Urteil des OLG Hamm vom 14.03.2017

OLG Hamm (kläger, zpo, zahlung, hauptsache, schaden, zwangsvollstreckung, höhe, fahrbahn, rechtsmittel, beschwer)

Oberlandesgericht Hamm, 9 U 55/75
Datum:
10.06.1975
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 U 55/75
Vorinstanz:
Landgericht Bielefeld, 4 O 286/74
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des
Landgerichts Bielefeld vom 15. Oktober 1974 wird als unzulässig
verworfen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Der Kläger hat nach einem Verkehrsunfall, den er mit seinem Pkw erlitten hat, zunächst
von dem Fahrer des unfallbeteiligten Postfahrzeugs als Beklagtem zu 1) und der
Beklagten - zu 2) - als Halterin vollen Ersatz seines Schadens verlangt. Die Klage
gegen, den Beklagten zu 1), den späteren Zeugen ..., hat der Kläger im ersten
Rechtszuge vor Verlesung der Anträge zurückgenommen.
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Der Kläger befuhr am 10. April 1974 gegen 15,30 Uhr mit seinem Pkw in ... die
Hauptstraße. Dabei stieß er mit dem im Fernmeldebaudienst eingesetzten VW-Bus der
Beklagten zusammen.
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Der Kläger hat vorgetragen: Die Beklagte müsse voll für seinen Schaden einstehen. Der
Zeuge ... sei aus einer Einfahrt rückwärts auf die Fahrbahn gerollt und habe mit der
Rückfront des Postfahrzeugs seinen, des Klägers, Pkw an dessen rechter Seitenwand
gerammt. Sein Schaden betrage insgesamt 644,30 DM.
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Nach Zurücknahme der Klage gegen ... hat der Kläger beantragt
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 644,30 DM nebst 4 % Zinsen seit Klagezustellung zu
zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat vorgetragen: Der Kläger könne keinen Ersatz seines Schaden verlangen. Er
habe den Unfall allein selbst verschuldet, da er unaufmerksam gegen das Heck des
schon etwa 2 Minuten stillstehenden und nur etwa 0,50m mit dem Heck in die Fahrbahn
hineinragenden VW-Bus gefahren sei. Die Höhe des vom Kläger verlangten
Schadensersatzes sei überdies nicht gerechtfertigt.
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Das Landgericht hat durch Vernehmung des Zeugen Brakhage Beweis erhoben.
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Durch das angefochtene Urteil, auf das gemäß § 545 ZPO Bezug genommen wird, hat
das Landgericht die Beklagte unter Klageabweisung im übrigem verurteilt, an den
Kläger 483,22 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 6. Juni 1974 zu zahlen. Dazu ist in den
Entscheidungsgründen ausgeführt: Die Beklagte müsse gemäß §§ 7, 17 StVG, 839, 264
BGH Art. 34 GG für den Schaden des Klägers zu drei Vierteln einstehen. Danach habe
die Beklagte dem Kläger 483,22 DM nebst Zinsen zu ersetzen.
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Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten mit dem Ziel der Klageabweisung,
soweit sie zur Zahlung von mehr als 214,77 DM nebst Zinsen verurteilt worden ist. Die
Beklagte wendet sich gegen die vom Landgericht vorgenommene Schadensteilung und
meint, bei richtiger Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge brauche sie
nur für ein Drittel des Schadens des Klägers einzustehen.
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Die Beklagte beantragt,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage in Höhe weiterer 268,46 DM
nebst 4 % Zinsen seit dem 6. Juni 1974 abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen,
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hilfsweise ihm Vollstreckungsnachlaß zu gewähren.
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Er vertritt in erster Linie die Auffassung, die Berufung sei unzulässig, jedenfalls aber,
meint er, sei sie unbegründet. Dazu trägt er vor: Die Beklagte habe nach Ankündigung
durch Schreiben vom 31. Januar 1975 am 6. Februar 1975 die Urteilssumme mit Zinsen
in Gesamthöhe von 496,14 DM bezahlt. Die Berufung sei von der Beklagten erst
danach, am 25. Februar 1975, eingelegt worden. Deshalb sei die Berufung unzulässig,
weil die Beklagte durch das vorgenannte Schreiben zuvor auf Rechtsmittel verzichtet
habe. Die Zahlung der Beklagten sei nicht etwa zur Abwendung der
Zwangsvollstreckung erfolgt, weil er noch nicht einmal die Sicherheit geleistet gehabt
habe, von der die Zwangsvollstreckung für ihn abhängig ... gewesen sei.
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Im übrigen treffe das Urteil entgegen der Auffassung der Beklagten zu .... Selbst wenn
man von dem festgestellten Verschulden des Postfahrers Brakhage absehe, ergebe
allein schon die Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge eine
Schadensersatzquote zu seinen Gunsten von mehr als 1: 1, weil sich das Fahrzeug der
Beklagten auf der Fahrbahn quer zur Fahrbahnrichtung bewegt habe. Zur Höhe der
Reparaturkosten und des Nutzungsausfalls beziehe er sich auf die von ihm bereits
benannten zeugen. Der Kläger legt das Schreiben der Oberpostdirektion Münster vom
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31. Januar 1975 (Blatt 70 der Akten) an seinen erstinstanzlichen
Prozeßbevollmächtigten vor.
Die Beklagte bestreitet die Zahlung nicht. Sie tritt der Auffassung des Klägers entgegen,
die Berufung sei unzulässig, und überreicht dazu ein Schreiben der ... vom 21. Januar
1975 an ihre erstinstanzlichen Anwälte (Blatt 72 der Akten) und ein weiteres vom 13.
Februar 1975 an ihre derzeitigen Prozeßbevollmächtigten (Blatt 71 der Akten).
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Wegen der Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf den
vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und auf die
vorbezeichneten von den Parteien überreichten Schriftstücke Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die Berufung der Beklagten ist unzulässig.
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Aus den übereinstimmenden Erklärungen der Parteien in der mündlichen Verhandlung
vor dem Senat ergibt sich, daß die Beklagte nach Erlaß des erstinstanzlichen Urteils,
aber noch vor Einlegung der Berufung die Urteilssumme einschließlich der Zinsen
bezahlt hat. Damit ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt worden und die
Beschwer der Beklagten vor Einlegung des Rechtsmittels fortgefallen. Die Beklagte hat
nämlich das zwischen den Parteien bestehende Schuldverhältnis durch Erfüllung zum
Erlöschen gebrach indem sie nicht ausdrücklich - auch nicht einmal erkennbar - zur
Abwendung der Zwangsvollstreckung gezahlt hat. Aus den Umständen ergibt sich
vielmehr, daß die Beklagte sich mit ihrer Zahlung der Entscheidung des Landgerichts
gebeugt hat. Diese Einstellung der Beklagten ist zwar, wie aus den von den Parteien
dem Senat überreichten Schreiben ersichtlich ist, auf die rechtsirrtümliche Annähme
zurückzuführen, das Gesetz zur Entlastung der Landgerichte vom 20. Dezember 1974
finde schon auf diesen Rechtsstreit Anwendung, während es in Wirklichkeit nach
seinem Art. 8 Abs. 2 zur Zulässigkeit von Rechtsmitteln nur anzuwenden ist, wenn die
anzufechtende Entscheidung nach dem Inkrafttreten - also gemäß Art. 10 nach dem 1.
Januar 1975 - verkündet worden ist. Ein solcher Rechtsirrtum, der Beklagten hindert
aber die Erfüllung und damit das Erlöschen des Schuldverhältnisses nicht.
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Grunsky vertritt in seiner Anmerkung zu dem in NJW 1975, 935 - VersR 1975, 525
veröffentlichten, einen ähnlichen Fall betreffenden Urteil des Senats vom 26.11.1974 - 9
U 66/74 - u.a. die Ansicht, die bloße Zahlung des Urteilsbetrages führe nicht zur
Unzulässigkeit des Rechtsmittels. Dem ist nicht beizutreten. Wird nicht ausdrücklich zur
Abwendung der Zwangsvollstreckung gezahlt, so erlischt das Schuldverhältnis (BGH
Urt. v. 24.6.1953 - II ZR 200/52 LM § 91a ZPO Nr. 4) und die Hauptsache ist erledigt.
Erfolgt die Zahlung wie hier vor Einlegung des Rechtsmittels, so entfällt die Beschwer
das Rechtsmittel ist unzulässig und zu verwerfen (BGH a.a.O.). Er folgt die Zahlung
nach Rechtsmitteleinlegung, so wird das Rechtsmittel unzulässig, wenn die spätere
Verminderung des Beschwerdegegenstandes auf willkürlicher Beschränkung des
Rechtsmittels durch den Rechtsmittelkläger beruht (BGH Urt. 19.12.50 - I ZR 7/50 - NJW
51, 19b und BGH 16.01.50 - I ZR 1/50 - NJW 51, 274).
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Durch Erledigung der Hauptsache dieses Rechtsstreits ist die Beschwer der Beklagten
fortgefallen und die spätere Einlegung der Berufung unzulässig geworden, denn der mit
der Berufung gegen die Schadensersatzquote gerichtete Angriff ist durch die Erledigung
der Hauptsache gegenstandslos geworden. Eine Anfechtung der nicht miterledigten
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Kostenentscheidung, die die Beklagte in den erwähnten Schreiben bereits vor
Erledigung der Hauptsache mißbilligt hatte, ist für sich allein nach § 99 Abs. 1 ZPO
unzulässig. § 91a ZPO kann auf die Kostenentscheidung nicht angewendet werden weil
eine Entscheidung nach § 91a ZPO voraussetzt, daß, das Rechts mittel zulässig
eingelegt worden ist (vgl. BGH a.a.O.). Der Senat kann die nicht miterledigte
Kostenentscheidung des ersten Rechtszuges auch nicht von Amts wegen nachprüfen,
weil er nach Feststellung der Unzulässigkeit des Rechtsmittels in diese materielle
Prüfung nicht mehr eintreten kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit des
Urteils ergibt sich aus § 708 Nr. 7 ZPO. Der Antrag des Klägers auf Gewährung von
Vollstreckungsnachlaß ist gegenstandslos.
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