Urteil des OLG Hamm vom 05.02.2002

OLG Hamm: haager zustellungsübereinkommen, rechtliches gehör, vollstreckbarerklärung, obliegenheit, verfügung, meinung, effektivität, verordnung, anstalten, schriftstück

Oberlandesgericht Hamm, 29 W 36/01
Datum:
05.02.2002
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
29. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
29 W 36/01
Vorinstanz:
Landgericht Hagen, 3 O 20/00
Tenor:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluß des
Landgerichts Hagen vom 26. März 2001 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahren beträgt 63.906 ATS
bzw. 4.645 Î.
G r ü n d e
1
Die Beschwerde ist nach Art.40 EuGVÜ, § 11 AVAG zulässig. Sie hat aber in der Sache
keinen Erfolg, da die Verweigerung der Vollstreckbarerklärung auch unter
Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens gerechtfertigt war.
2
Der zur Vollstreckbarerklärung vorgelegte Titel ist ein Versäumnisurteil des
Bezirksgerichts Salzburg. Da der Antragsgegner sich nicht auf das Verfahren
eingelassen hat, kann das Urteil in Deutschland nur für vollstreckbar erklärt werden,
wenn das verfahrenseinleitende Schriftstück dem Antragsgegner ordnungsgemäß und
so rechtzeitig zugestellt worden ist, daß er sich verteidigen konnte (Art. 34 Abs. 2, 27
Nr. 2 EuGVÜ). Zustellungsmängel sind im Verfahren der Vollstreckbarerklärung von
Amts wegen zu prüfen (Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht, 6. Aufl., Art. 27
Rz. 38; Linke, RIW 1986, 410). Zu diesem Zweck hat der Antragsteller gemäß Art. 46
Nr. 1 EuGVÜ das Zustellungszeugnis vorzulegen, was - soweit ersichtlich - nicht
geschehen ist.
3
Aus dem Vortrag der Antragstellerin ergibt sich jedoch, daß die Zustellung frühestens
am 13. September 2000 bewirkt worden sein kann, und zwar nach Maßgabe des § 186
ZPO. Der Verhandlungstermin zur ersten Tagsatzung (§ 440 österr. ZPO) war auf den
19. September 2000 anberaumt. Das Versäumnisurteil ist am 21. September 2000
erlassen worden. Dem Antragsgegner standen damit lediglich sechs Tage zur
Vorbereitung seiner Verteidigung zur Verfügung, die zudem ein Wochenende
einschlossen.
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Diese Frist war objektiv zu kurz, so daß es auf die Frage der Ordnungsmäßigkeit der
Zustellung ebenso wenig ankommt wie auf den Umstand, daß der Antragsgegner
möglicherweise die Annahme der Zustellung verweigert hat. Bei der Beurteilung der
Rechtzeitigkeit im Sinne von Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ ist zwar auf die tatsächlichen
Gegebenheiten abzustellen und nicht auf die im Erst- oder Zweitstaat geltenden
Ladungsfristen (Kropholler, aaO, Rz. 34). Dennoch sind die im Zweitstaat üblicherweise
gewährten Fristen ein Anhalt dafür, mit welchen Vorlaufzeiten der Bürger rechnen kann
und darf (vgl. BGH RIW 1986, 302). Im Regelfall muß einem im Ausland geladenen
Beklagten so viel Zeit zur Verfügung stehen, daß er einen inländischen
Prozeßbevollmächtigten beauftragen kann und dieser - soweit erforderlich - einen
Unterbevollmächtigten im Erststaat. Beiden muß soviel Zeit bleiben, daß sie sich mit der
Sache befassen und Schriftsätze versenden können. Die Antragstellerin hat nichts
vorgetragen, was im vorliegenden Fall, in dem - soweit ersichtlich - Anwaltszwang
bestand (vgl. § 27 österr. ZPO), eine abweichende Beurteilung rechtfertigen könnte. Daß
der Antragsgegner überhaupt keine Anstalten gemacht hat, sich am Verfahren zu
beteiligen, ist unerheblich. Er muß nicht beweisen, daß eine objektiv unzureichende
Frist bei überobligatorischem Einsatz ausreichend gewesen wäre. Daß der
Antragsgegner den Erlaß des Versäumnisurteils schon durch bloßes Bestreiten des
Klageanspruchs hätte verhindern können, dürfte ihm unbekannt gewesen sein und kann
daher bei der Beurteilung der Rechtzeitigkeit keine Rolle spielen. Dasselbe gilt für die
im vorliegenden Fall praktizierte Verfahrensweise, daß das Gericht sich auf Antrag der
erschienenen Partei die Urteilsfällung vorbehalten und das Urteil erst nach Eingang des
Zustellungsscheines fällen kann (§ 402 österr. ZPO). Wenn es auf Rechtskenntnisse
ankäme, könnte man dem Antragsgegner allenfalls die Vertrautheit mit dem deutschen
Recht unterstellen, das bei Erlaß eines Versäumnisurteils die Prüfung der rechtzeitigen
Ladung und ggf. die Vertagung verlangt (§ 335 Abs. 1 Nr. 2 ZPO). Auch nach
österreichischem Recht kann aber in einem solchen Fall - auf Antrag der erschienenen
Partei oder von Amts wegen - vertagt werden (§ 139 österr. ZPO). Davon hat die
Antragstellerin keinen Gebrauch gemacht, obwohl nach ihrem eigenen Vortrag zum
Zeitpunkt der Gerichtsverhandlung keinerlei Erkenntnisse über die Effektivität der
Auslandszustellung vorlagen. Dagegen durfte der Antragsgegner darauf vertrauen, daß
das Bezirksgericht gemäß Art. 20 Abs. 3 EuGVÜ i.V.m. Art. 15 Abs. 1 Haager
Zustellungsübereinkommen nicht entscheiden würde, bevor es sich von der
Rechtzeitigkeit der Ladung vergewissert hatte.
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Das Anerkennungshindernis des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ wird auch nicht deshalb
ausgeräumt, weil der Antragsgegner sich auf andere Weise hätte rechtliches Gehör
verschaffen können, und zwar durch Einlegung eines Rechtsmittels, hier des
Widerspruchs nach § 397a österr. ZPO. Das wird zwar in Anlehnung an eine
entsprechende Regelung in art. 2 c) Nr. 2 des deutsch-niederländischen
Vollstreckungsvertrages vom 30.8.1962 vertreten (namentlich von Geimer, vgl.
Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, Art. 27 Rz. 85 ff; befürwortend auch
Linke, RIW 1986, 409, 413). Die Obliegenheit zur Rechtsmitteleinlegung besteht auch
ab 1.3.2002 gemäß Art. 34 Nr. 2 der das EuGVÜ ablösenden Verordnung (EG) Nr.
44/2001 vom 22.12.2000 (ABl.EG L 12/1 v. 16.1.2001). Nach ganz überwiegender
Meinung (vgl. die Nachweise bei Kropholler, Art. 27 Rz. 30) einschließlich des
Europäischen Gerichthofs (RIW 1993, 65, auf Vorlage des BGH, vgl. die
Abschlußentscheidung BGH NJW 1993, 2688) besteht eine solche Obliegenheit bei
Anwendung der EuGVÜ aber nicht.
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Die Kostentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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