Urteil des OLG Hamm vom 16.03.2000

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Oberlandesgericht Hamm, 6 U 239/99
Datum:
16.03.2000
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
6. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 U 239/99
Vorinstanz:
Landgericht Arnsberg, 4 O 229/99
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 24.09.1999 ver-kündete
Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Arns-berg abgeändert.
Der Beklagte bleibt verurteilt, an die Klägerin 9.837,28 DM nebst 4 %
Zinsen seit dem 21.05.1999 zu
zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten der ersten Instanz tragen der Beklagte zu 2/3 und die
Klägerin zu 1/3.
Die Kosten der zweiten Instanz werden der Klägerin aufer-legt.
Die Beschwer der Klägerin: unter 10.000,00 DM.
Entscheidungsgründe:
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I.
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Der Beklagte und seine Freunde L und Q entwendeten in den frühen Morgenstunden
des 13.01.1996 nach einer gemeinsamen Zechtour in V vom Parkplatz eines
Gebrauchtwagenmarktes einen nicht zugelassenen und nicht haftpflichtversicherten
Pkw VW Golf Cabrio, mit dem sie nach X fuhren. Dort geriet das Fahrzeug von der
Fahrbahn ab und prallte gegen einen Baum. Der Beklagte und Q wurden schwer
verletzt; L verstarb einige Stunden später in der Klinik an den Unfallfolgen.
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Als Fahrer des Unfallfahrzeugs wurde der Beklagte vom Jugendschöffengericht Soest (8
Ls 25 Js 132/96) am 10. Juni 1997 u. a. wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung,
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fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von einem
Jahr auf Bewährung verurteilt; das Urteil wurde durch Rechtsmittelverzicht alsbald
rechtskräftig.
Als gesetzlicher Krankenversicherer des Q und L hat die Klägerin den Beklagten auf
Ersatz von 3/4 ihrer mit 19.674,55 DM bezifferten Aufwendungen, also auf 14.755,91 DM
nebst Zinsen in Anspruch genommen.
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Das Landgericht hat der Klage antragsgemäß stattgegeben.
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Mit der Berufung macht der Kläger geltend, er habe das Fahrzeug zur Tatzeit nicht
gefahren; auch unabhängig davon sei es aufgrund des gemeinschaftlichen Handelns
den beiden anderen Beteiligten und damit auch der Klägerin verwehrt, aus dem
Vorgang gegen ihn Schadensersatzansprüche herzuleiten. Hilfsweise erklärt er die
Aufrechnung mit eigenen Schmerzensgeldansprüchen und macht dazu geltend, wenn
er den beiden anderen Beteiligten hafte, so müsse umgekehrt auch Q ihm gegenüber für
die Unfallfolgen anteilig haften, weil er beim Diebstahl das Fahrzeug durch
Kurzschließen der Zündung in Gang gesetzt und damit eine wesentliche Ursache dafür
gesetzt habe, daß er - der Beklagte - bei dem Unfall ebenfalls verletzt worden sei.
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Entsprechend der vom Senat nur in eingeschränktem Umfang bewilligten
Prozeßkostenhilfe erstrebt der Beklagte mit der Berufung eine Reduzierung des
zuerkannten Betrages auf 9.837,28 DM; das entspricht der Hälfte der
Gesamtaufwendungen der Klägerin.
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Diese verteidigt das angefochtene Urteil.
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II.
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Die Berufung ist begründet, denn der Beklagte haftete gemäß §§ 7, 18 StVG, § 823 BGB
seinen Beifahrern, deren Ansprüche auf die Klägerin gemäß § 116 StGB X
übergegangen sind, nur auf Ersatz der Hälfte ihres Schadens.
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1.
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In tatsächlicher Hinsicht hat allerdings der Senat keinen Zweifel daran, daß es der
Beklagte war, der im Unfallzeitpunkt das gestohlene Fahrzeug geführt hat. Sein Schuh
ist nach dem Unfall unter dem Gaspedal eingeklemmt vorgefunden worden, und
gegenüber der überzeugenden Beweiswürdigung des Strafurteils, der sich der Senat in
vollem Umfang anschließt und das vom Beklagten auch alsbald durch
Rechtsmittelverzicht akzeptiert worden ist, sind keine Gesichtspunkte vorgebracht
worden, die im vorliegenden Rechtsstreit eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten.
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2.
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Das begründet aber unter den vorliegenden Umständen nur eine Haftung des Beklagten
für die Hälfte des seinen Beifahrern entstandenen Schadens. In dieser Höhe hat der
Kläger die erstinstanzliche Verurteilung hingenommen, nachdem der Senat ihm für die
zunächst beabsichtigte Berufungserweiterung, mit der er die volle Abweisung der Klage
erreichen wollte, die beantragte Prozeßkostenhilfe versagt hat.
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2.1
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Für die wechselseitige Haftung eines oder mehrerer Beteiligter für eine Schädigung aus
gemeinschaftlichem gefährlichen Handeln hat der BGH (vgl. BGHZ 34, 355; VersR 86,
578 mit kritischer Stellungnahme von Dunz, VersR 88, 4) folgende Grundsätze
aufgestellt, dessen sich der Senat angeschlossen hat (vgl. r + s 95, 58):
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Wird bei gemeinsamem gefährlichen Tun nicht ein außenstehender Dritter, sondern
einer der Beteiligten dadurch geschädigt, daß sich das gemeinsam ins Werk gesetzte
Gefahrenfeld aktualisiert hat, so gewinnt der Grundsatz Bedeutung, daß kein
allgemeines Gebot besteht, andere vor Selbstgefährdung zu bewahren. Beschränkt sich
die Rolle des für die Selbstschädigung des Geschädigten zur Mitverantwortung
herangezogenen "Schädigers" auf die bloße Teilnahmen an dem gefahrenträchtigen
Unternehmen, dann fehlt es an dem erforderlichen inneren Zusammenhang zwischen
dem Schadenerfolg und einer von dem "Schädiger" verletzten Verhaltensnorm, der es
rechtfertigen könnte, den Geschädigten anders zu behandeln, als wenn er das
Unternehmen für sich allein durchgeführt hätte und schon deshalb mit einem Schaden
allein belastet bliebe. Daß der Entschluß des Geschädigten zu dem gefährlichen Tun
gefördert worden ist, weil er das Unternehmen zusammen mit dem "Schädiger"
durchführen konnte, reicht allein nicht aus, diesen seinen Schaden mittragen zu lassen;
dessen Mithaftung kommt erst dann in Betracht, wenn er durch die Inanspruchnahme
einer übergeordneten Rolle als "Experte" und Wortführer im Verhältnis zum
Geschädigten eine Garantenstellung für die Durchführung des Unternehmens
übernommen oder einen zusätzlichen Gefahrenkreis für die Schädigung des anderen
eröffnet hat.
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2.2
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Eine derartige haftungsbegründende Sonderrolle übernimmt nach der Rechtsprechung
derjenige, der nach einer gemeinsamen Zechtour das Kraftfahrzeug führt, in dem er die
anderen Beteiligten mitnimmt. Jeder, der bei einer gemeinsamen Fahrt ein Kraftfahrzeug
führt, muß seinen Beifahrern die Gewähr für die Einhaltung der Verkehrsvorschriften und
die Beherrschung des Fahrzeugs bieten. Deswegen ist auch den Kraftfahrzeugführern,
die von solchen Beifahrern - etwa Ehegatten oder Mitgesellschaftern - auf
Schadensersatz in Anspruch genommen werden, denen gegenüber sie an sich
haftungspreviligiert sind, die Berufung auf den in diesen Verhältnissen geltenden
milderen Haftungsmaßstab versagt worden (vgl. BGHZ 46, 313; 53, 352; 61, 101; zur
besonderen Verantwortung des Fahrzeugführers vgl. auch BGH VersR 85, 965).
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2.3
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Auf den vorliegenden Fall angewandt bedeutet das, daß nur Schadensersatzansprüche
der bei der Klägerin versicherten Beifahrer gegen den Beklagten entstanden sind, nicht
aber umgekehrt Ansprüche des Beklagten gegen die Beifahrer, mit denen er mög-
licherweise aufrechnen könnte. Denn der Beklagte hatte es übernommen, den
gestohlenen Pkw zu führen. Sein Handlungs- und Verantwortungsanteil ging damit über
dasjenge hinaus, was jeder Beteiligte, wenn sich die gemeinsam übernommene Gefahr
durch Eintritt eines Schadens aktualisiert, für sich allein zu verantworten und zu tragen
gehabt hätte. Demgegenüber hat der Beifahrer Q keine derartige Sonderrolle
übernommen, selbst wenn er sich entsprechend der Behauptung des Beklagten bei der
gemeinsam geplanten Entwendung des Fahrzeugs durch besondere Sachkunde und
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entsprechenden praktischen Einsatz hervorgetan haben sollte. Denn seine hier zu
unterstellende Sonderrolle war nicht auf die Beherrschung der Unfallgefahr gerichtet,
die sich letztlich bei der anschließenden Fahrt verwirklicht hat, bei welcher der Beklagte
das Fahrzeug geführt hat.
2.4
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Der gegen den Kläger gerichtete Schadensersatzanspruch ist aber gemäß § 9 StVG
i.V.m. § 254 BGB, wie dem Grunde nach zwischen Parteien außer Streit ist, um den
Mitverschuldensanteil seiner Beifahrer zu kürzen. Dieser hat unter den Umständen des
vorliegenden Falles ein solches Gewicht, daß der von der Klägerin vorgenommene und
vom Landgericht gebilligte Anteil von 1/4 den Verhältnissen nicht gerecht wird.
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In den meisten zu dieser Frage veröffentlichten Entscheidungen hat das Mitverschulden
des Beifahrers, dem wegen des Mitfahrens bei einem angetrunkenen Fahrer zumindest
ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen war, je nach den Umständen des Einzelfalles zu
Anspruchskürzungen zwischen 25 % und 50 % geführt (vgl. OLG Hamm - 9. ZS - VersR
97, 126: 1/4; OLG Celle, VersR 82, 960: 1/4; OLG Oldenburg, VersR 98, 1390: 1/3; OLG
Koblenz, VersR 89, 405: 1/3; OLG Frankfurt; VersR 80, 287: 1/3; OLG Karlsruhe, VersR
90, 318: 2/5; OLG Koblenz, VersR 80, 238: 1/2; vgl. hierzu auch Berger, VersR 92, 168,
170). Der BGH hat die Bewertung des Mitverschuldens des Beifahrers mit 1/2 in einem
Fall (VersR 85, 965) als zu hoch angesehen, der dem vorliegenden nicht vergleichbar
war. Zum einen ging es dort nicht um alkoholische Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit,
sondern darum, daß der Fahrer - wie der Beifahrer wußte - das Fahrzeug gerade erst
erworben hatte und keine Fahrerlaubnis besaß; zum anderen war er 21 Jahre alt, so
daß von ihm ein ausgeprägteres Verantwortungsbewußtsein und eine größere
Lebenserfahrung erwartet werden mußte als von dem 15-jährigen Beifahrer. Hier waren
dagegen die Beteiligten etwa gleich alt; der Beklagte war der jüngste von ihnen. Seine
Beifahrer haben ihn nicht nur auf der vorangegangenen gemeinsamen Zechtour
begleitet, so daß sich ihnen die positive Kenntnis von der alkohlbedingten
Fahruntüchtigkeit des Beklagten aufdrängen mußte, sondern haben sich darüber hinaus
durch den gemeinsamen Diebstahl noch aktiv an der Beschaffung des Fahrzeugs für die
Heimfahrt beteiligt. Dem Senat erscheint deswegen eine Kürzung der
Schadensersatzansprüche auf die Hälfte sachgerecht. Dem hat der Beklagte durch
seinen der Prozeß-kostenhilfebewilligung angepaßten Berufungsantrag Rechnung
getragen.
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3.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 708 Nr. 10, 713, 546 ZPO.
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