Urteil des OLG Hamm vom 26.10.2010

OLG Hamm (kläger, höhe, zpo, medikamentöse behandlung, ehefrau, diabetes mellitus, rente, leistungsfähigkeit, leistung, sohn)

Oberlandesgericht Hamm, II-2 UF 55/10
Datum:
26.10.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
2. Senat für Familiensachen
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
II-2 UF 55/10
Vorinstanz:
Amtsgericht Brakel, 9 F 118/08
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 24.02.2010 verkündete Urteil
des Amtsgerichts – Familiengericht – Brakel teilweise abgeändert und
wie folgt neu gefasst:
Das Urteil des Amtsgerichts – Familiengericht – Brakel vom 07.05.2008
unter dem Az.: 9 F 113/06 wird dahingehend abgeändert, dass der
Kläger gegenüber der Beklagten zur Leistung von Kindesunterhalt zu
Händen ihrer gesetzlichen Vertreterin
a) für den Zeitraum zwischen dem 24.09.2008 und dem 25.10.2009 in
Höhe von monatlich 0,00 €, sowie
b) für den Zeitraum zwischen dem 26.10.2009 und dem 30.11.2009 in
Höhe von monatlich 127,00 €
verpflichtet ist.
Im Übrigen bleibt das Urteil des Amtsgerichts – Familiengericht – Brakel
vom 07.05.2008 unter dem Az.: 9 F 113/06 aufrechterhalten.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die Berufung des Klägers im Übrigen wird zurückgewiesen.
Die Kosten der ersten Instanz fallen dem Kläger zu 63 % und der
Beklagten zu 37 % zur Last.
Die Kosten der zweiten Instanz haben der Kläger zu 70 % und die
Beklagte zu 30 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 2.611,00 € festgesetzt.
Tatbestand:
1
Die Parteien streiten über die Reduzierung von Kindesunterhalt ab dem 01.09.2008.
2
Der Kläger ist der nichteheliche Vater der Beklagten, welche im Haushalt der
Kindesmutter betreut und versorgt wird.
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Aus einer ersten Ehe des Klägers sind ein inzwischen etwa 18-jähriger Sohn und eine
etwa 11-jährige Tochter hervorgegangen. Diese Ehe wurde im Jahr 1996 geschieden.
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Nach seiner Ehescheidung lebte der Kläger eine Zeit lang mit der Mutter der Beklagten
zusammen. Aus dieser Beziehung stammt die am 04.02.1999 geborene Beklagte.
5
Im Jahr 2004 heiratete der Kläger seine zweite Ehefrau. Gemeinsame Kinder sind
während dieser Ehe nicht geboren worden.
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Im Februar 2007 wurde beim Kläger ein Diabetesmellitus Typ II diagnostiziert. Um eine
medikamentöse Behandlung zu vermeiden, reduzierte er sein Körpergewicht innerhalb
weniger Wochen um 20 kg.
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Am 04.04.2007 erlitt der Kläger in F einen Verkehrsunfall, bei dem seine zweite Ehefrau
als Beifahrerin verstarb.
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Einerseits zog sich der Kläger physische Verletzungen, insbesondere Brüche der
Rippen, des Nasenbeins und der Hüfte zu. Andererseits sieht er die Ursache für das
Ableben seiner Ehefrau in erster Linie bei sich selbst, wodurch er in erheblichem Maße
psychisch belastet ist.
9
Seine Entlassung aus dem Krankenhaus in M erfolgte im Mai/Juni 2007. Danach
schloss sich ein mehrwöchiger Reha-Aufenthalt an.
10
Im Jahr 2008 heiratete der Kläger zum dritten Mal. Aus dieser Ehe ist am 19.05.2009
sein jüngster Sohn U hervorgegangen.
11
Seit dem 26.10.2009 befindet sich der Kläger aufgrund einer Verurteilung wegen
Sexuellen Missbrauchs von Kindern in Strafhaft. Gegenwärtig ist er in der JVA C2, T-
Straße, C2 untergebracht. Er lebt dort in der Außenstelle Q, Q-Weg, H.
12
Nach dem gegenwärtigen Stand des zugrundeliegenden Strafverfahrens ist nicht davon
auszugehen, dass er vor Ende des Jahres 2011 entlassen werden wird.
13
Durch Urteil des Amtsgerichts – Familiengericht – Rahden vom 20.01.2000 (Az.: 7 F
147/99) ist die Vaterschaft des Klägers für die Beklagte festgestellt worden. Zugleich ist
der Kläger verurteilt worden, an die Beklagte Kindesunterhalt in Höhe des
Regelunterhaltes bzw. des Regelbetrages nach der Regelbetragsverordnung in der
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jeweils gültigen Fassung in der jeweiligen Altersstufe abzüglich von 125,00 DM
Kindergeld zu zahlen.
Durch das Urteil des Amtsgerichts – Familiengericht – Brakel vom 07.05.2008 (Az.: 9 F
113/06) in Verbindung mit dem vorangegangenen Versäumnisurteil des Amtsgerichts –
Familiengericht – Brakel vom 30.01.2008 (ebenfalls Az.: 9 F 113/06) ist die
Verpflichtung des Klägers zur Leistung von Kindesunterhalt mit Wirkung ab dem
01.09.2006 auf monatlich 247,00 € abgeändert worden.
15
Damals bezog der Kläger Krankengeld in Höhe von monatlich 1.285,80 €. Dieser Bezug
endete am 25.06.2008.
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Inzwischen erhält der Kläger rückwirkend seit dem 01.11.2007 eine Rente wegen voller
Erwerbsminderung in Höhe von monatlich zunächst 728,62 €.
17
Erstinstanzlich hat der Kläger die Auffassung vertreten, aufgrund seiner Verrentung nicht
länger zur Zahlung des titulierten Kindesunterhalts in der Lage zu sein.
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Er sei arbeits- und erwerbsunfähig. Insbesondere der Bruch seiner Hüfte, welchen er
sich anlässlich des Verkehrsunfalls am 04.04.2007 zugezogen habe, sei nicht
ausgeheilt.
19
Er sei auch nicht in der Lage, stundenweise zu arbeiten, um den Mindestunterhalt der
Beklagten sicherzustellen.
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Erstinstanzlich hat der Kläger beantragt,
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das Urteil des Amtsgerichts – Familiengericht – Brakel vom 07.05.2008
unter dem Az.: 9 F 113/06 dahingehend abzuändern, dass er der Beklagten
gegenüber mit Wirkung ab September 2008 zur Leistung von
Kindesunterhalt nicht länger verpflichtet sei.
22
Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat behauptet, der Kläger sei ohne weiteres zu einer stundenweisen
Erwerbstätigkeit in der Lage, um wenigstens ihren Unterhalt zu sichern.
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Ausgehend von den Erörterungen im erstinstanzlichen Termin am 05.12.2008 sind
zunächst der dem Rentenbescheid des Klägers zugrundeliegende ärztliche
Entlassungsbericht der Klinik G in C vom 07.03.2008 sowie das Sozialmedizinische
Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung X in N2 vom
11.04.2008 beigezogen worden.
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Zur Durchführung einer darüber hinausgehenden Beweisaufnahme durch Einholung
eines schriftlichen Sachverständigengutachtens aufgrund der Beweisbeschlüsse des
Amtsgerichts Brakel vom 04.02.2009 und 02.03.2009 ist es demgegenüber nicht
gekommen.
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Zunächst hat der Kläger während eines angesetzten Begutachtungstermins am
29.05.2009 die Räumlichkeiten für die geplante Exploration nach etwa 45 Minuten
verlassen, als sich eine Verspätung des Sachverständigen für etwa eine Stunde
abzeichnete. Im Vorfeld eines weiteren Termins am 04.08.2009 hat der Kläger dem
Sachverständigen erst unmittelbar vor der geplanten Begutachtung mitgeteilt, er könne
den Termin nicht wahrnehmen, da er nicht über eine gültige Fahrerlaubnis verfüge.
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Den dritten Termin am 10.12.2009 hat der Kläger wegen seiner zwischenzeitlich
erfolgten Inhaftierung nicht wahrnehmen können.
29
Auf Antrag des Klägers vom 04.09.2008 ist die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des
Amtsgerichts Brakel vom 07.05.2008 unter dem Az: 9 F 113/06 durch Beschluss des
Amtsgerichts Brakel vom 23.09.2008 ohne Sicherheitsleistung vorläufig eingestellt
worden.
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Durch die angefochtene Entscheidung vom 24.02.2010 ist das Urteil des Amtsgerichts –
Familiengericht – Brakel vom 07.05.2008 unter dem Az.: 9 F 113/06 dahingehend
abgeändert worden, dass der Kläger der Beklagten gegenüber für den Zeitraum
zwischen Mai 2009 und November 2009 zur Leistung von Kindesunterhalt in Höhe von
monatlich 127,00 € verpflichtet ist. Im Übrigen ist das Urteil des Amtsgerichts Brakel vom
07.05.2008 aufrechterhalten worden.
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In Übereinstimmung mit der Auffassung der Beklagten sei grundsätzlich davon
auszugehen, dass der Kläger gesundheitlich in der Lage sei, neben dem Bezug seiner
Rente wegen voller Erwerbsminderung einer Nebentätigkeit im geringfügigen Umfang
nachzugehen. Hierdurch sei es ihm möglich, zumindest bis zur Geburt des jüngsten
Sohnes U den titulierten Kindesunterhalt für die Beklagte in Höhe von monatlich 247,00
€ zu zahlen.
32
Der Kläger habe die Einholung eines Sachverständigengutachtens, durch welches
etwaige Verschlechterungen seines Gesundheitszustandes hätten festgestellt werden
können, schuldhaft verhindert.
33
Für den Zeitraum zwischen Mai 2009 und November 2009 sei wegen der Geburt des
jüngsten Sohnes U eine Mangelverteilung vorzunehmen.
34
Angesichts eines fiktiven Hinzuverdienstes in Höhe von monatlich 400,00 € stehe für
den Kindesunterhalt für beide Kinder ein Betrag in Höhe von monatlich lediglich 230,00
€ zur Verfügung. Die Mangelung führe zu einem monatlichen Unterhaltsanspruch der
Beklagten in Höhe von 127,00 €.
35
Ab Dezember 2009 sei davon auszugehen, dass der Kläger für einen längeren Zeitraum
inhaftiert sei. Er werde mindestens 2/3 der verhängten Strafe zu verbüßen haben.
36
Unter diesen Umständen sei eine erhebliche Reduzierung seines notwendigen
Selbstbehalts geboten. Ferner sei zu vermuten, dass der Kläger sein Einkommen durch
eine stundenweise Erwerbstätigkeit in der JVA steigern könne (Hausgeld). Mangels
entsprechender Angaben sei schließlich anzunehmen, dass er zu einer Beteiligung an
etwaigen Inhaftierungskosten nicht herangezogen werde.
37
Unter diesen Umständen sei er in der Lage, während seiner Haftzeit den
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Mindestunterhalt für beide Kinder zu leisten.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 26.03.2010.
39
In seiner Berufungsbegründung führt der Kläger aus, es sei ihm nicht als Verschulden
anzurechnen, dass das in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten in der ersten
Instanz nicht habe eingeholt werden können.
40
Am 29.05.2009 sei er von seiner Ehefrau erwartet worden, welche kurz zuvor entbunden
gehabt habe. Das Neugeborene habe noch auf der Intensivstation in der Klinik in N2
gelegen.
41
Der zweite Untersuchungstermin am 04.08.2009 sei auf Intervention des Klägers auf
den 10.12.2009 verlegt worden. Zu diesem Zeitpunkt sei er dann aber bereits inhaftiert
gewesen.
42
Die Schätzung eines erzielbaren Nebeneinkommens in Höhe von 400,00 € stelle eine
"Petitio principii" dar, für welche es an jedweder nachvollziehbaren Begründung fehle.
Weder seien Ausführungen des Amtsgerichts zu Vorbildung, Fähigkeiten und
Berufserfahrung des Klägers erfolgt. Noch seien die Marktverhältnisse beleuchtet
worden.
43
Eine Strafhaft führe grundsätzlich zur Leistungsunfähigkeit des Inhaftierten, wenn nicht
zwischen Straftat und Leistungsunfähigkeit ein unterhaltsrechtlicher Zusammenhang
bestehe.
44
Bis zur voraussichtlichen Entlassung des Klägers nach Verbüßung von 2/3 der Strafe
sei auf sein bisheriges Einkommen abzustellen, und zwar ohne Zurechnung fiktiver
Nebeneinkünfte. Für den Selbstbehalt verbleibe es in diesem Zusammenhang bei der
Regelung in Ziff. 21.2 HLL.
45
Im Senatstermin am 05.10.2010 hat der Kläger ergänzend ausgeführt, seine
Verpflegung in der JVA C2 sei unzureichend.
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Zum Frühstück werde eine Scheibe Brot gereicht. Die Getränke müssten sämtlich selbst
gekauft werden. Eine warme Mittagsmahlzeit werde nicht gewährt. Lediglich am Abend
gebe es manchmal Bratkartoffeln.
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Zudem würden Kosten dadurch anfallen, dass er in der JVA durch seine dritte Ehefrau
und den jüngsten Sohn U zum Zweck der Wahrnehmung von Umgangskontakten
besucht werde.
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In der Berufungsinstanz beantragt der Kläger,
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das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Brakel vom 24.02.2010
dahingehend abzuändern, dass er der Beklagten gegenüber in
Abänderung des Urteils des Amtsgerichts – Familiengericht – Brakel vom
07.05.2008 unter dem Az.: 9 F 113/06 ab September 2008 zur Leistung von
Kindesunterhalt nicht länger verpflichtet sei.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
52
In ihrer Berufungserwiderung vertritt sie die Auffassung, es hätte dem Kläger zwischen
dem 01.09.2008 und dem 26.10.2009 oblegen, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Er
sei Rentner und hätte jede erdenkliche Aushilfsstelle annehmen können. In zeitlicher
Hinsicht sei er nicht eingeschränkt gewesen.
53
Als Hausmeister, Verkaufsfahrer für Bäckereien oder als Zeitungsbote hätte er ein
Nettoeinkommen in Höhe von monatlich 466,00 € erzielen können.
54
Der Auffassung des Bundesgerichtshofs, wonach eine unterhaltsrechtliche
Leitungsunfähigkeit eins Inhaftierten dann zu akzeptieren sei, wenn sich das
vorgeworfene Fehlverhalten nicht gerade auf die Unterhaltspflicht gegenüber der
Unterhaltsgläubigerin beziehe, werde von ihrer Seite nicht geteilt.
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In der zweiten Instanz ist aufgrund des Beweisbeschlusses vom 25.06.2010 ein
Gutachten zur Erwerbsfähigkeit des Klägers eingeholt worden. Bezüglich des
Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Sachverständigengutachten
des Facharztes für Arbeitsmedizin, Suchtmedizin und Umweltmedizin Dr. med. N von
24.09.2010 verwiesen.
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Im Senatstermin am 05.10.2010 sind sowohl der Kläger als auch die Mutter der
Beklagten angehört worden.
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Entscheidungsgründe:
58
A. Da das Unterhaltsverfahren zeitlich vor dem 01.09.2009 eingeleitet worden ist, richtet
es sich gem. Art. 111 Abs. 1 FGG-RG nach altem Recht.
59
B. Die Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere innerhalb der Berufungsfrist
nach § 517 ZPO eingelegt worden.
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In der Sache ist die Berufung teilweise begründet.
61
1. Eine wesentliche Änderung i. S. v. § 323 Abs. 1 ZPO a. F. ist zu bejahen.
62
Seit dem 26.06.2008, d. h. zeitlich nach der letzten mündlichen Verhandlung am
16.04.2008 im Vorverfahren unter dem Az.: 9 F 113/06, bezieht der Kläger nicht länger
Krankengeld in Höhe von monatlich 1.285,80 €, sondern er erhält lediglich eine
gesetzliche Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von zunächst 728,62 €.
Zudem ist er am 19.05.2009 Vater eines weiteren unterhaltsberechtigten Sohnes
geworden.
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2. Gem. §§ 323 Abs. 3 S. 1 ZPO a.F., 253 Abs. 1, 261 Abs. 1 ZPO kann die Abänderung
eines Urteils allerdings erst ab dem Zeitpunkt der Zustellung der Klageschrift an die
Beklagte am 24.09.2008 und nicht bereits ab dem 01.09.2008 begehrt werden. Die
Ausnahmevorschrift in § 323 Abs. 3 S. 2 ZPO a. F. gilt für eine Abänderungsklage auf
Reduzierung eines Unterhaltstitels nicht (vgl. Zöller-Vollkommer, ZPO, 27. Aufl., § 323,
Rdnr. 35 a).
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3. Die Ansprüche der Beklagten gegen den Kläger auf Kindesunterhalt beruhen auf den
§§ 1601, 1610 BGB.
65
4. Zutreffend geht der Kläger davon aus, im Zeitraum zwischen dem 24.09.2008 und
dem 25.10.2009 zur Leistung von Kindesunterhalt nicht in der Lage zu sein.
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a) Bis zum 25.06.2008 bezog er Krankengeld in Höhe von monatlich 1.285,80 €. Ab
dem 26.06.2008 erhält er lediglich eine Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe
von monatlich zunächst 728,62 €.
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Eine Steigerung dieser Rente zum 01.07.2009 lässt sich den übersandten Unterlagen
nicht entnehmen. Ab dem 01.07.2010 erhöht sie sich jedoch auf monatlich 745,36 € an.
Unter diesen Umständen ist für den Zeitraum zwischen Juli 2009 und Juni 2010 ein
Mittelwert aus 728,62 € und 745,36 € in Höhe von monatlich 736,99 € zu bilden.
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b) Ursprünglich war die Rente bis zum 30.04.2009 befristet. Sie wird allerdings weiterhin
bezogen und ist zuletzt bis zum 31.12.2011 verlängert worden.
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Die erhebliche Nachzahlung in Höhe von 6.008,84 € für den Zeitraum zwischen
November 2007 und August 2008, welche dem Kläger durch Rentenbescheid vom
23.07.2008 gewährt worden ist, unterfällt dem streitgegenständlichen
Abänderungszeitraum ab September 2008 nicht und ist daher zu Recht von keiner Seite
in die Unterhaltsberechnungen eingestellt worden.
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c) Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts kann dem Kläger ein zusätzliches
Erwerbseinkommen aus einer Nebenbeschäftigung nicht fiktiv zugerechnet werden.
Angesichts seines angegriffenen Gesundheitszustandes besteht eine diesbezügliche
Erwerbsobliegenheit für ihn nicht.
71
aa) Ausweislich des ärztlichen Entlassungsberichtes der Klinik G in C vom 07.03.2008
ist er dort im März 2008 als bis auf weiteres arbeitsunfähig entlassen worden.
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Das Sozialmedizinische Gutachten des Medizinischen Dienstes der
Krankenversicherung X in N2 vom 11.04.2008 kommt zu dem Ergebnis, dass auch nach
einer durchgeführten psychosomatischen Rehabilitation eine ausreichende psychische
Stabilität bei dem Kläger nicht erreicht worden sei. Es bedürfe einer weiteren
psychotherapeutischen Behandlung.
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Die Entlassung des Klägers aus der psychosomatischen Rehabilitation im April 2008
erfolge auf Dauer arbeitsunfähig. Die Wiederaufnahme einer beruflichen Tätigkeit sei
nicht absehbar, eine Nachuntersuchung sei aus medizinischer Sicht nicht erforderlich.
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Dementsprechend ist damals ausdrücklich die Umwandlung des Reha-Antrages in
einen Rentenantrag empfohlen worden.
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bb) Im aktuellen Sachverständigengutachten vom 24.09.2010 diagnostiziert Dr. N eine
Posttraumatische Belastungsstörung in Verbindung mit einer reaktiven Depression als
Folge eines schweren Autounfalls und des Ablebens der Ehefrau des Klägers, eine
Spezifische (isolierte) Phobie (Spritzenphobie), eine Peronäus-Läsion rechts mit
Fußheber- und Zehenheberparese nach Acetabulumfraktur 4/2007, einen Diabetes
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mellitus Typ II sowie eine Arterielle Hypertonie.
Aufgrund dieser Erkrankungen sowohl psychischerseits als auch psychischerseits
bestehe bei dem Kläger nach Auffassung des Sachverständigen seit dem 04.04.2007
eine volle Erwerbsminderung, welche mit größter Wahrscheinlichkeit mindestens bis
zum 31.12.2011 andauern werde.
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cc) Der Senat schließt sich den überzeugenden Ausführungen im Gutachten vom
24.09.2010 an. Bis auf Weiteres ist daher für den Kläger selbst eine Erwerbstätigkeit im
Geringverdienerbereich nicht möglich.
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dd) Da das erforderliche Sachverständigengutachten in der Berufungsinstanz eingeholt
worden ist, kommt es auf die Frage einer etwaigen Beweisverweigerung auf Seiten des
Klägers gem. § 446 ZPO nicht länger an.
79
d) Vor diesem Hintergrund liegt das Nettoeinkommen des Klägers bis zum 25.10.2009
durchgehend unterhalb des notwendigen Selbstbehalts eines erwerbslosen
Unterhaltsschuldners in Höhe von 770,00 €. Eine Leistungsfähigkeit in
unterhaltsrechtlicher Hinsicht lässt sich nicht bejahen.
80
5. Nach Haftantritt am 26.10.2009 verändert sich die wirtschaftliche Situation des
Klägers im Hinblick auf seine unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit.
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Einerseits bezieht er weiterhin seine gesetzliche Rente wegen voller Erwerbsminderung
in Höhe von monatlich zunächst 736,99 €.
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Andererseits geht er in geringem Umfang einer Erwerbstätigkeit nach, wobei er
zunächst tageweise bei der Firma N3 beschäftigt war und in der Folgezeit überwiegend
als Hausarbeiter innerhalb der JVA C2 eingesetzt wird. Aus seinen Bezügen hat er
ausweislich seines Lohnscheines für den Monat Juli 2010 im Zeitraum zwischen
November 2009 und Juli 2010 einerseits einen Gesamtbetrag in Höhe von 83,02 € an
Hausgeld und andererseits einen Gesamtbetrag in Höhe von 319,97 € an
Überbrückungsgeld erwirtschaftet.
83
a) Das Überbrückungsgeld nach § 51 StVollzG NRW steht für Unterhaltsleistungen nicht
zur Verfügung.
84
Zwar wird es gem. § 51 Abs. 1 StVollzG NRW aus den Bezügen des Inhaftierten
während seiner Zeit im Strafvollzug gebildet. Es wird jedoch erst bei Entlassung an ihn
ausgezahlt, um den notwendigen Lebensunterhalt des Inhaftierten und seiner
Unterhaltsberechtigten für die ersten 4 Wochen nach seiner Entlassung zu sichern (§ 51
Abs. 1, Abs. 2 S. 1 StVollzG NRW). Diese Geldbeträge werden dem Kläger daher erst
nach seiner Haftentlassung zur Verfügung stehen (vgl. OLG Hamm, Urteil vom
14.01.2004, Az.: 11 UF 89/03, FamRZ 2004, 1743, Juris, Rdnr. 29; OLG Koblenz,
Beschluss vom 15.01.2004, Az.: 13 WF 1049/03, FamRZ 2004, 1313, Juris, Rdnr. 2;
Wendl-Dose, Unterhaltsrecht, 7. Aufl., § 1, Rdnr. 485 b).
85
b) Das Hausgeld nach § 47 StVollzG NRW übersteigt regelmäßig selbst unter
Berücksichtigung der freien Unterkunft, Verpflegung, Bekleidung und
Gesundheitsfürsorge den Mindestbedarf der notwendigen Ausgaben des Inhaftierten
nicht und ist ihm daher auch bei gesteigerter Unterhaltsverpflichtung nach § 1603 Abs. 2
86
BGB zu belassen (OLG Koblenz, Beschluss vom 15.01.2004, Az.: 13 WF 1049/03,
FamRZ 2004, 1313, Juris, Rdnr. 2; Wendl-Dose, Unterhaltsrecht, 7. Aufl., § 1, Rdnr. 485
b). Verfügt der Inhaftierte allerdings – wie vorliegend - neben den Hausgeldzahlungen
über weitergehende Ansprüche, um seinen eigenen Bedarf zu befriedigen, ist auch das
Hausgeld für seine Unterhaltsverpflichtungen zu verwenden (vgl. OLG Hamm, Urteil
vom 14.01.2004, Az.: 11 UF 89/03, FamRZ 2004, 1743, Juris, Rdnr. 30; Wendl-Dose,
Unterhaltsrecht, 7. Aufl., § 1, Rdnr. 485 b).
Dementsprechend entfaltet das vom Kläger erwirtschaftete Hausgeld im Gegensatz zum
angesparten Überbrückungsgeld einkommenssteigernde Wirkung. Die bis Ende Juli
2010 erarbeiteten 83,02 € sind anteilig auf den Zeitraum zwischen November 2009 und
Juli 2010 umzulegen und ergeben einen monatlichen Betrag in Höhe von 9,22 €. Dieser
ist auch für den Zeitraum ab August 2010 fortzuschreiben.
87
c) Dass sich der Kläger über etwaige Einbehaltungen von seinen Bezügen hinaus an
den Haftkosten zu beteiligen hätte, kann nicht angenommen werden. Auf die
entsprechende Aufforderung in der Ladungsverfügung vom 06.07.2010 sind derartige
Belastungen nicht vorgetragen worden. Anlässlich der Anhörung des Klägers im
Senatstermin am 05.10.2010 sind ihm Haftkosten nicht bekannt gewesen.
88
d) Im Ergebnis beläuft sich das anrechenbare Nettoeinkommen des Klägers zwischen
dem 26.10.2009 und dem 30.06.2010 auf monatlich 746,21 € (736,99 € + 9,22 €). Ab
dem 01.07.2010 steigt es durch die Erhöhung seiner Rente auf monatlich 754,58 € (=
745,36 € + 9,22 €) an.
89
e) Auf den Umfang dieser (eingeschränkten) Leistungsfähigkeit kann sich der Kläger
auch berufen. Insbesondere seine Inhaftierung führt zu einer abweichenden Beurteilung
nicht. Denn die dem Kläger zur Last gelegte Straftat eines Sexuellen Missbrauchs von
Kindern bezieht sich weder auf seine Unterhaltsverpflichtung der Beklagten gegenüber,
noch beruht sie auf einer unterhaltsbezogenen Mutwilligkeit (vgl. BGH, Urteil vom
20.02.2002, Az.: XII ZR 104/2000, FamRZ 2002, 813, Juris, Rdnrn. 11, 13; OLG Hamm,
Urteil vom 14.01.2004, Az.: 11 UF 89/03, FamRZ 2004, 1743, Juris, Rdnr. 27; OLG
Koblenz, Beschluss vom 15.01.2004, Az.: 13 WF 1049/03, FamRZ 2004, 1313, Juris,
Rdnr. 3 f.).
90
f) Dass Unterhaltsverpflichtungen des Klägers gegenüber seinen beiden Kindern aus
erster Ehe bestehen, kann bereits seinem eigenen Vortrag nicht entnommen werden.
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Weder in den anwaltlichen Schriftsätzen noch im erstinstanzlichen Urteil sind sie in die
Berechnungen einbezogen worden. Ihr Geburtsdatum ist unbekannt. Die Bestimmung
ihrer aktuellen Altersstufe wäre nicht möglich. Unterhaltszahlungen an die beiden
Kinder werden seitens des Klägers unstreitig nicht erbracht.
92
g) In welchem Umfang dem Kläger selbst durch die Wahrnehmung von
Umgangskontakten mit seinem Sohn U weitere Kosten entstehen, erschließt sich aus
seinem mündlichen Vortrag im Senatstermin am 05.10.2010 nicht. Im Gegenteil hat er
ausdrücklich ausgeführt, nicht er selbst besuche seine Ehefrau und seinen Sohn
während der Woche, sondern seine Frau besuche ihn in Begleitung des gemeinsamen
Sohnes in der Haftanstalt. Art und Umfang etwaiger Fahrtkosten für den Kläger lassen
sich derzeit daher nicht feststellen.
93
h) Wegen der geringfügigen Erwerbstätigkeit des Klägers während seiner Inhaftierung
ist sein notwendiger Selbstbehalt i. S. v. Ziff. 21.2 HLL grundsätzlich auf einen Wert
zwischen dem notwendigen Selbstbehalt eines vollschichtig erwerbstätigen
Unterhaltsschuldners in Höhe von 900,00 € und dem notwendigen Selbstbehalt eines
erwerbslosen Unterhaltsschuldners in Höhe von 770,00 € zu bemessen. Um das
berufliche Engagement des Klägers trotz seiner bestehenden Erkrankungen
hinreichend zu würdigen, ist auf den Mittelwert zwischen den beiden Varianten in Höhe
von monatlich 835,00 € abgestellt worden.
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i) Dieser ist allerdings insoweit zu bereinigen, als der Kläger während seines
Aufenthalts in der JVA sowohl kostenfrei wohnt als auch kostenfrei verpflegt wird. Als
gesparte Warmmiete sind gem. Ziff. 21.2 HLL monatlich 360,00 € zu berücksichtigen.
Die eingesparten Verpflegungskosten sind gem. § 287 ZPO mit monatlich 200,00 €
geschätzt worden (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 14.01.2004, Az.: 11 UF 89/03, FamRZ
2004, 1743, Juris, Rdnr. 35).
95
Unter Berücksichtigung dieser beiden Positionen vermindert sich der notwendige
Selbstbehalt des Klägers auf monatlich 275,00 €. Dieser Betrag reicht bei lebensnaher
Betrachtungsweise zur Befriedigung der notwendigen Ausgaben des Klägers selbst
dann aus, wenn er sämtliche Getränke auf eigene Rechnung beschaffen muss und im
Hinblick auf seine Ernährung auf eine ergänzende Verpflegung angewiesen ist.
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j) Unter Berücksichtigung eines bereinigten notwendigen Selbstbehaltes des Klägers in
Höhe von monatlich 275,00 € beläuft sich seine Leistungsfähigkeit zwischen dem
26.10.2009 und dem 30.06.2010 auf monatlich 471,21 €. Ab dem 01.07.2010 steigt sie
auf monatlich 479,58 € an.
97
6. Der Unterhaltsbedarf der inzwischen 11-jährigen Beklagten ermittelt sich aus der
ersten Einkommensgruppe der zweiten Altersstufe der Düsseldorfer Tabelle. Bis zum
Ende des Jahres 2009 beträgt er monatlich 322,00 € und steigt ab Januar 2010 auf
monatlich 364,00 € an. Unter Berücksichtigung des hälftigen Kindergeldes in Höhe von
monatlich 82,00 € im Jahr 2009 und in Höhe von monatlich 92,00 € ab Januar 2010
resultiert ein Zahlbetrag in Höhe von monatlich 240,00 € bis zum Ende des Jahres 2009
sowie in Höhe von monatlich 272,00 € ab Januar 2010.
98
Der Unterhaltsbedarf des jüngsten Sohnes U ergibt sich aus der ersten
Einkommensgruppe der ersten Altersstufe der Düsseldorfer Tabelle. Bis zum Ende des
Jahres 2009 beträgt er monatlich 281,00 € und steigt ab Januar 2010 auf monatlich
317,00 € an. Unter Abzug hälftigen Kindergeldes in Höhe von monatlich 82,00 € im Jahr
2009 sowie in Höhe von monatlich 92,00 € ab Januar 2010 resultieren Zahlbeträge bis
zum Ende des Jahres 2009 in Höhe von monatlich 199,00 € sowie ab Januar 2010 in
Höhe von monatlich 225,00 €.
99
In dem Barunterhaltsbedarf für U sind die auf das Kind entfallenden anteiligen
Wohnkosten für die Wohnung in F, in der die Ehefrau und der jüngste Sohn des Klägers
nach wie vor leben, bereits enthalten.
100
7. Der Gesamtbedarf der Beklagten und des jüngsten Sohnes U beträgt bis Ende des
Jahres 2009 monatlich 439,00 € sowie ab Januar 2010 monatlich 497,00 €.
101
a) Zwischen dem 26.10.2009 und 31.12.2009 ist dieser Unterhaltsbedarf vollumfänglich
102
von der Leistungsfähigkeit des Klägers in Höhe von monatlich 471,21 € umfasst. Eine
Mangelung ist nicht erforderlich.
Der Unterhaltsanspruch der Beklagten beläuft sich auf monatlich 240,00 €. Da er den
titulierten Unterhaltsbetrag im Urteil des Amtsgerichts Brakel vom 07.05.2008 in Höhe
von monatlich 247,00 € um lediglich 7,00 € unterschreitet, wird die
Wesentlichkeitsschwelle in § 323 Abs. 1 ZPO a. F. nicht erreicht. Eine Abänderung des
Urteils vom 07.05.2008 für diesen Zeitraum hat grundsätzlich zu unterbleiben.
103
b) Allerdings ist die Unterhaltsverpflichtung des Klägers bereits durch das angefochtene
Urteil des Amtsgerichts Brakel vom 24.02.2010 bis einschließlich November 2009 auf
monatlich 127,00 € reduziert worden. Ein Angriff seitens der Beklagten gegen diese
Entlastung des Klägers ist nicht erfolgt. Sie bleibt ihm daher auch im Rahmen des
Berufungsverfahrens erhalten.
104
c) Zwischen Januar 2010 und Juni 2010 überschreitet der Gesamtbedarf beider Kinder
in Höhe von monatlich 497,00 € die Leistungsfähigkeit des Klägers in Höhe von
monatlich 471,21 €.
105
d) Die erforderliche Mangelung bei einer Mangelquote von 94,81 % führt zu einem
Unterhaltsanspruch der Beklagten in Höhe von monatlich 257,89 € bzw. aufgerundet
258,00 €. Dieser liegt oberhalb der bestehenden Titulierung in Höhe von monatlich
247,00 €, so dass eine Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Brakel vom
07.05.2008 nicht veranlasst ist.
106
e) Ab Juli 2010 liegt die geringfügig gestiegene Leistungsfähigkeit des Klägers in Höhe
von monatlich 479,58 € nach wie vor unterhalb des Gesamtbedarfs beider
unterhaltsberechtigten Kinder in Höhe von monatlich 497,00 €. Die erforderliche
Mangelung bei einer Mangelquote in Höhe von 96,50 % führt zu einem
Unterhaltsanspruch der Beklagten in Höhe von monatlich 262,47 € bzw. aufgerundet
263,00 €. Eine Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Brakel vom 07.05.2008 ist
weiterhin nicht geboten.
107
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO a. F. und berücksichtigt das
wechselseitige Obsiegen und Unterliegen der Parteien in beiden Instanzen.
108
Die Anordnung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Ziff. 10 ZPO a. F.
109
Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus § 42 Abs. 1, Abs. 5 GKG a. F.
110