Urteil des OLG Hamm vom 02.12.2008

OLG Hamm: gefahr im verzug, körperliche unversehrtheit, beweisverwertungsverbot, gefährdung, polizei, blutentnahme, sicherheit, unfall, blutalkoholkonzentration, eingriff

Oberlandesgericht Hamm, 4 Ss 466/08
Datum:
02.12.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
4. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 Ss 466/08
Vorinstanz:
Amtsgericht Münster, 15 Ds 62 Js 373/08 (123/08)
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit den getroffenen Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über
die Kosten der Revision, an eine andere Strafrichterabteilung des
Amtsgerichts Münster zurückverwiesen.
G r ü n d e :
1
I.
2
Durch das angefochtene Urteil ist der Angeklagte wegen fahrlässiger
Straßenverkehrsgefährdung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 30,00 Euro
verurteilt worden. Außerdem ist ihm die Fahrerlaubnis entzogen, sein Führerschein
eingezogen worden. Die Straßenverkehrsbehörde ist angewiesen worden, ihm vor
Ablauf von noch fünf Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.
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Nach den getroffenen Feststellungen befuhr der Angeklagte am ####### gegen ######
Uhr mit einem Pkw ####, amtliches Kennzeichen N unter anderem in N die G-Straße.
Bei dem Versuch, nach links in die G einzubiegen, geriet er zunächst auf den aus seiner
Fahrtrichtung gesehen rechten Gehweg, lenkte sodann nach links und "fuhr auf das auf
der Fahrbahn stehende Taxi des Zeugen B, das dadurch vorne links beschädigt wurde.
Der Zeuge B und der Fahrgast wurden gefährdet. Sodann fuhr der Angeklagte ein Stück
weiter und gegen den mit zwei Rädern auf dem Gehweg geparkten PKW ##### der
Zeugin T. Es entstand ein Schaden an der hinteren Stoßstange. Insgesamt entstand an
beiden Fahrzeugen ein Fremdschaden in Höhe von insgesamt 2.280 Euro." Ein durch
die herbeigerufene Polizei durchgeführter Alco-Test ergab eine BAK von 3,26 Promille,
die vom Zeugen PK Q daraufhin gegen 17.25 Uhr angeordnete Blutprobe ergab für
17.32 Uhr eine Blutalkoholkonzentration von 3,55 Promille.
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Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Sprungrevision. Er rügt die
Verletzung formellen und materiellen Rechts. Insbesondere meint er unter Bezugnahme
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auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - 2 BvR 273/06 -, hinsichtlich der
Blutprobe bestehe ein Beweisverwertungsverbot, weil es entgegen des
Richtervorbehaltes des § 81 a StPO durch den Zeugen PK Q angeordnet worden sei.
II.
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Das zulässige Rechtsmittel hat mit der Sachrüge einen zumindest vorläufigen Erfolg.
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1. Es kann dahinstehen, ob die Verfahrensrüge ordnungsgemäß im Sinne von § 344
Abs. 2 S. 2 StPO erhoben worden ist. Jedenfalls ist sie unbegründet.
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Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 28. Juli 2008 - 2 BvR
784/08 (www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen) folgendes ausgeführt:
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"- Absatz 9 -
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b) Bei der Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ist zu
beachten, dass Amtsgericht und Oberlandesgericht die Rechtmäßigkeit der
Blutentnahme nicht umfassend nachzuprüfen hatten, sondern nur insofern, als dies
für die Entscheidung über das Vorliegen eines Beweisverwertungsverbotes von
Bedeutung war. Insofern war der gerichtliche Prüfungsmaßstab ein anderer als im
Falle einer - auch nachträglich erhobenen - Beschwerde gegen den Eingriff der
Blutentnahme als solchen, der auch den Hintergrund der Kammerentscheidungen
vom 12. Februar 2007 - 2 BvR 273/06 - und 31. Oktober 2007 - 2 BvR 1346/07 -
darstellte. Die Beurteilung der Frage, welche Folgen ein möglicher Verstoß gegen
strafprozessuale Verfahrensvorschriften hat und ob hierzu insbesondere ein
Beweisverwertungsverbot zählt, obliegt in erster Linie den zuständigen
Fachgerichten (vgl. dazu BVerfGK 4, 283 (285); BVerfG, Beschluss der 1. Kammer
des Zweiten Senats vom 19. September 2006 - 2 BvR 2115/01 u.a. -, NJW 2007, S.
499 (503 f.)). Insofern gehen die Strafgerichte in gefestigter, willkürfreier und vom
Beschwerdeführer auch als solcher nicht angegriffener Rechtsprechung davon aus,
dass dem Strafverfahrensrecht ein allgemein geltender Grundsatz, dass jeder
Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales
Verwertungsverbot nach sich zieht, fremd ist, und dass die Frage jeweils nach den
Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots und dem
Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu
entscheiden ist. Insbesondere die willkürliche Annahme von Gefahr im Verzug oder
das Vorliegen eines besonders schwer wiegenden Fehlers können danach ein
Verwertungsverbot nach sich ziehen (vgl. näher BGHSt 44, 243 (249); BGH, Urteil
vom 18. April 2007 - 5 StR 546/06 -, NStZ 2007, S. 601 (602 f.); BGH, Beschluss
vom 18. November 2003 - 1 StR 455/03 -, NStZ 2004, S. 449 (450); speziell zum
Fall des Verwertungsverbots infolge Verstoßes gegen § 81 a StPO Hans. OLG
Hamburg, Beschluss vom 4. Februar 2008 - 2 - 1/07 (REV) - 1 Ss 226/07 -, Rn. 26
ff. (Juris); OLG Karlsruhe, Beschluss vom 7. Mai 2004 - 2 Ws 77/04 -, Rn. 4 ff.
(Juris); OLG Stuttgart, Beschluss vom 26. November 2007 - 1 Ss 532/07 -, NStZ
2008, S. 238 f.).
11
- Absatz 10 -
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c) Amtsgericht und Oberlandesgericht haben das Verhalten der
Ermittlungsbehörden an diesem Maßstab überprüft und sind somit ihrer
13
Verpflichtung aus Art. 19 Abs. 4 GG nachgekommen. Etwas anderes ergibt sich
auch nicht aus der Art und Weise des Umgangs der Gerichte mit der fehlenden
Dokumentation der Gründe, die für die Annahme von Gefahr im Verzug durch die
Polizei maßgeblich waren. Zwar beinhaltet das Gebot effektiven Rechtsschutzes in
Fällen der Inanspruchnahme einer Eilkompetenz, wie sie § 81 a StPO der
Staatsanwaltschaft und - nachrangig - der Polizei zugesteht, eine Dokumentations-
und Begründungspflicht der anordnenden Stelle, um eine umfassende und
eigenständige nachträgliche gerichtliche Überprüfung der
Anordnungsvoraussetzungen zu ermöglichen. Die Gefährdung des
Untersuchungserfolgs muss mit Tatsachen begründet werden, die auf den
Einzelfall bezogen und in den Ermittlungsakten zu dokumentieren sind, sofern die
Dringlichkeit nicht
evident ist (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweitens Senats vom 12.
Februar 2007 - 2 BvR 273/06 -, Rn. 13, 17 (Juris) unter Verweis auf BVerfGE 103,
142 (160), BVerfGK 2, 310 (315 f.) und BVerfGK 5, 74 (79)). Entsprechend ist es in
Fällen fehlender Evidenz dem zur Überprüfung berufenen Gericht verwehrt, die
fehlende Dokumentation durch Verwendung einer ihm erst nachträglich zugänglich
gemachten Stellungnahme der Ermittlungsbehörden gleichsam zu ersetzen; dies
würde nämlich eine Nachbesserung der von ihm gerade zu kontrollierenden
hoheitlichen Akte darstellen, welche die präventive Funktion des Richtervorbehalts
leer laufen ließe (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweitens Senats vom 31.
Oktober 2007 - 2 BvR 1346/07 -, Rn. 15 (Juris)). Diese Einschränkung der
Prüfungskompetenz hat das Bundesverfassungsgericht bislang allerdings nur für
die unmittelbare Nachprüfung der Rechtmäßigkeit des Handelns der
Ermittlungsbehörden gefordert, die etwa auf nachträglichen Antrag des
Beschuldigten auf gerichtliche Entscheidung entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2
StPO (vgl. Senge, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Aufl., 2003, § 81 a Rn.
13), gegebenenfalls auch im Beschwerderechtszug, erfolgt. Sie lässt sich nicht auf
die durch das erkennende Gericht vorzunehmende Prüfung der Voraussetzungen
eines Beweisverwertungsverbotes übertragen. Wenn die strafgerichtliche
Rechtsprechung davon ausgeht, dass fehlende Dokumentation allein nicht zu
einem Verwertungsverbot führt (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 25. April 2007 - 1
StR 135/07 -, NStZ-RR 2007, S. 242 (243) unter Verweis auf BGH, Beschluss vom
13. Januar 2005 - 1 StR 531/04 -, NStZ 2005, S. 392 (393)), ist das deswegen nicht
zu beanstanden, zumal diese Rechtsprechung die Möglichkeit offen lässt, den
Dokumentationsmangel entsprechend seinem Gewicht im Einzelfall als
Gesichtspunkt in der vorzunehmenden Abwägung zu berücksichtigen. Auch im
vorliegenden Fall war die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes daher unter
dem Gesichtspunkt der Rechtsschutzgarantie nicht geboten.
14
- Absatz 11 -
15
2. Ob der in der Blutentnahme liegende Eingriff in die körperliche Unversehrtheit
des Beschwerdeführers als solcher Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt, ist vorliegend
nicht zu prüfen, ....
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Jedenfalls gebietet auch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht ohne weiteres, im Falle
eines - unterstellten - Verstoßes gegen § 81 a StPO im Zuge einer richterlich nicht
angeordneten Blutentnahme ein Verwertungsverbot hinsichtlich der erlangten
Beweismittel anzunehmen.
17
- Absatz 12 -
18
3. Schließlich liegt kein Verstoß gegen den Anspruch des Beschwerdeführers auf
ein faires, rechtsstaatliches Verfahren nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20
Abs. 3 GG vor. Unter diesem Gesichtspunkt ist lediglich zu prüfen, ob ein
rechtsstaatlicher Mindeststandard gewahrt ist (vgl. BVerfGE 57, 250
19
(275 f.)) und weiter, ob die maßgeblichen strafrechtlichen Vorschriften unter
Beachtung des Fairnessgrundsatzes und in objektiv vertretbarer Weise, also ohne
Verstoß gegen das allgemeine Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG), ausgelegt und
angewandt worden sind (vgl. BVerfGE 18, 85 (92 f.); BVerfG, Beschluss der 3.
Kammer des Zweiten Senats vom 27. Januar 1987 - 2 BvR 1133/86 -, NJW 1987,
S. 2662 (2663)). Vorliegend sind keine Anhaltspunkte für eine willkürliche, den
Fairnessgrundsatz ignorierende Handhabung der strafprozessualen Grundsätze
über Beweisverwertungsverbote gegeben. Im Übrigen dürfte bereits der in § 81 a
StPO enthaltene Richtervorbehalt nicht zum rechtsstaatlichen Mindeststandard zu
zählen sein; denn das Grundgesetz enthält ausdrückliche Richtervorbehalte zwar
für Wohnungsdurchsuchungen (Art. 13 Abs. 2 GG) und Freiheitsentziehungen (Art.
104 Abs. 2 Satz 1 GG), nicht aber für Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit (Art.
2 Abs. 2 Satz 1, 3 GG). Unabhängig davon ist in Fällen wie dem vorliegenden
jedenfalls die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes unter dem
Gesichtspunkt des rechtsstaatlichen Mindeststandards nicht geboten."
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Die Frage nach einem Beweisverwertungsverbot ist somit nach gefestigter, vom
Bundesverfassungsgericht gebilligter Rechtsprechung jeweils nach den Umständen des
Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes,
unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Dabei muß beachtet
werden, daß die Annahme eines Verwertungsverbots, auch wenn die StPO nicht auf
Wahrheitserforschung "um jeden Preis" gerichtet ist, eines der wesentlichen Prinzipien
des Strafverfahrensrechts einschränkt, nämlich den Grundsatz, daß das Gericht die
Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle
Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind. Daran
gemessen bedeutet ein Beweisverwertungsverbot eine Ausnahme, die nur nach
ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im
Einzelfall anzuerkennen ist. Maßgeblich mit beeinflußt wird das Ergebnis der demnach
vorzunehmenden Abwägung vom Gewicht des in Frage stehenden
Verfahrensverstoßes. Dieses wird seinerseits wesentlich von der Bedeutung der im
Einzelfall betroffenen Rechtsgüter bestimmt (vgl. zu allem BVerfG NJW 2006, 2684,
2686 und NStZ 2006, 46, 47; BGH NJW 2007, 2269, 2271; Hans. OLG Hamburg,
Beschluß v. 5.9.2006, Az.: II - 56/06; Hans. OLG Hamburg, StV 2008, 454, 455;
21
Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 5. Aufl., Rdnr. 362 ff. m.w.N.).
22
Indes können einzelne Rechtsgüter durch Eingriffe fern jeder Rechtsgrundlage so
massiv beeinträchtigt werden, daß dadurch das Ermittlungsverfahren als ein nach
rechtsstaatlichen Grundsätzen geordnetes Verfahren nachhaltig beschädigt wird. Dann
wäre jede andere Lösung als die Annahme eines Verwertungsverbotes - jenseits des in
§136 a Abs. 3 S. 2 StPO normierten - unerträglich. Solches wurde in der
Rechtsprechung des BGH angenommen bei der Durchführung von Abhörmaßnahmen
unter Verstoß gegen völkerrechtliche Grundsätze (BGHSt 36, 396) oder ohne
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richterliche Anordnung zwecks Selbstbelastung (BGHSt 31, 304) oder zur gezielten
Verleitung des Angeklagten zum unbewußten Schaffen von Anknüpfungstatsachen für
ein Sachverständigengutachten (BGHSt 34, 39), ferner bei der Einbeziehung eines
Raumgesprächs zwischen Eheleuten in die Telefonüberwachung (BGHSt 31, 296) und
bei akustischer Wohnraumüberwachung in einem nicht allgemein zugänglichen, als
Wohnung zu bewertenden Vereinsbüro (BGHSt 42, 372) und in einem Krankenzimmer
(BGHSt 50, 206; zu allem BGH NJW 2007, 2269, 2271). Nicht angenommen worden ist
ein Verwertungsverbot bei Unterbleiben der gebotenen Belehrung über das Recht auf
konsularischen Beistand nach Art. 36 Abs. 1 lit. b) S. 3 des Wiener
Konsularrechtsübereinkommens (BVerfG NJW 2007, 499; BGH NJW 2008, 307;
dahingestellt gelassen in BGH NJW 2007, 3587).
Derartigen ein Verwertungsverbot begründenden Fallgestaltungen ist der vorliegend zu
beurteilende Sachverhalt nicht ausreichend ähnlich. Die Anordnung der Eilmaßnahme
war der Staatsanwaltschaft bzw. ihren Ermittlungspersonen nicht schlechthin verboten,
sondern in Eilfällen grundsätzlich gestattet. Damit hat der Verstoß objektiv geringeres
Gewicht als in Fällen, in denen der Polizei die Anordnung von Eingriffen der
betreffenden Art schlechthin untersagt ist. Zudem kommt aus objektiver Sicht dem
Umstand Bedeutung zu, daß ein richterlicher Anordnungsbeschluß mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit zu erlangen gewesen wäre. Damit liegt im Ergebnis nur
ein Verfahrensverstoß vor.
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In Sonderfällen schwerwiegender Rechtsverletzungen kann sich darüber hinaus ein
Beweisverwertungsverbot ergeben, insbesondere bei Vorliegen von objektiver Willkür
oder grober Fehlbeurteilung. In der Rechtsprechung des BGH wird bei willkürlicher
Annahme von Gefahr im Verzug oder bei Vorliegen eines besonders schwerwiegenden
Fehlers ein Verwertungsverbot für notwendig gehalten (BGHR StPO § 105 Abs. 1
Durchsuchung 4; vgl. zu allem BGH NJW 2007, 2269, 2271 f. und Hans. OLG Hamburg,
StV 2008, 454 ff.). Ob dies für das Massengeschäft von Blutentnahmen aufgrund des
Verdacht von Trunkenheitsfahrten im Straßenverkehr in dieser Stringenz gelten muß,
läßt der Senat offen, zumal sich in der Vergangenheit eine dahingehende polizeiliche
Übung gebildet hatte, die aus Gründen der Beweissicherung und der möglicherweise
beweisvernichtenden Folgen der ansonsten vorzunehmenden Rückrechnung
nachvollziehbar erscheint.
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Selbst unter Beachtung der o.a. Grundsätze sind folgende Überlegungen in die
Abwägung einzustellen: In Abwägung der betroffenen Rechtsgüter stand dem
hochrangigen Interesse an der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs nach § 315
c StGB das unter einfachem Gesetzesvorbehalt stehende Grundrecht des Angeklagten
auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gegenüber, wobei es sich bei
dem Eingriff in dieses Grundrecht um einen solchen von relativ geringer Intensität und
Tragweite handelte. Auch stand - anders als etwa im Fall einer Wohnungsdurchsuchung
unter Verstoß gegen Art. 13 Abs. 2 GG - nur ein einfachgesetzlicher Richtervorbehalt in
Rede. Die Eilanordnung der Polizei war nicht schlechthin verboten, ein richterlicher
Anordnungsbeschluß wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu
erlangen gewesen. Von einer bewußten Umgehung des Richtervorbehalts oder
willkürlicher Annahme von Gefahr im Verzug ist nicht auszugehen. Insoweit mangelt es
schon an einem entsprechenden Tatsachenvortrag. Insgesamt vermag der Senat ein
Beweisverwertungsverbot nicht zu erkennen.
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2. Das angefochtene Urteil hält jedoch der sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht
27
Stand.
a) Hinsichtlich der Verurteilung wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung ist die
Feststellung, der Zeuge B und sein Fahrgast seien konkret gefährdet worden, nicht
nachvollziehbar aus dem Beweisergebnis hergeleitet. Das Amtsgericht hat lediglich
festgestellt, der Angeklagte sei gegen das stehende Taxi des Zeugen B gefahren und
habe dieses "vorne links beschädigt". Dieser Geschehensablauf läßt die
Schlußfolgerung auf eine konkrete Gefährdung des Zeugen B und seines Fahrgastes
jedenfalls nicht ohne weiteres zu, da Angaben zur Geschwindigkeit oder zur Wucht des
Aufpralls fehlen. Eine konkrete Gefährdung dieser beiden Personen ist daher nicht
nachvollziehbar aus dem Beweisergebnis hergeleitet.
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b) Letztlich unklar ist auch, ob der Angeklagte, sofern ihm fahrlässige
Straßenverkehrsgefährdung zur Last gelegt werden könnte, für eine oder zwei
selbständige Handlungen zur Verantwortung zu ziehen ist und ob es im Falle von zwei
selbständigen Handlungen zu einer konkreten Gefahr für Sachen von bedeutendem
Wert gekommen ist.
29
Das Amtsgericht hat insoweit festgestellt, daß der Angeklagte gegen das Fahrzeug des
Zeugen B gefahren sei, sodann weitergefahren sei gegen den Pkw der Zeugin T. Diese
den zugrundeliegenden Lebenssachverhalt nur unvollständig beschreibenden
Feststellungen lassen schon die Prüfung nicht zu, ob eine oder zwei selbständige
Handlungen anzunehmen sind. Grundsätzlich führt ein Unfall dazu, daß die
Entscheidung zur Weiterfahrt auf einem neuen Tatentschluß beruht (Fischer, StGB, 55.
Auflage, § 316 Rdnr. 56). Etwas anderes kann nur gelten, wenn sich bei
Gesamtwürdigung des Geschehensablaufes ein solcher Tatentschluß nicht feststellen
ließe, etwa, weil der Fahrer den ersten Unfall nicht bemerkt hat oder sich die beiden
Unfälle bei natürlicher Betrachtung als einheitliches Geschehen darstellen, das durch
den ersten Unfall nicht unterbrochen worden ist. Insoweit wären Feststellungen dazu zu
treffen gewesen, ob zwischen dem ersten Unfall und der Weiterfahrt eine gewisse
Zeitspanne gelegen hat oder ob es, was naheliegend ist, beispielsweise zu einer
Kontaktaufnahme des Zeugen B mit dem Angeklagten gekommen ist.
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Mit der Frage von einer oder zwei selbständigen Handlungen hängt auch zusammen, ob
das Amtsgericht zu Recht eine konkrete Gefährdung für fremde Sachen von
bedeutendem Wert (Mindestgrenze: 1.300,00 Euro, vgl. Fischer, StGB, 55. Auflage, §
315 Rdnr. 16 a) angenommen hat. Es hat zwar den Gesamtschaden an beiden
Fahrzeugen mit insgesamt 2.280,00 Euro festgestellt, was die Annahme einer
Gefährdung fremder Sachen von bedeutendem Wert jedenfalls nahe legt. Falls aber
zwei selbständige Handlungen anzunehmen wären, versteht sich das mangels näherer
Feststellungen zu den beiden Unfällen nicht von selbst.
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c) Ein weiterer durchgreifender sachlich-rechtlicher Fehler liegt darin, daß sich das
Amtsgericht nicht mit der Frage einer alkoholbedingt aufgehobenen Steuerungsfähigkeit
(§ 20 StGB) auseinander gesetzt hat. Geht man von der für 17.32 Uhr ermittelte
Blutalkoholkonzentration aus, ist auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen eine
Blutalkoholkonzentration von 3,90 Promille (3,55 Promille + 0,2 Promille
Sicherheitszuschlag + 0,15 Promille für zwischenzeitlichen Alkoholabbau) nicht
auszuschließen. Damit drängen sich in jedem Falle Ausführungen zur Aufhebung der
Steuerungsfähigkeit auf. Da das Amtsgericht jedoch keinerlei Feststellungen zu dem
Verhalten des Angeklagten getroffen hat, wie sie insbesondere üblicherweise im
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ärztlichen Bericht zum Protokoll über die Blutentnahme aufgeführt werden, vermag der
Senat auf der Grundlage der bisherigen unvollständigen Feststellungen nicht mit letzter
Sicherheit festzustellen oder auszuschließen, ob die Steuerungsfähigkeit des
Angeklagten aufgehoben war, wofür allerdings das Unfallgeschehen sprechen könnte.
Für den Fall, daß der neue Tatrichter von der naheliegenden Aufhebung der
Steuerungsfähigkeit ausgehen sollte, käme dann eine Verurteilung wegen fahrlässigen
oder vorsätzlichen Vollrausches nach § 323 a StGB in Betracht. Unabhängig davon wird
sich das Amtsgericht bemühen müssen, die näheren Umstände des Trinkens
aufzuklären.
d) Letztlich enthalten auch die Ausführungen zur Dauer der Sperrfrist sachlich-rechtliche
Mängel. Dem angefochtenen Urteil läßt sich nicht hinreichend entnehmen, wann der
Führerschein des Angeklagten sichergestellt worden ist. Es liegt zwar nicht fern, daß
dieses am Tattag erfolgt ist, hinreichend sicher feststellbar ist das jedoch nicht. Auch
insoweit sind also ergänzende Feststellungen erforderlich.
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Der Senat weist vorsorglich darauf hin, daß die Sache nunmehr beschleunigter
Terminierung und Verhandlung bedarf. Das Verschlechterungsverbot verbietet
jedenfalls in diesem Fall angesichts des ungewöhnlich hohen Blutalkoholspiegels mit
der daraus abzuleitenden hohen abstrakten Gefährlichkeit und der Gefährdung und
Schädigung von jedenfalls zwei verschiedenen Pkw nicht, weiterhin auf eine Sperrfrist
für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis zu erkennen. Ob diese in Hinblick auf den
Zeitablauf zwischen Sicherstellung des Führerscheins und neuer Entscheidung auf das
gesetzliche Mindestmaß von drei Monaten zu reduzieren sein könnte, ist dem neuen
Tatrichter vorbehalten.
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Die Sache bedarf insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung durch eine andere
Strafrichterabteilung des Amtsgerichts Münster. Diese wird auch über die Kosten der
Revision zu entscheiden haben, da der Erfolg des Rechtsmittels noch nicht feststeht.
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