Urteil des OLG Hamm vom 08.04.2010

OLG Hamm (bewertung, gegenstand des verfahrens, beschwerde, erklärung, gegenstand, rechtsverhältnis, sache, interesse, bezug, ermessensfehlgebrauch)

Oberlandesgericht Hamm, I-15 Wx 120/09
Datum:
08.04.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
15. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
I-15 Wx 120/09
Vorinstanz:
Landgericht Münster, 5 T 558/08
Tenor:
Die weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Wert für das Verfahren der weiteren Beschwerde wird auf 55,68 €
festgesetzt.
Gründe
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I.)
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Gegenstand des Verfahrens, das auf eine Anweisungsbeschwerde des Notars
zurückgeht, ist der Gebührenansatz für eine sog. Stillhalteerklärung im Rahmen
der Finanzierung des Erwerbs eines Erbbaurechts. Der Präsident des
Landgerichts hat unter Hinweis auf den Beschluss des Senats vom 23.11.1995
(JMBl NW 1996, 140 = MittBayNot 1997, 253) die Auffassung vertreten, dass die
in der Stillhalteerklärung enthaltenen Erklärungen des Grundstückseigentümers
gesondert und zwar nach § 30 Abs.1 bzw. Abs.2 KostO zu bewerten seien, was zu
einem Gesamtwert von 21.000 € führe. Der Notar bzw. im weiteren Verfahren der
Beteiligte zu 1) haben hingegen im Anschluss an Stellungnahmen der Notarkasse
Bayern die Auffassung vertreten, dass eine einheitliche Erklärung vorliege, die
nach § 30 Abs.1 KostO mit 30% des Nominalwertes der zu bestellenden
Grundschuld zu bewerten sei, was einem Wert von 45.000 € entspricht.
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Die angerufene Zivilkammer hat sich der Auffassung der Dienstaufsicht
angeschlossen und den Gebührenansatz dementsprechend reduziert. Hiergegen
wendet sich der Beteiligte zu 1) mit der durch das Landgericht zugelassenen
weiteren Beschwerde.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die nicht
ergänzungsbedürftige Darstellung in dem angefochtenen Beschluss verwiesen.
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II.)
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Die weitere Beschwerde ist infolge der Zulassung statthaft und auch im Übrigen
zulässig erhoben.
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In der Sache ist weitere Beschwerde unbegründet, da die Entscheidung des
Landgerichts nicht auf einer Verletzung des Rechts beruht, § 156 Abs.2 S.3 KostO
a.F. i.V.m. § 111 Abs.1 S.1 FGG-RG. Da eine Divergenz lediglich hinsichtlich des
Wertansatzes besteht, beschränkt sich der Senat im Folgenden auf diesen
Gesichtspunkt und nimmt im Übrigen auf die rechtsfehlerfreien Erwägungen des
Landgerichts Bezug.
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Nach der o.a. Rechtsprechung des Senats sind die in einer sog.
Stillhalteerklärung zusammengefassten Erklärungen, dass nämlich
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1. nicht ohne das Einverständnis des Grundpfandgläubigers anderen Rechten der
Vor- oder Gleichrang mit den Rechten des Eigentümers eingeräumt wird,
2. der nicht in das geringste Gebot fallende Erbbauzins bestehen bleiben und die
hierzu notwendigen Anträge gestellt oder Vereinbarungen getroffen werden sollen
3. sowie für den Fall der Zwangsversteigerung aus dem eingetragenen
Vorkaufsrecht kein Wertersatz verlangt und auf Erlöszuteilung verzichtet wird,
4. der Eigentümer sein Eigentum nur unter Weitergabe der vorgenannten
Verpflichtungen an den Erwerber veräußern soll,
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jeweils gesondert zu bewerten, da es sich um selbstständige Erklärungen handelt.
Diese Auffassung, mit der der Senat sich seinerzeit verschiedenen
Veröffentlichungen von Mümmler (u.a. JurBüro 1994, 523f) angeschlossen hat, ist
in der Literatur ganz überwiegend auf Zustimmung gestoßen (vgl.
Korintenberg/Reimann, KostO, 17.Aufl., § 30 Rdn.32; Assenmacher/Mathias,
KostO, 16.Aufl. S. 336; Rohs/Wedewer; KostO, Stand 12/09; § 30 Rdn.12a). Eine
abweichende Auffassung vertritt soweit ersichtlich allein die bayrische Notarkasse
(MittBayNot 1997, 255f sowie Streifzug durch die Kostenordnung Rdn.474; vgl.
auch Lappe KostRspr. § 30 KostO Nr.89). Dem von der Gegenauffassung
vertretenen Postulat einer einheitlichen Erklärung, das auch der Beteiligte zu 1)
vertritt, vermag sich der Senat jedoch auch nach erneuter Prüfung nicht
anzuschließen.
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Vorliegend ist hinsichtlich der Erklärungen zu 1) bis 3) vielmehr von mehreren
selbstständigen Erklärungen im Sinne des § 44 KostO auszugehen, die sich nicht
auf denselben Gegenstand beziehen, da diese Erklärungen jeweils
unterschiedliche Sachverhalte schuldrechtlich regeln. Der Begriff des
Gegenstands bezeichnet in diesem Zusammenhang nicht die Sache, die von den
beurkundeten Erklärungen wirtschaftlich betroffen wird, sondern das
Rechtsverhältnis, welches sich aus den Erklärungen der Beteiligten ergibt (BGHZ
153, 22, 27). Derselbe Gegenstand im Sinne des § 44 Abs. 1 KostO ist gegeben,
wenn sich die Erklärungen auf dasselbe Recht oder Rechtsverhältnis beziehen
oder - sofern mehrere Rechtsverhältnisse (z.B. Kauf und Auflassung) vorliegen -
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wenn sich aus der Gesamtheit der Erklärungen ein Hauptgeschäft heraushebt und
das weitere Rechtsgeschäft mit diesem in einem engen inneren Zusammenhang
steht. Hieraus folgt, dass weder eine einheitliche wirtschaftliche Zwecksetzung,
noch ein sonstiger innerer Zusammenhang ausreichend ist, um von einer
Gegenstandsgleichheit oder gar einer einheitlichen Erklärung auszugehen. Von
einer einheitlichen Erklärung kann vielmehr nur dann ausgegangen werden, wenn
der Erklärungsinhalt auf einen bestimmte Rechtsfolge abzielt, sei es auch, dass
diese über den Gesetzesinhalt hinaus gestaltet wird (Korintenberg/Bengel/Tiedke,
a.a.O. § 44 Rdn.8). Bei der sog. Stillhalteerklärung übernimmt der
Grundstückseigentümer gegenüber dem Grundpfandgläubiger jedoch völlig
verschiedenartige Verpflichtungen, die zu völlig unterschiedlichen Rechtsfolgen
führen und nur durch die einheitliche wirtschaftliche Zielsetzung verklammert
werden. Da hierdurch auch kein einheitliches Rechtsverhältnis begründet wird
und sich aus den Erklärungen auch kein Hauptgeschäft heraushebt, dem die
anderen Rechtsgeschäfte untergeordnet wären, ist weiterhin von einer
Verschiedenheit der Gegenstände auszugehen.
Auch das Argument des Beteiligten zu 1) bzw. des Notars, dass eine gesonderte
Bewertung dem Erwartungshorizont des Publikums nicht gerecht werde,
überzeugt den Senat nicht. Es mag sein, dass die zweifellos vorhandenen
Verästelungen der Kostenordnung, die teils historisch bedingt, teils dem Bemühen
um eine möglichst große Differenzierung geschuldet sind, dem mit der Materie
nicht Vertrauten oft wenig eingängig oder auch nur überzeugend erscheinen. Dies
ist für sich jedoch kein Grund, von der Anwendung des Gesetzes abzusehen,
vielmehr ist insoweit auf die derzeit laufenden Reformbemühungen zu verweisen.
Zum anderen wäre, wenn man denn die Publikumserwartung in Betracht nimmt,
zu berücksichtigen, dass derjenige, der sich im Vorhinein über die zu erwartenden
Kosten informieren will, als herrschenden Auffassung diejenige vorfinden wird, die
auch der Senat vertritt. Da er hierauf im Zweifelsfall vertrauen wird, zeigt sich,
dass die Erwartung des rechtssuchenden Publikums hier keine feststehende
Größe ist, die man zur Grundlage der Gesetzesanwendung machen könnte.
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Da der Senat aus den genannten Gründen an seiner Rechtsprechung festhält,
wonach eine gesonderte Bewertung der einzelnen Erklärungen erforderlich ist,
konnte die zu überprüfende Kostenrechnung, wie vom Landgericht erkannt, schon
deshalb keinen Bestand haben, weil sie diese Bewertung vermissen lässt. Damit
konnte das Landgericht bei der Bewertung der einzelnen Erklärungen jedoch eine
eigenständige Bewertung vor-
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nehmen, auch soweit hinsichtlich der Erklärung zu 1) die Ermessensausübung
nach der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich dem Notar zufällt. Denn
infolge der einheit-lichen Bewertung liegt notwendigerweise ein
Ermessensfehlgebrauch vor.
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Soweit das Landgericht die Erklärungen zu 2) und 3) nach § 30 Abs.2 KostO mit
dem
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Regelwert angesetzt hat, entspricht dies der o.a. Entscheidung des Senats. Da die
weitere Beschwerde insoweit keine spezifischen Einwendungen erhebt, nimmt
der Senat auf dortige Begründung Bezug. Auch soweit das Landgericht die
Erklärung zu 1) gemäß § 30 Abs.1 KostO mit 10% des Nominalwertes der zu
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bestellenden Grundschuld bewertet hat, vermag die weitere Beschwerde einen
Ermessensfehlgebrauch nicht aufzuzeigen.
Insoweit ist vorab zu bemerken, dass der Senat in seiner o.a. Entscheidung eine
Bewertung mit 10% des Nominalwertes als regelmäßig angemessen und damit
als rechtsfehlerfrei gebilligt hat. Dies bedeutet im Rahmen des § 30 Abs.1 KostO
jedoch nicht, dass nicht auch eine höhere Bewertung im Einzelfall
ermessensfehlerfrei sein kann. Allerdings müssten für eine höhere Bewertung im
Einzelfall Besonderheiten bei den maßgeblichen Bewertungskriterien vorliegen.
Die in diese Richtung zielende Argumentation der weiteren Beschwerde ist zwar
sachlich nachvollziehbar und in sich schlüssig, sie bleibt jedoch zu abstrakt, um
einen Ermessensfehler des Landgerichts aufzuzeigen.
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Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Senats der
wesentliche Anknüpfungspunkt für die Bewertung das wirtschaftliche Interesse
des Erklärenden, hier also des Grundstückseigentümers ist. Dieses ist regelmäßig
gering und zwar auch unter Berücksichtigung der geänderten Bedingungen auf
dem Kreditmarkt, auf die die weitere Beschwerde sich bezieht. Richtig ist aber,
dass daneben auch das wirtschaftliche Interesse der weiteren Beteiligten
berücksichtigt werden muss. Auch unter diesem Gesichtspunkt sind die
Bedingungen des Kreditmarktes -bezogen auf den konkreten Fall-
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jedoch nicht geeignet, eine höhere Bewertung als zwingend, die Bewertung durch
das Landgericht also als fehlerhaft erscheinen zu lassen. Bereits vor Basel II und
der Bankenkrise war das Verlangen der Kreditgeber nach sog.
Stillhalteerklärungen weitgehend
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üblich. Hinzu kommt, dass im vorliegenden Fall keinerlei Anhaltspunkte dafür
bestehen, dass der Stillhalteerklärung eine konkret gesteigerte Bedeutung für die
Umsetzbarkeit der beteiligten wirtschaftlichen Zielsetzungen zukommen könnte.
Es handelt sich offenbar um ein privates Hausbauvorhaben auf
Erbbaurechtsbasis im Rahmen eines größeren Ent-
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wicklungsprojekts, das durch einen halb-öffentlichen Träger betreut wird. Nach
alledem ist die Bewertung durch das Landgericht nicht zu beanstanden. Ob auch
eine höhere Bewertung (noch) ermessensfehlerfrei gewesen wäre, hat der Senat
nicht zu entscheiden.
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Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf §§ 131, 30 KostO.
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