Urteil des OLG Hamm vom 14.03.2017

OLG Hamm (vorläufige deckung, abweisung der klage, ablauf der frist, zahlungsaufforderung, versicherungsnehmer, vorläufige deckungszusage, zahlung, frist, unverzüglich, ehemann)

Oberlandesgericht Hamm, 20 U 125/78
Datum:
06.12.1978
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
20. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 U 125/78
Vorinstanz:
Landgericht Essen, 12 O 146/77
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 7. März 1978 verkündete
Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Essen abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
Tatbestand
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Die Klägerin verlangt mit der Klage die Erstattung von Schadensersatzleistungen, die
sie als Kfz.-Haftpflichtversicherer der Beklagten an einen Dritten erbracht hat.
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Die Beklagte beantragte unter dem 17. August 1976 bei der Klägerin den Abschluß
einer Haftpflichtversicherung für ihren PKW. Bei der Entgegennahme des Antrages
erteilte die Klägerin der Beklagten eine vorläufige Deckungszusage i.S.d. §1 II AKB. Am
6. September 1976 verschuldete die Beklagte mit ihrem PKW einen Verkehrsunfall. Der
dabei dem Unfallgegner entstandene Schaden von insgesamt 7.177,75 DM wurde von
der Klägerin ersetzt.
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Die Klägerin hat vorgetragen: Die vorläufige Deckung sei rückwirkend außer Kraft
getreten. Sie habe den Antrag der Beklagten unverändert angenommen und ihr unter
dem 21. Oktober 1976 einen entsprechenden Versicherungsschein zugesandt. Der
Versicherungsschein sei der Beklagten auch zugegangen, denn diese habe ihre
Prozeßbevollmächtigten brieflich dahin informiert, daß sie die Prämienrechnung
erhalten und an ihren geschiedenen Ehemann weitergeleitet habe. Dieser Brief sei dem
Zeugen ... der für sie - die Klägerin - Ermittlungen angestellt habe - von den
Prozeßbevollmächtigten vorgelesen worden. Die Beklagte habe - unstreitig - keinerlei
Zahlungen erbracht.
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Die Klägerin hat für Mahnkosten 16,15 DM geltend gemacht.
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Sie hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie 7.193,90 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 4. März 1977
zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hat vorgetragen, sie habe von der Klägerin weder den
Versicherungsschein noch eine Zahlungsaufforderung erhalten.
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Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen .... Wegen des
Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift vom 7. März 1978
verwiesen.
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In seinem am 7. März 1978 verkündeten Urteil, auf das ergänzend Bezug genommen
wird, hat das Landgericht die Beklagte unter Abweisung, der Klage im übrigen verurteilt,
an die Klägerin 7.177,75 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 4. März 1977 zu zahlen.
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Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten.
Diese führt unter Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen aus: In dem
Schreiben an ihre Prozeßbevollmächtigten habe sie lediglich eingeräumt, "später" eine
Prämienrechnung erhalten zu haben. Daraus ergebe sich aber nicht, daß sie auch einen
Versicherungsschein erhalten habe. Im übrigen habe es die Klägerin aber auch
unterlassen, sie über die Folgen einer nicht fristgerechten Prämienzahlung zu belehren.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Landgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Klägerin führt unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens aus: Aus dem
Zugang der Prämienrechnung ergebe sich, daß der Beklagten auch der
Versicherungsschein nebst einer ordnungsgemäßen Belehrung zugegangen sei. Sie
verwende nämlich einen Drucksatz, der aus dem Versicherungsschein, der
Prämienrechnung und dem Begleitbrief bestehe. Es sei daher ausgeschlossen, daß die
Prämienrechnung allein zur Versendung gelange. In dem Begleitbrief sei der Hinweis
enthalten: "Eine etwa erteilte Deckungszusage tritt (bei Kraftverkehrsversicherungen
rückwirkend) außer Kraft, wenn das Dokument nicht unverzüglich eingelöst wird."
Ergänzend heiße es dazu auf der Rückseite des Versicherungsscheins: "Eine etwa
erteilte vorläufige Deckung erlischt rückwirkend, falls der Einlösungsbetrag nicht
unverzüglich, d.h. innerhalb von 14 Tagen, nach Aufforderung gezahlt wird, auch wenn
der Versicherung fall bereits eingetreten ist."
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Darauf entgegnet die Beklagte: Sie habe sich am 25. Oktober 1976 von ihrem Ehemann
getrennt. Danach habe sie die gesamte von der Klägerin eingehende Post ungeöffnet
an ihren Ehemann weitergeleitet. Dieser sei unter ihrem - der Beklagten - Namen für die
Klägerin als Vertreter tätig gewesen. Er habe für die Begleichung der Prämie Sorge
tragen wollen. Unter der eingehenden Post habe sich aber weder ein
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Versicherungsschein noch eine Prämienrechnung befunden. In dem Brief an ihre
Prozeßbevollmächtigten habe sie sich mißverständlich ausgedrückt; sie habe lediglich
sagen wollen, daß sie die Prämienrechnung, falls diese bei der Post gewesen sei, an
ihren Ehemann weitergegeben habe. Außerdem sei die von der Klägerin erteilte
Belehrung über die Folgen einer nicht fristgerechten Prämienzahlung nicht
ordnungsgemäß.
Ergänzend wird auf die Schriftsätze der Partien Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung der Beklagten ist sachlich gerechtfertigt.
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Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der dem Unfallgegner der Beklagten
gezahlten Entschädigung. Die Klägerin ist nämlich verpflichtet, der Beklagten für den
Unfall, der sich am 6. September 1976 ereignet hat, Versicherungsschutz zu gewähren.
Diese Verpflichtung ergibt sich aus der unstreitig vor dem Unfall erteilten vorläufigen
Deckungszusage, die entgegen der von der Klägerin vertretenen Ansicht, nicht
rückwirkend erloschen ist.
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Die vorläufige Deckung tritt dann rückwirkend außer Kraft, wenn der Antrag auf
Abschluß eines Versicherungsvertrages unverändert angenommen, der
Versicherungsschein aber nicht spätestens innerhalb von vierzehn Tagen eingelöst wird
und der Versicherungsnehmer die Verspätung zu vertreten hat (§1 II AKB). Da der
Versicherungsschein durch die Zahlung der Erstprämie, deren Höhe dem
Versicherungsnehmer erst durch die Prämienrechnung bekannt gegeben wird, eingelöst
wird, kann der Versicherungsnehmer vor Zugang der Prämienrechnung nicht in Verzug
kommen. Daraus folgt, daß die vierzehntägige Frist zur Zahlung der Erstprämie zwecks
Einlösung des Versicherungsscheins erst mit dem Zugang einer Zahlungsaufforderung
beginnen kann (BGH NJW 1967, 1800). Im vorliegenden Fall hat die Klägerin die Frist
zur Zahlung nicht wirksam in Gang gesetzt, so daß von einer nicht fristgerechten
Einlösung des Versicherungsscheins schon aus diesem Grunde keine Rede sein kann.
Es fehlt eine wirksame Zahlungsaufforderung, und zwar auch dann, wenn der Beklagen
entsprechend dem Vortrag der Klägerin der Versicherungsschein die Prämienrechnung
und das Begleitschreiben zugegangen sein sollten. Die in der Zusendung dieser
Schriftstücke liegende Zahlungsaufforderung genügt nämlich inhaltlich nicht den an sie
zu stellenden Anforderungen.
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Der Versicherer muß bei der vorläufigen Deckungszusage den Versicherungsnehmer
mit der Zahlungsaufforderung darüber belehren, daß der gewährte Versicherungsschutz
rückwirkend wegfällt, wenn die Prämienrechnung nicht binnen vierzehn Tagen bezahlt
wird. Dies ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung des §39 VVG, dem über
sein Anwendungsgebiet hinaus der allgemeine Rechtsgrundsatz zu entnehmen ist, daß
eine notwendige Zahlungsaufforderung auf die Rechtsfolgen hinweisen muß, die
eintreten, wenn die verlangte Zahlung nicht innerhalb der in Lauf gesetzten Frist
geleistet wird (BGH NJW 1967, 1800). Die mit der Zahlungsaufforderung erteilte
Belehrung muß, wie zu §39 VVG anerkannt, ist (BGH NJW 1967, 1229), richtig,
eindeutig und vollständig sein. Der Versicherungsnehmer darf über die wirkliche
Rechtslage und die weitreichenden Folgen seiner Säumnis nicht im Unklaren gelassen
werden; er darf nicht durch unvollständige oder mißverständliche Hinweise von einem
der wirklichen Sach- und Rechtslage entsprechenden Entschlüsse abgehalten werden
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(BGH a.a.O.; RGZ 93, 80).
Diesen strengen Anforderungen entspricht die Zahlungsaufforderung nicht, die die
Klägerin der Beklagten übersandt haben will. Die in dem Begleitschreiben enthaltene
Belehrung war falsch; gemäß §1 II AKB in der seit dem 1. Januar 1971 geltenden
Fassung ist der Versicherungsschein nicht unverzüglich, sondern innerhalb einer Frist
von vierzehn Tagen einzulösen. Die fehlerhafte Belehrung war geeignet, die Beklagte
von einem sachgerechten Entschluß abzuhalten. Es bestand die Gefahr, daß die
Beklagte nach Ablauf der Frist zur unverzüglichen Zahlung, die allenfalls eine Woche
betrug (vgl. Prölss, 16. Aufl., §1 AKB Anm. 2), die Prämie deshalb nicht zahlte, weil sie
die Deckungszusage als bereits erloschen ansah. Durch die Angabe einer zu kurzen
Frist geriet die Beklagte in die gleiche Lage, in der sich ein Versicherungsnehmer
befindet, der durch eine qualifizierte Mahnung nach §39 VVG in den Glauben versetzt
wird, daß eine Zahlung nach Fristablauf nichts mehr nütze. Eine solche Mahnung ist
aber unwirksam (RGZ 93, 80; Prölss-Martin, 21. Aufl., §39 Anm. 6). An der
Fehlerhaftigkeit der von der Klägerin erteilten Belehrung ändert es nichts, daß auf der
Rückseite des Versicherungsscheins darauf hingewiesen wird, die vorläufige Deckung
erlösche rückwirkend, falls der Einlösungsbetrag nicht unverzüglich, d.h. innerhalb von
14 Tagen nach Aufforderung gezahlt werde. Dieser Hinweis konnte vom
Versicherungsnehmer leicht übersehen werden. Las dieser, weil es zweckmäßig und
üblich ist, zunächst das Begleitschreiben, so hatte er im Hinblick auf die klare und
eindeutige Belehrung, die Prämie sei unverzüglich zu zahlen, kein Veranlassung, die
Anlagen daraufhin zu überprüfen, ob sich darin eine Richtigstellung befand. Der
Versicherungsnehmer brauchte und konnte nicht damit rechnen, daß die Klägerin die
Fristangabe des Begleitschreibens in einem weiteren Hinweis auf der Rückseite des
Versicherungsscheins berichtigte. Unter diesen Umständen ist die
Zahlungsaufforderung der Klägerin nicht geeignet, die Beklagte zuverlässig über die
Rechtslage zu unterrichten.
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Da eine ausreichende Belehrung die Voraussetzung einer wirksamen
Zahlungsaufforderung ist, kommt es nicht darauf an, ob die fehlerhafte Belehrung die
Beklagte auch tatsächlich von einer rechtzeitigen Zahlung abgehalten hat. Das schließt
nicht aus, daß es dem Versicherungsnehmer ausnahmsweise nach §242 BGB verwehrt
sein kann, sich auf die fehlende oder ungenügende Belehrung zu berufen. Für das
Vorliegen eines solchen Falles ergeben sich hier aber keine Anhaltspunkte.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §91 ZPO. Eine Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit ist nicht erforderlich, da nach dem Ermessen des Senats die
Revisionssumme unzweifelhaft nicht erreicht wird. Der Wert der Beschwer beträgt für die
Klägerin 7.177,75 DM.
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