachgemäß und nicht entsprechend dem Akteninhalt und dem weiteren
Verfahrensverlauf durchgeführt hat oder durchzuführen beabsichtigt.
33
Zutreffend ist im angefochtenen Beschluss auch bereits darauf hingewiesen worden,
dass nicht hinreichend dargelegt worden ist, das Vertrauensverhältnis zu Rechtsanwalt I
sei grundlegend gestört. Die Abberufung eines Pflichtverteidigers kann nicht schon
dann in Betracht kommen, wenn der Angeklagte dies wünscht. Anderenfalls hätte er es
in der Hand, jederzeit unter Berufung auf ein fehlendes Vertrauensverhältnis zu seinem
(Pflicht-)Verteidiger einen Verteidigerwechsel herbeizuführen, möglicherweise sogar um
verfahrensfremde Zwecke zu verfolgen (vgl. den o.g. Senatsbeschluss vom 19. Januar
2006; ferner Senatsbeschluss vom 26. Januar 2006 in 2 Ws 30/06).
34
Nichts anderes kann aber, worauf in dem angefochtenen Beschluss bereits
hingewiesen worden ist, dann gelten, wenn es der Angeklagte, möglicherweise auch mit
Unterstützung seiner "Verteidiger des Vertrauens", zu verhindern sucht, dass durch eine
entsprechende Verweigerungshaltung sich überhaupt ein Vertrauensverhältnis
entwickeln kann.
35
Aus dem Recht eines Angeklagten, sich von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens
verteidigen zu lassen, folgt nicht, dass bei jeder Verhinderung des gewählten
Verteidigers oder des "Pflichtverteidigers des Vertrauens" eine Hauptverhandlung
gegen den Angeklagten nicht durchgeführt werden könnte (vgl. auch BGH, Beschluss
vom 19. Januar 2006 in 1 StR 409/05). Angesichts der Haftsituation des Angeklagten ist
dabei u. a. auch das Gebot der Verfahrensbeschleunigung - bei Berücksichtigung der
berechtigten Interessen der Prozessbeteiligten – zu beachten.
36
Im Übrigen haben sich die vom Senat im Beschluss vom 5. Januar 2006 geäußerten
Bedenken gegen die jederzeitige Erreichbarkeit des Wahlverteidigers und seine
Möglichkeit, die Hauptverhandlungstermine wahrzunehmen, bereits am ersten
Hauptverhandlungstag bewahrheitet, da er verhindert war, an diesem Terminstag zu
verteidigen.
37
Auch die vom Senat bereits geäußerte Vermutung, die Hauptverhandlung werde nicht
nach den zunächst bis zum 3. März 2006 vorgesehenen 11 Hauptverhandlungstagen
beendet werden können, hat sich insofern bereits bestätigt, als bis Ende März 2006
sieben weitere Hauptverhandlungstage anberaumt werden mussten.
38
Soweit es der Vorsitzende der Strafkammer in seinem Nichtabhilfebeschluss vom
39
24. Januar 2006 abgelehnt hat, bei Entpflichtung des Rechtsanwalts I an dessen Stelle
Rechtsanwalt N2 aus N, der sich zwischen-zeitlich für den Angeklagten "bestellt" und
seine Beiordnung als Pflichtverteidiger beantragt hatte, beizuordnen, ist dem dem Senat
vorgelegten Sonderheft Pflichtverteidigerbestellung ein nach diesem Zeitpunkt
eingelegtes Rechtsmittel gegen diese Entscheidung nicht zu entnehmen.
40
Ebenso wenig bedarf es im vorliegenden Beschwerdeverfahren einer Entscheidung
darüber, ob Rechtsanwalt N2 seine Beiordnung auch als dritter Pflichtverteidiger
erstrebt. Darüber zu befinden ist zunächst allein Sache des Strafkammer-vorsitzenden
41