Urteil des OLG Hamm vom 08.12.2009

OLG Hamm (verbraucher, unternehmen, bezug, bezeichnung, begriff, uwg, werbung, gas, allgemeine bedingungen, stadt)

Oberlandesgericht Hamm, 4 U 128/09
Datum:
08.12.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 U 128/09
Vorinstanz:
Landgericht Bochum, 12 O 25/09
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 30. Juni 2009 verkündete
Urteil der 12. Zivilkammer Kammer für Handelssachen des Landgerichts
Bochum wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass es im Tenor zu 1 a
statt „eines Gasversorgungsunternehmens“ richtig „ihres
Gasversorgungsunternehmens“ und im Tenor zu 1 b statt „eines ….
Geschäftsbetriebes“ richtig „ihres … Geschäftsbetriebes“ heißt.
Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der
Klägerinnen durch Sicherheitsleistung in Höhe von 300.000,- EUR
abzuwenden, wenn nicht die Klägerinnen vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Tatbestand:
1
Die Klägerinnen versorgen die Einwohner der Städte X bzw. I, den Handel und das
ansässige Gewerbe mit Strom, Gas und Wärme. Die Klägerinnen sind zwar
privatrechtlich organisiert, Inhaber aller Geschäftsanteile bzw. Aktien sind aber die
Städte X, I und C.
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Die Beklagte befindet sich vollständig in privatem Besitz. Sie bietet Kunden
insbesondere über das Internet die Versorgung mit Gas an. Wegen ihres
Internetsauftritts wird insbesondere auf das Anlagenkonvolut S und B 1 Bezug
genommen.
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Die Klägerinnen sind der Ansicht, die Verwendung der Bezeichnung "Stadtwerke" in der
früheren Firmierung der Beklagten sowie in dem werblichen Hinweis, dass die Beklagte
ein modernes Stadtwerk sei, sei irreführend für die angesprochenen Verbraucher. Als
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"Stadtwerke" würden nach dem Verständnis der Verbraucher kommunale
Versorgungsunternehmen bezeichnet oder zumindest gemeindenahe Betriebe, die die
Grundversorgung der Bevölkerung mit Strom, Wasser und Gas abdeckten.
Das Landgericht hat durch Urteil vom 30. Juni 2009 antragsgemäß gegenüber der
Beklagten wie folgt für Recht erkannt:
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1.
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Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen,
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a) zur Förderung des Wettbewerbs Dienstleistungen eines
Gasversorgungsunternehmens unter Verwendung des Begriffs "Stadtwerke" wie
nachfolgende abgebildet zu bewerben
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b) den Begriff "Stadtwerke" zur Kennzeichnung oder als Teil der Kennzeichnung
eines auf die Erbringung von Dienstleistungen der Energieversorgung mit Erdgas
gerichteten Geschäftsbetriebes zu verwenden;
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2.
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Der Beklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die
Unterlassungsverpflichtungen gemäß vorstehenden Ziffern 1. a) und b) ein
Ordnungsgeld bis zu sechs Monaten angedroht, wobei die Ordnungshaft insgesamt
zwei Jahre nicht übersteigen darf;
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3.
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Die Beklagte wird verurteilt, den Klägerinnen unverzüglich Auskunft zu erteilen, in
welchem Umfang sie die vorstehend unter Ziffern 1. a) und b) genannten Handlungen
begangen hat, und zwar unter Angabe des Umfangs der betriebenen Werbung,
gegliedert nach Werbeträgern unter Angabe von Auflage, Verbreitungszeitraum und
Verbreitungsgebiet;
13
4.
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Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Klägerinnen allen Schaden zu
ersetzen, der diesen durch die vorstehend unter Ziffer 1. a) und b) genannten
Handlungen entstanden ist und möglicherweise noch entsteht;
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5.
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Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerinnen als Gesamtgläubiger 3.303,20 € nebst
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.02.2009 zu
zahlen.
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Das Landgericht hat eine Täuschung der Beklagten im Hinblick auf ihre geschäftlichen
Verhältnisse bejaht und ausgeführt, mit dem Begriff "Stadtwerke" assoziiere der Verkehr
ein Unternehmen der Daseinsvorsorge, das einen Bezug zum kommunalen Träger
ausweise. Der Verkehr erwarte eine Verbindung zu einer Stadt, die dieser eine
Einflussmöglichkeit auf die Geschäftspolitik verschaffe und die das Unternehmen in
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einer finanziellen Krise auffange. In vielen Fällen könne noch die Erwartung hinzu
kommen, dass die Erlöse jedenfalls teilweise der Gemeinschaft zugute kämen. Sollten
auch andere Unternehmen in rein privater Trägerschaft die Bezeichnung "Stadtwerke"
führen, habe dies in der Region auf das Vorstellungsbild der Verbraucher keinen
Einfluss genommen. Der Irreführung stehe nicht entgegen, dass die Firmierung der
Beklagten nicht auf eine konkrete Stadt hindeute. Auch in dem Falle bleibe es bei der
generellen Erwartung.
Das Landgericht hat auch die wettbewerbsrechtliche Relevanz der Täuschung bejaht.
Diese werde auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Verbraucher
möglicherweise erkennen könne, dass die Beklagte keinerlei Bezug zu einer Stadt
habe.
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Wegen des Inhaltes des Urteiles im Einzelnen wird auf Blatt 155 ff d.A. verwiesen.
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Gegen dieses Urteil hat die Beklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt, mit der
sie ihren Klageabweisungsantrag aus erster Instanz weiterverfolgt.
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Unter Ergänzung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages ist die Beklagte
weiterhin der Auffassung, dass der Verbraucher mit dem Begriff Stadtwerke lediglich ein
beliebiges Unternehmen der Daseinsvorsorge assoziiere. Deshalb führe der Gebrauch
dieses Begriffes durch die Beklagte den Verbraucher auch nicht in die Irre. Inzwischen
wiesen eine Reihe derartiger Unternehmen, die ebenfalls die Bezeichnung
"Stadtwerke" trügen, keine kommunale Beteiligung mehr auf. Die Beklagte wolle sich
lediglich in die übliche Terminologie ihrer Mitkonkurrenten einreihen. Selbst wenn aber
eine Irreführung in Betracht käme, so fehle ihr jedenfalls die wettbewerbsrechtliche
Relevanz. Darüber hinaus würde ein etwaiger Irrtum über eine angebliche
Verbundenheit der Beklagten mit einem städtischen Unternehmen zum Zeitpunkt der
endgültigen Marktentscheidung eines zunächst getäuschten Verbrauchers bereits
aufgeklärt.
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In ihrer Berufungsbegründung stellt die Beklagte dar, wie viele Kunden sie beliefere, wie
sie personell aufgestellt sei und aufgrund welcher Verträge die L GmbH von
Gaserzeugern Gas beziehe (vgl. im Einzelnen Berufungsbegründung Bl. 196 ff d.A.).
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Angesichts dieser geschilderten Umstände hält die Beklagte die Ansicht des
Landgerichts für überholt, der Begriff "Stadtwerke" sei für kommunale Unternehmungen
reserviert. Die Ansicht des Landgerichts sei auch deshalb nicht zu teilen, weil seit 2005
die Trennung des Netzbetriebes von den im Wettbewerb stehenden Aufgaben
"Erzeugung und Versorgung" vorgeschrieben sei. Zu berücksichtigen sei ferner, dass es
mittlerweile in Deutschland Stadtwerke gebe, die nicht mehr von Kommunen gehalten
würden (vgl. die Beispielsfälle in der Berufungsbegründung Bl. 197 ff d.A.).
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Die Beklagte behauptet, infolge intensiver Berichterstattung seien diese Fälle dem
Verbraucher auch bekannt, so dass er gerade keinen Bezug zu einem kommunalen
Träger mehr bei der Bezeichnung "Stadtwerke" erwarte.
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Nicht zu teilen sei ferner die Annahme des Landgerichts, die Kommunen hätten Einfluss
auf die Geschäftspolitik und die Städte fingen wirtschaftliche Krisen von Stadtwerken
auf. Von einer Insolvenzfestigkeit könne keine Rede sein. Dazu verweist die Beklagte
auf die Verordnung über allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von
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Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Gas aus dem Niederdrucknetz
(Kreisgrundversorgungsordnung) und die Vorschriften des Energiewirtschaftsgesetzes.
Die Insolvenz eines Anbieters wirke sich auf die Verbraucher nicht aus, weil der
Grundversorger die Versorgung übernehme. Selbst wenn die Beklagte insolvent werden
sollte, entstünde dem Kunden kein Schaden. Falsch sei auch die Annahme des
Landgerichts, dass in vielen Fällen erwartet werde, dass Erlöse jedenfalls teilweise der
Gemeinde zugute kämen.
Ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens hätte das Landgericht auch nicht
über das Vorstellungsbild der Verbraucher entscheiden dürfen. Ein demoskopisches
Gutachten hätte das von der Beklagten behauptete Verbraucherverständnis bestätigt.
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Nicht überzeugen könne auch die Ansicht des Landgerichts, es sei unerheblich, dass in
der Firmierung der Beklagten der Begriff "Stadtwerke" ohne Bezug zu einer Stadt stehe.
Das Landgericht habe unberücksichtigt gelassen, dass die Beklagte ausschließlich im
Internet werbe und auf den ersten Blick erkennbar sei, dass sie bundesweit tätig sei und
dass sie ein rein privates Unternehmen ohne kommunale Beteiligung sei.
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Hinsichtlich der wettbewerbsrechtlichen Relevanz einer Täuschung sei zu
berücksichtigen, dass es dem Verkehr nicht entscheidend darauf ankomme, dass ein
kommunaler Bezug bestehe. Es gebe keine Tatsachen dafür, dass kommunale
Unternehmen von Verbrauchern gegenüber privaten Unternehmen bevorzugt würden.
Auch hier habe das Landgericht nicht ohne Einholung eines
Sachverständigengutachtens davon ausgehen dürfen, dass Verbraucher mit
kommunalen Unternehmen nur Positives assoziierten. Entscheidend sei für den Kunden
allein der Preis.
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Die Beklagte beantragt,
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das Endurteil des Landgerichts Bochum vom 30. Juni 2009 aufzuheben und die
Klage abzuweisen.
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Die Klägerinnen beantragen,
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die Berufung zurückzuweisen und zwar mit der Maßgabe, dass es im Tenor zu 1 a
statt "eines Gasversorgungsunternehmens" richtig "ihres
Gasversorgungsunternehmens" und im Tenor zu 1 b statt "eines ….
Geschäftsbetriebes" richtig "ihres … Geschäftsbetriebes" heißt.
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Unter Ergänzung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages verteidigen die
Klägerinnen das angefochtene Urteil, das für sie in einer Reihe gleichartiger
Entscheidungen steht, wegen deren Auflistung im Einzelnen auf die
Berufungserwiderung Blatt 221 ff der Akten verwiesen wird.
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Die Beklagte vermenge auch die Fragestellungen. Die Grundversorgung der Kunden im
Falle der Insolvenz ihres Gasanbieters bedeute gerade nicht, dass Gasanbieter
insolvenzfest seien. Das vom Grundversorger geforderte Entgelt könne auf einem völlig
anderen Preisniveau liegen, als das vom Kunden mit dem Gasversorger vereinbarte
Entgelt. Das Landgericht habe auch kein Sachverständigengutachten zur Auffassung
der Verkehrskreise einholen müssen. Hier gehe es nicht um eine Tatsachenfeststellung,
sondern um die Anwendung eines speziellen Erfahrungswissens.
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Auch den Vorwurf der Beklagten, das Landgericht habe dem fehlenden lokalisierenden
Zusatz keine Bedeutung beigemessen, lassen die Klägerinnen nicht gelten.
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Zur Frage der wettbewerbsrechtlichen Relevanz der Irreführung betonen die
Klägerinnen, dass der Verbraucher mit dem Begriff Stadtwerke eine Vielzahl konkreter
Vorstellungen über die gesellschaftsrechtlichen Hintergründe, ihre Insolvenzfestigkeit,
ihre vorrangigen Aufgaben und unternehmerischen Ziele verknüpfe. Die Irreführung
durch die Beklagte führe zu einer Fehlvorstellung, die ohne weiteres geeignet sei, das
Marktverhalten der Verbraucher wesentlich zu beeinflussen.
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Wegen des Inhaltes der Parteivorträge im Einzelnen wird auf die gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
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Die Akte 4 U 129/09 OLG Hamm war beigezogen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Landgericht hat zu Recht gegen die
Beklagte in vollem Umfang erkannt.
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Die Verbotsanträge sind jedenfalls nach der Klarstellung durch die Klägerinnen im
Senatstermin hinreichend bestimmt, als sich das Verbot nunmehr auch sprachlich auf
den Geschäftsbetrieb der Beklagten ausdrücklich bezieht.
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Dem Verbotsantrag zu a) kommt auch im Vergleich zu dem Verbotsantrag zu b) ein
selbständiger Bedeutungsgehalt zu. Der Antrag zu a) richtet sich gegen die konkrete
Werbung. Der Antrag zu b) soll sich gegen die Firmierung richten. In der Werbung der
Beklagten kann aber zweifelhaft sein, ob der Begriff "Stadtwerke" firmenmäßig
gebraucht wird oder nur beschreibend (vgl. Internetausdruck Bl. 21 d.A.: "… Damit sind
wir ein modernes Stadtwerk. …"). Ist letzteres der Fall, würde das Verbot zu b) die
Werbung nicht erfassen. Von daher kann den Klägerinnen nicht abgesprochen werden,
die Werbung gesondert verboten wissen zu wollen. Andernfalls wären die Klägerinnen
nicht umfassend genug geschützt.
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Die Verbotsbegehren sind auch begründet.
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Den Klägerinnen steht ein Unterlassungsanspruch nach §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, 3, 5
Abs. 2 Nr. 3 UWG 2004 und 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 UWG 2008 zu. Das UWG 2004 ist hier
auch noch zu beachten, weil die Verletzungshandlung bereits im Dezember 2008 und
damit vor Inkrafttreten des UWG 2008 begangen wurde. Die Beklagte hat mit den
beanstandeten Bezeichnungen relevante irreführende Angaben über geschäftliche
Verhältnisse und die Eigenschaften ihres Unternehmens gemacht. Sie hat eine
unlautere Wettbewerbshandlung i.S.d. § 3 UWG 2004 bzw. eine unzulässige
geschäftliche Handlung i.S.d. § 3 Abs. 1 UWG 2008 begangen.
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Die sich aus § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG ergebende Klagebefugnis der Klägerinnen wird von
keiner Seite in Frage gestellt. Es ist unstreitig, dass zwischen den Klägerinnen als
regionalen Gasversorgungsunternehmen und der Beklagten als im Internet und damit
bundesweit tätigem Gasversorgungsunternehmen ein konkretes Wettbewerbsverhältnis
besteht.
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Die werbende Bezeichnung des Unternehmens der Beklagten mit "Stadtwerke" ist
zugleich eine Wettbewerbshandlung im früheren Sinne und eine geschäftliche
Handlung i.S.d. UWG 2008.
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In der Verwendung der beanstandeten Bezeichnung "Stadtwerke" in der früheren
Firmierung der Beklagten im Internet und in der Internetwerbung für günstiges Gas mit
der Aussage "damit sind wir ein modernes Stadtwerk" ist eine Irreführung in Form einer
Täuschung über ihre geschäftlichen Verhältnisse zu sehen. Die verwendete
Bezeichnung "Stadtwerke" für das Unternehmen der Beklagten im Internet ist in solcher
Weise irreführend, da sie jedenfalls von einer nicht unerheblichen Zahl der
angesprochenen Verkehrskreise falsch verstanden wird.
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Die von der Werbung der Beklagten angesprochenen Verkehrskreise sind die
Verbraucher, die ggf. auch im Internet nach einem günstigen Gasversorger suchen. Es
sind nicht nur regelmäßige und besonders erfahrene Internetnutzer, sondern es ist auch
jedermann, der sich gelegentlich im Internet oder sonstwie über besondere Angebote
oder aufgrund von Presseberichten auch gezielt über Angebote auf dem geöffneten
Gasmarkt informiert. Zu diesem Kreis können vermehrt auch ältere Menschen gehören,
worauf das OLG Bremen in der von den Klägerinnen vorgelegten Entscheidung (vgl.
Fotokopie Bl. 243 ff d.A.) zu Recht verweist. Es gibt deshalb keinen besonderen
Interessentenkreis. Vielmehr handelt es sich um die allgemeinen Verkehrskreise. Es
kommt somit darauf an, welche Vorstellungen sich die durchschnittlich informierten,
situationsbedingt aufmerksamen und angemessen verständigen Verbraucher von dem
Begriff "Stadtwerke" machen. Die Frage, wie die angesprochenen Verkehrskreise eine
bestimmte Werbung verstehen, kann zwar nicht i.S.v. § 291 ZPO offenkundig sein, weil
sich die Feststellung der Verkehrsauffassung auf Erfahrungswissen stützt. § 291 ZPO
betrifft indessen nur Tatsachen und nicht auch Erfahrungssätze. Der Richter kann das
Verkehrsverständnis aber ohne sachverständige Hilfe beurteilen, wenn er aufgrund
seines Erfahrungswissens selbst über die erforderliche Sachkunde verfügt (Ahrens, Der
Wettbewerbsprozess, Kap. 27 Rz. 4 ff m.w.N.). Dies ist im Allgemeinen der Fall, wenn er
selbst zu den angesprochenen Verkehrskreisen zählt, ist aber auch möglich, wenn er
durch die fragliche Werbung zwar nicht unmittelbar angesprochen wird, sein
Erfahrungswissen aber auch in diesem Falle nutzbar machen kann (BGH GRUR 2004,
244 - Marktführerschaft). Die Vorstellung dieser angesprochenen Verkehrskreise
können die Mitglieder des Senats nach diesen Grundsätzen hier sowohl als selbst
betroffene Verbraucher als auch aufgrund ihrer Lebenserfahrung selbst beurteilen. Die
Einholung eines demoskopischen Gutachtens zur Ermittlung des
Verkehrsverständnisses des streitgegenständlichen Begriffes war somit nicht
erforderlich.
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Den durchschnittlich informierten Verbrauchern ist aber bekannt, dass man als
"Stadtwerke" immer noch ein kommunales Unternehmen oder zumindest einen
gemeindenahen Betrieb bezeichnet, der mit städtischer Beteiligung die
Grundversorgung mit Strom, Wasser und Gas und oft auch die Abwasserentsorgung
abdeckt. Dem entspricht es, dass der Zusatz "städtisch" allgemein auf Beziehungen zu
einer Stadt hinweist (Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG 27. Aufl. § 5 Rz. 5.93) und
dass der Begriff Bundeszentrale auf eine behördliche Tätigkeit anspielt (Fezer/Peifer,
UWG § 5 Rz. 374; BGH GRUR 1980, 754 - Bundeszentrale für Fälschungsaufklärung).
"Stadtwerke" werden somit nicht allgemein als Synonym für Versorgungsunternehmen
aller Art angesehen. Es wird durchaus zwischen Stadtwerken und sonstigen (privaten)
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Versorgungsunternehmen unterschieden. Das macht insbesondere auch der vorgelegte
Text der Meldung der Tagesschau vom 11. Februar 2009 deutlich (vgl. Fotokopien Bl.
11 ff d.A.). Zwar mögen solche Stadtwerke im Allgemeinen auf die Kommune Bezug
nehmen, in der sie zumeist ausschließlich tätig sind. Ebenso mag der maßgebliche
Verbraucher wissen, dass sich der Gasmarkt wie andere Märkte auch der
Energieversorgung öffnet und dass sich zunehmend private Anbieter in den Wettbewerb
einschalten. Ungeachtet dessen führt aber das Verkehrsverständnis von dem, was
"Stadtwerke" sind, weiterhin dazu, dass der Verkehr auch dann einen Bezug zu einer
Stadt oder mehreren Städten und somit einen irgendwie gearteten kommunalen Bezug
eines Unternehmens annimmt, wenn sich dieses wie hier früher die Beklagte als "L
Stadtwerke" bezeichnet. Auch wenn der Verkehr den genauen Bezugspunkt zu einer
bestimmten öffentlichen Hand hier nicht erkennt, verbindet er damit jedenfalls kein rein
privates Unternehmen, das erst unlängst gegründet worden ist und nie in einem Kontakt
zu einer Kommune gestanden hat wie die Beklagte. Daran ändert es auch nichts, dass
einzelne Stadtwerke sogar mehrheitlich ihre Anteile an private Investoren übertragen
haben. In einem solchen Falle können sie zudem auch gerade das Recht verlieren, sich
als "Stadtwerke" bezeichnen zu dürfen. In dem Fall der Stadtwerke C2 (swb AG) hat
beispielsweise das OLG Bremen im vorliegenden Beschluss vom 22. Oktober 2009 (Az.
2 W 92/09 = Bl. 243 ff d.A.) der swb AG untersagt, in ihrer Firmierung den Bestandteil
"swb" weiterhin zu verwenden, weil gerade auch ältere Verbraucher damit immer noch
"Stadtwerke" verbinden würden, die mehrheitlich im Eigentum der Stadt stehen.
Allerdings ist diese Entscheidung des OLG Bremen für den vorliegenden Fall nur von
begrenzter Aussagekraft. Denn die Beklagte würde wohl selbst eine Irreführung
bejahen, wenn sie sich einen Ortszusatz gegeben hätte. Denn in dem fraglichen Kürzel
"swb" stand das "b" für Z. Infolgedessen ging es im Bremer Verfahren auch
hauptsächlich darum, ob der Verkehr das Kürzel als "Stadtwerke C2" auflöst.
Demgegenüber stellt die Beklagte hier entscheidend darauf ab, dass jeder Ortszusatz in
ihrer angegriffenen Bezeichnung fehlt. Die Beklagte möchte vielmehr in dem Begriff
"Stadtwerke", wenn er ohne Ortszusatz gebraucht wird, lediglich eine allgemeine
Beschreibung für ein beliebiges Unternehmen sehen, das die örtliche
Energieversorgung betreibt, also im Gegensatz wohl zu solchen
Versorgungsunternehmen, die den industriellen Bedarf bedienen. Eine solche
Umwandlung in einen konturlosen Begriff für die allgemeine örtliche Energieversorgung
hat der Begriff "Stadtwerke" aber noch nicht durchgemacht.
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Es ist außerdem fraglich, inwieweit solche Beteiligungen privater Investoren an
bestimmten Stadtwerken allgemein bekannt geworden sind. Außerdem geht es insoweit
in der Regel um die Fortführung von früher unter kommunaler Kontrolle stehenden
Unternehmen, bei denen die ihre Anteile veräußernde Stadt ihre Mehrheit sichern oder
jedenfalls Bedingungen stellen kann. Es kommt hinzu, dass gerade für eine nicht
unbeträchtliche Zahl der Verbraucher, die in Gemeinden wie C, I und X leben, in denen
die Stadtwerke noch ganz oder mehrheitlich in kommunaler Hand sind, der kommunale
Bezug von Stadtwerken nach wie vor außer Frage steht. Gerade auch bei diesen "spukt
in den Köpfen", dass eine kommunale Verbundenheit zu Stadtwerken besteht.
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Diese Verbrauchervorstellung entspricht nicht der Wirklichkeit. Die Beklagte hat als
junges, bundesweit tätiges Privatunternehmen keinerlei kommunalen Bezug. Durch die
unpassende Bezeichnung "Stadtwerke" wird kaschiert, dass es bei der Beklagten um
etwas völlig neues geht, das mit der Vorstellung der alten Stadtwerke, die noch bei einer
nicht unbeträchtlichen Anzahl von Internetnutzern und sonstigen Interessenten an der
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Gasversorgung verwurzelt ist, nicht zu vereinbaren ist. Bei der Verwendung der
Bezeichnung "Stadtwerke" oder "modernes Stadtwerk" durch die Beklagte besteht
jedenfalls die Gefahr, dass das private Gasversorgungsunternehmen der Beklagten mit
den herkömmlichen Stadtwerken in Beziehung gebracht wird. Die Gaskunden, die
jahrelang die Erfahrung im Umgang mit solchen Stadtwerken gemacht haben, erwarten
dann auch von der Beklagten schon deshalb gleiche Seriosität und Bonität. Es ist auch
gerade nicht so, dass sie sich über die Verhältnisse bei ihrem Gasversorger überhaupt
keine Gedanken machen, sondern nur den billigsten Anbieter suchen, wer immer es sei.
Das mag allenfalls bei einem Teil der Kunden so sein. Ein anderer nicht unerheblicher
Teil hält es aus den verschiedensten, teilweise auch emotionalen Gründen für wichtig,
ob der Versorger einen kommunalen Bezug hat wie die Stadtwerke oder ob er rein privat
tätig wird. Er geht davon aus, dass ein zuverlässiges am Gemeinwohl orientiertes
langfristiges Wirtschaften eher bei den kommunalen Versorgern Berücksichtigung findet.
Gerade bei solchen Versorgern meint er jedenfalls weit eher zu wissen, worauf er sich
mit einer Vertragsbeziehung in diesem sensiblen Bereich einlässt. Davon, dass ein
kommunales Unternehmen als Grundversorger ggf. die weitere Versorgung
sicherstellen muss, wenn das private Gasversorgungsunternehmen in Schwierigkeit
geraten sollte, weiß der Verbraucher in der Regel nichts. Auch in einem solchen Fall
kann es zu erheblichen Komplikationen für den Verbraucher kommen.
Diese Fehlvorstellung der angesprochenen Verkehrskreise, die sich hier durch die
Bezeichnung "Stadtwerke" bei der Beklagten ergibt, ist auch wettbewerbsrechtlich
relevant, nämlich geeignet, das Marktverhalten der Gegenseite, hier der Verbraucher zu
beeinflussen (BGH GRUR 2003, 628, 630 - Klosterbrauerei). Eine solche Relevanz ist
ohne weiteres gegeben, wenn es nach der Lebenserfahrung naheliegt, dass die
erzeugte Fehlvorstellung für die Marktentscheidung eines nicht unbeträchtlichen Teils
des Verkehrs von Bedeutung ist. Das ist hier der Fall. Wie schon ausgeführt wurde, ist
es nicht so, dass es den angesprochenen Verbrauchern, auch wenn sie ihr Gas
möglichst kostengünstig beziehen wollen, gleichgültig ist, wer die für die kontinuierliche
Versorgung erforderliche Dienstleistung erbringt. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der
angesprochenen Verbraucher, die aus Kostengründen zu einem Wechsel bereit sein
könnten, verknüpfen mit einem Versorgungsunternehmen mit einer kommunalen
Verbundenheit immer noch die Vorstellung von Verlässlichkeit und Seriosität sowie von
einer faktischen Insolvenzfestigkeit (BGH GRUR 2007, 1079 - Bundesdruckerei).
Entscheidend ist, dass die Verbraucher auch in Bezug auf die Entwicklung des
Gasmarktes eher bereit sind, sich bei einem Wechsel einem Unternehmen
anzuvertrauen, das nach ihrer persönlichen Einschätzung auf irgendeine Weise einen
kommunalen Bezug aufweist und sich jedenfalls von den herkömmlichen Stadtwerken
nicht vollkommen unterscheidet.
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Die für einen Verbotsausspruch erforderliche Wiederholungsgefahr ist hier durch die
Umfirmierung der Beklagten nicht weggefallen. Denn die Beklagte kann die
beanstandete Bezeichnung jederzeit wieder aufnehmen.
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Der Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten folgt aus § 12 Abs. 1 S. 2 UWG. Die
Höhe der Abmahnkosten ist von der Beklagten in ihrer Berechtigung nicht bestritten
worden.
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Der Anspruch der Klägerinnen auf Auskunft und Schadensersatz folgt aus § 9 UWG.
Denn die Beklagte hätte den irreführenden Charakter der beanstandeten Bezeichnung
als "Stadtwerke" ohne weiteres erkennen können.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Ziff. 10, 711
ZPO.
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Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 543 ZPO liegen nicht vor.
Es handelt sich um die Frage einer Irreführung im Einzelfall, ohne dass grundsätzliche
Rechtsfragen zur Irreführungsgefahr dabei angesprochen würden.
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