Urteil des OLG Hamm vom 17.05.2000

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Oberlandesgericht Hamm, 13 U 35/00
Datum:
17.05.2000
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
13. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 U 35/00
Vorinstanz:
Landgericht Essen, 16 O 515/98
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten zu 1) wird das am 17. November 1999
verkündete Urteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts Essen teilweise
abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen, soweit es die Beklagte zu 1) betrifft.
Die Kosten des ersten Rechtszuges werden wie folgt verteilt:
Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten des Klägers
tragen dieser 50 %, weitere 50 % trägt der Beklagte zu 2).
Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) trägt der Kläger.
Der Beklagte zu 2) trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Es beschwert den Kläger in Höhe von 12.059,13 DM.
Tatbestand
1
Der Kläger verlangt Schadenserstz aus einem Verkehrsunfall, der sich am 11. März
1998 in F ereignete. Der Kläger befuhr mit seinem Pkw Mercedes-Benz 230 CE
Sportive gegen 19.20 Uhr die Autobahn A 40 von H in Fahrtrichtung F. Er fuhr an der
Abfahrt G ab. Ihm folgte der Beklagte zu 2) mit einem bei der Beklagten zu 1)
haftpflichtversicherten Miet-Lkw der Autovermietung Q. Als der Kläger am Ende der
Abfahrt anhielt, um die Vorfahrt beachten, fuhr der Lkw auf den Mercedes auf. Der Unfall
wurde von der Polizei aufgenommen.
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Der Kläger verlangt auf der Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen M Ersatz
der voraussichtlichen Reparaturkosten von 10.497,35 DM und der mit 500 DM
angenommenen Wertminderung. Daneben macht er Gutachterkosten in Höhe von
1.021,78 DM und eine Kostenpauschale von 40 DM geltend.
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Die Beklagte zu 1) - zugleich Streithelferin des anwaltlich nicht vertretenen Beklagten zu
2) - behauptet mit näheren Ausführungen ein manipuliertes Unfallereignis.
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Das Landgericht hat den Kläger persönlich gehört und Beweis erhoben durch Einholung
eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. H2. Mit dem
angefochtenen Urteil hat es der Klage stattgegeben. Dagegen richtet sich die Berufung
der Beklagten zu 1).
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Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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Der Senat hat den Kläger und den Beklagten zu 2) persönlich gehört und Beweis
erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen Q und T. Der Sachverständige Dipl.-
Ing. H2 hat sein in erster Instanz erstelltes Gutachten mündlich erläutert und ergänzt.
Wegen des Ergebnisses der Parteianhörung und der Beweisaufnahme wird auf den
Inhalt des Berichterstattervermerks Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung der Beklagten zu 1) hat Erfolg. Die Klage ist - soweit sie sich
gegen die Beklagte zu 1) richtet - nicht begründet. Bezüglich des Beklagten zu 2) bleibt
die Entscheidung des Landgerichts in der Sache bestehen, da er das Urteil nicht
angefochten hat und die Beklagte zu 1) die Berufung ausdrücklich nur als Partei und
nicht auch zugleich als Streithelferin für den Beklagten zu 2) eingelegt hat.
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I.
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Der Kläger hat gegen die Beklagte zu 1) keinen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe
von 12.059,13 DM gem. §§ 7, 18 StVG, 3 PflVersG.
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1.
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Das Unfallgeschehen als solches ist nicht mehr streitig. Nach dem Gutachten des
Sachverständigen Dipl.-Ing. H2 steht fest, daß der Miet-Lkw (gebremst) auf den
Mercedes-Pkw aufgefahren ist und dabei die in Rede stehenden Schäden verursacht
hat. Der äußere Geschehensablauf ist damit bewiesen, zumal die Polizei den Unfall an
Ort und Stelle aufgenommen hat.
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2.
14
Für den Schaden ist die Beklagte zu 1) jedoch nicht eintrittspflichtig. Die
Schadenszufügung war nicht rechtswidrig. Sie geschah mit Einwilligung des Klägers.
Der Senat ist unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des
Ergebnisses der Beweisaufnahme davon überzeugt, daß es sich um einen sogenannten
gestellten "Unfall" gehandelt hat. Der Beweis einer Unfallmanipulation kann durch den
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Nachweis einer ungewöhnlichen Häufung von typischen Umständen erbracht werden,
die für sich betrachtet auch eine andere Erklärung finden mögen, in ihrem
Zusammenwirken vernünftigerweise jedoch nur den Schluß zulassen, daß der
Anspruchsteller in die Beschädigung seines Fahrzeugs eingewilligt hat. Eine solche
ungewöhnliche Häufung von Indizien ist hier gegeben.
a)
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Die Kollision ist bei einen Auffahrvorgang erfolgt. Anders als bei einem
Frontalzusammenstoß oder bei einer seitlichen Kollision läßt sich beim Auffahren von
hinten der Schadenshergang nahezu optimal steuern. Gleichzeitig ist es möglich, das
unvermeidbare Körperverletzungsrisiko in Grenzen zu halten und den Schadensumfang
zu kalkulieren.
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b)
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Die beteiligten Fahrzeuge sind charakteristisch für einen gestellten "Unfall". Bei dem
Mercedes-Pkw des Klägers handelt es sich um einen älteren, vorgeschädigten früheren
Luxus-Pkw. Die Beteiligung eines solchen Fahrzeugs bringt dem "Geschädigten", der,
wie hier der Kläger, auf der Grundlage fiktiver Reparaturkosten abrechnet, in aller Regel
erhebliche finanzielle Vorteile. Das andere Fahrzeug war ein Lkw, an dem bei einem
Auffahren auf einen Pkw (jedenfalls bei mäßiger Kollisionsgeschwindigkeit) im
allgemeinen kein großer Sachschaden entsteht. Da es sich um ein Mietfahrzeug
handelte, war das finanzielle Risiko für den Mieter, den Beklagten zu 2), kalkulierbar.
Seine Haftung war von vornherein auf die vereinbarte Selbstbeteiligung der
Kaskoversicherung (500 DM) begrenzt.
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c)
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Sowohl der Kläger als auch der Beklagte zu 2) hatten ein Motiv für die Manipulation:
Beide leben in sehr begrenzten finanziellen Verhältnissen. Der Kläger ist arbeitslos und
seit längerem ohne geregeltes Einkommen. Dazu paßt es nicht, daß er zum Zeitpunkt
des Unfalls ein Mercedes-Coupé, also ein in der Unterhaltung relativ teures Auto fuhr.
Auffallend ist auch, daß dieses Fahrzeug erst wenige Wochen vor dem Unfall, nämlich
am 6. Februar 1998, auf ihn zugelassen worden war. Zuvor war der Pkw fast zwei Jahre
lang stillgelegt. Mißtrauen erweckt auch die von dem Kläger behauptete
Fahrzeugreparatur in Italien, denn nach dem vorausgegangenen schweren Unfall vom
22. April 1996 war der Mercedes nicht mehr fahrtüchtig. Ein solches Fahrzeug nur zum
Zweck der Reparatur durch einen Spediteur für 800 DM nach Italien transportieren zu
lassen und dort während eines Zeitraums von zwei Jahren instandzusetzen, ist ein
zumindest sehr ungewöhnlicher Vorgang, der Anlaß zu Zweifeln gibt. Daß der Beklagte
zu 2) die eidesstattliche Versicherung abgegeben hat, rundet das Bild ab.
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d)
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Völlig unglaubhaft sind die Darstellungen der Beteiligten zu den jeweiligen Umständen
ihrer Fahrten.
23
aa)
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Der Kläger will von zu Hause nach G gefahren sein, um dort einen Freund oder
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Kollegen, Herrn W, zu besuchen. Dieser wohnte damals zwar nicht mehr in G, doch will
der Kläger das nicht gewußt haben; er habe ihn schon länger nicht mehr gesehen
gehabt und sei auch nicht mit ihm verabredet gewesen. Aus welchem Anlaß er seinen
Freund unangemeldet besuchen wollte, hat der Kläger nicht dargelegt.
bb)
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Der Beklagte zu 2) hatte den Lkw angeblich gemietet, um Möbel zu transportieren, und
zwar von der P-Straße zur N-Straße in H. Als Grund für die Fahrt über die Autobahn A
40 nach Frillendorf hat er angegeben, sein Bruder habe ihn etwa eine Stunde vorher
angerufen und gesagt, auf der G-Straße ständen Möbel (Sperrgut). Dort habe er
hingewollt. Mißtrauen erweckt dabei schon der zeitliche Ablauf: Der Beklagte zu 2) hatte
den Lkw gegen 16.00 Uhr für 24 Stunden gemietet. In der kurzen Zeit zwischen der
Anmietung und dem Unfall will er Möbel abgeholt, zu seiner neuen Wohnung
transportiert und dort ausgeladen haben. Sodann will er auf einen Anruf seines Bruders
in Richtung G gefahren sein. Daß sich jemand während des Umzugs dazu entschließt,
mit einem Lkw in eine andere Stadt oder einen anderen Stadtteil zu fahren, um dort an
der Straße abgestelltes Sperrgut in Augenschein zu nehmen, ist schon mindestens
ungewöhnlich, im Streitfall aber jedenfalls deshalb wenig glaubhaft, weil Sperrgut im
allgemeinen nicht schon nachmittags auf die Straße gestellt wird und der Kläger vor
allem keinerlei Angaben dazu gemacht hat, welche Art von Möbeln sein Bruder
angeblich auf der G-Straße gesehen hat.
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e)
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Typisch für eine Manipulation ist auch, daß der Lkw bei dem "Unfall" unbeladen war.
Während bei einem Unfall mit einem beladenen Fahrzeug Schwierigkeiten wegen einer
u.U. erforderlich werdenden Bergung des Ladegutes zu besorgen sind, kann ein
unbeladenes Fahrzeug anschließend problemlos stehengelassen oder zurückgegeben
werden. Ebenso paßt ins Bild, daß sich der "Unfall" schon kurz nach der Anmietung
ereignete.
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f)
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Auffallend ist auch das Verhalten der Beteiligten nach dem "Unfall". Der Zeuge T, der
als Polizeibeamter mit der Unfallaufnahme befaßt war, hatte den Eindruck, daß sich
beide freundschaftlich unterhielten. Angesichts der Tatsache, daß der Beklagte zu 2) auf
das (nach dem Klagevortrag) in zweijähriger Arbeit gerade instandgesetzte Mercedes-
Coupé des Klägers aufgefahren war, wäre eher zu erwarten gewesen, daß der Kläger
ihm deswegen Vorwürfe machen würde. Auch das spätere Verhalten des Beklagten zu
2) weist Auffälligkeiten auf. Nach der Bekundung des Zeugen Q hat er den Lkw-
Schlüssel am nächsten Tag mit dem Hinweis, das Fahrzeug sei kaputt, zurückgegeben.
Nähere Angaben zum Unfallhergang hat er weder bei dieser Gelegenheit noch später
gemacht.
31
g)
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Angesichts dieser erdrückenden Beweisanzeichen für eine Manipulation spricht der
Umstand, daß der Lkw nach den Feststellungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. H2
gebremst auf den Pkw aufgefahren ist, nicht entscheidend gegen einen gestellten
"Unfall", zumal letztlich ungeklärt ist, aus welcher Geschwindigkeit heraus die
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Abbremsung erfolgt ist.
II.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO, diejenige über die
vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Ziff. 10 ZPO.
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