Urteil des OLG Hamm vom 11.09.1980

OLG Hamm (antragsteller, zerrüttung der ehe, urlaub, verhältnis zu, trennung, unterhalt, wohnung, zpo, einkommen, taxifahrer)

Oberlandesgericht Hamm, 4 UF 142/80
Datum:
11.09.1980
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
4. Senat für Familiensachen
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 UF 142/80
Vorinstanz:
Amtsgericht Dortmund, 171 P 266/78
Tenor:
Auf die Berufung des Antragstellers werden die Unterhaltsregelung und
die Kostenentscheidung des am 27. Februar 1980 verkündeten
Verbundurtreils des Amtsgerichts - Familiengericht - Dortmund
abgeändert.
Der Unterhaltsantrag der Antragsgegnerin wird abgewiesen.
Die Kosten des ersten Rechtszuges und die Kosten des
Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien haben am 21. Mai 1955 geheiratet. Aus der Ehe sind die Kinder ...,
geboren am 28.9.1955, und ..., geboren am 21. November 1960, hervorgegangen. Der
Sohn ... ist am 24.12.1963 verstorben.
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Seit September 1978 leben die Parteien getrennt. Beide begehren die Scheidung der
Ehe. Das Amtsgericht hat durch Verbundurteil die Scheidung ausgesprochen, den
Versorgungsausgleich geregelt und der Antragsgegnerin nach § 1573 BGB 335,- DM
monatlichen Unterhalt für die Zeit nach der Scheidung zugesprochen. Gegen diese
Unterhaltsentscheidung, wegen deren Begründung auf das amtsgerichtliche Urteil
Bezug genommen wird, richtet sich die Berufung des Antragstellers, der den Antrag
verfolgt,
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unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils den Unterhaltsantrag der
Antragsgegnerin abzuweisen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Antragsteller vertritt die Auffassung, daß die Antragsgegnerin ihren Unterhalt selbst
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verdienen könne und müsse, daß jedenfalls aber ihre Unterhaltsforderung wegen grober
Unbilligkeit nicht gerechtfertigt sei. Dazu ist unstreitig, daß die Antragsgegnerin im
unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Trennung Beziehungen zu dem
ebenfalls verheirateten Zeugen ... aufgenommen hat, mit diesem im September 1978
ohne Wissen des Antragstellers einen gemeinsamen Urlaub verbracht hat und seither
mit ihm eine gemeinsame Wohnung hat. Der Antragsteller sieht darin ein Fehl verhalten,
das seine Inanspruchnahme auf Unterhalt ausschließt. Dieser Auffassung tritt die
Antragsgegnerin mit Rechtsausführungen entgegen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens im zweiten Rechtszug wird auf den
vorgetragenen Inhalt der in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug
genommen.
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Der Senat hat die Parteien in der mündlichen Verhandlung angehört. Sie haben sich
wie folgt erklärt:
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1)
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Die Antragsgegnerin:
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Sie habe in den letzten 3 bis 4 Jahren vor der Trennung als Teilzeitverkäuferin in der
Textilbranche gearbeitet, wie es auch seit der Trennung bis heute der Fall sei. In dem
der Trennung vorausgehenden Urlaub sei sie zunächst zu ihren Eltern nach in ...
gefahren. Den weiteren Urlaub habe sie mit dem Zeugen an einem anderen Ort
verbracht. Sie hätten jeder ein Einzelzimmer gehabt. Die Ehefrau des Zeugen ..., der
Taxifahrer sei, betreibe eine Gaststätte. Dort seien sie und der Antragsteller mit den
Eheleuten ... bekannt geworden. Der Antragsteller sei etwa 10 Jahre lang Dauergast in
der Gastwirtschaft ... gewesen. Frau und der Antragsteller hätten von ihrer gemeinsamen
Urlaubsreise mit dem Zeugen ... nichts gewußt. Ausschlaggebend für ihren Entschluß,
mit ... zusammen Urlaub zu machen, sei die Tatsache gewesen, daß der Antragsteller
jeden Abend außer Hauses dem Alkohol zugesprochen habe. Er sei nie von der Arbeit
unmittelbar nach Hause gekommen. Er habe sich nicht eigentlich betrunken, aber immer
Alkohol zu sich genommen. Sie habe ihn in den letzten Jahren fast jeden Abend in der
Gaststätte ... abgeholt. Es habe deswegen viel Streit zwischen ihnen gegeben. Er habe
über diesen Punkt aber nicht mit sich reden lassen. Daß er einmal zum Abendessen
nach Hause gekommen sei, sei so gut wie nie vorgekommen. Es sei immer ca. 22.00
Uhr geworden, ehe er gekommen sei. Im Jahre 1977 sei der Antragsteller allein in
Urlaub gefahren. Sie habe nicht mitfahren können, weil sie, da sie von seinen
Urlaubsplänen erst zu spät erfahren habe, habe arbeiten müssen. Weil er dennoch
gefahren sei, habe sie ihm angedroht, sie nehme das nicht mehr hin, sie lasse sich dann
auch etwas einfallen. Nach dem im September 1978 mit dem Zeugen verbrachten
Urlaub sei sie nicht mehr in die Ehewohnung zurückgekehrt. Sie habe zunächst bei
einer Freundin gewohnt. Auch der Zeuge habe dort Aufnahme gefunden. Es sei eine 1
1/2-Zimmer-Wohnung gewesen. ... habe in der Küche geschlafen.
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Der Zeuge ... sei als Taxifahrer bei seiner Ehefrau angestellt gewesen. Seit ca. 8
Wochen sei er als Taxifahrer selbständig. Er habe auch Eheprobleme gehabt. Sie selbst
sei schon vor Jahren soweit gewesen, daß sie mit dem Antragsteller habe Schluß
machen wollen. Als sie darüber mit dem Zeugen ... gesprochen habe, habe dieser zu ihr
gesagt, sie solle sich, wenn sie in Schwierigkeiten sei, an ihn wenden, er werde ihr
jederzeit weiterhelfen. Seit Februar 1979 lebe sie mit dem Zeugen ... zusammen in einer
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eigenen Wohnung. Sie habe den Zeugen mit in die Wohnung genommen, weil sie allein
die Miete nicht habe aufbringen können. Es ergebe sich von Fall zu Fall, wer gerade
den Haushalt versorge. Der Zeuge sei in der Regel den ganzen Tag unterwegs und
beköstige sich dann selbst. In der Wohnung habe er ein eigenes Zimmer, das er sich
selbst eingerichtet habe. Es bestehe nur eine Wohngemeinschaft. Geschlechtliche
Beziehungen gebe es zwischen ihnen nicht. Das habe es auch in dem gemeinsamen
Urlaub 1978 nicht gegeben. Wenn sie daran interessiert wäre, würde sie sich ihren
Partner schon selbst aussuchen.
Sie habe sich intensiv um eine Arbeitsstelle mit Vollzeitbeschäftigung bemüht, bisher
aber vergeblich. Sie müsse am Verhandlungstage noch zum Arzt. Wahrscheinlich
müsse sie noch einmal operiert werden.
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2)
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Der Antragsteller:
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Er arbeite als Baggerführer bei einer Tiefbaufirma. Der Sohn ... sei gelernter
Reisekaufmann. Zur Zeit sei er bei der Bundeswehr. Im September 1978 habe er den
Verdacht gehabt, daß die Antragsgegnerin nicht allein in Urlaub gefahren sei. Er sei zu
ihren Eltern gefahren, die aber angeblich von nichts gewußt hätten. In seiner Erregung
habe er dort gesagt, er werde die beiden umlegen, wenn sie zurückkämen. Es sei
richtig, daß er sich jeden Abend in der Gastwirtschaft ... aufgehalten habe. Es sei auch
richtig, daß die Antragsgegnerin ihm deshalb häufig Vorhaltungen gemacht habe.
Schon etwa ein Jahr vor der Trennung habe er den Verdacht gehabt, daß sie engeren
Kontakt zu dem Zeugen ... aufgenommen habe.
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Entscheidungsgründe
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Die Berufung des Antragstellers erwies sich als begründet. Die Antragsgegnerin hat
keinen Anspruch auf nachehelichen Unterhalt, weil die Verpflichtung des Antragstellers
zu Unterhaltsleistungen grob unbillig wäre i.S. von § 1579 Abs. 1 Nr. 4 BGB. Die
angefochtene Entscheidung war demzufolge abzuändern und der auf Unterhalt
gerichtete Antrag der Antragsgegnerin abzuweisen.
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Mit dem Bundesgerichtshof (FamRZ 1979, 569 und 571; 1980, 665ff.) geht der Senat
davon aus, daß der Wegfall des Verschuldensprinzips im Scheidungsrecht es nicht
ausschließt, im Rahmen der Billigkeitsregelung des § 1579 Abs. 1 Nr. 4 BGB ein
schwerwiegendes Fehlverhalten des Unterhalt beanspruchenden Ehegatten zu
berücksichtigen. Ein solches Fehlverhalten, das in seiner Gewichtigkeit den in § 1579
Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BGB angeführten Tatbeständen gleichzusetzen ist, muß hier darin
gesehen werden, daß die Antragsgegnerin unmittelbar vor der Trennung von dem
Antragsteller einen gemeinsamen Urlaub mit dem Zeugen ... verlebt hat und seit der sich
an den Urlaub anschließenden Trennung mit dem Zeugen ... in Wohngemeinschaft
zusammenlebt. Unter diesen Umständen kann es dem Antragsteller nicht zugemutet
werden, seinerseits für den Unterhalt der Antragsgegnerin aufzukommen, also insoweit
noch seinen auf der Ehe mit der Antragsgegnerin beruhenden Pflichten nachzukommen,
während diese selbst sich absolut von der Ehe abgekehrt hat und mit einem anderen
Manne zusammenlebt (BGH FamRZ 80, 666f.). Die Feststellung, daß die
Inanspruchnahme des Antragstellers grob unbillig wäre, wird von dem vom Senat als
wahr unterstellten Vorbringen der Antragsgegnerin, daß zwischen ihr und dem Zeugen
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... geschlechtliche Beziehungen weder bestanden haben noch bestehen, nicht berührt.
Denn daß zwischen der Antragsgegnerin und dem Zeugen ... ein enges persönliches
Verhältnis besteht, das nach seiner Entstehung dem langfristigen Fortbestand und der
Art seiner tatsächlichen Vollziehung grob ehewidrig ist, auch wenn - aus welchen
Gründen immer - eine Geschlechtsgemeinschaft nicht besteht, kann nicht zweifelhaft
sein. Auch wenn die Abkehr von der Ehe und gleichzeitige Zuwendung zu einem
anderen Partner geschlechtliche Kontakte nicht beinhaltet, die neue Verbindung aber
ansonsten ganz das Bild eines wie Eheleute zusammenlebenden Paares bietet, wie es
hier der Fall ist, bleibt die Unterhaltsforderung des sich so verhaltenden Ehegatten zur
Überzeugung des Senats im Verhältnis zu dem anderen Ehegatten grob unbillig i.S. der
genannten Vorschrift, so daß es bei der Verurteilung des Antragstellers zu
Unterhaltsleistungen nicht verbleiben konnte. Auf die Frage der der Trennung
vorausgehenden Zerrüttung der Ehe und ihrer Verursachung kam es dabei nicht mehr
an (BGH a.a.O.).
Beiläufig sei vermerkt, daß die Antragsgegnerin, auch wenn ein Unterhaltsanspruch
dem Grunde nach bejaht werden könnte, schwerlich als bedürftig angesehen werden
könnte. Sie dürfte sich nämlich entgegenhalten lassen müssen, daß sie neben ihrem
unstreitigen monatlichen Arbeitsverdienst von 628,85 DM netto durch die hausfrauliche
Betreuung des Zeugen ... weiteres Einkommen hat oder zumindest haben könnte.
Veranschlagt man die Betreuungsleistungen nach den ebenfalls in dem zitierten BGH-
Urteil (FamRZ 80, 665ff.) niedergelegten Maßstäben in Anlehnung an den
Rechtsgedanken des § 850h Abs. 2 ZPO mit monatlich 500,- DM, stünden ihr für ihren
eigenen Unterhalt bereits 1.128,85 DM (628,85 DM zuzüglich 500,- DM) zur Verfügung.
Andererseits hätte sie, wenn man die vom Amtsgericht ermittelten beiderseitigen
Einkommen auch als Maßstab für die die Höhe des Unterhalts mitbestimmenden
ehelichen Verhältnisse nimmt, einen Aufstockungsunterhaltsanspruch nur in Höhe von
monatlich rd. 465,- DM, so daß sie mit ihrem eigenen Arbeitsverdienst von 628,85 DM
nur auf 1.093,85 DM monatlich kommen könnte. Dabei errechnet sich der Betrag, von
465,- DM als 3/7-Anteil (Ziff. 30 der von den Familiensenaten des Oberlandesgerichts
Hamm regelmäßig angewandten Leitlinien; FamRZ 1980, 21ff.) er Differenz von
1.083,15 DM zwischen dem monatlichen Arbeitsnettoeinkommen des Antragstellers
(1.712,- DM) und dem entsprechenden Einkommen der Antragsgegnerin (628,85 DM)
Ihre gegenwärtige Unterhaltssituation wäre also besser, als der Antragsteller sie zu
schaffen als verpflichtet angesehen werden konnte.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 93a ZPO, die Entscheidung über die Zulassung
der Revision auf § 546 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
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