Urteil des OLG Hamm vom 21.12.2010

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Oberlandesgericht Hamm, II-2 WF 285/10
Datum:
21.12.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
2. Senat für Familiensachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
II-2 WF 285/10
Vorinstanz:
Amtsgericht Marl, 11 F 110/10
Tenor:
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des
Amtsgerichts – Familiengericht – Marl vom 10.11.2010 wird
zurückgewiesen.
Gründe
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I.
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Der minderjährige Antragsteller beabsichtigt, den Antragsgegner, seinen Vater, u. a. auf
Zahlung eines Betrages von 1.052,50 € als Sonderbedarf in Anspruch zu nehmen und
sucht hierfür mit seinem im Mai 2010 bei Gericht eingegangenen Antrag um
Verfahrenskostenhilfe nach. Insoweit handelt es sich um die Hälfte der Kosten, die für
Klassenfahrten nach Österreich und zum Biggesee sowie für Schüleraustauschprojekte
in England und in China entstanden und von der Kindesmutter, die Inhaberin der
alleinigen elterlichen Sorge ist, getragen worden sind.
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Das Amtsgericht hat (auch) insoweit den Verfahrenskostenhilfeantrag des Antragstellers
zurückgewiesen. Bezüglich der Fahrt nach Österreich, die vom 29.1.bis zum 6.2.2009
stattfand, sei die Jahresfrist des § 1613 Abs. 2 Nr. 1 BGB verstrichen. Hinsichtlich der
Fahrt nach China sei eine Notwendigkeit nicht vorgetragen. Hinsichtlich der
Klassenfahrt zum Biggesee und des Englandaustausches handele es sich nicht um
Sonderbedarf.
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Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers. Er macht geltend,
bei den Kosten für Klassenfahrten handele es sich um Sonderbedarf, und zwar auch
dann, wenn, wie hier, Unterhalt nach der fünften Einkommensgruppe der Düsseldorfer
Tabelle gezahlt werde.
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Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet, da der beabsichtigten Rechtverfolgung
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die hinreichende Erfolgsaussicht fehlt, §§ 113 Abs. 1 S. 1 FamFG, 114 S. 1 ZPO.
1.
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Hinsichtlich der hälftigen Kosten der Skifreizeit in Österreich im Januar/Februar 2009 in
Höhe von 187,50 € sowie der hälftigen Kosten für den China-Austausch in Höhe von
700 € ist die sofortige Beschwerde aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen
Entscheidung, auf die der Senat Bezug nimmt, nicht begründet. Der Antragsteller hat
sich in seiner Beschwerdebegründung mit diesem Teil des angefochtenen Beschlusses
nicht auseinandergesetzt.
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Ergänzend weist der Senat hinsichtlich der Kosten für die China-Reise darauf hin, dass
Sonderbedarf Teil des Lebensbedarfs im Sinne des § 1610 Abs. 2 BGB ist und nicht der
Finanzierung unnötiger Aufwendungen dient. Es muss sich um die Deckung
notwendiger Lebensbedürfnisse handeln, wobei auf die Sicht eines objektiven
Betrachters unter Berücksichtigung der konkreten Lebensumstände abzustellen ist
(Wendl/Scholz, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 7. Aufl., § 6 Rn.
2, Büttner/Niepmann/Schwamb, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 11. Aufl.,
Rn. 325 m. w. N.). Dass diese Voraussetzungen hier zu bejahen wären, ist weder
vorgetragen noch ersichtlich. Denn der erstmalig von der Schule angebotene Austausch
mit China stellte, wie sich nicht zuletzt aus dem Schreiben der Schule vom 3.5.2010
ergibt, ein zusätzliches Angebot zu den bestehenden Schüleraustauschprojekten, etwa
mit England, dar. Dieses Angebot ging deutlich über eine übliche Schulveranstaltung
hinaus, was sich sowohl aus dem Angebotsinhalt (eine Woche Austausch, eine Woche
touristische Rundreise) als auch aus dem Preis von 1.400 € ergab, so dass sich das
Angebot von vorneherein nur an einen Teil der Schüler richtete und eine Teilnahme
nicht als notwendig angesehen werden kann. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus
den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des barunterhaltspflichtigen
Antragsgegners, der als Beamter Bezüge nach der Besoldungsgruppe A 10 erhält, also
nicht über ein außergewöhnlich hohes Einkommen verfügt. Eine Kostenbeteiligung des
Antragsgegners wäre daher nur auf einvernehmlichem Weg zu erreichen gewesen.
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2.
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Hinsichtlich der hälftigen Kosten für den Englandaustausch 2010 in Höhe von 100,- €
und für die Fahrt zum Biggesee in Höhe von 65,- € folgt der Senat ebenfalls den
zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss. Es handelt sich insoweit nicht
um Sonderbedarf i. S. v. § 1613 Abs. 2 Nr. 1 BGB, da die Voraussetzungen dieser
Vorschrift, nämlich das Vorliegen eines unregelmäßigen hohen Bedarfs, nicht gegeben
sind.
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Nach den gesetzlichen Voraussetzungen ist Sonderbedarf nur ausnahmsweise und
unter engen Voraussetzungen geschuldet. Es muss sich hierbei um einen Bedarf
handeln, der überraschend und der Höhe nach nicht abschätzbar auftritt. Unregelmäßig
i. S. v. § 1613 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist dabei nur der Bedarf, der nicht mit Wahrscheinlichkeit
vorauszusehen war und deswegen bei der Bemessung der laufenden Unterhaltsrente
nicht berücksichtigt werden konnte (BGH, Urteil vom 15.2.2006, XII ZR 4/04, FamRZ
2006, 612 ff.).
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Hier fehlt es bereits am Merkmal des überraschenden Auftretens. Dies ist weder
hinsichtlich des Englandaustausches noch hinsichtlich der Fahrt zum Biggesee der Fall.
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Der Englandaustausch ist an dem vom Antragsteller besuchten Gymnasium Bestandteil
des regelmäßigen Schulprogramms für die jeweilige Klassenstufe. Entsprechendes gilt
für die Klassenfahrt, hier zum Biggesee, die, als regelmäßig in der jeweiligen
Klassenstufe stattfindend, vorhersehbar und damit nicht überraschend ist. Nach dem
diesbezüglichen Schreiben der Schule aus September 2010 findet die
Jahrgangsstufenfahrt 10 seit sieben Jahren statt. Der Anspruch auf den geltend
gemachten Sonderbedarf scheidet daher – unabhängig von der Frage der
außergewöhnlichen Höhe des Bedarfs – bereits deswegen aus, weil die geltend
gemachten zusätzlichen Kosten mit Wahrscheinlichkeit vorauszusehen waren (vgl. BGH
a. a. O., S. 613).
Auf die Frage, ob es sich bei den Kosten für den Englandaustausch 2010 in Höhe von
insgesamt 200,- € und für die Fahrt zum Biggesee in Höhe von insgesamt 130,- € um
einen außergewöhnlich hohen Bedarf i. S. v. § 1613 Abs. 2 Nr. 1 BGB handelte, kommt
es danach nicht an. Wann dies der Fall ist, ist abhängig von den Umständen des
Einzelfalls, insbesondere der Höhe der laufenden Unterhaltsrente und der sonstigen
Einkünfte des Berechtigten, dem Lebenszuschnitt der Beteiligten sowie dem Anlass und
dem Umfang der besonderen Aufwendungen. Letztlich richtet sich die Frage, ob ein
Bedarf außergewöhnlich hoch ist, danach, ob und inwieweit dem Berechtigten, wenn
der Verpflichtete an sich leistungsfähig ist, bei einer Gesamtbetrachtung zugemutet
werden kann, den Bedarf selbst zu bestreiten (BGH a. a. O.). Angesichts des nach der
fünften Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle gezahlten Unterhalts und der
Gesamtkosten von 330,- € neigt der Senat dazu, es für zumutbar zu halten, aus den
laufenden Unterhaltszahlungen monatliche Rücklagen in Höhe von jeweils 27,50 € zu
bilden.
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3.
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Schließlich können die Kosten für die Fahrten hier auch nicht als Mehrbedarf geltend
gemacht werden. Hinsichtlich der Skifreizeit Österreich und des Austausches England
scheitert dies bereits an der rechtzeitigen Geltendmachung (vgl. § 1613 Abs. 1 S.1
BGB). Die Kosten von 130,- € für die Klassenfahrt Biggesee sind so gering, dass das
Übliche nicht um ein Maß überschritten ist, dass eine Erfassung mit den Regelsätzen,
hier nach der Einkommensgruppe 5 der Düsseldorfer Tabelle, nicht möglich wäre (vgl.
Wendl/Klinkhammer, a. a. O. § 2 Rn. 1).
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4.
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Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
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