Urteil des OLG Hamm vom 14.03.2017

OLG Hamm (culpa in contrahendo, antrag, versicherungsnehmer, lebensversicherung, annahme, medizinische untersuchung, ärztliche untersuchung, vertrag, angebot, versicherer)

Oberlandesgericht Hamm, 20 U 220/77
Datum:
08.02.1978
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
20. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 U 220/77
Vorinstanz:
Landgericht Bielefeld, 6 O 70/77
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 23. Juni 1977 verkündete
Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird
zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung.
Tatbestand
1
Der am 5. August 1939 geborene Ehemann der Klägerin (Versicherungsnehmer)
unterhielt bei der Beklagten seit dem 1. Februar 1965 eine Lebensversicherung. Mit
Wirkung vom 1. September 1969 wurde die Versicherungssumme, die zunächst
6.000,00 DM betragen hatte, auf 11.484,00 DM erhöht. Sie verdoppelte sich im Falle
eines Todes durch Unfall. Die Versicherungsleistung war im Todesfall an die
bezugsberechtigte Klägerin und im Erlebensfall mit Ablauf der Versicherungsdauer am
1. Februar 2005 an den Versicherungsnehmer selbst zu zahlen. Die monatlich zu
zahlende Prämie betrug nach der Erhöhung 23,60 DM. Grundlage des Vertrages waren
die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Großlebensversicherung (AVB) und
die Bedingungen für die Unfall-Zusatzversicherung.
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Im Juli 1976 sprach der Versicherungsnehmer mit dem Agenten N der Beklagten über
eine Dynamisierung der Lebensversicherung unter gleichzeitiger Erhöhung der
Versicherungssumme auf 20.000,00 DM. Der Agent ließ daraufhin durch die
Bezirksdirektion C bei der Hauptverwaltung der Beklagten anfragen, welche neuen
Konditionen sich ergeben würden, wenn die erörterte Vertragsänderung zum 1.
September 1976 durchgeführt werde. Die Hauptverwaltung beantwortete die Fragen mit
Schreiben vom 4. August 1976. Danach ergab sich u.a. eine neue Prämie von monatlich
49,35 DM. Am 10. September 1976 suchte der Agent N den Versicherungsnehmer
wegen der Vertragsänderung erneut auf. Dieser unterzeichnete nun einen
"Spezialantrag zu Aufnahme einer bestehenden VB-Lebensversicherung in das VB-
Dynamik-Programm". Handschriftlich wurde auf dem Antrag vermerkt "lt. Angebot vom 4.
August 1976". Nach dem Antrage sollte die bestehende Lebensversicherung mit
Wirkung vom 1. September 1976 in das Dynamikprogramm aufgenommen werden. Die
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Versicherungssumme sollte 20.000,00 DM und im Falle des Unfalltodes 40.000,00 DM
betragen. Als Bezugsberechtigte im Todesfall war die Klägerin angegeben. In
Abänderung der bisherigen Praxis, nach der ein Kassierer der Beklagten die Prämien
monatlich abgeholt hatte, ermächtigte der Versicherungsnehmer die Beklagte, in Zukunft
die fälligen Prämien von seinem Konto abzubuchen. Das Antragsformular enthielt den
Vermerk: "Erklärung des Versicherungsnehmers. An meinen Antrag halte ich mich
sechs Wochen vom Tage der Antragstellung an gebunden ....". Der Agent leitete den
Antrag sofort weiter, er ging am 13. September 1976 bei der Bezirksdirektion C ein. Am
4. Oktober 1976 starb der Versicherungsnehmer an den Folgen eines Verkehrsunfalls.
Zu diesem Zeitpunkt hatte die Bezirksdirektion den Antrag noch nicht an die
Hauptverwaltung der Beklagten weitergeleitet. Infolge des Todes des
Versicherungsnehmers kam es dann nicht mehr zu einer ausdrücklichen Annahme
seines Antrags vom 10. September 1976.
Unter dem 21. Oktober 1976 erteilte die Beklagte der Klägerin über die Ansprüche aus
der Lebensversicherung eine Leistungsabrechnung, die mit einem Auszahlungsbetrag
von 12.141,04 DM abschloß. Dabei ging die Beklagte von einer Versicherungssumme
von 11.484,00 DM aus. Unter Berücksichtigung eines Überschussanteils und einer
Schlußdividende ergab sich ein Betrag von 12.259,04 DM, den die Beklagte um 118,00
DM für Beiträge kürzte. In der Folgezeit zahlte die Beklagte der Klägerin die sich aus der
Leistungsabrechnung ergebenden 12.141,04 DM und weitere 11.484,00 DM aus der
Unfallzusatzversicherung aus. Den Antrag der Klägerin, das Versicherungsverhältnis
aufgrund der Bedingungen des Antrages vom 10. September 1976 abzuwickeln, lehnte
die Beklagte ab.
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Die Klägerin hat vorgetragen: Die Beklagte habe den Änderungsantrag des Ehemannes
vom 10. September 1976 dadurch stillschweigend angenommen, dass sie in ihrer
Leistungsabrechnung vom 21. Oktober 1976 118,00 DM für Beiträge abgezogen habe.
Bei dem abgezogenen Betrage handle es sich nämlich um die neue Prämie für die
Monate September und Oktober 1976. Im übrigen sei die Beklagte aber nach den
Grundsätzen der culpa in contrahendo (Verschulden bei Vertragsschluß) zur Zahlung
der Versicherungsleistung entsprechend dem Antrage vom 10. September 1969 selbst
dann verpflichtet, wenn ein Vertrag zu den geänderten Bedingungen nicht mehr
zustande gekommen sein sollte. Die Beklagte müsse sich nämlich so behandeln lassen,
als sei die unter dem 10. September 1976 beantragte Vertragsänderung noch vor dem
Tode des Ehemannes wirksam geworden. Die Beklagte habe den Antrag umgehend
bearbeiten müssen. Die Initiative zu der Vertragsänderung sei von der Beklagten
ausgegangen. Die im Antrag enthaltene sechswöchige Bindungsfrist habe die Beklagte
nicht berechtigt, eine genauso lange Zeitspanne für die Bearbeitung in Anspruch zu
nehmen. Das ergebe sich daraus, dass die erhöhte Versicherung rückwirkend zum
1. September 1976 habe wirksam werden sollen und daß der Ehemann die Beklagte zur
Abbuchung ermächtigt habe. Außerdem sei die Beklagte auch deshalb zu einer
beschleunigten Bearbeitung verpflichtet gewesen, weil bereits ein Vertragsverhältnis
bestanden habe und lediglich dessen Änderung beantragt worden sei. Eine
unverzügliche Annahme des Versicherungsantrages sei auch ohne weiteres möglich
gewesen, da sich die persönlichen Verhältnisse des Ehemannes nicht geändert hätten
und eine medizinische Untersuchung nicht erforderlich gewesen sei. Tatsächlich habe
die Beklagte den Änderungsantrag überhaupt nicht bearbeitet, sondern sie habe ihn
unbearbeitet bei der Bezirksdirektion C liegen lassen.
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Die Klägerin hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie 20.000,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 21.
April 1977 zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hat vorgetragen: Ein Vertrag auf der Grundlage des Antrages vom
10. September 1976 sei nicht zustandegekommen. Auch ein Anspruch aus culpa in
contrahendo stehe der Klägerin nicht zu. Die in dem Versicherungsantrag enthaltene
sechswöchige Bindungsfrist habe für beide Seiten gleichermaßen gegolten, so daß ihr
eine Zeitspanne von sechs Wochen für die Überlegung zur Verfügung gestanden habe,
ob sie den Änderungsantrag annehmen wolle oder nicht. Außerdem habe sie die
Erledigung des gestellten Antrages nicht pflichtwidrig verzögert, denn die Bearbeituung
eines solchen Antrages dauere mindestens drei Wochen. Im übrigen sei es eine
Unterstellung anzunehmen, daß sie den Antrag überhaupt angenommen hätte.
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In seinem am 23. Juni 1977 verkündeten Urteil, auf das Bezug genommen wird, hat das
Landgericht die Klage abgewiesen.
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Hiergegen hat die Klägerin form- und fristgerecht Berufung eingelegt.
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Sie führt unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens aus: Der
Änderungsvertrag sei zustande gekommen. Der Ehemann habe mit dem Antrage vom
10. September 1976 bereits ein Angebot der Beklagten vom 4. August 1976
angenommen, wie sich aus dem handschriftlichen Vermerk auf dem Antrage ergebe.
Zumindest aber sei der Vertrag durch die Zusendung der Leistungsabrechnung
zustandegekommen. Im übrigen ergebe sich ihr Anspruch aus culpa in contrahendo. Die
Beklagte habe die Annahme des Änderungsantrages schuldhaft verzögert, obwohl sie
gehalten gewesen sei, den Antrag mit tunlicher Beschleunigung zu prüfen. Die Beklagte
habe den Antrag unbearbeitet liegen lassen. Anträge auf Abänderung einer
bestehenden Lebensversicherung würden, wenn – wie hier – keine ärztliche
Untersuchung erforderlich sei, regelmäßig in einer Woche, höchstens aber in zwei
Wochen abgewickelt.
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Die Klägerin hat zunächst beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils die
Beklagte zu verurteilen, an sie 20.000,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 21. April 1977
zu zahlen. Diesen Antrag hat die Klägerin im Termin eingeschränkt.
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Sie beantragt nun,
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das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie
16.723,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 21. April 1977 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte führt unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens aus:
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Ein Vertrag auf der Grundlage des Antrages vom 10. September 1976 sei nicht zustande
gekommen. Bei dem sog. Angebot vom 4. August 1976 handle es sich um einen
internen Schriftwechsel zwischen der Bezirksdirektion C und ihrer Haupverwaltung. Bei
dem in der Leistungsabrechnung abgesetzten Betrag von 118,00 DM handle es sich um
die Beiträge nach dem alten Tarif für die Monate September 1976 bis Januar 1977, die
ihr gemäß § 2 AVB noch zugestanden hätten. Ein Verschulden bei Vertragsschluß
könne ihr nicht vorgeworfen werden. Sie sei berechtigt gewesen, die volle
Sechswochenfrist für die Bearbeitung auszunutzen. Zu einer beschleunigten
Bearbeitung sei sie nicht verpflichtet gewesen. Die beantragte Änderung sei rechtlich
als Antrag auf Neuabschluß einer Lebensversicherung zu behandeln. Im übrigen habe
sie die Antragsbearbeitung nicht schuldhaft verzögert. Die Bezirksdirektion C habe den
Antrag nicht weitergeleitet, weil der Kassierer die unbenutzten Quittungen nicht
zurückgesandt habe, die sie für die beantragte Umstellung auf das Lastschriftverfahren
benötigt habe. An der Verzögerung treffe aber weder den Kassierer noch sie ein
Verschulden, weil das Anforderungsschreiben auf der Post verloren gegangen sei.
Außerdem sei es, auch wenn der Antrag mit den restlichen Quittungen schon am 21.
September 1976 bei der Hauptverwaltung vorgelegen hätte, selbst bei größtmöglicher
Beschleunigung nicht möglich gewesen, den Versicherungsschein vor dem 11. Oktober
1976 an den Versicherungsnehmer abzusenden. Sie hat dazu eine schematische
Darstellung vorgelegt, aus der die Bearbeitungsdauer bei einem Änderungsantrag
hervorgeht. Danach hätte der Antrag auch dann, wenn er zügig bearbeitet worden wäre,
im Zeitpunkt des Todes des Versicherungsnehmers auch nicht angenommen sein
können. Die Klägerin hat die Richtigkeit dieser Darstellung bestritten.
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Ergänzend wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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A. Die Berufung ist zwar zulässig, aber sachlich nicht gerechtfertigt. Der Klägerin steht
eine entsprechend dem Antrage des Versicherungsnehmers vom 10. September 1976
erhöhte Versicherungsleistung nicht zu.
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I. Zwischen dem Versicherungsnehmer und der Beklagten ist ein Vertrag über die
Änderung der Lebensversicherung zum 1. September 1976 nicht zustande gekommen.
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1.) Der Versicherungsnehmer hat mit seinem Antrage vom 10. September 1976 kein
Angebot der Beklagten angenommen. Bei dem in dem Antrage in Bezug genommenen
Angebot vom 4. August 1976 handelt es sich um das Schreiben der Hauptverwaltung
der Beklagten an die Bezirksdirektion C, in dem auf die Anfrage des Agenten N hin
dargelegt wird, welche neuen Vertragsbedingungen sich bei einer Aufnahme der
bestehenden Versicherung in das Dynamik-Programm und einer gleichzeitigen
Erhöhung der Versicherungssumme ergeben. Dieses Schreiben enthält keinen die
Beklagte bindenden Antrag an den Versicherungsnehmer. Mit der Vorlage des
Schreibens bei den Vertragsverhandlungen forderte der Agent der Beklagten den
Versicherungsnehmer lediglich auf, seinerseits einen entsprechenden Antrag
abzugeben. Das ergibt sich auch eindeutig aus dem Wortlaut des dann vom
Versicherungsnehmer unterschriebenen Antragsformulars. Dieses enthält, wie u.a. aus
der Bindungsfrist und der Beantwortung von Fragen nach gefahrerheblichen Umständen
folgt, nur einen Antrag, dessen Annahme der Beklagten frei stand. Die Bezugnahme auf
das Angebot vom 4. August stellt sich unter diesen Umständen nur als Erläuterung des
Antrages dar.
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2.) Die Beklagte hat den Antrag des Versicherungsnehmers vom 10. September 1976
nicht dadurch angenommen, daß sie der Klägerin die Leistungsabrechnung vom
21. Oktober 1976 zugesandt hat. Diese Abrechnung würde sich allenfalls dann als
Annahme darstellen, wenn die Beklagte darin bereits die entsprechend dem Antrage
vom 10. September erhöhte Prämie berechnet hätte. Das ist aber nicht der Fall. Nach
dem Vortrag der Beklagten handelt es sich bei dem abgesetzten Beitrag von 118,00 DM
um die nach dem alten Vertrage noch zu zahlenden Prämien für die Monate September
1976 bis Januar 1977. Von der Richtigkeit dieses Vortrages ist auszugehen. Gemäß § 2
AVB waren Jahresbeiträge zu zahlen. Da im vorliegenden Fall das Versicherungsjahr
jeweils zum 1. Februar begann und die letzte Monatsrate im August 1976 bezahlt
worden war, waren noch die Raten für September 1976 bis Januar 1977 zu zahlen. Das
ergab bei einer unstreitigen Monatsrate von 23,60 DM eine Beitragsschuld von 5 x 23,60
DM = 118,00 DM. Die demgegenüber von der Klägerin aufgestellte Behauptung, bei den
118,00 DM handle es sich um die neue Prämie für die Monate September und Oktober
1976, kann nicht richtig sein, denn die neue Prämie betrug ausweislich des sog.
Angebots der Beklagten vom 4. August 1976 monatlich 49,35 DM.
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II. Der Klägerin steht kein Anspruch aus Verschulden bei Vertragsschluß zu. Dieser
Anspruch hätte zur Voraussetzung, daß die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, den
Antrag des Versicherungsnehmers vom 10. September 1976 mit tunlicher
Beschleunigung zu prüfen, und daß der Antrag wegen einer schuldhaften Verletzung
dieser Pflicht nicht mehr rechtzeitig angenommen worden wäre. Außerdem müßte die
Klägerin überhaupt berechtigt sein, den Anspruch geltend zu machen.
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1.) Im gegebenen Fall ergeben sich bereits gegen das Vorliegen der zuletzt genannten
Voraussetzung erhebliche Bedenken. Es erscheint zweifelhaft, ob sich die
Bezugsberechtigung der Klägerin ohne weiteres auch auf einen
Schadensersatzanspruch aus Verschulden bei Vertragsschluß erstreckt, mag der
Schadensersatz auch durch Anzahlung der Versicherungsleistung zu gewähren sein.
Erfaßt die Bezugsberechtigung aber nicht die Schadensersatzforderung, so steht der
Anspruch aus Verschulden bei Vertragsschluß den Erben des Verhandlungspartners,
also des Versicherungsnehmers, zu, wobei sich ihre Berechtigung zur Geltendmachung
des letztlich nur bei der bezugsberechtigten Klägerin entstandenen Schadens aus den
Grundsätzen der Schadensliquidation im Drittinteresse ergibt (vgl. BGH VersR 75,
1090). Damit stände der Klägerin der geltend gemachte Schadensersatzanspruch nur
zu, wenn sie Alleinerbin ihres Ehemannes wäre oder wenn die Erben ihr den Anspruch
abgetreten hätten. Diese Fragen können aber letztlich dahin stehen, da auch die oben
dargelegte erste Voraussetzung eines Schadensersatzanpruchs nicht gegeben ist.
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2.) Die Beklagte war nicht verpflichtet, den Antrag des Versicherungsnehmers mit
tunlicher Beschleunigung zu prüfen. Sie durfte den Antrag auch bis Anfang Oktober
1976 unbearbeitet bei der Bezirksdirektion C liegen lassen. Es kommt daher weder
darauf an, ob die Beklagte die unterbliebene Weiterleitung des Antrages zu vertreten
hat, noch darauf, ob bei einer sofortigen ordnungsgemäßen Bearbeitung eine Annahme
noch vor dem Tode des Versicherungsnehmers erfolgt wäre.
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a) Auch im Versicherungsvertragsrecht können nach allgemeiner Auffassung durch den
Eintritt in Vertragsverhandlungen und das dadurch begründete vertragsähnliche
Vertrauensverhältnis Sorgfaltspflichten der Parteien entstehen, deren schuldhafte
Verletzung zur Haftung nach Maßgabe des § 276 BGB führt (BGH NJW 1966, 1407).
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Der bloße Eintritt in Vertragsverhandlungen hatte aber im vorliegenden Falle noch nicht
die Verpflichtung der Beklagten zur Folge, den Versicherungsantrag beschleunigt zu
prüfen.
aa) Der Versicherungsnehmer hielt sich in seinem Antrag sechs Wochen vom Tage der
Antragstellung an gebunden. Diese Bindungsfrist ist zugleich eine Annahmefrist i.S.d.
§ 148 BGB für die Beklagte (BGH NJW 1975, 751). Der Ansicht der Klägerin, die
Gleichsetzung von Bindungs- und Annahmefrist gelte nicht, wenn der Antrag nicht auf
Neuabschluß, sondern auf Änderung eines Vertrages gerichtet sei, vermag der Senat
sich nicht anzuschließen. Die von der Klägerin für ihre Ansicht zitierte Stelle bei
Prölss/Martin (21. Aufl. § 3 Anm. 3) trifft den vorliegenden Fall nicht. Wenn es dort unter
Berufung auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH VersR 52, 37)
sinngemäß heißt, daß in Antragsvordrucken oder im Gesetz enthaltene Bindungs- bzw.
Annahmefristen nur für den Antrag auf Abschluß eines Versicherungsvertrages, aber
nicht für Anträge auf Änderung, Verlängerung oder Aufhebung des Vertrages gelten, so
wird damit nicht gesagt, daß eine ausdrücklich in einem Antrag auf Vertragsänderung
aufgenommene Bindungsfrist wirkungslos sei. An diese Bindungsfrist ist der
Antragsteller vielmehr gebunden, was wiederum zur Folge hat, daß eine Annahme nur
in dieser Frist erfolgen kann.
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bb) Nach allgemeinem Vertragsrecht hat der Antragende kein Recht darauf, daß sich
der Empfänger innerhalb der für die Annahme vorgesehenen Frist alsbald mit dem
Antrage befaßt und nach Prüfung die Annahme oder Ablehnung erklärt. Dem
Antragsgegner steht die volle Frist zur Verfügung. Äußert er sich nicht, so ist der Antrag
abgelehnt (§ 146 BGB). Der bloße Eintritt in Vertragsverhandlungen hat noch keine
Änderung dieser Rechtslage zur Folge (BGH NJW 1966, 1407). Etwas anderes gilt im
allgemeinen auch nicht unter den besonderen Verhältnissen bei
Versicherungsanträgen. Zwar besteht hier die Gefahr, daß der Antragsteller ein unter
Umständen lebenswichtiges Risiko nicht mehr rechtzeitig versichern kann, weil der
Versicherer seinen Antrag im letzten Augenblick ablehnt oder sich überhaupt nicht
äußert. Diese Konsequenz ist aber hinzunehmen, denn sie kann durch die
Vereinbarung einer kürzeren Annahmefrist vermieden werden (BGH a.a.O.). Der
Versicherer ist somit grundsätzlich befugt, die Annahmefrist voll auszuschöpfen (BGH
VersR 1975, 1090). Er kann den Antrag im letzten Augenblick annehmen oder
ablehnen, er kann auch jede Äußerung unterlassen. Der Versicherer ist auch nicht
verpflichtet, dem Antragsteller einen vor Ablauf der Annahmefrist gefaßten Entschluß
über die Ablehnung oder Annahme alsbald mitzuteilen (BGH NJW 1966, 1407). Aus
alledem folgt, daß die Beklagte hier grundsätzlich berechtigt war, den Antrag bis Anfang
Oktober unbearbeitet liegen zu lassen.
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b) Das grundsätzliche Recht des Versicherers, die Annahmefrist voll auszunutzen, kann
allerdings dann entfallen, wenn eine besondere Eilbedürftigkeit ersichtlich ist (BGH
NJW 1966, 1407; VersR 1975, 1090). Dafür hat die Klägerin jedoch nicht genügend
vorgetragen. Es sind keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß der
Versicherungsnehmer auf einen alsbaldigen Abschluß entscheidenden Wert legte und
dies zum Ausdruck gebracht hätte. Eine solche Situation hätte zum Beispiel vorgelegen,
wenn der Versicherungsnehmer plötzlich aus irgendwelchen Gründen gezwungen
gewesen wäre, seine Familie für den Fall seines Todes schnellstmöglich durch den
Abschluß einer Lebensversicherung zu versorgen. Allein aus der Tatsache, daß die
Vertragsänderung schon zum 1. September 1976 wirksam werden sollte, ergibt sich
keine besondere Eilbedürftigkeit. Es ist zwar richtig, daß der Versicherungsnehmer,
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wäre der Vertrag zustande gekommen, die Prämien schon seit dem 1. September 1976
zu zahlen gehabt hätte, während die Beklagte das Risiko frühestens ab Abschluß des
Vertrages getragen hätte. Bei einem gesunden jungen Versicherungsnehmer konnte die
Beklagte jedoch davon ausgehen, daß dieser die auf den Todes- und den Erlebensfall
abgeschlossene Lebensversicherung zum Zwecke der Kapitalanlage zu erhöhen
wünschte und nicht, weil er mit der Möglichkeit seines alsbaldigen Todes rechnete. Wird
eine Lebensversicherung aber zum Zwecke der Kapitalanlage abgeschlossen, so ist ein
früherer Beginn des prämienbelasteten Zeitraums durchaus von Vorteil. Durch die
längere Laufzeit der Versicherung verringert sich die monatliche Beitragsbelastung und
steigt die Überschußbeteiligung. Im vorliegenden Fall steht im übrigen auch fest, daß
der Änderungstermin lediglich deshalb auf den 1. September 1976 festgelegt wurde,
weil das sog. Angebot der Beklagten vom 4. August 1976 die neuen Vertragsdaten auf
der Grundlage dieses Termins enthielt.
c) Der Versicherer kann grundsätzlich auch dann verpflichtet sein, einen Antrag mit
tunlicher Beschleunigung zu prüfen, wenn vertragliche Beziehungen schon bestehen,
insbesondere also dann, wenn ein bestehender Vertrag geändert werden soll
(Prölss/Martin, 21. Aufl., § 3 Anm. 5). Der Grund dafür ist, daß den Versicherer wegen
der bereits bestehenden Beziehungen gesteigerte Sorgfaltspflichten treffen. Obschon
hier seit langem ein Lebensversicherungsvertrag zwischen den Parteien bestand, war
die Beklagte jedoch nicht verpflichtet, den Antrag des Versicherungsnehmers
beschleunigt zu bearbeiten. Der dargelegte Grundsatz gilt nämlich nicht, wenn für den
Änderungsantrag eine Bindungsfrist (= Annahmefrist) bestimmt ist (Prölss/Martin, 21.
Aufl., § 3 Anm. 5). Dafür spricht bereits die oben zu a) bb) dargelegte Regelung des
allgemeinen Vertragsrechts. Außerdem besteht für die Annahme einer
Beschleunigungspflicht kein Bedürfnis. Für den Versicherungsnehmer war bei einiger
Sorgfalt ohne weiteres erkennbar, daß die Bearbeitung und Bescheidung seines
Antrags sechs Wochen dauern konnte. Nach dem von der Beklagten entworfenen
Antragsformular war er sechs Wochen gebunden, konnte also seinen Antrag in dieser
Zeitspanne nicht zurückziehen. An einer solchen Bindung konnte der Beklagten aber
ersichtlich nur gelegen sein, wenn sie damit rechnete, daß die Erledigung sechs
Wochen dauern könne. Unter diesen Umständen hätte der Versicherungsnehmer, wenn
er an einer Beschleunigung interessiert war, auf eine Abkürzung der Bindungsfrist
drängen müssen. Er konnte nicht erwarten, daß die Beklagte die eigens in dem
Änderungsantrage beanspruchte Bearbeitungsfrist nicht in Anspruch nehmen würde.
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d) Unter Umständen kann der Versicherer auch dann zu einer beschleunigten Prüfung
eines Antrages verpflichtet sein, wenn die Anregung zu dem Antrage, was die Klägerin
im vorliegenden Fall behauptet, von dem Versicherer ausgegangen ist (KG JR 1972,
24). Das kann aber nur in ganz besonders gelagerten Fällen zutreffen (Prölss/Martin, 21.
Aufl., § 3 Anm. 5), für die die Klägerin nichts vorgetragen hat. Im hier gegebenen Fall
war die Beklagte jedenfalls befugt, die sechswöchige Annahmefrist voll auszunutzen.
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B. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 97, 515 ZPO. Eine Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit ist nicht erforderlich, da nach dem Ermessen des Senats die
Revisionssumme unzweifelhaft nicht erreicht wird. Der Wert der Beschwer beträgt für die
Klägerin 16.723,00 DM.
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