Urteil des OLG Hamm vom 11.12.2003

OLG Hamm: iura novit curia, fahrzeug, unfall, zusicherung, kaufvertrag, beweiswürdigung, glaubwürdigkeit, widerruf, auskunft, beweislastumkehr

Oberlandesgericht Hamm, 28 U 79/03
Datum:
11.12.2003
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
28. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
28 U 79/03
Vorinstanz:
Landgericht Essen, 2 O 472/02
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 17. Februar 2003
verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Essen
abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
G r ü n d e
1
A.
2
Gemäß § 540 Abs. 2 i.V.m. § 313a Abs.1 S.1 und § 544 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO
wird von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen abgesehen.
3
B.
4
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.
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Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht dem Kläger der geltend gemachte
Klageanspruch, der sich im Hinblick auf den im Dezember 2001 zwischen den Parteien
über das streitbefangene Fahrzeug abgeschlossenen Kaufvertrag gemäß Art. 229 § 5
S. 1 EGBGB nach dem bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Rechtszustand richtet,
weder unter dem Gesichtspunkt einer Arglisthaftung gemäß § 463 S. 2 BGB aF., noch
unter dem Gesichtspunkt des Fehlens einer zugesicherten Eigenschaft gemäß § 463
S. 1 BGB aF. oder wegen eines vereinbarten Rücktrittsrechtes, die allein als
Anspruchsgrundlage in Betracht kommen, zu.
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I. Die Beklagte haftet dem Kläger nicht gemäß § 463 S. 2 BGB aF. wegen eines
arglistigen Verschweigens des Umfanges eines Unfallschadens, den das vom Kläger
aufgrund des schriftlichen Vertrages vom 14. Dezember 2001 von der Beklagten
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erworbene Golf III Cabrio während der Besitzzeit des ersten Halters, des Zeugen C,
erlitten hatte. Es handelte sich zwar um einen offenbarungspflichtigen Unfallschaden.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kann aber weder festgestellt werden, dass die
Beklagte und ihr für sie die Vertragsverhandlungen führende Sohn, der Zeuge X, das
genaue Ausmaß des Schadens kannten, noch dass bei den Vertragsverhandlungen
falsche, bagatellisierende Angaben zum bekannten Umfang der Schäden erfolgten.
1. Der im Beweissicherungsverfahren 2 OH 4/02 Landgericht Essen, dessen Akten
beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, von dem
Sachverständigen T festgestellte und von dem Zeugen C bestätigte Umfang des
Schadens, sowie die zudem in Eigenregie erfolgte Reparatur der beschädigten
Blechteile, zu deren Qualität der Sachverständige keine sicheren Feststellungen treffen
konnte, überschreiten angesichts des vom Sachverständigen noch veranschlagten
Nachreparaturaufwandes von rd. 1.500,00 € für die unzureichende Lackierung und des
selbst dann nach Angabe des Sachverständigen immer noch verbleibenden
Minderwertes von 350,00 € bei beiweiten die in der Rechtsprechung anerkannte
Bagatellegrenze, ab der der Verkäufer einen ihm bekannten Schaden auch ungefragt zu
offenbaren hat.
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Dieses Ausmaß des Schadens ist bei den Vertragsverhandlungen zwischen dem
Kläger und der Beklagten nicht zur Sprache gekommen. Nach eigener Darstellung der
Beklagten ist der Kläger "nur" über einen leichten, fachgerecht beseitigten Kratzer durch
ein Schrammen an der Garageneinfahrt informiert worden.
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2. Dass der Beklagten das wahre Ausmaß des Schadens bekannt war, kann aber zu
Lasten des für die Kenntnis der Beklagten oder ihres Sohnes, der im wesentlichen die
Vertragsverhandlungen geführt hat und insoweit Wissensvertreter der Beklagten war,
beweispflichtigen Klägers (vgl. insoweit Palandt-Putzo, 61. Aufl., BGB § 463 Rdn. 28)
nicht festgestellt werden.
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a. An die gegenteiligen, aufgrund der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme
getroffenen Feststellungen des Landgerichts in dem angefochtenen Urteil ist der Senat
nicht gemäß § 529 Abs. 1 ZPO gebunden, da konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der
Richtigkeit und Vollständigkeit dieser entscheidungserheblichen Feststellungen
begründen und deshalb eine erneute Feststellung durch den Senat geboten war. Zwar
hat der Senat grundsätzlich nur zu prüfen, ob sich das Landgericht entsprechend § 286
ZPO mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und
widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und
rechtlich möglich ist, sowie nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt
(vgl. insoweit zu den entsprechend heranzuziehenden Grundsätzen des
Revisionsrechtes BGH in NJW 2001, 2558 [2559]; NJW-RR 2000, 686). Eine solche
umfassende und abwägende Auseinandersetzung mit dem Inhalt der Zeugenaussagen,
sowie ihres Bezuges zueinander und zu objektiven Anknüpfungspunkten, und der
persönlichen Glaubwürdigkeit der Zeugen und eine darauf gestützte und im Urteil
darzulegende (vgl. insoweit Zöller-Greger, ZPO, 24. Aufl., § 286 Rdn. 21)
Überzeugungsbildung, deren Stringenz der Senat nachvollziehen könnte, fehlt hier
aber. Die Beweiswürdigung des Landgerichts beruht vielmehr letztlich auf einer
denklogisch verbotenen "petitio in principii": Das durch die Beweiswürdigung im Wege
logischer Schlussfolgerungen erst Festzustellende die Überzeugungskraft der Aussage
des Zeugen C ist der vom Landgericht bereits als feststehend angesehene
Ausgangspunkt seiner weiteren Feststellung, die von ihr abweichende Aussage des
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Zeugen X sei widerlegt. Schließlich hat das Landgericht auch die Indizwirkung des
Inhaltes des schriftlichen Vertrages vom 14. Mai 2001 nicht beachtet. Insgesamt
ergeben sich so konkrete Anhaltspunkte an der Richtigkeit und Vollständigkeit der
Feststellungen des Landgerichts, die neue Feststellungen durch den Senat gebieten.
b. Aufgrund der Aussagen der von Senat erneut und ergänzend vernommenen Zeugen
C und X vermag sich der Senat nicht die gemäß § 286 ZPO erforderliche Überzeugung
zu bilden, dass der Beklagten beim Ankauf des Fahrzeugs am 14. Mai 2001 die
Unfallschäden "genauestens geschildert" worden sind.
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aa. Insoweit stehen sich die Aussagen der Zeugen C und X zum Inhalt der am 14. Mai
2001 erteilten Informationen in der Sache unvereinbar gegenüber.
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Der Zeuge C hat ausgesagt, er habe bei dem Verkaufsgespräch der Beklagten und
ihrem Sohn nach seiner ergänzenden Aussage vor dem Senat auf die Frage nach der
Unfallfreiheit des Fahrzeugs erklärt, seine Frau habe beim Einfahren in die Garage eine
Ecke mitgenommen, wodurch Tür und Kotflügel nach seiner ergänzenden Angabe vor
dem Senat auf einer Breite von etwa 30 cm rechts eingedellt und stark verkratzt worden
seien. Ferner habe er gesagt, dass er das Fahrzeug selbst ausgebeult und dann zum
Spachteln und Lackieren in eine Werksatt gegeben habe, weil er dies selbst nicht
gekonnt habe. Er habe auch nicht von einem Bagatellschaden, sondern von einem
Unfall gesprochen. Darauf habe die Beklagte erwidert, dies sei kein Unfall, sondern nur
so etwas wie eine Sachbeschädigung. Von einem Unfall könne nur gesprochen werden,
wenn ein anderes Fahrzeug beteiligt gewesen sei. Auf Vorhalt des Inhalts des
Kaufvertrages führte er dann aus, soweit es in diesem heiße das Fahrzeug sei unfallfrei,
sei dies wohl von seiner Tochter auf Betreiben der Beklagten geschrieben worden. Weil
ihm dies nicht geheuer vorgekommen sei, habe er auf den weiteren Zusatz hingewirkt,
damals aber nicht nur von dem rechten Kotflügel, sondern von der rechten Seite
gesprochen. Auf Vorhalt hat er eingeräumt, er habe nicht gesehen, was seine Tochter
geschrieben habe.
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Der Zeuge X hat demgegenüber bekundet, der Zeuge C habe im Laufe des
Verkaufsgesprächs lediglich beiläufig erwähnt, seine Frau habe die Einfahrt oder die
Garagenwand gestreift. Es habe sich um eine Bagatelle gehandelt und es sei etwas
"kurz lackiert" worden. Ergänzend hat er vor dem Senat ausgesagt, er habe aufgrund
eines Inserates der Tochter des Zeugen angerufen und schon von dieser auf seine
Frage die Auskunft erhalten, dass das Cabrio unfallfrei sei. Nach der Besichtigung des
Fahrzeugs, zu der der Zeuge C nach etwa 10 Minuten hinzugekommen sei, sei man
dann in die Wohnung gegangen, um den Kaufvertrag zu unterzeichnen. Als es dann zur
Ausfüllung der Rubrik "Unfallschäden" gekommen sei, habe die Tochter des Zeugen
zunächst unfallfrei hineingeschrieben. Darauf hin habe der Zeuge C eingewandt, das
Cabrio sei zwar unfallfrei, aber seine Frau habe beim Einfahren in die Garage den
Kotflügel zerkratzt. Er, der Zeuge, habe deshalb zunächst das Cabrio nicht mehr
nehmen wollen. Der Zeuge C habe aber erklärt, dass das es nur zerkratzt und
ordnungsgemäß nachlackiert worden sei. Auf den Versuch, den Preis
herunterzuhandeln, habe sich der Zeugen C nicht eingelassen, weil das Auto in
Ordnung sei. Er habe es nicht einmal für notwendig gehalten, die Beschädigung des
Cabrios in den Kaufvertrag einzutragen. Darauf habe vielmehr er, der Zeuge X,
bestanden.
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bb. Objektive Anknüpfungspunkte für den Schluss, dass der Aussage des Zeugen C der
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Vorzug vor den Bekundungen des Zeugen X gebührt und diese deshalb widerlegt sind,
liegen nicht vor.
(. Hinsichtlich ihrer persönlichen Glaubwürdigkeit sind beide Zeugen nicht einem
unbeteiligtem und weder aus persönlichen, noch aus sachlichen Gründen vom Ausgang
des Rechtsstreites unberührten Dritten gleichzustellen. Der Zeuge X besitzt als Sohn
der Beklagten, als ihr Wissensvertreter bei den Vertragsverhandlungen und
wirtschaftlicher Eigentümer des an den Kläger verkauften Fahrzeugs ein unmittelbares
eigenes Interesse am Ausgang des Rechtsstreites. Allerdings kann ein solches
Interesse auch dem Zeugen C nicht abgesprochen werden. Hat er als hinzugezogener
Wissensvertreter bei dem durch seine Tochter erfolgten Verkauf des Cabrios an den
Zeugen X diesen nicht in der gebotenen Form über den offenbarungspflichtigen
Unfallschaden informiert, so läge darin ein Verhalten, aus dem sich Rechtsansprüche
gegen ihn und/oder seine Tochter ergeben können. Dies kann schon ein Anlass dafür
sein, durch eine entsprechende Schilderung der Verkaufsverhandlungen solchen
Ansprüchen die Grundlage zu entziehen.
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(. Hinsichtlich der inneren Plausibilität der Aussagen und ihrer Vereinbarkeit mit
anderen, objektiven Anhaltspunkten leuchtet die Aussage des Zeugen X eher mehr ein
als die Bekundungen des Zeugen C. Zumindest vermögen diese die Aussage des
Zeugen X nicht zu entkräften.
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Es entspricht durchaus den Erfahrungen des Senates, dass einerseits juristische Laien
eine Beschädigung eines Fahrzeugs nur dann als "Unfall" begreifen, wenn sie durch
einen Zusammenstoß von Fahrzeugen im Straßenverkehr hervorgerufen worden ist und
sich nicht auf reine Blechschäden austauschbarer Karosserieteile beschränkt, sondern
auch tragende Teile der Karosserie erfasst, und deshalb andererseits auf Fragen
zunächst die Unfallfreiheit des Fahrzeugs bestätigt, dann aber auch auf die nach
Ansicht des Verkäufers geringfügige anderweitige Beschädigung des Fahrzeugs
hingewiesen wird. Mit einem entsprechenden Inhalt sollen nach Darstellung des
Klägers und der Zeugin C2 auch die Kaufverhandlungen zwischen ihnen und der
Beklagten geführt worden sein. Insofern ist die Aussage des Zeugen X in sich schlüssig
und nachvollziehbar, dass er sich schon in dem auf die Anzeige der Tochter des
Zeugen C erfolgten Anruf nach einem Unfall des Cabrios erkundigt hat, und dann bei
Abschluss des Vertrages von der Tochter des Zeugen C entsprechend ihrer vorherigen
Auskunft und im Interesse des Käufers an der Dokumentation der im Rahmen der
Vertragsverhandlungen abgegebenen rechtsgeschäftlichen Erklärungen (hier einer
Zusicherung der Unfallfreiheit) diese von ihr einerseits in den Vertrag aufgenommen,
und schließlich andererseits aufgrund der darauf hin erfolgten Erklärungen ihres Vaters
entsprechend modifiziert wurden. Gleichermaßen ist es angesichts des vom Zeugen
nach relativ kurzer Nutzungszeit von etwa einem Jahr geplanten Weiterverkauf und den
dabei bei Offenbarung eines Unfallschadens zu erwartenden Schwierigkeiten
nachvollziehbar, dass der Zeuge zunächst von einem Kauf Abstand nehmen und
zumindest einen weiteren Preisnachlass erreichen wollte, und davon nur Abstand
nahm, weil die Beschädigung als geringfügige und kurz nachlackierte Schramme
bezeichnet wurde. Ähnlich sollen nach Darstellung des Klägers und seiner Ehefrau
auch ihre Verhandlungen mit der Beklagten und ihrem Sohn abgelaufen sein.
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Diese Schilderung des Zeugen X steht auch in Einklang mit dem Inhalt des schriftlichen
Kaufvertrages vom 14. Mai 2001. In diesem ist in der entsprechenden Rubrik des
Vertragsformulars an erster Stelle das Fahrzeug ausdrücklich als "unfallfrei" bezeichnet
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worden. Eine nach den Feststellungen des Sachverständigen T bis tief in das Blech
gehende und mit beträchtlichem Spachtelauftrag ausgeglichene Beschädigung der
rechten Tür und des rechten Seitenteils ist nicht erwähnt, sondern es wurde nur auf eine
für den Beschädigungsumfang nichtssagende und ihn sogar eher bagatellisierende
"Nachlackierung" zudem allein des rechten Kotflügels verwiesen. Auch der Hinweis auf
den Grund der Beschädigung "Garageneinfahrt mitgenommen" deutet nicht unbedingt
auf eine beträchtliche, zu schwereren Schäden führende Krafteinwirkung hin. Insgesamt
war so der Inhalt des Kaufvertrages entsprechend den Bekundungen des Zeugen X
eher geeignet, die Vorstellung einer im Bagatellebereich liegenden und der
Bezeichnung als unfallfrei nicht entgegenstehenden Beschädigung zu erwecken, als
den tatsächlichen Beschädigungsgrad zu offenbaren.
Zwar bekräftigt insoweit nicht schon die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit
der Vertragsurkunde die Aussage des Zeugen X. Die vom OLG Düsseldorf (in OLGR
1993, 2 ff.; 1993, 81 f; wohl zustimmend Reinking/Eggert, "Der Autokauf", 7. Aufl.,
Rdn. 1855) im Rahmen der Arglisthaftung erwogene Beweislastumkehr zu Lasten des
Verkäufers und damit im vorliegenden Fall die Bestätigung der Aussage des Zeugen
X , falls eine geschuldete Aufklärung nicht im Vertragstext dokumentiert ist, dürfte in
dieser Allgemeinheit nicht zuzustimmen sein. Eine Privaturkunde bietet gem. § 416 ZPO
nur den Beweis dafür, dass die in ihr enthaltenen Erklärungen von dem Aussteller
abgegeben worden sind (vgl. BGH NJW-RR 1990, 737, 738). Die Vermutung der
Vollständigkeit und Richtigkeit der Erklärungen der den Vertragsinhalt und die
gegenseitigen Leistungspflichten der Vertragsparteien bestimmenden
rechtsgeschäftlichen Erklärungen bezieht sich nur auf solche, die in der
Vertragsurkunde dokumentiert sind (vgl. BGH a.a.O.; BGH NJW 1980, 1680, 1681;
Palandt-Heinrichs, 61 Aufl., BGB § 125 Rdn. 15). Steht dagegen die Erfüllung einer
nebenvertraglichen Aufklärungspflicht in Frage, gibt die den Umfang der vereinbarten
Leistungspflichten regelnde Vertragsurkunde keine zur Beweislastumkehr führende
Vermutungsgrundlage ab (so auch OLG Düsseldorf in OLGR 1996, 61 [62]). Aus ihr
ergeben sich jedoch im Rahmen der Beweiswürdigung zu beachtende objektive
Indizien (vgl OLG Düsseldorf in OLGR 1996, 61 [62]).
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Diese entwerten aber die Bekundungen des Zeugen C zu einer von ihm
vorgenommenen, weitergehenden Aufklärung der Beklagten und ihres Sohnes über das
Ausmaß der Beschädigung des Cabrios und der Art seiner Reparatur. Wenn er
umfassend die beschädigte Tür und die beschädigte Seitenwand nicht nur wörtlich
bezeichnet, sondern bei der Besichtigung auch noch konkret auf sie gezeigt hat, dann
verwundert es schon, dass im schriftlichen Vertrag nur der rechte Kotflügel aufgeführt ist.
Eine nachvollziehbare Erklärung wusste der Zeugen dafür weder bei seiner Aussage
vor dem Landgericht, noch bei seinen Bekundungen vor dem Senat zu geben. Auch
seine Erklärung, wie es zu der Bezeichnung des Fahrzeugs als "unfallfrei" gekommen
sein soll, ist nicht sonderlich befriedigend. Es leuchtet zwar ein, dass er bei einer Frage
nach der Unfallfreiheit des Cabrios auf einen durch seine Frau verursachten Unfall und
die dabei verursachten Beschädigungen hingewiesen haben will. Dass nun aber
gerade der Käufer, der sich nach den Erfahrungen des Senates gegenüber Angaben
des Verkäufers zu Beschädigungen des Fahrzeugs eher skeptisch verhält, diese nicht
als Unfall wertet und die Bezeichnung "unfallfrei" auch noch ausdrücklich in den
Kaufvertrag aufgenommen wissen will, erscheint weniger nachvollziehbar. Eine von
vornherein bestehende Absicht, einen solchen Kaufvertrag später zu unredlichen
Zwecken verwenden zu wollen, mag dafür zwar eine Begründung geben können. Die
dazu vorauszusetzende kriminelle Energie kann aber nicht einfach unterstellt werden.
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Wenn zudem dem Zeugen nach eigener Darstellung dieses Verlangen "nicht ganz
geheuer" war und er seine Tochter ausdrücklich gebeten hat "tu mir den Gefallen und
schreib rein, dass die Garageneinfahrt mitgenommen wurde", dann verwundert es sehr,
wenn er sich dennoch nicht weiter um die Ausfüllung des Vertrages gekümmert und
darauf geachtet haben will, was seine Tochter geschrieben hat, und deshalb nach
seinen Bekundungen vor dem Senat nichts Genaueres weiß. Diese Gleichgültigkeit
passt nicht recht zu der vom Zeugen so betonten Besorgnis um den richtigen Inhalt der
Vertragsurkunde.
Seine Aussage wird auch nicht etwa dadurch bekräftigt, dass in beiden Verträgen über
das streitbefangene Fahrzeug dieses als "unfallfrei" bezeichnet wird. Dies muss
keineswegs darauf beruhen, dass diese Wertung von der Beklagten oder ihrem Sohn
stammt. Ob sie bei den Verhandlungen am 14. Mai 2001 von der Beklagten oder von
dem Zeugen C vorgebracht wurde, ist angesichts der unterschiedlichen Bekundungen
der Zeugen zunächst einmal eine offene Frage. Trifft die Aussage des Zeugen X zu,
dann ist im Kaufvertrag vom 14. Dezember 2001 letztlich nur das weitergegeben
worden, was der Zeuge C mitgeteilt haben soll. Diese Erklärung stimmt ebenso mit dem
Vertrags-text überein wie die Bekundung des Zeugen C. Damit ergeben sich aus dem
Text keine Anhaltspunkte, die die Richtigkeit seiner Darstellung bestätigen würden.
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Insgesamt kann so seiner Aussage zumindest nicht der Vorzug vor den Bekundungen
des Zeugen X gegeben werden. Dies geht aber zu Lasten des für die
Tatbestandsvoraussetzungen der Arglisthaftung beweispflichtigen Klägers. Soweit sich
dieser für seine gegenteiligen Behauptungen zum Inhalt der Vertragsverhandlungen
erstmals in der Berufungsinstanz auf das Zeugnis der Tochter des Zeugen C berufen
hat, kann diesem neuen Beweismittel gemäß § 531 Abs. 2 ZPO nicht nachgegangen
werden. Darauf ist der Kläger in der Ladungsverfügung zum Senatstermin vom
11. Dezember 2003 ausdrücklich hingewiesen worden. Eine konkrete Angabe von
Zulassungsgründen ist darauf bis zur Verhandlung nicht erfolgt. Ob solche im Termin
mündlich in hinreichendem Maß dargelegt worden sind, kann dahinstehen. Ein solcher
Vortrag war gemäß § 530 ZPO verspätet und daher unbeachtlich.
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3. Da nicht festgestellt werden kann, dass der Beklagten über den Umfang der
Beschädigung mehr bekannt war, als dann an den Kläger weitergegeben wurde, liegt
auch kein arglistiges Bagatellisieren des Schadens vor.
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II. Die Beklagte haftet auch nicht gemäß § 463 S. 1 BGB wegen des Fehlens einer
zugesicherten Unfallfreiheit. Diese Haftung wird zwar vom Kläger geltend gemacht. Ihre
Voraussetzungen liegen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme jedoch nicht vor.
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1. Allerdings ist in der Klageschrift anders als im Beweissicherungsantrag von einer
Zusicherung der Unfallfreiheit nicht ausdrücklich die Rede. Dennoch umfasst der
Tatsachenvortrag sämtliche Elemente, aus denen die Rechtsfolge der "Zusicherung"
der Unfallfreiheit abzuleiten ist: Bezeichnung des Fahrzeugs in der Verkaufsanzeige als
"unfallfrei"; besondere, sogar mehrfache Hinweise auf die Bedeutung der Unfallfreiheit
für den Kaufentschluss, entsprechende Bestätigungen der Beklagten, die sogar zur
Vereinbarung einer auf Kosten der Beklagten durchzuführende Rückgabe geführt haben
sollen, wenn deren Hinweis auf einen ohne Spachtelungen fachgerecht überlackierten
belanglosen Kratzer nicht zutreffen sollte. Grundsätzlich darf sich ein Kläger aber auf
reinen Tatsachenvortrag beschränken, weil das Recht vom Gericht gekannt wird (iura
novit curia). Bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden, den
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Sachverhalt "seinem Wesen nach" erfassenden Betrachtungsweise gehören alle diese
Tatsachen zu dem zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex, den der Kläger zur
Stützung seines Rechtsschutzbegehrens dem Gericht zu unterbreiten hat (vgl. insoweit
BGH in NJW 1999, 3126 [3127]). Das Vorbringen einer Partei ist so auszulegen, wie es
nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig erscheint und ihrem Interesse
entspricht. Im Zweifel ist hiernach anzunehmen, dass die klagende Partei sich auf alle
nach ihrem Tatsachenvortrag in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkte
stützen will, die geeignet sind, ihrem Anliegen zum Erfolg zu verhelfen (BGH in NJW
1996, 1962 [1963]; 1992, 566 [567]; NJW 1990, 2683).
2. Eine rechtsgeschäftliche Zusicherung der generellen Unfallfreiheit des Cabrios ist
nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme durch den Senat nicht erfolgt. Soweit die
Angaben zur Unfallfreiheit in der Zeitungsanzeige zunächst geeignet waren, eine
Zusicherungshaftung zu begründen, sind diese rechtzeitig vor dem endgültigen
Abschluss des Vertrages richtig gestellt und damit nicht Inhalt des Vertrages geworden.
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a. Werden für eine Kaufentscheidung wesentlichen Angaben zum Zustand eines
Fahrzeuges wie etwa seine Unfallfreiheit in Zeitungsanzeigen, Verkaufsschildern oder
den Vertrag aufgenommen, stellen sie nach herrschender, auf eine schon sehr frühe
Entscheidung des Bundesgerichtshofs (in NJW 1975, 1693) aufbauender Ansicht (vgl.
KG NJW-RR 1996, 173; OLG Köln NJW-RR 1990, 758 f.; Senat in OLGR 1996, 53; OLG
Braunschweig, OLGR 1995, 172 f.; OLG Köln in OLGR 1992, 289; in OLGR 1997, 108 f.;
LG Saarbrücken NJW-RR 1999, 1065; OLG Brandenburg in NJW-RR 1997, 428 [429];
OLG Düsseldorf NJW-RR 2000, 505) grundsätzlich eine Zusicherung dar, falls nicht
durch eine besondere Fassung klargestellt ist, dass nur fremdes Wissen weitergegeben
wird oder eine reine Bezeichnung des Kaufgegenstandes erfolgen soll (vgl. insoweit
OLG München NJW-RR 1986, 1181 ff.). Solche zur Anbahnung der Verhandlungen in
Zeitungsanzeigen oder auf einem Verkaufsschild erfolgten Angaben über
zusicherungsfähige Eigenschaften wirken nach der wohl h.M. und der ständigen
Rechtsprechung des Senates ohne eine besondere Einbeziehung in den Vertragstext in
den Abschluss des Kaufvertrages fort, wenn sie nicht im Rahmen der
Vertragsverhandlungen ausdrücklich, klar und eindeutig widerrufen werden (vgl. Urteil
des Senates in OLGR 1996, 53; OLG Braunschweig, OLGR 1995, 172; OLG Köln,
OLGR 1992, 289; OLG Köln, OLGR 1997, 108 [109]); OLG Brandenburg in NJW-RR
1997, 428 [429]; Reinking/Eggert, "Der Autokauf", 7.Aufl., Rdn.1835 ). Für den erfolgten
Widerruf trägt der Verkäufer die Beweislast (OLG Köln NJW-RR 1990, 758ff.).
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b. Ein solcher ausdrücklicher Widerruf ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bei
den Vertragsverhandlungen erfolgt.
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Es ist schon fraglich, ob dies nicht schon aufgrund des Textes des von den Parteien
verwandten ADAC-Formularvertrages angenommen werden kann (vgl. insoweit etwa
OLG München in OLGR 1992, 113). In diesem ist entgegen der in Ziff. 1.4. enthaltenen
ausdrücklichen Zusicherung der Unfallfreiheit während der Eigentumszeit des
Verkäufers nur von einer ansonsten gegen eine Zusicherung sprechenden
(tatsächlichen) "Erklärung" für die vorherige Zeit mit dem Vorbehalt "soweit ihm
bekannt" die Rede. Da der Kläger dieses Vertragsformular mitgebracht hatte und somit
Verwender des Formulars war, hat er grundsätzlich das für ihn ungünstigste Verständnis
der Vertragsklauseln gegen sich gelten zu lassen und konnte dann als verständiger und
aufmerksamer Erklärungsempfänger kaum davon ausgehen, dass die Beklagte auch
über die Besitzzeit ihres Sohnes hinaus eine unbedingte, kenntnis- und
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verschuldensunabhängige Einstandspflicht für eine generelle Unfallfreiheit des
Fahrzeugs übernehmen wollte. Dies kann letztlich sogar dahinstehen. Nach den
insoweit übereinstimmenden und vom Kläger bestätigten Aussagen der Zeugin C2 und
des Zeugen X sind sämtliche Rubriken des Vertrages im einzelnen erörtert und dann
entsprechend ausgefüllt worden. Insoweit ist auch ausdrücklich darüber gesprochen
worden, was außerhalb der Besitzzeit des Sohnes der Beklagten mit dem Fahrzeug
geschehen ist, und dabei dann auf die nach den Angaben des Zeugen X von dem
Zeugen C mitgeteilten Umstände hingewiesen worden. Dadurch ist aber eine
Erläuterung des Verständnisses der Beklagten und ihres Sohnes, das sie mit dem
Begriff der Unfallfreiheit verbanden, erfolgt, die dem rechtstechnischen Begriffsinhalt
widersprach. Damit konnte aber ein verständiger und aufmerksamer
Erklärungsempfänger den Inhalt der Anzeige einer Privatperson, die zwar grundsätzlich
ebenso wie der gewerbliche Händler für Angaben in Anzeigen haftet, aber doch nicht
wie dieser im gleichen Umfang Vertrauen in eine besondere Fachkunde für sich in
Anspruch nimmt, und insoweit auch den Begriff der "Unfallfreiheit" anders verstehen
kann als der überwiegende Verkehr und insbesondere ein Jurist, nicht mehr weiterhin in
dem Sinne verstehen, dass ohne Angabe weiterer Wissensgrundlagen als die
tatsächlichen Angaben des Vorbesitzers zu erfolgten Beschädigungen eine Haftung für
die Richtigkeit dieser Angaben übernommen werden sollte.
Soweit die Zeugin C2 bekundet hat, dass ihr zuvor auf ständiges Nachfragen stets
erklärt worden sei, das Fahrzeug habe nicht einmal eine Beule, kann die Richtigkeit
dieser von der Beklagten und vom Zeugen X in Abrede gestellten Aussage sogar
dahinstehen. Dass über eine Beschädigung des Fahrzeugs gesprochen worden ist, die
über die von der Zeugin C2 angesprochenen Druckstellen durch Parkplatzrempler mit
Einkaufswangen hinausgingen und dennoch der Vertrag unterzeichnet wurde, ist
unstreitig. Auch insoweit ist daher ein Widerruf etwa im Vorfeld erfolgter Angaben
erfolgt. Im übrigen sieht der Senat auch keinen Anlass, der Zeugin mehr zu glauben als
dem Zeugen X. Aufgrund der Aussage des Zeugen C kann wie bereits dargelegt nicht
geschlossen werden, dass der Zeuge X falsch ausgesagt hat.
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III. Schließlich kann aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme auch nicht
festgestellt werden, dass sich die Parteien auf eine Untersuchung des Fahrzeugs durch
den Kläger und ein Rücktrittsrecht für den Fall einer weitergehenden Beschädigung des
Cabrios verständigt haben. Der Inhalt des schriftlichen Kaufvertrages ist insoweit
unergiebig. Der handschriftliche Vermerk "bis max. 200 km" lässt sich sowohl mit der
von der Zeugin C2 bekundeten Vereinbarung eines Rücktrittsrechtes als auch mit der
Angabe des Zeuge X, dass das Cabrio bis zur Abmeldung noch für eine solche
Fahrtstrecke genutzt werden durfte,vereinbaren. Sollte das Fahrzeug aufgrund eines
Rücktritts zurückgegeben werden, machte es schon Sinn, zwischenzeitliche Fahrten zur
Werkstatt und gegebenenfalls wieder zurück zur Beklagten nicht zu Lasten des Klägers
gehen zu lassen. Andererseits hatte aber auch die Beklagte aus
versicherungstechnischen Gründen ein Interesse daran, dem Kläger nur eine
beschränkte Fahrtstrecke bis zur Ummeldung des Cabrios zuzubilligen. Insgesamt
ergeben sich so keine Anhaltspunkte, einer der sich widersprechenden Aussagen der
Zeugen, die auch beide in gleicher Weise persönlich und wirtschaftlich am Ausgang des
Rechtsstreites interessiert und deshalb in ihrer Glaubwürdigkeit eingeschränkt sind, den
sachlichen Vorzug zu geben. Dass so die Vereinbarung eines Rücktrittsrechtes nicht
festgestellt werden kann, geht zu Lasten des für den Abschluss einer solchen
Vereinbarung beweispflichtigen Klägers.
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IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
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V. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr.10,
713 ZPO. Insoweit war der Tenor wegen offenbarer Unvollständigkeit zu berichtigen.
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VI. Der Senat hat die Voraussetzungen einer Zulassung der Revision gemäß § 543
Abs. 2 ZPO geprüft. Sie sind nicht erfüllt.
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