Urteil des OLG Hamm vom 25.04.2007

OLG Hamm: darlehen, abtretung, eltern, zeugnis, versicherungsnehmer, bargeld, wahrscheinlichkeit, einbruchdiebstahl, zeugenaussage, lebenserfahrung

Oberlandesgericht Hamm, 20 U 239/04
Datum:
25.04.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
20. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 U 239/04
Vorinstanz:
Landgericht Bochum, 4 O 1/04
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 06.10.2004 verkündete Urteil
der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bochum wird zurückgewiesen.
Die Kosten der beiden Berufungsverfahren und die Kosten der
Revisionsinstanz werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % der nach dem Urteil
vollstreckbaren Beträge abzuwenden, falls nicht die Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe der beizutreibenden Beträge leistet.
Gründe:
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I.
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Mit der Behauptung, es sei in der Zeit vom 18. bis 21.10.2002 in seine Wohn- und
Büroräume in S eingebrochen und dabei ein Tresor mit Schmuck und Bargeld
entwendet worden, begehrt der Kläger aus einer bei der Beklagten genommenen
Geschäftsversicherung Zahlung von - nunmehr noch - 61.374,05 EUR nebst Zinsen.
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Das Landgericht hat als Zeugin u.a. die Mutter des Klägers gehört. Diese hat dessen
Behauptung bestätigt, dass er von seinen Eltern in den Jahren 2001 und 2002 zwei
Darlehen - 50.000 DM und 30.000 EUR - erhalten habe. Das Landgericht hat diese
Aussage als nicht lebensnah, wenig plausibel und nicht nachvollziehbar erachtet. Es ist
deshalb und wegen anderer Indizien - u.a. hat, was das Landgericht sogar als
"entscheidend" bezeichnet hat (S. 5 letzter Absatz des Urteils), nach dem Sachstand in
erster Instanz das von dem Kläger geführte Kassenbuch die angebliche
Darlehensgewährung des Jahres 2001 nicht ausgewiesen - zu der Überzeugung
gelangt, dass es die behaupteten Darlehen tatsächlich nicht gegeben habe. Das
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Landgericht ist insgesamt zu dem Ergebnis gekommen, dass der behauptete Diebstahl
mit erheblicher Wahrscheinlichkeit vorgetäuscht sei, und hat daher die Klage
abgewiesen. Wegen der Begründung und der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes
in erster Instanz wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt, mit welcher er seinen erstinstanzlichen
Antrag weiterverfolgt hat.
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Mit Urteil vom 20.04.2005 hat der Senat das Urteil des Landgerichts teilweise
abgeändert und die Beklagte - wegen der von dem Kläger geltend gemachten
Beschädigungen, des Tresors und des als gestohlen gemeldeten Schmucks - verurteilt,
an den Kläger 61.374,05 EUR nebst Zinsen zu zahlen.
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Vor dem Senat ist unstreitig gewesen, dass in erster Instanz die Kopien aus dem
Kassenbuch unvollständig gewesen sind und auch das Darlehen des Jahres 2001 in
dem Buch verzeichnet war. Der Senat ist u.a. deshalb zu der Auffassung gelangt, dass
im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO neue Feststellungen zu treffen seien. Er hat die
Mutter des Klägers erneut gehört; diese hat aber das Zeugnis verweigert (§ 383 Abs. 1
Nr. 3 ZPO). Der Senat hat die von dem Landgericht protokollierte Aussage der Mutter
und die sonstigen Umstände erneut gewürdigt und ist - anders als das Landgericht - zu
dem Ergebnis gekommen, dass nicht (positiv) feststehe, dass es die behaupteten
Darlehen tatsächlich nicht gegeben habe (Senatsurteil S. 6 ff. unter II 2 b bb (1), dort
erster, dritter und vierter Absatz sowie - S. 8 - letzter Absatz vor (2)). Er hat die Aussage
der Mutter vor dem Landgericht nicht als glaubhaft, aber eben auch nicht - anders als
das Landgericht - als widerlegt angesehen (vgl. S. 7 des Senatsurteils: "kann es
durchaus sein"; "durchaus vorstellbar"; "nicht widerlegbar"; "erscheint ungewöhnlich, ist
aber gleichfalls durchaus vorstellbar"; "nicht zu widerlegen"). Auch im Übrigen hat der
Senat gemeint, dass die Beklagte, die hierfür die Beweislast trifft, keine Tatsachen
bewiesen habe, aus welchen sich eine erhebliche Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung
ergebe.
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Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung und des damaligen Sach- und
Streitstandes wird auf das Urteil Bezug genommen.
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Auf die hiergegen von der Beklagten eingelegte Revision hat der Bundesgerichtshof
das Senatsurteil im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der
Beklagten erkannt worden ist, und hat die Sache zurückverwiesen. Auf das
Revisionsurteil (VersR 2007, 102 = NJW 2007, 372) wird Bezug genommen.
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Der Kläger beantragt nunmehr,
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abändernd den im Senatsurteil vom 20.04.2005 ausgeurteilten Betrag
zuzuerkennen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung insgesamt zurückzuweisen.
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Die Beklagte hat sich nunmehr hilfsweise aus der Aussage der Mutter des Klägers vor
dem Landgericht zu eigen gemacht, dass der Entschädigungsanspruch gegen die
Beklagte an die Eltern des Klägers abgetreten sei. Der Prozessbevollmächtigte des
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Klägers hat hierzu in der mündlichen Verhandlung vom 25.04.2007 - im Beisein des
Klägers - zunächst erklärt, der Anspruch sei "lediglich zur Sicherheit abgetreten"
worden; er sei der Auffassung, dass der Kläger den Anspruch trotzdem geltend machen
könne. Auf Hinweis des Senats, dass diese Auffassung unrichtig sein dürfte, hat der
Prozessbevollmächtigte des Klägers dann erklärt, er bestreite nunmehr eine Abtretung.
Weitere Erklärungen dazu haben er und der Kläger nicht abgegeben, auch nicht auf
weiteren Hinweis des Senats, dass der Vortrag widersprüchlich und das zuletzt erklärte
Bestreiten deshalb unbeachtlich sein dürfte.
Eine erneute Ladung seiner Mutter hat der Kläger nicht beantragt, vielmehr vor dem
Senat ausdrücklich erklärt, dass diese aus gesundheitlichen Gründen zu einer Aussage
nicht in der Lage sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens nach Zurückverweisung wird
auf die Schriftsätze der Parteien verwiesen; diese sind Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen.
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II.
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Die Berufung ist insgesamt unbegründet. Ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte
besteht nicht.
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1.
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Dies gilt bereits deshalb, weil nach dem jetzigen Sach- und Streitstand ein etwaiger
Entschädigungsanspruch nicht dem Kläger, sondern - aufgrund der zwischen dem
Kläger und dessen Eltern vereinbarten Sicherheitsabtretung - den Eltern zustehen
würde.
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Die Beklagte hat eine solche (Sicherheits-) Abtretung hilfsweise vorgetragen, was
beachtlich ist. Dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung eine solche Abtretung
zuletzt pauschal hat "bestreiten" lassen, ist demgegenüber gemäß § 138 Abs. 1 und 2
ZPO unbeachtlich. Dieses Bestreiten steht nämlich in unauflöslichem und durch nichts
erklärtem Widerspruch dazu, dass der Kläger unmittelbar zuvor in der Verhandlung hat
erklären lassen, der Anspruch sei "lediglich zur Sicherheit abgetreten".
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Mangels beachtlichen Bestreitens durch den Kläger ist der Vortrag der Beklagten zur
Abtretung zu berücksichtigen, auch wenn er neu ist (vgl. nur Zöller-Gummer/Heßler,
ZPO, 26. Aufl., § 531 Rn. 21 m.w.N.).
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2.
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Unabhängig von Vorstehendem ist unter Beachtung des Revisionsurteils ein
Entschädigungsanspruch aber, wie vor dem Senat erörtert, ohnehin nicht gegeben.
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a)
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Ein Anspruch wegen des als gestohlen gemeldeten Schmucks besteht schon deshalb
nicht, weil hiernach das sogenannte äußere Bild eines Einbruchdiebstahls im Hinblick
auf den Schmuck nicht bewiesen ist.
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Der Beweis wäre nur erbracht, wenn feststünde, dass der als gestohlen gemeldete
Schmuck in etwa (im Wesentlichen) in der angegebenen Menge vor dem Diebstahl in
der Wohnung vorhanden war (Revisionsurteil unter I 1 a und b = Rn. 14 ff.). Dies ist nicht
der Fall.
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aa)
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Zeugenbeweis steht dem Kläger hierfür nicht zur Verfügung. Denn in der letzten Zeit vor
dem behaupteten Diebstahl hat kein Dritter den Schmuck gesehen.
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bb)
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Allerdings wird der Versicherungsnehmer den erforderlichen Beweis auch durch eigene
Angaben erbringen können und dürfte dabei für ihn die Vermutung der Redlichkeit
streiten (vgl. allgemein etwa Römer, in: Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 49 Rn. 24, 26
ff. m.w.N.; zum Einbruchdiebstahl vgl. OLG Oldenburg, VersR 1999, 1490; OLG
Düsseldorf, VersR 1999, 182; Senat, r+s 2001, 382, und - ausdrücklich offen gelassen -
VersR 2006, 1490).
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Zwar hat der Bundesgerichtshof in dem Revisionsurteil ausgeführt, es bestehe kein
Anlass, dem Versicherungsnehmer für das äußere Bild eines Einbruchdiebstahls
"weitere Beweiserleichterungen" zuzubilligen, da dieser sich hinsichtlich des
Vorhandenseins der als gestohlen gemeldeten Sachen nicht in einer typischen
Beweisnot befinde (unter II 1 b = Rn. 18 und c) = Rn. 20 am Ende); es ist aber nicht
ersichtlich, dass der Bundesgerichtshof damit auch dem Beweis durch Angaben des
klagenden Versicherungsnehmers selbst oder auch nur der Rechtsprechung zur
Redlichkeitsvermutung eine Absage erteilen wollte - gerade der Fall eines
Tresordiebstahls zeigt, dass der Versicherungsnehmer häufig nur durch seine eigenen
Angaben beweisen kann, welche Gegenstände unmittelbar vor dem Diebstahl am
Versicherungsort vorhanden waren.
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Dies bedarf indes vorliegend keiner Vertiefung. Bei Beachtung des Revisionsurteils ist
nämlich die Redlichkeitsvermutung in jedem Fall widerlegt.
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(1)
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Der Senat sieht sich durch das Revisionsurteil daran gebunden, die Aussage der Mutter
des Klägers vor dem Landgericht dahingehend zu würdigen, dass (positiv) feststeht,
dass es die vom Kläger behaupteten Darlehen tatsächlich nicht gegeben hat.
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Dies ergibt sich daraus, dass der Bundesgerichtshof die in dem Senatsurteil
vorgenommene Würdigung der Aussage der Mutter des Klägers als rechtsfehlerhaft
bezeichnet und entschieden hat, der Senat dürfe, nachdem die Mutter des Klägers im
Berufungsrechtszug das Zeugnis verweigert hat, von der Würdigung des Landgerichts
nicht abweichen (unter II 2 vor a) = Rn. 22 und unter b) = Rn. 24 f.). Eine abweichende
Würdigung enthält das Senatsurteil aber nur insoweit, als der Senat die Aussage der
Mutter, welche ja den Vortrag des Klägers über die Gewährung zweier Darlehen
bestätigt hat, - anders als das Landgericht - nicht als widerlegt angesehen hat und
hiernach (unter Berücksichtigung auch der übrigen Umstände) zu dem Ergebnis
gekommen ist, dass nicht (positiv) feststehe, dass es die behaupteten Darlehen
tatsächlich nicht gegeben habe (ebenso Rn. 9 f. des Revisionsurteils). Der Senat hat,
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wie sich auch aus den oben (unter I) zitierten Urteilsstellen ergibt, nicht etwa (was ohne
erneute Vernehmung zweifelsfrei unzulässig gewesen wäre) die Mutter als glaubwürdig
oder deren Aussage als glaubhaft angesehen; er hat lediglich das Beweisergebnis der
Aussage der Mutter als offen (non liquet) angesehen und, davon ausgehend, die
Gesamtumstände neu gewürdigt (vgl. nochmals auch Rn. 9 f. des Revisionsurteils).
Die nach Auffassung des Revisionsurteils von dem Senatsurteil missachtete Bindung
an die Würdigung des Landgerichts kann hiernach nur bedeuten, dass eben diese
Annahme eines non liquet unstatthaft ist und der Senat vielmehr dahin gebunden ist,
dass (positiv) feststeht, dass es die Darlehen nicht gegeben hat. Es kann nicht etwa
angenommen werden, dass das Revisionsurteil eine Bindung an einzelne Argumente
der Beweiswürdigung des Landgerichts hat vorschreiben wollen, z.B. daran, dass ein
bestimmtes, von der Zeugin bekundetes Verhalten nach der allgemeinen
Lebenserfahrung "nicht nachzuvollziehen" oder "nicht lebensnah" sei. Ebenso wenig
kann angenommen werden, dass das Revisionsurteil lediglich eine Bindung daran hat
vorschreiben wollen, dass die Mutter des Klägers vor dem Landgericht persönlich
"unglaubwürdig" erschienen sei; denn zum einen hat das Senatsurteil - der Annahme
eines non liquet entsprechend - zur persönlichen Glaubwürdigkeit der Zeugin keine
Aussage getroffen; und zum anderen ist nicht ersichtlich, wie ein solcher Umstand der
Annahme eines non liquet entgegenstehen könnte.
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Ob der Auffassung des Revisionsurteils zu folgen ist, bedarf hier keiner Erörterung. Dem
Kläger ist zuzugeben, dass u.a. fraglich erscheint, ob eine Bindung des
Berufungsgerichts an die Würdigung einer Zeugenaussage z.B. auch dann bestehen
soll, wenn das Erstgericht eine Zeugenaussage ohne überzeugende Begründung als
glaubhaft erachtet und darauf sein Urteil gestützt hat, das Berufungsgericht an der
Richtigkeit der Aussage aber erhebliche Zweifel hat (oder sogar aufgrund bestimmter
Indizien vom Gegenteil überzeugt ist) und der Zeuge vor dem Berufungsgericht das
Zeugnis berechtigterweise verweigert oder etwa unerreichbar ist. Dies gilt erst recht,
wenn - ähnlich wie hier - das Erstgericht bei seiner Würdigung eine Tatsache (hier
unvollständiges Kassenbuch) berücksichtigt und sogar als entscheidend bezeichnet hat,
dieser Umstand aber nach dem unstreitigen Sachstand im Berufungsrechtszug gar nicht
zutrifft. Diese Fragen müssen aber dahingestellt bleiben. Der Senat ist im vorliegenden
Rechtsstreit an die Beurteilung des Revisionsurteils gebunden (§ 563 Abs. 2 ZPO).
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(2)
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Da hiernach feststeht, dass es die vom Kläger behaupteten Darlehen tatsächlich nicht
gegeben hat, hat der Kläger in einem für den Rechtsstreit wesentlichen Punkt (siehe
dazu noch sogleich unter b) die Unwahrheit gesagt. Die Redlichkeitsvermutung ist
deshalb in jedem Fall widerlegt.
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b)
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Aber auch im Übrigen (Diebstahls des Tresors selbst, Anspruch wegen
Beschädigungen) besteht hiernach kein Entschädigungsanspruch.
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Denn mit erheblicher Wahrscheinlichkeit ist der Einbruchdiebstahl vorgetäuscht.
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Dies ergibt sich schon aus Folgendem: Nach dem eigenen Vortrag des Klägers
"stammte" das als gestohlen gemeldete Bargeld und Schmuck im Wert von immerhin ca.
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16.000 EUR (Summe des zweiten Darlehens abzüglich Bargeldbestand) aus dem
zweiten Darlehen. Da es die Darlehen nicht gegeben hat, kann jedenfalls dieser
Schmuck und das als gestohlen gemeldete Bargeld tatsächlich nicht vorhanden
gewesen sein. Die nach Behauptung des Klägers vor dem Einbruch gefertigten
Geschäftsbücher weisen aber die behaupteten Darlehen, die Schmuckkäufe und den
Bargeldbestand auf. Plausible Erklärung hierfür kann - auch unter Berücksichtigung
aller sonstigen Umstände - nur die beabsichtigte Vortäuschung eines
Einbruchdiebstahls sein.
Ein Anspruch wäre daher nur zu bejahen, wenn der Vollbeweis des Diebstahls erbracht
wäre (vgl. nur Römer, ebd. Rn. 17 am Ende); dies ist nicht der Fall.
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III.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Zulassung der
Revision ist nicht veranlasst (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
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