Urteil des OLG Hamm vom 22.06.2006

OLG Hamm: einkünfte, unterhalt, abänderungsklage, widerklage, vergleich, pension, abschreibung, renteneinkommen, vermietung, miete

Oberlandesgericht Hamm, 4 UF 272/05
Datum:
22.06.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
4. Senat für Familiensachen
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 UF 272/05
Vorinstanz:
Amtsgericht Dortmund, 178 F 950/05
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 26. 9. 2005 verkündete Urteil
des Amtsgerichts - Familiengericht - Dortmund teilweise abgeändert.
Der Beklagte wird unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts -
Familiengericht - Dortmund vom 10. 2. 2003 (Aktenzeichen: 178 F
4745/02) verurteilt, an die Klägerin ab 22. 3. 2005 nachehelichen
Unterhalt in Höhe von monatlich 1.232,55 € zu zah-len.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil vom 26. 9. 2005 wird
zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
1
A.
2
Die Parteien nehmen sich wechselseitig auf Abänderung eines Unterhaltstitels in
Anspruch.
3
Die am 6. 9. 1944 geborene Klägerin und der am 26. 4. 1935 geborene Beklagte waren
vom 11. 12. 1980 bis zur Scheidung durch Urteil des AG Unna vom 2. 7. 1986,
rechtskräftig seit dem 9. 8. 1986, miteinander verheiratet. Aus der Ehe ist eine am 27. 2.
1981 geborene Tochter hervorgegangen, die nach der im Mai 1984 erfolgten Trennung
der Parteien bei der Mutter lebte und seit Anfang 2001 über eigenes Einkommen verfügt.
Der Beklagte ist Pensionär bei der Post und wieder verheiratet; seine Ehefrau hat eine
behinderte Tochter in die Ehe gebracht. Kinder sind aus der zweiten Ehe des Beklagten
nicht hervorgegangen.
4
Die Klägerin war teilschichtig als Raumpflegerin tätig; seit dem 1. 5. 2004 bezieht sie
eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.
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Dem vorliegenden Rechtsstreit gingen mehrere Unterhaltsprozesse voraus. Am 27. 1.
1999 schlossen die Parteien vor dem Oberlandesgericht Hamm (5. Familiensenat)
einen Vergleich, worin sich der Beklagte in Abänderung eines Urteils aus 1993 mit
Wirkung ab Februar 1999 zur Zahlung monatlichen Unterhalts in Höhe von 850 DM (900
DM abzüglich 50 DM für eine zu verrechnende Überzahlung) verpflichtete. Grundlage
dieses Vergleichs waren die Versorgungsbezüge des Beklagten in Höhe von (bereinigt)
3.600 DM, ein Wohnwert von 1.160 DM, Mieteinnahmen aus dem bei der Ehescheidung
vorhandenen Grundbesitz in Höhe von 464 DM, Kindesunterhalt in Höhe von 630 DM
und ein fiktives Einkommen der Klägerin in Höhe von 1.700 DM (6/7 davon = 1.460 DM).
Durch Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 10. 2. 2003 wurde der Beklagte sodann
unter Abänderung des vorgenannten Vergleichs für die Zeit ab August 2001 verurteilt,
an die Klägerin Nachscheidungsunterhalt in Höhe von monatlich 992,37 € zu zahlen.
Hierbei legte das Amtsgericht ein bereinigtes monatliches Nettoeinkommen des
Beklagten von 2.061,30 €, fortgeschriebene Mieteinnahmen von 500 DM = 255,65 €,
einen fortgeschriebenen Wohnwertvorteil des Beklagten in Höhe von 1.200 DM =
613,55 € sowie auf Seiten der Klägerin ein fortgeschriebenes fiktives Einkommen von
1.750 DM (894,76 €) zugrunde. Von der Hälfte der Einkommensdifferenz brachte das
Amtsgericht wegen der weiterhin zu verrechnenden Überzahlung 50 DM = 25,50 € in
Abzug, so dass sich ein Betrag von 992,37 € errechnete. Der Beklagte legte gegen das
Urteil vom 10. 2. 2003 Berufung ein, die er im Senatstermin vom 18. 9. 2003
zurücknahm.
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Im vorliegenden Rechtsstreit hat die Klägerin den Beklagten für die Zeit ab September
2004 auf Erhöhung des titulierten Unterhalts auf 1.335 € in Anspruch genommen mit der
Begründung, sie beziehe nach Abzug der Kranken- und Pflegeversicherung lediglich
ein Renteneinkommen in Höhe von 330,58 €; eine Erwerbstätigkeit könne sie nicht
mehr ausüben.
7
Der Beklagte ist dem entgegen getreten; im Wege der Widerklage hat er eine
Reduzierung des Unterhalts auf 480 € geltend gemacht. Zur Begründung hat er darauf
verwiesen, dass der im Vorprozess noch in die Unterhaltsberechnung eingeflossene
Splittingvorteil nur der neuen Ehe zugute kommen dürfe, weshalb sich seine Pension
rechnerisch auf netto 19.354,62 € im Jahr reduziere. Aus dem eheprägenden Mietobjekt
sei in 2004 nur noch ein Überschuss in Höhe von brutto 9.840,02 € erzielt worden;
infolge von Leerständen und Beschädigungen sei es zu erheblichen Mietausfällen und
Instandsetzungskosten gekommen. Er habe deshalb seinen Kreditrahmen erhöhen, sein
Wertpapierdepot verpfänden und zur Absicherung der Darlehen eine
Lebensversicherung abschließen müssen, für die er jährlich 7.827,70 € aufbringen
müsse. Zudem müsse er das genannte Darlehen mit 2.527,68 € tilgen, so dass er im
Ergebnis keine positiven Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung habe. Der
Klägerin sei zusätzlich ein fiktives Renteneinkommen von rund 120 € zuzurechnen, weil
sie ihre Obliegenheit zu vollschichtiger Erwerbstätigkeit fortlaufend verletzt habe und
infolgedessen jetzt weniger Rente beziehe. Ein Wohnwertvorteil sei ihm nicht
zuzurechnen, denn der Wohnvorteil sei ersatzlos weggefallen.
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Das Amtsgericht hat Klage und Widerklage abgewiesen. Es hat aus monatlichen
Pensionseinkünften – bereinigt um den Zuschlag für die behinderte Stieftochter sowie
den Splittingvorteil – in Höhe von netto 1.613,81 €, bereinigten Mieteinkünften in Höhe
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von monatlich 500 € und einem Wohnwertvorteil von 613,55 € ein Einkommen des
Beklagten in Höhe von 2.742,00 € errechnet. Dass der Beklagte nicht mehr in der
Ehewohnung lebe, könne zur Stützung eines Abänderungsbegehrens nicht
berücksichtigt werden, weil diese Einwendung schon im Vorprozess habe geltend
gemacht werden können. Dem Einkommen des Beklagten stehe ein Renteneinkommen
der Klägerin von 575 € gegenüber, das wegen Verletzung der Erwerbsobliegenheit der
Klägerin um 130 € zu erhöhen und um Krankenversicherungsbeiträge in Höhe von
247,00 € zu reduzieren sei. Bei einem bereinigten Einkommen der Klägerin von 458 €
errechne sich ein Unterhaltsanspruch von 1.134,50 €; hiervon sei im Wege des
Direktabzugs der der Klägerin im Wege des Versorgungsausgleichs zugeflossene
Betrag abzusetzen; dies seien rund 120 €. Der sich danach errechnende Betrag weiche
nur geringfügig vom titulierten Unterhalt ab, so dass eine Abänderung nicht
gerechtfertigt sei.
Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt.
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Die Klägerin rügt zunächst, dass das Amtsgericht ihren Unterhaltsanspruch wegen des
Versorgungsausgleichs gekürzt habe; ihre Rente sei bereits unter Berücksichtgung des
Versorgungsausgleichs errechnet worden. Auch in den Ruhegehaltsbe-zügen des
Beklagten sei diese Kürzung bereits enthalten. Dem Beklagten sei ein um rund 1.200 €
jährlich erhöhtes Pensionseinkommen zuzurechnen, weil der Beklagte unter Verletzung
seiner Erwerbsobliegenheit 6 Jahre lang nur teilschichtig gearbeitet habe. Der im
Pensionseinkommen enthaltene Zuschlag für die behinderte Stieftochter dürfe nur mit
dem Nettobetrag herausgerechnet werden. Zu berücksichtigen sei das begrenzte
Realsplitting, das zu einem Steuervorteil des Beklagten in Höhe von 180 € führe.
Hinzuzusetzen seien der Wohnwertvorteil sowie das Mieteinkommen von 500 €, wobei
dieser Betrag nur mit Bedenken akzeptiert werden könne, weil die Einnahmen durch
Gebäudeabschreibungen gemindert worden seien. Ein ehe-prägender Wohnwert sei
dem Beklagten schon im Urteil vom 30. 5. 1988 zugerechnet worden, obwohl das Objekt
schon damals verkauft gewesen sei. Dies habe der Beklagte in den Vorprozessen
wiederholt vorgetragen; schon im Rahmen der damaligen Erörterungen vor dem OLG
sei der Beklagte darauf hingewiesen worden, dass der Wohnwert fortzuschreiben sei.
Da die Parteien bereits im Vorfeld Verhandlungen über die Neuberechnung des
Unterhaltes geführt hätten und sich einig gewesen seien, dass der Unterhalt zum 1. 9.
2004 neu zu berechnen sei, könne sie den erhöhten Unterhalt ab 1. 9. 2004 verlangen.
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Die Klägerin beantragt,
12
das angefochtene Urteil abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des
Urteils des Amtsgerichts – Familiengericht – Dortmund vom 10. 2. 2003 zu
verurteilen, an sie ab 22. 3. 2005 nachehelichen Unterhalt in Höhe von monatlich
1.232,55 € zu zahlen.
13
Der Beklagte beantragt,
14
1.
15
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen,
16
2.
17
unter Abänderung des angefochtenen Urteils das Urteil des Amtsgerichts -
Familiengericht – Dortmund vom 10. 2. 2003 dahin abzuändern, dass er ab
Zustellung der Widerklage nur noch zur Zahlung nachehelichen Unterhalts in Höhe
von monatlich 480 € verpflichtet sei.
18
Die Klägerin beantragt,
19
die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
20
Der Beklagte meint, die Berufung auf den Wegfall des Wohnvorteils dürfe ihm auch im
Rahmen der Widerklage nicht versagt bleiben. Schon bei Abschluss des Vergleichs im
Jahre 1999 sei die Hinzurechnung des Wohnvorteils materiell-rechtlich unrichtig
gewesen. Wenn es dann aus anderen Gründen zu einer Änderung komme, könne die
seinerzeit zu Unrecht angesetzte Position im Wege der Annexkorrektur ebenfalls
korrigiert werden. Es sei ihm auch unter Berücksichtigung seines Alters nicht mehr
zuzumuten, eine weitere Perpetuierung des Fehlers hinzunehmen. Zu bedenken sei
auch, dass der abzuändernde Titel seine Grundlage in einem Vergleich habe, der
unstreitig schon damals unrichtig gewesen sei und der an die veränderten Verhältnisse
unter Wahrung der dem Parteiwillen entsprechenden Grundlagen anzupassen sei.
Hilfsweise berufe er sich zur Verteidigung gegen die Abänderungsklage der Klägerin
auf den Wegfall des Wohnwertvorteils. Zu prüfen sei auch die Frage der zeitlichen
Beschränkung des Unterhalts. Zu Unrecht habe das Amtsgericht Einkünfte aus
Vermietung und Verpachtung in Höhe von monatlich 500 € einbezogen. Es seien
lediglich die Einkünfte aus dem Objekt L-Straße zu berücksichtigen, weil er alle anderen
Objekte erst nach der Scheidung der Parteien von den Eltern übernommen bzw. geerbt
habe. Bei der Ermittlung der Einkünfte seien erhebliche Leerstände und Belastungen zu
berücksichtigen, so dass im Ergebnis keine Mieteinkünfte zu verzeichnen seien.
21
Im Senatstermin vom 29. 5. 2006 hat die Klägerin erklärt, es handele sich bei ihrer
Abänderungsklage um eine Teilklage; sie behalte sich eine Nachforderungsklage vor.
22
B.
23
Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet, während das gleichfalls zulässige
Rechtsmittel des Beklagten unbegründet ist.
24
I.
25
Die Abänderungsklagen der Parteien sind gem. § 323 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO zulässig,
denn beide Parteien berufen sich auf eine nachträglich eingetretene wesentliche
Änderung der dem abzuändernden Titel zugrunde liegenden Verhältnisse. Auf Seiten
der Klägerin entfällt mit der eingetretenen – durch Rentenbezug dokumentierten –
Erwerbsunfähigkeit die Zurechnung eines fiktiven Erwerbseinkommens, während als
Abänderungsgrund auf Seiten des Beklagten die geänderte Rechtsprechung zum
Splittingvorteil (BVerfG FamRZ 2003, 1821 ff) zu berücksichtigen ist. Ob seitens des
Beklagten weitere Abänderungsgründe – etwa in Bezug auf den Wohnwertvorteil – mit
Substanz dargetan sind, kann an dieser Stelle offen bleiben.
26
II.
27
Die Abänderungsklage der Klägerin ist begründet, denn aufgrund der zwischenzeitlich
28
eingetretenen Veränderungen beträgt ihr Anspruch auf nachehelichen Unterhalt gegen
den Beklagten ab Rechtshängigkeit der Abänderungsklage (22. 3. 2005) mindestens
1.232,55 €. Die Widerklage ist dagegen nicht begründet.
1.
29
Die Klägerin verfügt im streitgegenständlichen Unterhaltszeitraum über ein
Renteneinkommen in Höhe von netto 458,16 €, das sich wie folgt zusammen setzt:
30
Tatsächliche Rente lt. Bescheid zum 1. 7. 2005: 575,18 €
31
Dieser Betrag ist um 130,00 €
32
zu erhöhen, weil die Klägerin eine entsprechend höhere
33
Rente bezöge, wenn sie ihrer Erwerbsobliegenheit nach-
34
gekommen wäre; die zutreffenden Ausführungen hierzu
35
im angefochtenen Urteil werden nicht angegriffen.
36
Vom Bruttobetrag der Rente in Abzug zu bringen sind die
37
Krankenversicherungskosten mit 247,02 €.
38
Das bereinigte Einkommen beträgt daher 458,16 €.
39
Über Erwerbseinkünfte verfügt die Klägerin, wie sie im Senatstermin glaubhaft bestätigt
hat, seit Beginn des Rentenbezugs nicht mehr.
40
2.
41
Das Einkommen des Beklagten errechnet sich wie folgt:
42
a)
43
In 2005 hat der Beklagte nach der vorliegenden Steuerbescheinigung
Versorgungsbezüge in Höhe von brutto 29.356,48 € bezogen; die Minderung infolge des
Versorgungsausgleichs ist dabei bereits berücksichtigt. Als nicht eheprägend in Abzug
zu bringen ist die Zulage für das behinderte Kind der Ehefrau des Beklagten in Höhe
von (90,05 x 12 =) 1.080,60 € brutto, so dass 28.275,88 € brutto verbleiben.
44
b)
45
Weitere – fiktive – Pensionseinkünfte sind dem Beklagten nicht zuzurechnen. Zwar war
auch der Beklagte rund 6 Jahre lang nur teilschichtig tätig, und er ist bereits mit
Vollendung des 60. Lebensjahres in Pension gegangen; hätte er bis zur Vollendung des
65. Lebensjahres vollschichtig gearbeitet, wären seine Pensionseinkünfte nach der
vorliegenden Auskunft um monatlich 105,56 € höher. Grundsätzlich kommt eine
Zurechnung fiktiver Einkünfte deshalb durchaus in Betracht.
46
Allerdings ist dieser Gesichtspunkt weder im Vergleich vom 27. 1. 1999 noch in dem
danach geführten Vorprozess berücksichtigt worden, obwohl es der Klägerin ohne
weiteres möglich gewesen wäre, sich auch hierauf zu berufen; vielmehr ist jeweils das
tatsächliche Pensionseinkommen des Beklagten in die Unterhaltsberechnung
eingestellt worden. Deshalb kann die Klägerin diesen Gesichtspunkt nach der
Präklusionsregel des § 323 Abs. 2 ZPO zur Stützung ihres Abänderungsverlangens
nicht mehr geltend machen.
47
c)
48
Neben den oben ermittelten Pensionseinkünften sind Mieteinkünfte des Beklagten aus
dem – allein eheprägenden – Objekt L-Straße in E in Höhe von brutto 14.442,33 € zu
berücksichtigen.
49
Der Senat hat die Höhe der Mieteinkünfte anhand der vorliegenden Steuererklärungen
und –bescheide ermittelt, die wesentlich aussagekräftiger sind als die zahlreichen vom
Beklagten vorgelegten Einzelbelege, denn es ist davon auszugehen, dass der Beklagte
alle Aufwendungen für das Mietobjekt steuerlich geltend gemacht hat.
50
Die zur Tilgung der Darlehen aufgewandten Beträge (2.527,68 €) können ebenso wie
die Beiträge zur Kapitallebensversicherung (7.827,70 €) nicht in Abzug gebracht
werden, denn die Leistungen dienen der Vermögensbildung. Dass der Beklagte
angesichts seiner bereits laufenden Versorgungsbezüge und Immobilien noch eine
zusätzliche Altersvorsorge betreiben müsste, ist weder dargetan noch ersichtlich.
51
Auch die nach Darstellung des Beklagten zunehmenden Leerstände in den Wohnungen
rechtfertigen es nicht, von den anhand der Steuerunterlagen ermittelten Werte
abzuweichen. Dass es bei der Belegung von Mietwohnungen Schwankungen gibt, liegt
in der Natur der Sache; dem kann in der Regel durch Bildung eines
Mehrjahresdurchschnitts Rechnung getragen werden (vgl. Wendl/Staudigl-Gerhardt,
Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 6. Auflage, § 1 Rn. 295). Im
übrigen wird durch das nachfolgende Rechenwerk dokumentiert, dass der Beklagte trotz
des nach seiner Behauptung zunehmenden Leerstands aus der Vermietung des
Objektes ein beträchtliches Einkommen erzielt hat; die Schwankungen beruhen vor
allem auf der unterschiedlichen Höhe der Erhaltungsaufwendungen (2002: 12.591 €;
2003: 27.655 €; 2004: 14.136 €).
52
Die in den Steuerbelegen enthaltenen Abschreibungen können unterhaltsrechtlich nicht
akzeptiert werden (a. a. O. Rn. 300 m. w. N.), weshalb die in den Steuerunterlagen
ausgewiesenen Mieteinkünfte um die Abschreibungen zu erhöhen sind.
53
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben errechnen sich die Mieteinkünfte des
Beklagten für das Objekt L-Straße (21 Wohnungen, 1.189 qm) anhand der eingereichten
Belege wie folgt:
54
2002: Gesamteinnahmen: 96.338 €
55
Werbungskosten: - 78.595 €
56
Davon Abschreibung: + 4.222 €
57
Bereinigte Einkünfte brutto 21.965 €
58
2003: Gesamteinnahmen: 100.323 €
59
Werbungskosten: - 95.600 €
60
Davon Abschreibung: + 4.222 €
61
Bereinigte Einkünfte brutto: 8.945 €
62
2004: Gesamteinnahmen: 94.005 €
63
Werbungskosten: - 85.810 €
64
Davon Abschreibung: + 4.222 €
65
12.417 €
66
Es errechnen sich Mieteinkünfte (brutto) in den genannten Jahren in Höhe von
insgesamt 43.327 € bzw. 14.442,33 € im Jahr (1.203,53 € monatlich).
67
d)
68
Entgegen der Auffassung des Beklagten ist sein Einkommen weiterhin um einen
69
eheprägenden Wohnwertvorteil in Höhe von 613,55 € zu erhöhen. Der Streit um die
Berücksichtigungsfähigkeit eines Wohnwertvorteils war bereits Gegenstand der beiden
erwähnten Vorprozesse. Mithin haben die Parteien den Wohnwert im damals
geschlossenen Vergleich in Kenntnis der damit zusammenhängenden tatsächlichen
und rechtlichen Probleme festgeschrieben und der früheren Streitfrage, ob der
Wohnvorteil sich (nur) an dem um Verbindlichkeiten bereinigten Verkaufserlös oder aber
an dem (möglicherweise teilweise damit finanzierten) jetzigen Haus des Beklagten
fortsetzt, die Grundlage entzogen. Unstreitig hat der Beklagte die frühere Ehewohnung
verkauft, und bei lebensnaher Betrachtungsweise liegt auf der Hand, dass der Erlös von
wohl 180.000 DM in irgendeiner Weise im Vermögen des Beklagten gewinnbringend
angelegt worden ist, so dass im Ergebnis ein – konkret nicht mehr feststellbares –
Surrogat für den Wohnwertvorteil im Vermögen des Beklagten verblieben ist. Gerade
deshalb lag es aus damaliger Sicht nahe, den Streit um Wohnwert und Surrogat zu
beenden und den eheprägenden Wohnwert unabhängig von der konkreten Verwendung
des Verkaufserlöses festzuschreiben. Von einer unter Missachtung der materiellen
Rechtslage nur irrtümlich erfolgten Festschreibung eines Wohnwertvorteils im Vergleich
(und folgerichtig im Urteil vom 10. 2. 2003) kann unter diesen Umständen keine Rede
sein. Ein Abänderungsgrund lässt sich deshalb ebenso wenig feststellen wie eine
materiellrechtliche Unrichtigkeit der Festlegung, so dass der Beklagte an die im
Vergleich getroffene und durch Urteil vom 10. 2. 2003 modifizierte Regelung gebunden
ist. Dies gilt auch für die im Vorprozess festgesetzte Höhe von 613,55 €.
70
e)
71
Vom so ermittelten Jahreseinkommen des Beklagten in Höhe von (28.275,88 +
14.442,33 =) 42.718,21 € (zuzüglich Wohnwert) ist eine Steuerlast in Höhe von
72
insgesamt 1.988,66 € in Abzug zu bringen, so dass die Pensions- und Mieteinkünfte des
Beklagten mit netto 40.729,55 € in die Berechnung einzustellen sind.
aa)
73
Hierbei ist nicht auf die tatsächlich entrichteten Steuern abzustellen, denn der
Splittingvorteil des Beklagten aus dessen neuer Ehe ist herauszurechnen (vgl. BVerfG
a. a. O.) Die vom Beklagten zu zahlende Steuerlast ist deshalb fiktiv unter
Zugrundelegung der Grundtabelle zu ermitteln. Dabei kann die Einkommensteuer –
anders als in den Vorprozessen – nicht separat für die einzelnen Einkommensarten,
sondern nur anhand des Gesamteinkommens ermittelt werden; nur so kann die
Einkommensentwicklung überhaupt nachvollzogen werden.
74
bb)
75
Der Splittingvorteil soll der Klägerin – wie erwähnt – nicht zugute kommen, so dass die
Einkommensteuer nach der Grundtabelle zu ermitteln ist. Einkommenserhöhend ist
demgegenüber allerdings der sogenannte Realsplittingvorteil in Ansatz zu bringen.
Dieser ist zwar im abzuändernden Titel – soweit ersichtlich – nicht berücksichtigt
worden, doch stattdessen kam der Klägerin bis zur Änderung der höchstrichterlichen
Rechtsprechung der Splittingvorteil zugute. Dessen Wegfall rechtfertigt eine
Einbeziehung des Realsplittingvorteils auch dann, wenn dieser im Ausgangstitel keine
Berücksichtigung gefunden hat.
76
Infolge des Realsplittings reduziert sich das zu versteuernde Einkommen des Beklagten
jährlich um mindestens 8.834,22 €, wobei der Senat den vom Beklagten geschuldeten
Unterhalt lediglich mit den unstreitigen "Sockelbeträgen" für 2005 in Abzug gebracht
hat. Da der Beklagte den Ausgangstitel erst für die Zeit ab Zustellung der Widerklage
(15. 6. 2005) angegriffen hat, sind für das erste Halbjahr 2005 monatlich 992,37 € und
für das zweite Halbjahr 2005 monatlich 480 € zu berücksichtigen, insgesamt also
8.834,22 €. Auch für 2006 setzt der Senat zugunsten des Beklagten lediglich den
vorgenannten Betrag an, obwohl es nahe liegt, dass der Beklagte in diesem Jahr
deutlich höhere Unterhaltszahlungen leisten wird; für die Entscheidung des
vorliegenden Rechtsstreits kommt es auf die genaue Höhe des Realsplittingvorteils
jedoch nicht an, so dass diese Frage offen gelassen wird.
77
cc)
78
Die Einkommensteuer des Beklagten kann dann wie folgt ermittelt werden:
79
Versorgungsbezüge brutto
28.275,88
28.275,88
Mieteinkünfte durchschnittlich
14.442,33
14.442,33
Davon nicht zu versteuern:
Abschreibung: Der aus der Abschreibung resultierende
Steuervorteil hat die ehelichen Lebensverhältnisse geprägt.
- 4.222,00
Realsplitting:
- 8.834,22
80
Altersentlastungsbetrag:
- 1.900,00
Versorgungsfreibetrag:
- 3.000,00
Zuschlag zum Versorgungsfreibetrag:
- 900,00 €
Versicherungsbeiträge: Der Senat hat im Steuerbescheid des
Beklagten und seiner Ehefrau für 2004 berücksichtigten
Versicherungsbeiträge hälftig auf die Ehegatten aufgeteilt;
Einwendungen hiergegen sind im Senatstermin nicht erhoben
worden.
- 5.069,00
Zu versteuerndes Einkommen:
18.792,99
Lohnsteuer:
- 1.737,00
- 1.737,00
Solidaritätszuschlag:
- 95,33 € - 95,33 €
Kirchensteuer:
- 156,33 € - 156,33 €
Nettoeinkommen aus Miete und Pension
40.729,55
Nach Abzug der Steuern errechnet sich (ohne Wohnwert) mithin ein Monatseinkommen
von 3.394,13 €.
81
f)
82
Der Senat schreibt das so ermittelte Einkommen für 2006 fort; die zu erwartenden
Veränderungen (höherer Realsplittingvorteil, Reduzierung des Versorgungs- und des
Altersentlastungsfreibetrages) haben auf die zu treffende Entscheidung keinen Einfluss.
83
g)
84
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass sich das Einkommen des Beklagten (ohne
Wohnwert) unter Abzug der von der Klägerin erstinstanzlich (unzutreffend) ermittelten
Steuerlast in Höhe von 5.654,35 € auf (42.718,21 – 5.654,35 =) 37.036,86 € jährlich
bzw. 3.088,66 € im Monat beläuft. Auch bei dieser Berechnung wäre die
Abänderungsklage der Klägerin, wie durch die nachfolgende Unterhaltsberechnung
(vgl. unten S. 15) dokumentiert wird, begründet.
85
h)
86
Vom Einkommen in Abzug zu bringen sind die Krankenversicherungskosten; diese
betrugen in 2005 (einschließlich Pflegeversicherung) monatlich 308,39 € und in 2006
monatlich (275,56 € + 41,54 € =)317,10 €.
87
i)
88
Einkommensmindernd sind auch die Gewerkschaftsbeiträge in Höhe von monatlich
(146,03 : 12 = ) 12,17 € zu berücksichtigen.
89
j)
90
Da der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die steuerlichen Nachteile aus dem
Realsplitting zu ersetzen, sind schließlich auch die diesbezüglichen Kosten vom
Einkommen abzuziehen. In 2005 waren nach den vorliegenden Belegen
Vorauszahlungen in Höhe von (212 x 4 =) 848 € sowie eine Nachzahlung für 2004 in
Höhe von 470,11 € zu leisten. Der Senat unterstellt zugunsten des Beklagten, dass der
Gesamtbetrag von 1.318,11 € auch in 2006 erreicht wird, so dass monatlich 109,84 € in
Abzug gebracht werden.
91
k.
92
Das bereinigte Nettoeinkommen des Beklagten stellt sich dann wie folgt dar:
93
2005:
94
Pension und Miete: 3.394,13 €
95
Wohnwert: 613,55 €
96
KV/PV: - 308,39 €
97
Gewerkschaft: - 12,17 €
98
Ausgleich Steuernachteil: - 109,84 €
99
3.577,28 €
100
2006:
101
Pension und Miete: 3.394,13 €
102
Wohnwert: 613,55 €
103
KV/PV: - 317,10 €
104
Gewerkschaft: - 12,17 €
105
Ausgleich Steuernachteil: - 109,84 €
106
3.568,57 €
107
3.
108
Der Unterhaltsanspruch der Klägerin errechnet sich danach wie folgt:
109
2005:
110
Einkommen des Beklagten: 3.577,28 €
111
Einkommen der Klägerin: 458,16 €
112
Differenz: 3.119,12 €
113
Die Klägerin kann grundsätzlich die Hälfte der Einkommensdifferenz als Unterhalt
beanspruchen; das sind 1.559,56 € und damit mehr als beantragt.
114
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Abänderungsklage der Klägerin selbst
dann Erfolg hätte, wenn anstelle der vom Senat errechneten Steuerlast die von der
Klägerin erstinstanzlich dargelegten Steuern vom Einkommen des Beklagten in Abzug
gebracht würden. Das Einkommen des Beklagten wäre dann mit [(42.718,21 – 5.654,35)
: 12 + 613,55 – 308,39 – 12,17 – 109,84 =] 3.271,81 € in die Differenzberechnung
einzustellen; nach Abzug des Einkommens der Klägerin von 458,16 € verbliebe eine
Einkommensdifferenz von 2.813,65 € und ein Unterhaltsanspruch in Höhe von 1.406,82
€. Auch dann würde der geltend gemachte Unterhaltsbetrag von 1.232,55 € noch
deutlich überschritten.
115
2006:
116
Die geringe Erhöhung der Krankenversicherungskosten um 8,71 € auf Seiten des
Beklagten führt zu einer marginalen Reduzierung des rechnerischen
Unterhaltsanspruchs der Klägerin (um 4,36 €); für die Entscheidung des Rechtsstreits
kommt es hierauf nicht an.
117
4.
118
Der Unterhaltsanspruch der Klägerin ist nicht – wie erstinstanzlich geschehen – um den
im Wege des Versorgungsausgleichs übertragenen Betrag zu kürzen, denn auf beiden
Seiten sind die Einkünfte unter Einbeziehung des durchgeführten
Versorgungsausgleichs ermittelt worden.
119
5.
120
Eine Befristung des Unterhaltsanspruches kommt nicht in Betracht; eine hierauf
gestützte Abänderungsklage wäre wegen § 323 Abs. 2 ZPO bereits unzulässig, weil der
Beklagte dies schon im Vorprozess hätte geltend machen können (vgl. BGH FamRZ
2004, 1357).
121
III.
122
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 97, 708 Nr. 10 und 713
ZPO.
123