Urteil des OLG Hamm vom 01.03.2002

OLG Hamm: unterführung, teilweise abweisung, wasser, entwässerung, verstopfung, anschlussberufung, geschwindigkeit, wand, entstehung, betriebsgefahr

Oberlandesgericht Hamm, 9 U 205/00
Datum:
01.03.2002
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 U 205/00
Vorinstanz:
Landgericht Arnsberg, 4 O 344/99
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung des Klägers
wird das am 6. Oktober 2000 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des
Landge-richts Arnsberg abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.185,77 EUR nebst 4 %
Zinsen seit 21. Mai 1999 zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen. Die weitergehende Berufung
und An-schlussberufung werden zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 1/4 und die
Beklagte 3/4.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d
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Die Parteien streiten über die Verantwortlichkeit für einen Schadenfall, der sich nach
dem Vorbringen des Klägers am 1. November 1998 gegen Mittag in einer in einer Senke
gelegenen Eisenbahnunterführung der B-Straße in N ereignet hat. Dort hatten an
diesem Tage erhebliche Regenfälle an dem Tiefpunkt der Unterführung zu einem
Rückstau von Niederschlagwasser und einer dadurch verursachten teilweisen
Überschwemmung der Straße geführt.
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Der Kläger behauptet, er habe an diesem Tage mit seinem PKW Mercedes Benz die
Unterführung passieren wollen. Als die vor ihm fahrenden Fahrzeuge kurz gebremst
hätten, habe auch er abgebremst. Dadurch sei Wasser über den Kotflügel in den
Motorraum gelangt und habe einen Motorschaden (Wasserschlag) verursacht. Der
Kläger macht die Beklagte für den Schaden aus dem Gesichtspunkt einer Verletzung
der ihr obliegenden Straßenverkehrssicherungspflicht verantwortlich, da die
Entwässerung des Überschwemmungsbereiches bereits mangelhaft konstruiert sei und
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die Beklagte vor der Überschwemmungsgefahr nicht zumindest gewarnt habe. Mit der
Klage fordert er Ersatz seines mit 5.700,00 DM bezifferten Schadens nebst 6 % Zinsen
seit dem 21. Mai 1999.
Die Beklagte tritt diesem Begehren entgegen. Sie bestreitet eine mangelhafte
Konstruktion der Entwässerung und behauptet, die Überschwemmung sei darauf
zurückzuführen, dass eine Plastiktüte einen Straßeneinlauf zugesetzt habe. Ferner
macht sie den Kläger für den behaupteten Schadenfall allein selbst verantwortlich und
meint, er hätte davon Abstand nehmen müssen, durch das aufgestaute Wasser
hindurchzufahren. Schließlich bestreitet sie die Klageforderung auch der Höhe nach.
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Das Landgericht hat nach Einholung eines entwässerungstechnischen
Sachverständigengutachtens sowie Vernehmung eines Zeugen der Klage im
Wesentlichen stattgegeben und sie lediglich bezüglich der Zinsforderung teilweise
abgewiesen. Es hat eine - schadenursächliche - Pflichtverletzung der Beklagten wegen
mangelhaf-ter Entwässerungskonstruktion bejaht, ein anspruchsminderndes
Mitverschulden des Klägers für nicht gegeben erachtet und den Ersatzanspruch auch
der Höhe nach als begründet angesehen. Die geltend gemachten Zinsen hat es auf den
gesetzlichen Zinssatz gekürzt und erst ab Rechtshängigkeit zuerkannt.
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Gegen dieses Urteil wenden sich die Beklagte mit der Berufung und der Kläger mit der
Anschlussberufung. Die Beklagte verfolgt ihren Klageabweisungsantrag weiter und
greift die Beweiswürdigung sowie die rechtliche Beurteilung des Landgerichts an.
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Der Kläger beanstandet die teilweise Abweisung seines Zinsantrages.
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Entscheidungsgründe
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Die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung des Klägers sind zu einem Teil
begründet.
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I.
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Die Beklagte hat für den Schadenfall des Klägers vom 1. November 1998 gemäß § 839
BGB in Verb. mit §§ 9, 9 a StrWG NW, Art. 34 GG nach einer Haftungsquote von 3/4
einzustehen. Dies führt im Ergebnis zu einer Schadensersatzpflicht in Höhe von
2.185,77 EUR.
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1.
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Zu Recht hat das Landgericht eine schuldhafte Verkehrssicherungspflichtverletzung der
Beklagten und die Ursächlichkeit dieses Verstoßes für den von dem Kläger in
Rechnung gestellten Motorschaden bejaht.
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a)
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Darüber, dass der Beklagten als Straßenbaulastträger die Verkehrssicherungspflicht für
die in ihrem Gemeindegebiet gelegene Bahnunterführung oblag, besteht kein Streit.
Aufgrund dieser Sicherungspflicht war die Beklagte gehalten, die Entwässerung der
Unterführung im Rahmen des Möglichen und ihr Zumutbaren so zu gestalten, dass auch
bei starken Niederschlägen keine tieferen Wasserlachen mit der Gefahr eines
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Wassereintritts in die Motoren langsam durchfahrender Kraftfahrzeuge und dem daraus
folgenden Risiko von Motorschäden ("Wasserschläge") entstehen konnten.
Dieser Verpflichtung hat die Beklagte nicht genügt. Dabei ist nicht entscheidend, ob die
im Jahre 1984 durch Einbau von zwei Pumpen installierte Regenhebeanlage imstande
war, auch solche ihr zugeführte Niederschlagmengen abzupumpen, die statistisch nur
einmal in fünf Jahren überschritten werden können. Denn das zur Unfallzeit vorhandene
Entwässerungssystem wies nach dem klaren und überzeugenden
entwässerungstechnischen Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. Q 2 insofern
einen wesentlichen Mangel auf, als die für die Entwässerung der Unterführung
angelegten beiden Straßenabläufe nur eine Abflussmenge von (zusammen) 10,8 Litern
pro Sekunde aufnehmen und damit lediglich 18,3 % einer statistisch einmal pro Jahr
überschrittenen Niederschlagmenge ("Berechnungsregen") abführen konnten. Die
höhere und ausreichende Kapazität der Pumpanlage war mithin infolge der
unterdimensionierten Abläufe gar nicht imstande, ihr volles Potential auszunutzen. Eine
gefahrangemessene Aufnahmekapazität der Entwässerungsanlage war in Form der
Installation weiterer Abläufe möglich und wirtschaftlich auch zumutbar. Der
Konstruktionsmangel der Entwässerungsanlage stellte daher eine objektve Verletzung
der Straßenverkehrssicherungspflicht dar.
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Es spricht vieles dafür, dass die vorbeschriebene deutliche Unterdimensionierung der
Straßenabläufe die zu dem Motorschaden führende Überschwemmung der
Unterführung zumindest mitverursacht hat. Dies gilt auch dann, wenn - wie die Beklagte
behauptet - einer der Abläufe durch eine Plastiktüte verstopft war, was nach der
Beurteilung des Sachverständigen Dipl.-Ing. Q 2 zu einer erheblichen Reduzierung und
möglicherweise vollständigen Aufhebung der Abflussleistung des betroffenen Ablaufs
führen konnte. Auch in einem solchen Fall bleibt die durch die wesentliche
Unterdimensionierung des zweiten Ablaufs bewirkte Erhöhung des
Überschwemmungsrisikos derart gewichtig, dass die Anwendbarkeit eines
Anscheinsbeweises für den Ursachenzusammenhang zwischen unzureichender
Dimensionierung der Abläufe und Überschwemmung zumindest naheliegt. Diese Frage
bedarf hier jedoch keiner abschließenden Entscheidung, da der Beklagten auch die
durch eine Verstopfung verursachte Überschwemmung anzulasten wäre. Der
Sachverständige Dipl.-Ing. Q 2 hat hierzu ausgeführt, die Beklagte hätte ihr besonderes
Augenmerk auf die Gefahr einer Verstopfung richten und zur Vermeidung einer
wesentlichen Abflussreduzierung mehrere Abläufe getrennt voneinander und
möglicherweise auch der Höhe nach gestaffelt ohne weiteres anbringen können und
müssen. Der Senat tritt dieser Beurteilung in vollem Umfang bei und hält die
angesprochenen Sicherungsvorkehrungen gegen Verstopfung gerade wegen der hier
gegebenen Unterdimensionierung für besonders dringend geboten.
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b)
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Diese Pflichtverletzungen waren auch schuldhaft. Nach anerkannter Rechtsprechung
indiziert die objektive Sorgfaltspflichtverletzung grundsätzlich auch den subjektiven
Pflichtenverstoß bzw. begründet hierfür zumindest den Beweis des ersten Anscheins
(BGH VersR 86, 765; vgl. auch Lepa, Beweislast und Beweiswürdigung im
Haftpflichtprozeß, 1988,S.32 f.). Dies bedeutet, daß das objektiv unsachgemäße, der
Verletzungsgefahr nicht angepaßte Verhalten des Sicherungspflichtigen grundsätzlich
einen Schluß auf die subjektive Erkennbarkeit der Gefahr zulässt. Die Beklagte kann
dem auch nicht entgegenhalten, sie habe die Anlage von einer qualifizierten Fachfirma
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erstellen lassen und daher auf die volle Funktionsfähigkeit vertrauen dürfen. Auch bei
der Hinzuziehung eines Fachunternehmens ist derjenige, der in dem Wirkungsbereich
der erstellten Anlage den Verkehr eröffnet, dort grundsätzlich für die Verkehrssicherheit
verantwortlich. Dies bedeutet, daß er sich in der Regel unabhängig von etwaigen
anderweitigen Verantwortlichkeiten nach Kräften selbst bemühen muß, ein etwaiges
Gefahrenpotential zu erkennen, um gegebenenfalls die erforderlichen
Sicherheitsvorkehrungen treffen zu können. Eine derartige Kontrolle war der Beklagten
hier schon deshalb möglich und zumutbar, weil ihre Bediensteten bei extremen
Regenfällen die unzureichende Kapazität der beiden Straßeneinläufe hätten feststellen
können. Zu derartigen Überprüfungen bestand hier auch besonderer Anlass, da die
Entwässerung des Unterführungsbereiches vor dem Einbau der Pumpenanlage als
problematisch bekannt gewesen war.
c)
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Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bestehen ferner keine Zweifel, dass der
Motorschaden des Klägers durch die von der Beklagten verschuldete
Überschwemmung in Form eines "Wasserschlages" verursacht worden ist. Der
Sachverständige Dipl.-Ing. T hat in seinem kraftfahrzeugtechnischen Gutachten
ausgeführt und durch Lichtbilder erläutert, dass sich bei dem Dieselfahrzeug des
Klägers der Lufteintritt für den Motor seitlich am vorderen Kotflügel in Höhe des
Fahrtrichtungsanzeigers befindet, dorthin gelangendes Wasser durch den
Luftfilterkasten in den hochverdichteten Dieselmotor angesaugt wird und bereits bei
einer Geschwindigkeit von ca. 20 km/h die Pleuel des Motors verbiegt, wobei die Menge
eines Wasserglases ausreicht. Der Sachverständige hat auch bestätigt, dass die von
dem Kläger im Senatstermin vorgelegten verbogenen Pleuel das typische Bild eines
"Wasserschlages" boten. Es ist ohne weiteres nachvollziehbar, dass Wasser von der in
der Unterführung vorhandenen Wasserlache durch ein kurz vor dem Kläger fahrendes
und abbremsendes Fahrzeug gegen die Wand der Unterführung gespült worden und
von dort in Höhe der Luftschlitze gegen den vorderen Kotflügel des klägerischen Diesel-
PKW zurückgeschwappt war.
21
2.
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Der Schadenersatzanspruch des Klägers ist jedoch nach § 254 Abs. 1 BGB in
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Höhe von 25 % zu kürzen.
24
Allerdings ist ein Mitverschulden des Klägers an der Entstehung des Schadenfalles
nicht bewiesen. Insbesondere sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür gegeben,
dass der Kläger unter Verstoß gegen § 3 Abs. 1 Satz 2 StVO mit einer für die
Fahrbahnverhältnisse überhöhten Geschwindigkeit in die Unterführung eingefahren ist
und das Wasser aus diesem Grunde oder wegen eigenen starken Abbremsens gegen
den Kotflügel seines PKW geschwappt ist. Vielmehr kann das Wasser durch ein
vorausfahrendes Fahrzeug gegen die Wand gespült worden sein, wie bereits ausgeführt
worden ist. Ein Eigenverschulden des Klägers kann auch nicht darin gesehen werden,
dass dieser bei Tageslicht überhaupt in die von einer erkennbaren Wasserlache
bedeckte Unterführung eingefahren ist. Der Kläger hat unwiderlegt angegeben, vor ihm
seien mehrere andere Fahrzeuge in langsamer Fahrt durch die Unterführung gefahren
und er habe sich dieser Kolonne angeschlossen. Da die vorausfahrenden Fahrzeuge
nach seiner gleichfalls nicht widerlegten Darstellung mit der Wasserlache keine
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Probleme hatten und ein Bremsmanöver des vorausfahrenden Fahrzeugs mit der
Wirkung einer gegen die Luftschlitze schwappenden Wasserwelle für ihn nicht
vorhersehbar waren, trifft ihn an der Entstehung des "Wasserschlages" kein
Verschulden.
Der Kläger muss sich jedoch die für den Schadenfall mitursächlich gewordene
Betriebsgefahr seines Fahrzeuges anspruchsmindernd entgegenhalten lassen. Die
exponierten Lufteintrittsöffnungen des Dieselfahrzeuges stellen ein Konstruktionselemt
dar, das für Schäden der hier vorliegenden Art anfällig ist und daher die insoweit
bestehende Betriebsgefahr des Fahrzeuges objektiv erhöht. Der Senat hat diesen
Verursachungsanteil in Abwägung mit dem durch das schuldhaft pflichtwidrige
Verhalten der Beklagten bewirkten Kausalbeitrag mit 25 % bemessen und daher eine
Haftungsquote von 75 % festgesetzt.
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3.
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Dem Kläger ist durch den Vorfall vom 1. November 1998 ein ersatzfähiger Schaden in
Höhe von 2.914,36 EUR (5.700,00 DM) entstanden. Nach dem Gutachten des
Sachverständigen Dipl.-Ing. T sind sämtliche Einzelpositionen der von dem Kläger
eingereichten Reparaturrechnung dem "Wasserschlag" zuzuordnen und eine durch die
Reparatur verursachte Wertverbesserung zu verneinen. Hieraus errechnet sich unter
Berücksichtigung der erkannten Haftungsquote eine Schadenersatzforderung des
Klägers in Höhe von 2.185,77 EUR.
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II.
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Die Zinsforderung ist gemäß §§ 284, 288 Abs. 1 BGB in Höhe von 4 % seit 21. Mai 1999
begründet. Der Kläger hat die Beklagte durch die in dem Mahnschreiben vom 3. Mai
1999 gesetzte Frist am 21. Mai 1999 in Verzug gesetzt. Ihm steht jedoch nur der
gesetzliche Zinssatz von 4 % zu, da er einen höheren Verzugsschaden nicht konkret
dargelegt hat.
30
III.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 10 ZPO. Für die Zulassung der Revision
besteht kein Anlass (§ 543 ZPO n.F.).
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