Urteil des OLG Hamm vom 15.07.2009

OLG Hamm: wiedereinsetzung in den vorigen stand, die post, wohnung, briefkasten, ratenzahlung, geldstrafe, anschrift, körperverletzung, rechtssicherheit, rechtskraft

Oberlandesgericht Hamm, 3 Ws 231/09
Datum:
15.07.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
3. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 Ws 231/09
Vorinstanz:
Landgericht Bielefeld, 11 NS 18/09
Schlagworte:
Wiedereinsetzung, Berufungshauptverhandlung
Normen:
StPO §§ 44, 45, 329 Abs.3
Leitsätze:
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der
Berufungshauptverhandlung wegen eines Ladungsmangels analog §§
44, 45, 329 Abs. 3 StPO kann nur auf (rechtzeitigen) Antrag, nicht aber
von Amts wegen, gewährt werden.
Tenor:
Die sofortige Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels trägt der Beschwerdeführer.
Gründe
1
I.
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Das Amtsgericht hatte den Beschwerdeführer wegen Körperverletzung, Bedrohung in
zwei Fällen und wegen Beleidigung zu einer Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen zu
je 30 Euro verurteilt. Auf die Berufung des Beschwerdeführers beraumte das
Landgericht Termin zur Berufungshauptverhandlung an und lud den Beschwerdeführer
hierzu unter der seinerzeit bekannten Anschrift. Die Ladung wurde ausweislich der
Zustellungsurkunde am 20.03.2009 "in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten
eingelegt". Zur Berufungshauptverhandlung erschien der Beschwerdeführer
unentschuldigt nicht, so dass seine Berufung nach § 329 StPO verworfen wurde. Das
Verwerfungsurteil wurde dem Verteidiger des Beschwerdeführers, dessen Vollmacht
sich bei den Akten befand, am 06.04.2009 zugestellt.
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Am 08.04.2009 hat der Verteidiger des Beschwerdeführers ein Ratenzahlungsgesuch
an die Staatsanwaltschaft Bielefeld gerichtet. Am 06.05.2009 ging bei der
Staatsanwaltschaft eine von dieser angeforderte Einkommensauskunft des
Beschwerdeführers ein sowie ein weiteres Schreiben, in dem er erklärt, er wäre bereit
100 bis 200 Euro monatlich zu zahlen, vorausgesetzt, die Geldstrafe betrüge weniger
als 2000 Euro.
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Am 04.05.2009 wandte sich der Beschwerdeführer an das Landgericht und teilte u. a.
mit, dass er den Termin zur Berufungshauptverhandlung am 31.03.2009 versäumt habe,
weil er "kurz zuvor aus der Wohnung" weggezogen war und die Post erst am
07.04.2009 "zu Gesicht bekommen" habe. Tatsächlich war es so, dass der Angeklagte
sich am 02.03.2009 rückwirkend zum 01.03.2009 aus seiner bisherigen Wohnung, unter
der er geladen worden war, an eine andere Anschrift abgemeldet hatte. Dies ist dem
Gericht allerdings erst mehrere Wochen nach Erlass des Verwerfungsurteils bekannt
geworden.
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Das Schreiben des Beschwerdeführers vom 04.05.2009 hat das Landgericht als
Wiedereinsetzungsgesuch gegen die Versäumung der Hauptverhandlung gewertet und
dieses als unzulässig verworfen, weil es nicht innerhalb der Wochenfrist des
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§ 45 Abs. 1 StPO gestellt worden ist und ein das Verschulden ausschließender
Sachverhalt weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht worden sei.
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Der Beschluss ist dem Beschwerdeführer am 03.06.2009 zugestellt worden. Mit
Schreiben vom 04.06.2009 an das Landgericht bemängelt er "das Urteil" als falsch und
ungerecht und kündigte an, die Geldstrafe nicht zu zahlen, bis die "Wahrheit ans Licht"
gekommen ist. Dies hat das Landgericht als sofortige Beschwerde gegen seinen
Beschluss vom 28.05.2009 angesehen und die Sache dem Senat zur Entscheidung
vorgelegt.
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II.
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1.
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Das Schreiben des Beschwerdeführers vom 04.06.2009 kann als sofortige Beschwerde
gegen den Beschluss vom 28.05.2009 ausgelegt werden, da er sich darin generell
gegen seine Verurteilung richtet.
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2.
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Das Rechtsmittel ist zulässig, aber unbegründet.
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a) Zu Recht hat das Landgericht das Wiedereinsetzungsgesuch verworfen, weil der
Beschwerdeführer dieses nicht binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses
gestellt hat (vgl. § 45 Abs. 1 StPO).
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Es ist in der Rechtsprechung weitgehend anerkannt, dass eine Wiedereinsetzung
entsprechend §§ 329 Abs. 3, 44, 45 StPO in Betracht kommt, wenn der Angeklagte nicht
ordnungsgemäß geladen war und damit eine Säumnis nicht vorlag. Voraussetzung
dafür ist neben der fehlenden ordnungsgemäßen Ladung, dass der Ladungsmangel
kausal für das Nichterscheinen war und ein fristgerecht eingegangener
Wiedereinsetzungsantrag mit den nach §§ 44, 45 Abs. 2 StPO erforderlichen
Tatsachenangaben vorliegt (vgl.: OLG Hamm NStZ-RR 2008, 380; OLG Hamm NStZ
1982, 521; OLG Köln NStZ-RR 2002, 142 jew. m.w.N.).
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Hier fehlt es jedenfalls an der letztgenannten Voraussetzung. Dem Beschwerdeführer
war der Umstand, dass er zu einer Berufungshauptverhandlung auf den 31.03.2009
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geladen war, nach eigenen Angaben am 07.04.2009 bekannt geworden. Einen
Wiedereinsetzungsantrag hat er aber erst am 04.05.2009 – und damit verspätet –
gestellt. Frühere Schreiben des Verteidigers bzw. des Beschwerdeführers selbst
betreffen nur die Bitte um Gewährung von Ratenzahlung, können aber nicht als
Wiederseinsetzungsantrag ausgelegt werden.
b) Eine Wiedereinsetzung auch ohne Antrag, von Amts wegen, scheidet aus. Diese
kommt bei Versäumung der Hauptverhandlung nach § 329 StPO nicht in Betracht, denn
ob der Angeklagte das Verfahren fortgesetzt wissen will, welches durch sein
Nichterscheinen zum Abschluss gekommen ist, muss ihm selbst überlassen bleiben
(Cirener in: BeckOK-StPO Ed. 3 § 45 Rdn. 14; Graalmann-Scheerer in: Löwe-
Rosenberg StPO 26. Aufl. § 45 Rdn. 32; Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 45 Rdn. 12;
Baukelmann NStZ 1984, 297, 300). Darüber hinaus setzt § 329 Abs. 3 StPO voraus,
dass der Angeklagte die Wiedereinsetzung "beansprucht", also entsprechend darum
nachsuchen muss. Dies spricht ebenfalls (auch bei der analogen Anwendung des
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§ 329 Abs. 3 StPO) dafür, eine Wiedereinsetzung nur auf Antrag zu gewähren
(Julius/u.a.-Rautenberg StPO 4. Aufl. § 329 Rdn. 47; vgl. zur parallelen Problematik bei
§ 235 StPO: Gmel in KK-StPO 6. Aufl. § 235 Rdn. 6). Ob der abweichenden Auffassung,
die eine Wiedereinsetzung von Amts wegen auch bei Versäumung der
Hauptverhandlung zulassen will (so u. a.: OLG Düsseldorf NJW 1980, 1704, 1705; OLG
Hamburg NStZ-RR 2001, 302; Maul in KK-StPO 6. Aufl. § 45 Rdn. 17), gefolgt werden
kann, kann dahinstehen. Nach dieser Auffassung kommt eine Wiedereinsetzung von
Amts wegen bei Terminversäumnis nur dann in Betracht, wenn der Wille des
Beschwerdeführers zur Fortsetzung des Verfahrens eindeutig zum Ausdruck kommt, wie
dies bei Versäumung einer Frist durch Nachholung der gebotenen Handlung geschieht
(OLG Düsseldorf a.a.O.; OLG Hamburg a.a.O.; Frisch in SK-StPO Stand: Okt. 2001 §
329 Rdn. 58; Maul in KK-StPO 6. Aufl. § 46 Rdn. 17). Das ist hier nicht der Fall. Den
diversen Schreiben des Verteidigers bzw. des Beschwerdeführers ist einerseits das
Begehren um Ratenzahlung bzw. der Hinweis auf fehlende finanzielle Mittel zu
entnehmen, was gegen einen Willen zur Fortsetzung des Verfahrens spricht,
andererseits, dass das Urteil nicht der "Wahrheit" entspricht, was für eine Weiterführung
in der Sache sprechen könnte. Ein eindeutiger Wille zur Fortführung des Verfahrens
ergibt sich daraus nicht – auch wenn die Auffassung des Landgerichts, das Schreiben
vom 04.05.2009 als Wiedereinsetzungsgesuch auszulegen, vertretbar ist. Zudem
überzeugt die Ansicht, dass ein entsprechendes eindeutiges Fortführungsbegehren
bereits in (jeglichem) Wiedereinsetzungsgesuch gesehen werden kann (OLG Hamburg
NStZ-RR 2001, 302 f.), nicht. Grundsätzlich mag das zwar der Fall sein. Kommt es aber
auf das Wiedereinsetzungsgesuch an, so müssen dann auch die hierfür geltenden
Vorschriften, u.a. § 45 Abs. 1 StPO, beachtet werden. Ein verspätetes
Wiedereinsetzungsgesuch – wie hier – reicht nicht aus. Eine andere Betrachtung würde
dem Interesse der Rechtssicherheit im Hinblick auf die Rechtskraft eines strafrechtlichen
Erkenntnisses zuwider laufen.
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Darüber hinaus sind Ladungsmängel nur dann berücksichtigungsfähig, wenn sie
entweder in einem ordnungsgemäßen Wiedereinsetzungsgesuch dargetan sind oder
sich ohne weiteres aus den Akten ergeben (OLG Köln NStZ-RR 2002, 142, 144). Auch
das ist hier nicht der Fall, denn es ist zwar der Zeitpunkt der Ummeldung bekannt,
welcher vor der Zustellung der Ladung lag. Dieser ist aber nicht identisch mit der
tatsächlichen Beendigung der Nutzung als Wohnung durch den Beschwerdeführer. Auf
die tatsächliche Nutzung als Wohnung kommt es indes an (vgl. Zöller-Stöber ZPO 26.
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Aufl. § 178 Rdnr. 4). Der Beschwerdeführer teilt lediglich mit, dass er die
Hauptverhandlung am 31.03.2009 versäumt habe, weil er "kurz zuvor" weggezogen sei.
Ob dies zum Zeitpunkt der Einlegung in den Briefkasten am 20.03.2009 bereits
geschehen war, teil er nicht mit.
III.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.
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