Urteil des OLG Hamm vom 19.03.2001

OLG Hamm: haftpflichtversicherer, beweisverfahren, sachverständiger, parteistellung, abrechnung, entschädigung, aufspaltung, sporthalle, ausnahmecharakter, beweislast

Oberlandesgericht Hamm, 23 W 45/01
Datum:
19.03.2001
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
23. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
23 W 45/01
Vorinstanz:
Landgericht Paderborn, 2 O 529/99
Tenor:
Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten der Klägerin nach einem
Beschwerdewert von 2.331,60 DM zurückgewiesen.
G r ü n d e :
1
Die zulässige sofortige Beschwerde der Klägerin (§§ 104 Abs. 3 ZPO, 11 Abs. 1 RpflG)
ist unbegründet.
2
Entgegen ihrer Ansicht hat die Rechtspflegerin zu Recht die Kosten des von dem
Haftpflichtversicherer der Beklagten vorprozessual eingeholten Gutachtens bei der
Kostenfestsetzung berücksichtigt. Das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. B vom
19. Mai 1999 war zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung i.S.v. § 91 Abs. 1 ZPO
notwendig, so daß die Beklagte die ihrem Haftpflichtversicherer am 19. Mai 1999 in
Rechnung gestellten Kosten von 2.331,60 DM von der Klägerin erstattet verlangen
kann.
3
I.
4
Zwar hat die prozeßnotwendige Zuziehung eines Privatgutachters wegen der Pflicht zur
Geringhaltung der Kosten Ausnahmecharakter (Senatsbeschluß vom 18.12.1995
23 W 454/95 in OLGReport 1996, 105; Göttlich/Mümmler, BRAGO, 19. Aufl., Stichwort:
Privatgutachten, Vorbemerkungen). Die Kosten eines vorgerichtlich eingeholten
Privatgutachtens können jedoch im Einzelfall erstattungsfähig sein, wenn es im Hinblick
auf einen konkret bevorstehenden Rechtsstreit in Auftrag gegeben worden ist, um der
Darlegungs- bzw. Beweislast genügen zu können (Senatsbeschluß vom 18.12.1995,
a.a.O.; Senatsbeschluß vom 05.10.1972 23 W 475/72 in JurBüro 1972, 1102). Nach
der neueren Rechtsprechung des Senats kommt es dabei nicht darauf an, ob das
Gericht das Privatgutachten letztlich bei seiner Entscheidung verwertet. Vielmehr ist
entscheidend, ob die Partei die Beauftragung eines Privatgutachters bei verständiger
Würdigung ihrer Belange im konkreten Stadium der Streitigkeit zur Durchsetzung ihres
Rechtsstandpunktes aus der Sicht eines unbeteiligten Dritten (objektivierende
Betrachtung) als erforderlich ansehen durfte (Senatsbeschluß vom 08.06.1998
23 W 39/98 in OLGReport 1999, 111, 112).
5
Als der Haftpflichtversicherer der Beklagten dem Sachverständigen Prof. Dr. B den
Gutachtenauftrag erteilte, war in dem von der Klägerin beim Landgericht Paderborn
unter dem Aktenzeichen XXXXX angestrengten selbständigen Beweisverfahren bereits
ein Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen Klamert vom 15. Februar
1999 eingeholt worden, das die Klägerin mit Schreiben vom 06. April 1999 zum Anlaß
genommen hatte, die Beklagte zwecks Vermeidung eines "gerichtlichen Verfahrens" zur
Anerkennung ihrer Schadensersatzpflicht aufzufordern. Die Erteilung des
Gutachtenauftrages weist somit die erforderliche Prozeßbezogenheit auf.
6
Der Haftpflichtversicherer der Beklagten durfte die Einholung des Gutachtens im
damaligen Stadium der Auseinandersetzung auch für erforderlich halten. In dem zum
selbständigen Beweisverfahren erstellten Gutachten war der Sachverständige L anhand
wissenschaftlicher Untersuchungen zu der Auffassung gekommen, daß das
Abschuppen der oberen Schicht des Parkettbodens in der Sporthalle des evangelischen
Gymnasiums in M durch die Reinigungsarbeiten der Beklagten verursacht worden war.
Die Beklagte konnte sich aus damaliger Sicht fundiert nur dann mit den
Untersuchungsergebnissen des Sachverständigen Klamert auseinandersetzen, wenn
sie selbst sachverständige Hilfe in Anspruch nahm. Das von ihr eingeholte
Privatgutachten hat dazu geführt, daß sich der im Kammertermin am 05. Mai 2000
ergänzend gehörte gerichtliche Sachverständige L über seine schriftlichen
Ausführungen hinaus zusätzlich mit der Angelegenheit beschäftigt hat. Das
Privatgutachten von Prof. Dr. Q hat schließlich Eingang in das am 05. Mai 2000
verkündete Urteil des Landgerichts gefunden und zur Klageabweisung beigetragen.
7
II.
8
Der Erstattungsfähigkeit der für das Privatgutachten aufgewandten Kosten steht
entgegen der Ansicht der Klägerin auch nicht entgegen, daß der Sachverständige Prof.
Dr. Q nicht von der Beklagten, sondern von ihrem Haftpflichtversicherer beauftragt
worden ist. Der Versicherer hat das Gutachten erkennbar nicht zur Prüfung seiner
Einstandspflicht gegenüber der Beklagten, sondern zu deren vorprozessualen
Interessenvertretung und zu ihrer Unterstützung in dem anstehenden Rechtsstreit
eingeholt (vgl. zur notwendigen Prozeßbezogenheit der Einholung eines Gutachtens
durch den Haftpflichtversicherer Senatsbeschluß vom 26.11.1991 23 W 561/91 in
JurBüro 1992, 818).
9
Zwar umfaßt die Kostenerstattungspflicht grundsätzlich nur die einer Partei selbst
erwachsenen Aufwendungen. Erteilt jedoch, wie hier, ein Haftpflichtversicherer einen
Gutachtenauftrag, sind die dafür angefallenen Kosten ebenso erstattungsfähig, wie bei
einer Beauftragung durch die Partei (OLG Koblenz ZfS 1992, 56; OLG München MDR
1987, 148; Bork in Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl., § 91 Rdn. 15; Göttlich/Mümmler,
BRAGO, 19. Aufl., Stichwort: Privatgutachten, Anm. 2.12; von Eicken in
von Eicken/Lappe/Madert, Die Kostenfestsetzung, 17. Aufl., Anm. B 307). Der
Haftpflichtversicherer erfüllt nämlich im Hinblick auf das versicherte Risiko praktisch die
Aufgabe eines Rechtsschutzversicherers, weil er gem. § 3 Abs. 3 Nr. 3 AHB den
Rechtsstreit auf seine Kosten im Namen des Versicherungsnehmers führt. Er ist
aufgrund seines internen Verhältnisses zum Versicherungsnehmer verpflichtet, die
Prozeßkosten gleichsam vorzuschießen, und kann sie nur wegen des
Versicherungsschutzes des Versicherungsnehmers von diesem nicht erstattet
verlangen. Die Aufspaltung zwischen der Parteistellung des Versicherungsnehmers, der
die Prozeßführung gem. § 5 Nr. 4 AHB dem Versicherer zu überlassen hat, und dem
10
Kostenrisiko des Versicherers führt nicht zu einer Besserstellung des Prozeßgegners
hinsichtlich der ihn treffenden Kostenerstattungspflicht.
III.
11
Auch die Höhe der Rechnung des Sachverständigen Prof. Dr. Q vom 19. Mai 1999
(2.331,60 DM) ist nicht zu beanstanden. Die von ihm angesetzten Gebührensätze halten
sich im üblichen Rahmen für ein Privatgutachten. Anders als ein gerichtlich bestellter
Sachverständiger braucht ein Privatgutachter seiner Abrechnung nicht die Sätze des
Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (ZSEG)
zugrundezulegen (so auch ZöllerHerget, ZPO, 22. Aufl., § 91 Rdn. 13 zum Stichwort:
Privatgutachten).
12
IV.
13
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des
Beschwerdewertes, der dem Abänderungsbegehren der Klägerin entspricht, beruht auf
§ 12 Abs. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO.
14