Urteil des OLG Hamm vom 24.02.2006

OLG Hamm: krankheit, sachmangel, diagnose, trauma, beweislastumkehr, meinung, reitpferd, aufmerksamkeit, käufer, vollstreckbarkeit

Oberlandesgericht Hamm, 19 U 116/05
Datum:
24.02.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
19. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
19 U 116/05
Vorinstanz:
Landgericht Münster, 10 O 339/04
Tenor:
Die Berufung des Beklagten gegen das am 10. Juni 2005 verkündete
Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird
zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
1
I.
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Gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO wird auf die tatsächlichen Feststellungen des
angefochtenen Urteils Bezug genommen, soweit sich aus den nachfolgenden
tatsächlichen Feststellungen nichts anderes ergibt.
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Der Beklagte trägt in der Berufung vor,
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das Landgericht habe die Bedeutung der Beschaffenheitsvereinbarung verkannt.
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Ausweislich des Wortlautes des § 2 des Kaufvertrages stelle das Ergebnis der
gesundheitlichen Untersuchung in der Form der objektiven Befunderhebung des
schriftlichen Untersuchungsberichts die gesundheitliche Beschaffenheit des Pferdes im
Zeitpunkt der Übergabe dar.
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Dadurch, dass die Käuferin auf weitergehende Untersuchungen verzichtet habe, habe
sie ausdrücklich erklärt, das Risiko vorhandener versteckter Mängel tragen zu wollen.
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Da hier eine vertragliche Vereinbarung über die Beschaffenheit vorliege, greife auch §
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475 I 1 BGB nicht.
Es müsse davon ausgegangen werden, dass die Insertionsdesmopathie bei der
Ankaufsuntersuchung aufgefallen wäre, wenn sie zu dem Zeitpunkt vorhanden gewesen
wäre. Die Erkrankung zeige klinische Befunde, die bei der Ankaufsuntersuchung eben
nicht vorgelegen hätten.
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Das Landgericht habe den angebotenen Zeugen Dr. C2 dazu hören müssen, ob die
Erkrankung zum Zeitpunkt der Ankaufsuntersuchung vorgelegen hat. Der
Sachverständige habe sich im Gutachten dazu nicht eindeutig geäußert.
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Die Insertionsdesmopathie des Pferdes könne für den Zeitpunkt des Gefahrübergangs
nicht festgestellt werden. Bei der Untersuchung des Dr. N2 am 1.03.04 habe das Pferd
nicht an der Krankheit gelitten. Es habe eine Lahmheit an der linken Schultergliedmaße,
nicht an der Hinterhand gezeigt. Zeitlich aufeinander folgende Lahmheiten könnten
unterschiedliche Ursachen haben.
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Es greife auch nicht die Beweislastumkehr des § 476 BGB.
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Die Krankheit sei erst am 29.04.2004, also nach dem Ablauf der Sechsmonatsfrist,
diagnostiziert worden. Die Krankheit könne auch eine traumatische Ursache haben, wie
der Sachverständige hervorgehoben habe. Die Inkubationszeit für die
Insertionsdesmopathie greife keinesfalls auf den Zeitpunkt des Gefahrübergangs
zurück.
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Auch am 21.04.04 habe die hochgradige Entzündung des Fesselträgers längst noch
nicht vorgelegen, denn anderenfalls hätte Dr. C diese erkannt und auch eine
Gelenksbehandlung vorgenommen.
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Der Beklagte beantragt,
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das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Krankheitsverlauf spreche gegen ein plötzliches Trauma.
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Nach Aussage des Sachverständigen spreche eine sehr viel höhere Wahrscheinlichkeit
dafür, dass die Krankheit am 3.11.2003 schon vorgelegen habe. Es gebe verschiedene
Zustände der Erkrankung, die sie bei der Ankaufsuntersuchung nicht ohne weiteres
erkennen ließen.
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Die Formulierung in § 2 des KV zeige deutlich, dass das Pferd über die dokumentierten
Veränderungen hinaus keinerlei Abnormitäten aufweisen darf, da beide Parteien nach
der Kaufuntersuchung davon ausgegangen seien, dass das Pferd gesund sei.
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Jedenfalls scheitere ein Ausschluss der Mängelhaftung in § 2 des Kaufvertrages an
§ 475 Abs.1 BGB. Der Käuferin solle das Risiko eventuell nicht festgestellter Mängel
aufgebürdet werden. Bei § 2 des Kaufvertrages handele es sich um einen typischen
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Fall, die gesetzlich festgelegte Haftung des Unternehmers gegenüber einem
Verbraucher zu umgehen.
Ergänzende Beweisaufnahmen des Landgerichts seien nicht angezeigt gewesen. Auch
die Untersuchung vom 1.03.2004 durch Dr. N2 ergebe nichts anderes. Der
Sachverständige führe eindeutig aus, dass die Befunde korrelieren mit der Diagnose
des Sachverständigen. Das Pferd habe im Januar 2004 auch an der linken
Beckengliedmaße stark zu lahmen begonnen, wie bereits in der Klageschrift
vorgetragen worden sei.
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Der Mangel sei auch bereits im Januar 2004, also innerhalb der 6-Monatsfrist des § 476
BGB aufgetreten und durch die Tierärztin L und Dr. N2 und Dr. T festgestellt. Außerdem
laufe die 6-Monatsfrist erst am 3.05.2004, also nach der eindeutigen Diagnose in der
Tierklinik I, ab.
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Nach dem Sachverständigengutachten spreche nichts für ein plötzliches Trauma nach
der Übergabe.
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II.
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Die Berufung hat keinen Erfolg.
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Die Klägerin hat Anspruch auf Rückgewähr des Kaufpreises und Ersatz der
notwendigen Auslagen aus §§ 437 Nr. 2, 323, 346, 347 BGB.
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Das verkaufte Pferd wies einen Sachmangel gemäß § 434 Abs.1 BGB auf, wobei
gemäß § 476 BGB vermutet wird, dass dieser bereits zum Zeitpunkt der Übergabe
vorlag.
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Das Pferd ist als Reitpferd verkauft worden, wozu es wegen der Insertionsdesmopathie
nicht geeignet ist.
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Eine Beschaffenheitsvereinbarung gemäß § 434 Abs. 1 S. 1 BGB liegt allerdings nicht
vor und zwar weder positiv noch negativ. Entgegen der Meinung des Beklagten
bedeutet die Durchführung einer Ankaufsuntersuchung in Verbindung mit § 2 des
Kaufvertrages nicht, dass die Klägerin das Risiko unentdeckter gesundheitlicher Mängel
übernommen habe. Zum Einen geht die Beschaffenheitsvereinbarung durch das
Ergebnis der Ankaufsuntersuchung nur so weit, wie Untersuchungen durchgeführt
wurden, kann sich aber nicht auf gar nicht untersuchte Bereiche und Krankheiten
erstrecken. Zum Anderen ist die im Vertrag erklärte Risikoübernahme der Klägerin für
versteckte Mängel gemäß § 475 Abs.1 BGB unwirksam. Es handelt sich hier um einen
Verbrauchsgüterkauf, da der Beklagte gewerblich mit Pferden handelt und die Klägerin
Verbraucherin ist. Die vertragliche Vereinbarung der Risikoübernahme weicht erheblich
von der gesetzlichen Risikoverteilung gemäß §§ 433 – 435, 437, 439 – 443 BGB ab,
wonach stets der Verkäufer das Risiko von Mängeln zum Zeitpunkt der Übergabe trägt,
auch wenn sie später erst entdeckt werden.
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Es liegt jedoch ein Mangel gemäß § 434 Abs. 1 S.2 Nr. 1 BGB vor, da sich das Pferd
wegen der Insertionsdesmopathie nicht für den vertraglich vorausgesetzten Gebrauch
als Reitpferd eignet.
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Dass das Pferd an dieser Krankheit leidet und sie zu dazu führt, dass das Pferd nicht
mehr geritten werden kann, ist vom Landgericht festgestellt und wird in der Berufung
auch nicht angegriffen.
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Gemäß § 476 BGB wird vermutet, dass dieser Mangel bereits zum Zeitpunkt der
Übergabe vorlag.
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Wie bereits gesagt, handelte es sich hier um einen Verbrauchsgüterkauf.
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Übergabe des Pferdes war am 3.11.2003. Der Mangel Insertionsdesmopathie hat sich
innerhalb der folgenden sechs Monate, also bis zum 3.05.2004 gezeigt. Dabei kommt es
nicht auf den Zeitpunkt des endgültigen Untersuchungsberichts an, sondern darauf,
dass das Pferd am 29.04.2004 mit bestimmten Krankheitssymptomen in die Tierklinik I
gebracht wurde und die dann folgenden mehrtägigen Untersuchungen als Diagnose für
die Symptome die Insertionsdesmopathie ergaben.
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Dem Beklagten ist es nicht gelungen, diese Vermutung des § 476 BGB zu widerlegen.
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Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, greift § 476 BGB auch beim Tier als
verkaufter Sache ein; allerdings ist der Frage der Unvereinbarkeit des Mangels mit der
Vermutung beim Tierkauf besondere Aufmerksamkeit zu widmen. So ist die Vermutung
unvereinbar mit Krankheiten, deren Inkubationszeit jedenfalls nach Übergabe eingesetzt
hat und unter Umständen mit festgestellten Spontanereignissen als Krankheitsursachen.
Darlegungs- und beweispflichtig für die diesbezüglichen Tatsachen ist der Verkäufer.
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Entgegen der Meinung des Beklagten lässt sich auch aus dem Urteil des BGH vom
2.06.2004 – VIII ZR 329/03 – nichts anderes herleiten. Im dortigen Fall hat der BGH das
Eingreifen der Beweislastumkehr des § 476 BGB lediglich deshalb verneint, weil noch
gar kein Sachmangel festgestellt worden war. Die Vorschrift setzt aber einen binnen
sechs Monaten seit Gefahrübergang aufgetretenen Sachmangel voraus. Für die
Tatsachen zur Begründung eines Sachmangels trifft aber den Käufer, nachdem er die
Kaufsache angenommen hat, die Darlegungs- und Beweispficht.
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Ist aber ein Sachmangel festzustellen und geht es für die Haftung des Verkäufers allein
noch um die Frage, ob dieser Sachmangel zum Zeitpunkt der Übergabe vorlag, greift §
476 BGB ein. Das gilt uneingeschränkt, auch wenn der Mangel auf einem
Spontanereignis beruhen kann, weil anderenfalls die Beweislastumkehr des § 476 BGB
weitgehend leer liefe (vgl. dazu BGH Urteil vom 14.09.2005 – VIII ZR 363/04).
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Eine positive Feststellung, dass die Krankheit zum Zeitpunkt der Übergabe nicht
vorgelegen hat, hat das Landgericht nicht getroffen. Es liegen auch keine Anhaltspunkte
vor, die daran Zweifel begründen könnten. Insbesondere bestand für das Landgericht
keine Veranlassung, den Zeugen Dr. C2, der die Ankaufsuntersuchung durchgeführt
hat, zu vernehmen.
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Die Frage, ob bei der Ankaufsuntersuchung die Insertionsdesmopathie hätte festgestellt
werden müssen, wenn sie denn vorgelegen hat, war geradezu ein Schwerpunkt der
erstinstanzlichen Beweisaufnahme durch Einholung des Sachverständigengutachtens
und dessen mündlicher Erläuterung. Der Sachverständige hat dabei mehrfach betont,
dass die durchgeführte Ankaufsuntersuchung die bei der Insertionsdesmopathie dieses
Pferdes problematischen Bereiche gar nicht untersucht hat und deshalb nicht geeignet
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war, diese Krankheit festzustellen. Das ist auch überzeugend, weil sich aus dem
schriftlichen Gutachten ergibt, dass zur Feststellung der Krankheit schritt- und
abschnittsweise Anästhesien notwendig sind, um sich der Ursache zu nähern. Der
Sachverständige hat auch glaubhaft erklärt, dass sich der weitere Krankheitsverlauf mit
diversen Vorstellungen des Pferdes bei verschiedenen Tierärzten, ohne das diese die
Diagnose gestellt hätten, durchaus in das Bild dieser Krankheit passen und sogar
darauf hinweisen, dass die Krankheit bereits zum Zeitpunkt der Übergabe vorlag.
Konkrete Darlegungen, dass die Krankheit auf einem Spontanereignis beruht, hat der
Beklagte nicht gemacht.
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Zwar hat der Sachverständige bekundet, dass die Krankheit auch traumatische
Ursachen haben kann, doch sind dem Vortrag des Beklagten und der gesamten Akte
keinerlei konkrete Anzeichen dafür zu entnehmen, dass hier ein Trauma bei dem Pferd
stattgefunden hat.
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Es ist auch nicht festzustellen, dass die Inkubationszeit für die Krankheit nach der
Übergabe begonnen hat.
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Eine feste Inkubationszeit für die Insertionsdesmopathie gibt es nach den Erklärungen
des Sachverständigen nicht. Wie oben bereits dargelegt, hat der Sachverständige hier
sogar aus der konkreten Symptomatik und den mehrfachen Untersuchungen des
Pferdes geschlossen, dass die Krankheit bereits bei Übergabe vorlag.
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III.
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Die Entscheidungen zur Kostentragung und vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf
den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
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Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe gemäß § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
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