Urteil des OLG Hamm vom 17.07.2003

OLG Hamm: verordnung, obg, tierhalter, hilfsperson, halle, hund, belastung, rückwirkung, einzelrichter, vergleich

Oberlandesgericht Hamm, 3 Ss OWi 439/03
Datum:
17.07.2003
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
3. Senat für Bußgeldsachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 Ss OWi 439/03
Vorinstanz:
Amtsgericht Halle, 6 OWi 34 Js OWi 2069/02 L (39/02)
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Das Rechtsmittel wird auf Kosten der Betroffenen verworfen.
G r ü n d e :
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I.
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Das Amtsgericht Halle (Westfalen) hat gegen die Betroffene wegen fahrlässigen
Verstoßes gegen § 7 Abs. 3 i. V. m. § 16 Abs. 1 Nr. 6 der ordnungsbehördlichen
Verordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Gebiet
der Gemeinde T vom 28. Mai 1998 zu einer Geldbuße von 100,00 € verurteilt. Das
Amtsgericht hat hierzu folgende tatsächlichen Feststellungen getroffen:
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"Die Betroffene ist Eigentümerin und Halterin des Schäferhundrüden "Socco". Am
23. September 2002 lief der Schäferhund der Betroffenen gegen
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18.00 Uhr frei auf der Straße J C sowie auf nicht umschlossenen Feldern J-Straße
Bereich zwischen den Straßen J-Straße C und H HHhhHHHHHStraße J-Straße
Außenbereich von T umher, ohne dass die Betroffene oder eine sonstige
Aufsichtsperson dort anwesend war und ohne dass die Möglichkeit der Einwirkung
auf den Schäferhund durch die Betroffene oder eine andere Aufsichtsperson
gegeben war.
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Auf denselben Flächen bewegte sich der Schäferhund der Betroffenen dann erneut
frei und unangeleint umherlaufend am 24. September 2002 um 17.30 Uhr sowie am
30. September 2003 um 17.25 Uhr. Auch in diesen Fällen war jeweils keine
Aufsichtsperson zu sehen. Eine Einwirkungsmöglichkeit durch die Betroffene oder
eine andere Aufsichtsperson auf den Schäferhund bestand nicht."
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Gegen dieses Urteil wendet sich die Betroffene mit ihrer rechtzeitig eingelegten und
formgerecht begründeten Rechtsbeschwerde, deren Zulassung sie beantragt. Sie erhebt
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die Sachrüge und macht mit näheren Ausführungen geltend, die Regelung in § 7 Ziff. 3
der ordnungsbehördlichen Verordnung sei zu unbestimmt und deshalb unwirksam.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Antrag auf Zulassung der
Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.
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II.
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Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist gem. § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zur Fortbildung
des Rechtes geboten. Klärungsbedürftig ist die Frage der inhaltlichen Be-
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stimmtheit nach § 29 Abs. 1 S. 1 OBG NW der fraglichen ordnungsbehördlichen
Bestimmung in § 7 Abs. 3 der Verordnung.
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III.
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Der Rechtsbeschwerde bleibt jedoch in der Sache ein Erfolg versagt.
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Die in materiell-rechtlich nicht zu beanstandender Weise getroffenen Feststellungen des
angefochtenen Urteils tragen den Schuld- und den Rechtsfolgenausspruch.
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Entgegen der Auffassung der Betroffenen unterliegt die hier angewandte Vorschrift
keinen rechtlichen Bedenken, insbesondere ist sie hinreichend bestimmt. Dem
Bestimmtheitsgebot der Tatbestandsumschreibung ist dann genüge getan, wenn die mit
Geldbuße bedrohte Handlung ihrem Typus nach so genau gekennzeichnet ist, dass für
den Bürger grundsätzlich vorausschauend erkennbar ist, ob sein Handeln mit Geldbuße
geahndet werden könnte oder nicht (vgl. Göhler, Kommentar zum OWiG, 12. Aufl., Rdnr.
5 m. w. N.). Bei Bußgeldtatbeständen darf das Bestimmt-
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heitsgebot jedoch wegen der weniger einschneidenden Unrechtsfolgen als im Strafrecht
nicht überspannt werden. Eindeutige Klarheit, die keinen Auslegungszweifel entstehen
lässt, kann dabei nicht verlangt werden; vielmehr ist wegen der Vielgestaltigkeit der
denkbaren Lebensvorgänge eine zur praktischen Handhabung ausreichende
Bestimmtheit, die auch durch Auslegung zu ermitteln sein kann, genügend
(Rebmann/Roth/Hermann, Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, Kommentar, 3. Aufl.,
Rndrn. 4 f. zu § 3).
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Bei Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die ordnungsbehördliche Vorschrift des
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§ 7 Abs. 3, die lediglich lautet: "Tiere dürfen nicht ohne Aufsicht gelassen werden." noch
als hinreichend bestimmt anzusehen. Ihr Regelungsgehalt ist dahin zu verstehen, dass
Tiere im öffentlichen Bereich nicht ohne Aufsicht, d. h., Einwirkungsmöglichkeit des
verantwortlichen Halters oder dessen Hilfsperson sein dürfen. Aufgrund der
Verschiedenheit der in Betracht kommenden Tiere, vor allem jedoch der in Absatz 2
genannten Pferde und Hunde und ihrer Eigenarten, insbesondere ihrer individuellen
Gefährlichkeit und ihres Gehorsams gegenüber dem Halter oder dessen Hilfsperson, ist
eine nähere Eingrenzung praktisch kaum möglich. Während es für ein ruhiges
gezähmtes Tier ausreichend sein kann, dass sich der Aufsichtspflichtige in Sicht- und
Hörweite aufhält, weil das Tier auf Zuruf spontan gehorcht, kann es bei
temperamentvollen wenig gehorsamen Tieren die Aufsichtspflicht gebieten, das Tier an
einer Leine zu führen oder eventuell noch weitere sichernde Maßnahmen zu treffen.
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Jedenfalls hat der Tierhalter durch die jeweils geeignete Maßnahme bei der Aufsicht
sicherzustellen, dass durch das Verhalten des Tieres weder Gefahren noch Schäden für
andere ausgehen. Für den Bürger ist aufgrund der Regelung ohne weiteres erkennbar
und vorhersehbar, dass er den Bußgeldtatbestand erfüllt und sich ordnungswidrig
verhält, wenn er sein Tier ohne jegliche Kontroll- und Einwirkungsmöglichkeit frei und
sich selbst überlassen herumlaufen lässt. Dies gilt vorliegend auch für die Betroffene,
die nach den getroffenen Feststellungen ihren Hund ohne jegliche Aufsicht im
öffentlichen Bereich hat frei herumlaufen lassen und damit den Bußgeldtatbestand
ausgefüllt hat.
Die genannte Vorschrift ist ferner geeignet und erforderlich, um dem gegebenen
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Regelungszweck, nämlich den Schutz von Personen und anderer Tiere vor
Schädigungen und Gefährdungen, zu gewährleisten. Sie verstößt auch nicht gegen den
verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, denn Art und Umfang der dem
Tierhalter auferlegten Aufsichtspflicht stehen zu dem Zweck der Regelung, den Schutz
von Personen und anderen Tieren zu bewirken, in einem angemessen Verhältnis.
Aufgrund des hohen Wertes der zu schützenden Rechtsgüter und der verhältnismäßig
geringfügigen Belastung des Tierhalters durch die Aufsichtspflicht fällt die zu treffende
Abwägung eindeutig i. S. d. getroffenen Regelung des § 7 Abs. 3 der Verordnung aus.
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Schließlich ist die angewendete Norm auch nicht entgegen § 28 Abs. 2 OBG NW in
ihrer Anwendung durch die zur Tatzeit geltende Landeshundeverordnung Nordrhein-
Westfalen (LHV NW) verdrängt; insoweit bestimmt § 11 LHV NW ausdrücklich, dass
kommunale Rechtsvorschriften über das Halten von Hunden einschließlich von
Anleingeboten unberührt bleiben, soweit diese Vorschriften nicht gefährliche Hunde
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i. S. d. Vorschrift besonders betreffen. § 7 Abs. 3 der Gemeindeverordnung regelt
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die Beaufsichtigung von Hunden (und anderen Tieren) und gehört damit zum
Regelungsbereich des Haltens von Hunden. Dass sich die Beaufsichtigung als ein Fall
des Haltens darstellt, folgt aus der Regelung des § 3 LHV NW, der die Voraus-
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setzungen für das Halten bestimmter Hunde regelt und dabei in Absatz 4 die An-
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leinpflicht beim Führen von Hunden unter besonderen Voraussetzungen ausführt.
Dadurch zeigt sich, dass die Aufsichtspflicht für Hunde innerhalb desselben
Regelungsbereiches liegt, wie der gesondert ausgeführte Anleinzwang. Beide
Regelungsgegenstände stellen sich als Unterfälle des Haltens dar, so dass § 7
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Abs. 3 der Gemeindeverordnung durch die LHV NW nicht verdrängt ist.
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Das seit dem 01.01.2003 geltende Landeshundegesetz Nordrhein-Westfalen (LHundG
NRW), welches die LHV NW abgelöst hat, steht der Anwendung des § 7 Abs. 3 der
Gemeindeverordnung ebenfalls nicht entgegen. Eine Rückwirkung könnte allenfalls
insoweit in Betracht kommen, als das Landeshundegesetz als das mildere Gesetz i. S.
v. § 4 Abs. 3 OWiG anzuwenden wäre. Davon kann indes nicht ausgegangen werden,
denn in § 2 Abs. 1 LHundG NRW ist die allgemeine Beaufsichtigungspflicht für Hunde
ebenfalls normiert und für Zuwiderhandlungen eine weitaus höhere Bußgeldandrohung
in § 20 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 LHundG NRW vorgesehen (Geldbuße bis 100.000,00 € im
Vergleich zu 500,00 € nach der Gemeindeverordnung).
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Die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs auf die Sachrüge hin hat letztlich
ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Betroffenen ergeben.
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Die Rechtsbeschwerde war mithin mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 StPO
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i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG zu verwerfen.
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IV.
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Die Entscheidung über die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist gem. § 80 a Abs. 2
Satz 1 Nr. 2 OWiG durch den Einzelrichter, die Entscheidung über die zugelasse-
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ne Rechtsbeschwerde durch drei Richter ergangen (vgl. Göhler, OWiG, 12. Aufl., Rdnr. 4
zu § 80 a).
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