Urteil des OLG Hamm vom 24.01.1997

OLG Hamm (antragsteller, 1995, pflichtverteidiger, stpo, schöffengericht, bezug, antrag, stellungnahme, körperverletzung, freiheitsstrafe)

Oberlandesgericht Hamm, 2 (s) Sbd. 5-241/96
Datum:
24.01.1997
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 (s) Sbd. 5-241/96
Vorinstanz:
Amtsgericht Dortmund, 76 Ls 50 Js 308/94 (55/95)
Tenor:
Dem Antragsteller wird - unter Zurückweisung seines weitergehenden
Antrags - anstelle seiner gesetzlichen Gebühren in Höhe von insgesamt
740,- DM eine Pauschvergütung von 1.100 DM (in Worten:
eintausendeinhundert Deutsche Mark) bewilligt.
Gründe:
1
I.
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Dem früheren Angeklagten wurden im vorliegenden Verfahren u.a. eine
Körperverletzung zur Last gelegt. Er ist deshalb durch Urteil des Schöffengerichts ... am
9. Juni 1995 - wegen fahrlässiger Körperverletzung - zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr
und sechs Monaten verurteilt worden. Hiergegen haben die Staatsanwaltschaft und der
Angeklagte Berufung eingelegt. Das Verfahren ist dann am 5. Juli 1996 vom
Landgericht auf Antrag des Staatsanwaltschaft außerhalb der H. [xxxxx] gem. §154 Abs.
2 StPO eingestellt worden, nachdem der ehemalige Angeklagte zwischenzeitlich wegen
Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 8 Jahren verurteilt worden war.
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Der Antragsteller hatte nach Anklageerhebung am 26. August 1994 seine Beiordnung
als Pflichtverteidiger beantragt, die vom Amtsgericht (zunächst) abgelehnt worden ist.
Deshalb nahm der Antragsteller an den auf den 12. September 1994 anberaumten
(ersten) Hauptverhandlungstermin nicht teil. In diesem wurde der ehemalige
Angeklagten u.a. wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 2
Jahren ohne Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Hiergegen legte der ehemalige
Angeklagte Revision ein, die der Antragsteller für den ehemaligen Angeklagten
begründet hat. Durch Beschluß vom 21. Februar 199[xxxxx] (2 Ss 136/95) hat der Senat
dieses Urteil wegen Verstoßes gegen §§33 Nr. 5, 140 Abs. 2 StPO aufgehoben und die
Sache an das Amtsgericht zurückverwiesen. Nunmehr wurde der Antragsteller am 21.
April 1995 als Pflichtverteidiger beigeordnet. In dieser Eigenschaft nahm er an den am
9. Juni 1995 stattfindenden 2. Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht, die 2
Stunden und 40 Minuten gedauert hat, teil. Wegen des Umfangs des Verfahrens und der
von dem Antragsteller für seinen Mandanten im übrigen erbrachten Tätigkeiten wird auf
die dem Antragsteller bekannt gemachte Stellungnahme des Leiters des Dezernats 10
vom 18. Dezember 1996 Bezug genommen.
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II.
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Die gesetzlichen Gebühren von Rechtsanwalt Dr. ... betragen 740,- DM (500,00 DM +
240,00). Mit seinem Pauschvergütungsantrag vom 26. August 1996 hat er eine
Pauschvergütung von 1.350,- DM beantragt. Der Vertreter der Staatskasse hat
beantragt, den Pauschvergütungsantrag zurückzuweisen. Auf die dem Antragsteller
bekanntgegebene Stellungnahme vom 18. Dezember 1996
wird auch insoweit
genommen.
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III.
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Rechtsanwalt Dr. ... war nach §99 BRAGO eine Pauschvergütung zu gewähren. Zwar
war das Verfahren für ihn nicht im Sinn des §99 Abs. 1 BRAGO "besonders schwierig";
insoweit nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Leiters des Dezernats
10 und des Gerichtsvorsitzenden Bezug. Das Verfahren war aber schon "besonders
umfangreich" im Sinn des §99 Abs. 1 BRAGO.
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Dazu weist der Senat auf folgendes hin: Maßgeblicher Zeitraum für die Prüfung, ob eine
Sache im Sinn des §99 Abs. 1 BRAGO "besonders umfangreich" ist, ist, worauf auch
der Leiter des Dezernats 10 zutreffend hinweist, grundsätzlich nur der Zeitraum seit der
Bestellung des Pflichtverteidigers. Das ist in Rechtsprechung und Literatur weitgehend
unbestritten (Hartmann, Kostengesetze, 26. Aufl., §99 BRAGO Rn. 6; OLG Bamberg
JurBüro 1977, 1103; OLG Düsseldorf AnwBl. 1992, 402 = JurBüro 1992, 609; OLG
Hamburg MDR 1990, 273; KG Rpfleger 1994, 226; zweifelnd OLG Karlsruhe JurBüro
1975, 487) und entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Senats (siehe u.a.
OLG Hamm JurBüro 1966, 956; AnwBl. 1987, 339 und Beschlüsse v. 20. Juli 1992 - 2
(s) Sbd. 3-87/92; vom 21.8.1995 - 2 (s) Sbd. 4-92/95 und vom 14.1.1997 - 2 (s) Sbd. 5-
192-193/96). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Etwas anderes ergibt sich
nicht aus der Einführung des §97 Abs. 3 BRAGO. Diese Vorschrift führt, wie der Senat
bereits entschieden hat (vgl. OLG Hamm ZAP EN-Nr. 999/95 = AnwBl. 1995, 562 =
JurBüro 1996, 359 = StraFo 1996, 93) nicht zu einer Zusatzgebühr.
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Es entspricht jedoch ebenfalls der ständigen Rechtsprechung des Senats, daß bei
Vorliegen der Voraussetzungen für eine Pflichtverteidigerbestellung der Verteidiger so
gestellt werden kann, als sei seine Beiordnung unmittelbar im Anschluß an seinen
Antrag erfolgt (vgl. u.a. die o.a. Beschlüsse vom 20. Juli 1992, 21.8.1995 und vom
14.1.1997). Versäumnisse der Justizbehörden im Beiordnungsverfahren dürfen
grundsätzlich nicht zu Nachteilen beim Pflichtverteidiger führen. Das gilt insbesondere,
wenn wie hier ein nach Ablehnung eines Beiordnungsantrags ergangenes Urteil gegen
den ehemaligen Angeklagten wegen Verstoßes gegen §§338 Nr. 5, 140 Abs. 2 StPO
aufgehoben worden ist. Gerade in diesen Fällen ist, insbesondere auch, um
widersprüchliche Ergebnisse zu vermeiden, der Antragsteller so zu stellen, als wäre er
unmittelbar im Anschluß an seinen zu Recht gestellten Beiordnungsantrag beigeordnet
worden.
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Auf der Grundlage dieses rechtlichen Ansatzes, von dem auch der Leiter des Dezernats
10 ausgeht, ist dann aber dem Antragsteller hier - insoweit entgegen der Stellungnahme
des Leiters des Dezernats 10 - eine Pauschvergütung zu bewilligen. Bei der Prüfung
des Umfangs des Verfahrens sind nämlich alle vom Antragsteller (nach seiner
Antragstellung) für den ehemaligen Angeklagten erbrachten Tätigkeiten zu
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berücksichtigen. Das sind vorliegend nicht nur die Teilnahme an der 2.
Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht und die Aktivitäten in der Berufungsinstanz,
die für sich allein gesehen noch nicht unbedingt den Grad des "besonderen Umfangs"
erreichen. Dieser wird aber jedenfalls dadurch erreicht, daß der Antragsteller für den
ehemaligen Angeklagten auch noch im Revisionsverfahren tätig gewesen ist und eine
sechs Seiten lange Begründung der (Sprung-)Revision, die der Senat - im Vergleich zu
anderen Verfahren vor dem Schöffengericht - schon als überdurchschnittlich bewertet,
gefertigt hat. An der Berücksichtigung dieser Tätigkeit ist der Senat nicht dadurch
gehindert, daß der Antragsteller sie vor seiner Beiordnung am 21. April 1995 erbracht
hat. Zwar kommt der Beiordnung zum Pflichtverteidiger nach überwiegender Auffassung
in Rechtsprechung und Literatur (vgl. Madert in Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert,
BRAGO, 11. Aufl., §97 BRAGO Rn. 5 mit weiteren Nachweisen) keine rückwirkende
Kraft zu. Darum geht es vorliegend jedoch nicht. Bei der Bewilligung einer
Pauschvergütung ist nämlich auf den gesamten Umfang des Verfahrens abzustellen.
Demgemäß sind - wenn wie hier bei der Überprüfung des Umfangs des Verfahrens von
einem fiktiven Beiordnungszeitpunkt auszugehen ist - alle nach diesem Zeitpunkt
erbrachten Tätigkeiten zu berücksichtigen, unabhängig davon, ob sie einen
gesetzlichen Gebührenanspruch, z.B. nach §§97, 86 BRAGO, ausgelöst haben oder
nicht.
Unter Berücksichtigung der vom Antragsteller erbrachten Tätigkeiten hat der Senat auf
die angemessene Pauschvergütung von 1.100,- DM erkannt. Der weitergehende Antrag
des Antragstellers war demgemäß zurückzuweisen.
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