Urteil des OLG Hamm vom 20.10.1988

OLG Hamm (elterliche sorge, feststellung des sachverhaltes, führung des haushalts, wohl des kindes, anhörung, persönliche anhörung, eheliche wohnung, sache, zpo, aufhebung)

Oberlandesgericht Hamm, 4 UF 312/88
Datum:
20.10.1988
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
4. Senat für Familiensachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 UF 312/88
Vorinstanz:
Amtsgericht Dortmund, 4 UF 312/88
Tenor:
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird das am 25. Mai 1988
verkündete Verbundurteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Dortmund
hinsichtlich des Ausspruchs über die Regelung der elterlichen Sorge
(Ziffer 2) des Urteilstenors) nebst dem zugrunde liegenden Verfahren
insoweit aufgehoben, als dort die elterliche Sorge für die Kinder X und
X2 geregelt ist. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und
Entscheidung - auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens - an
das Amtsgericht
- Familiengericht - Dortmund zurückverwiesen.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.500,00 DM festgesetzt.
G r ü n d e :
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I.
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Die am 1. April 1959 geborene Antragstellerin und der am 4. Juni 1946 geborene
Antragsgegner haben am 13. Juli 1979 miteinander die Ehe geschlossen, aus der die
Kinder X - vorehelich am 9. März 1979 geboren -, X2 - geboren am 24. Dezember 1981 -
und X3 - geboren am 15. Dezember 1987 - hervorgegangen sind.
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Nachdem die Antragstellerin bereits 1984 die Scheidung ihrer Ehe begehrt hatte, sich
sodann aber wieder mit dem Antragsgegner ausgesöhnt hatte (176 F 283/84 AG
Dortmund), verließ sie am 17. Juli 1987 die Ehewohnung und hielt sich zunächst in dem
"Dortmunder Frauenhaus" auf. Durch einstweilige Anordnung vom 3. September 1987
sprach das Amtsgericht ihr die eheliche Wohnung zur alleinigen Benutzung zu (177 F
159/87 SH II 09), der Antragsgegner suchte sich eine eigene Wohnung.
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Nach den Angaben des Jugendamtes der Stadt E vom 24. März 1988 wurde die Familie
der Parteien seit 1979 von ihm betreut. Als sich die Lage infolge der Schwangerschaft
der Antragstellerin verschärfte - schon zuvor konnte sie nach den Feststellungen des
Jugendamtes "die erforderlichen hauswirtschaftlichen Verrichtungen und die
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Versorgung der Kinder … nur mit großer Mühe sicherstellen", X störte in der Schule und
verweigerte die geforderte Leistung, X2 nässte und kotete tags- und nachtsüber ein,
seinen Aggressionen gegenüber war die Antragstellerin hilflos -, stellte das Jugendamt
1987 eine Familienhelferin, die auch derzeit nach den Ausführungen der Antragstellerin
zweimal wöchentlich je zwei bis drei Stunden hilft.
Bis auf einen Monat ist der Antragsgegner seit der Eheschließung nicht
versicherungspflichtig tätig gewesen, die Antragstellerin gar nicht.
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Mit ihrem Antrag vom 23. Juli 1987 hat die Antragstellerin die Scheidung der Ehe, die
Übertragung der elterlichen Sorge für die Kinder auf sie und den Ausschluss des
Versorgungsausgleichs begehrt. Sie hat u.a. ausgeführt, der Antragsgegner sei fast
täglich volltrunken, tyrannisiere die Familie und misshandele die Kinder. Mit
Unterstützung der Familienfürsorge sei sie, und zwar nur sie, in der Lage, die Kinder zu
betreuen und zu erziehen.
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Der Antragsgegner, der gleichfalls die Scheidung erstrebt, hat hinsichtlich der Regelung
der elterlichen Sorge keinen Vorschlag gemacht. Er hat verneint, im Übermaße Alkohol
zu trinken. Er habe auch die Kinder nicht geschlagen. Anlass für Streitigkeiten sei allein
gewesen, dass die Antragstellerin die Führung des Haushalts und die Versorgung der
Kinder erheblich vernachlässigt habe. So habe sie nicht einmal die Mahlzeiten
regelmäßig zubereitet. Ein Mindestmaß an Versorgung sei erst nach der Einschaltung
der Familienhelferin gewährleistet gewesen. Da die Antragstellerin sich zudem auch
ehewidrig verhalte, sei auch nach seiner Ansicht die Ehe zerrüttet.
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Das Amtsgericht hat lediglich die Stellungnahme des Jugendamtes der Stadt E vom 24.
März 1988 eingeholt (Bl. 65 bis 68 d.A.) und sodann durch das angefochtene Urteil die
Ehe der Parteien geschieden, die elterliche Sorge für die Kinder der Antragstellerin
übertragen und den Versorgungsausgleich ausgeschlossen. Gegenstand des
Beschwerdeverfahrens ist allein die Regelung der elterlichen Sorge. Hinsichtlich der
Begründung der Entscheidung durch das Amtsgericht wird auf die
Entscheidungsgründe zu Ziffer II. Bezug genommen.
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Der Antragsgegner strebt mit seiner Beschwerde die Übertragung der elterlichen Sorge
für die Kinder X und X2 auf ihn an, hilfsweise die Aufhebung der sie betreffenden
Entscheidung und die Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht. Er führt dazu
aus, die Aufhebung und Zurückverweisung sei geboten, weil das Amtsgericht weder die
Antragstellerin, noch die Kinder X und X2, noch ihn persönlich angehört hätte. Ohne die
Anhörung der beiden Kinder habe sich das Amtsgericht kein Bild davon machen
können, ob ein weiteres Verbleiben der Kinder bei der Antragstellerin dem Wohl der
Kinder am besten entspreche. Die fehlende Eignung der Antragstellerin ergebe sich
auch daraus, dass sie seit der Trennung "sexuell ein äußerst freizügiges Leben" in der
Ehewohnung führe, wobei sie die Beziehungen zu den Männern über CB-Funk
anknüpfe. Er selbst sei auch CB-Funker und verfolge die Gespräche der Antragstellerin
mit. Für den Sohn X3 strebe er die elterliche Sorge deshalb nicht an, weil er nicht der
Erzeuger sei.
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Der Antragsgegner beantragt,
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unter Abänderung der Ziffer 2) des angefochtenen Verbundurteils die elterliche
Sorge für die Kinder X und X2 auf ihn zu übertragen,
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hilfsweise,
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das Urteil insoweit aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das
Amtsgericht - Familiengericht - zurückzuverweisen.
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Die Antragstellerin beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Sie verteidigt die angefochtene Regelung und führt aus, sowohl X als auch X2 hätten
sich positiv entwickelt. Der Antragsgegner habe sich seit Februar 1988 nicht mehr um
sie bemüht. Sie führe kein sexuell freizügiges Leben, das Kind X3 stamme auch vom
Antragsgegner. Eine Anhörung der Kinder führe hinsichtlich der Regelung der
elterlichen Sorge nicht zu einer abweichenden Entscheidung.
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II.
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Die gem. §§ 629 a Abs. 2, 621 e, 516, 519 ZPO zulässige Beschwerde des
Antragsgegners ist begründet und führt zur Aufhebung der Regelung der elterlichen
Sorge, soweit sie die Kinder X und X2 betrifft, nebst dem zugrunde liegenden Verfahren
und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht (§§ 539, 540 ZPO).
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Gem. § 539 ZPO, der entsprechend auch im FGG-Verfahren anzuwenden ist, kann die
Sache an das Gericht des ersten Rechtszuges unter Aufhebung der Entscheidung und
des Verfahrens zurückverwiesen werden, wenn das Verfahren des ersten Rechtszuges
an einem wesentlichen Mangel leidet.
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Ein solcher Mangel liegt vor, da das Amtsgericht weder die Parteien noch die Kinder X
und X2 persönlich angehört hat, sondern lediglich das Ergebnis des
Jugendamtsberichts vom 24. März 1988 übernommen hat.
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Gem. § 50 a Abs. 1 S. 1 und 2 FGG soll das Gericht in Angelegenheiten der
Personensorge in der Regel die sorgeberechtigten Eltern persönlich, also mündlich,
anhören. Diese Anhörung ist zwingend vorgeschrieben, da mit dem Wort "soll" dem
Gericht kein Ermessen eingeräumt worden ist (vgl. Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 12.
Aufl., § 50 a FGG Rn. 10; Bumiller/Winkler, FGG, 4. Aufl., § 50 a FGG, Anm. 2).
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Entsprechend ist gem. § 50 b Abs. 1 FGG in dem Verfahren, das die elterliche Sorge
betrifft, das Kind persönlich anzuhören, wenn die Neigungen, Bindungen oder der Wille
des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung sind oder wenn es zur Feststellung des
Sachverhaltes angezeigt erscheint. Auch diese Anhörung ist zwingend vorgeschrieben,
da sie dem verfassungsrechtlichen Gebot entspricht, bei Sorgerechtsentscheidungen
den Willen des Kindes zu berücksichtigen, soweit dies mit dem Wohl des Kindes zu
vereinbaren ist. Eine Entscheidung, die den Belangen des Kindes gerecht werden soll,
kann in der Regel nur ergehen, wenn das Kind in dem gerichtlichen Verfahren die
Möglichkeit erhalten hat, seine persönlichen Beziehungen zu den übrigen
Familienmitgliedern erkennbar werden zu lassen (vgl. dazu BVerfG FamRZ 1981, 124
ff., 126).
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Dienen somit beide Vorschriften zum einen der Sicherstellung des rechtlichen Gehörs
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der Eltern und der Kinder, so erschöpft sich darin aber nicht ihre Bedeutung (vgl. dazu
BGH FamRZ 1985, 169 ff., 172). Denn die persönliche Anhörung nach den §§ 50 a und
b FGG soll in erster Linie der nach § 12 FGG gebotenen Sachaufklärung dienen (vgl.
BGH a.a.O. 172 m.w.N.).
Keinem dieser Gesichtspunkte ist das Amtsgericht mit seiner Entscheidung gerecht
geworden. Insbesondere hat es nicht dargelegt, warum es weder die Eltern noch die
beiden Kinder persönlich angehört hat, da von einer Anhörung nur aus
schwerwiegenden Gründen abgesehen werden kann (vgl. §§ 50 a Abs. 3 und 50 b Abs.
3 FGG) und damit die Gründe, die zu einem Absehen von einer Anhörung geführt haben
könnten, nachprüfbar dargetan sein müssen (vgl. BGH FamRZ 1984, 1084 ff., 1086).
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Da das Amtsgericht seine Aufklärungspflicht gem. § 12 FGG nicht erfüllt hat, Bindungen,
Neigungen und den Kindeswillen nicht einmal ansatzweise erforscht hat, keine eigenen
Feststellungen z.B. zur Erziehungs- und Betreuungseignung der Parteien getroffen hat
(vgl. zum Begriff des Kindeswohls BGH FamRZ 1985, 169 ff.), hat der Senat auch nicht
unterstellen können, eine ordnungsgemäße Anhörung hätte für das Amtsgericht keinen
Erkenntniswert für die Regelung der elterlichen Sorge gehabt.
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Der dargelegte Verfahrensfehler ist auch wesentlich, da mangels jeglicher
Anhaltspunkte nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Amtsgericht anders
entschieden hätte, wenn die Anhörung durchgeführt worden wäre.
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Schließlich hat es der Senat nicht für sachdienlich gehalten, von einer
Zurückverweisung abzusehen und die Anhörung selbst vorzunehmen, um dann in der
Sache entscheiden zu können, da den Parteien dadurch eine Tatsacheninstanz
verloren ginge (§ 540 ZPO).
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Abschließend weist der Senat darauf hin, dass es bei der Regelung der elterlichen
Sorge gem. § 1671 BGB nicht ausreichen kann, wenn die Entscheidung "im Moment"
dem Wohl der Kinder (am besten) entspricht, wie allein schon aus dem sog.
Kontinuitätsgrundsatz folgt und daraus, dass eine Regelung gem. § 1696 Abs. 1 BGB
nur dann abgeändert werden kann, wenn triftige, das Kindeswohl nachhaltig berührende
Gründe gegeben sind.
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