Urteil des OLG Hamm vom 16.03.2003

OLG Hamm: treu und glauben, wegerecht, entstehung, verjährung, eigentümer, verwirkung, grunddienstbarkeit, landrecht, grundstück, vollstreckbarkeit

Oberlandesgericht Hamm, 5 U 28/03
Datum:
16.03.2003
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 U 28/03
Vorinstanz:
Landgericht Paderborn, 2 O 255/02
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 18. November 2002
verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn wird
zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten der Berufungsinstanz.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e :
1
I.
2
Mit der vorliegenden Klage haben die Kläger die Beklagte mit ihrem Hauptantrag auf
Zustimmungserteilung zur Berichtigung des Grundbuchs zum Grundstück C H2 in B
dahin in Anspruch genommen, daß dort ein altrechtliches Wegerecht an einem im Mittel
2 m breiten Streifen entlang der Ostgrenze des vorbezeichneten Grundstücks zugunsten
der jeweiligen Eigentümer der angrenzenden Grundstücke C H und 15 eingetragen
wird.
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Mit Urteil vom 18.11.2002, auf dessen tatsächliche Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1
Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat die 2. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn
der Klage stattgegeben.
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Die Beklagte begehrt mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung weiterhin, die Klage
abzuweisen.
5
II.
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Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.
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Die Kläger haben gegen die Beklagte einen Anspruch auf die begehrte Zustimmung zur
Eintragung des von ihnen geltend gemachten Wegerechts im Grundbuch gemäß § 894
BGB.
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Die Grundbucheintragung einer Grunddienstbarkeit, die vor Anlegung des Grundbuchs
nach Art. 187 Abs. 1 S. 2 EGBGB wirksam entstanden ist, stellt eine
Grundbuchberichtigung dar (BayObLG, NJW-RR 1990, 724; NJW-RR 2001, 161), die
innerhalb des nach § 19 GBO vorzunehmenden Bewilligungsverfahrens im Wege einer
Klage gemäß § 894 BGB zu erreichen ist (Mü-Ko-Säcker, BGB, 3. Aufl., Art. 187
EGBGB, Rn. 4).
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a)
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Der Klageantrag ist hierbei vor dem Hintergrund als hinreichend bestimmt anzusehen,
daß die Beklagte unbestritten gelassen hat, daß die in der Vereinbarung vom
01.04.1868 genannte Wegbreite von 6 Fuß der mit der Klage geltend gemachten Breite
von 2 m entspricht. Da der konkrete Verlauf des real existierenden Wegs zudem
unstreitig ist, bedurfte es daher keiner weiteren Spezifizierung des Antrags.
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b)
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Durch die in den Verträgen vom 01.04.1868 getroffenen Vereinbarungen, deren Wortlaut
und Inhalt zwischen den Parteien unstreitig sind, ist ein dingliches Wegerecht zu Lasten
des Grundstücks der Beklagten entstanden:
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aa)
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Gemäß Art. 184 S. 1 EGBGB bleiben die Rechte, mit denen eine Sache zur Zeit des
Inkrafttretens des BGB belastet ist, mit dem sich aus den bisherigen Gesetzen
ergebenden Inhalt bestehen. Ob ein solches Recht bestand, ist nach früherem Recht zu
beurteilen, wobei erforderlich, aber auch ausreichend ist, daß die Voraussetzungen
nach dem früheren Recht für die Entstehung des dinglichen Rechts gegeben waren
(BayObLGE 1986, 89, 99).
15
Da Art. 187 EGBGB nur für Grunddienstbarkeiten im Sinne des heutigen BGB, also nicht
für beschränkte persönliche Dienstbarkeiten gilt (Mü-Ko-Säcker, a.a.O., Art. 187
EGBGB, Rn. 2) und ein bloßes einer heutigen beschränkten persönlichen Dienstbarkeit
entsprechendes gemeinrechtliches Personalservitut zudem auch nach früherem Recht
mit dem Tode der damals berechtigten Erwerber C2 und T erloschen wäre (vgl.
BayObLGE 1970, 226, 235), setzt ein Anspruch der Kläger voraus, daß seinerzeit ein
dingliches Wegerecht zugunsten des jeweiligen Eigentümers der Grundstücksparzellen
C H-Straße und 17 entstanden ist.
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bb)
17
Ein solcher Entstehungstatbestand ist durch die in den Verträgen vom 01.04.1868
getroffenen Vereinbarungen als verwirklicht anzusehen.
18
Im Hinblick auf Art. 184 EGBGB sind derartige Verträge nach altem Recht auszulegen,
so daß die gemeinrechtlichen Auslegungsregeln und nicht die Vorschriften der §§ 133,
19
157 BGB heranzuziehen sind (vgl. BayObLGE 1970, 226, 234).
Demnach ist zwar im Zweifel für die mildere Auslegung des belastenden Rechts zu
entscheiden, was sich dahin auswirken würde, daß im Zweifel gegen das
Vorhandensein einer Dienstbarkeit zu entscheiden ist (vgl. BayObLGE, a.a.O.).
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Bei der Beurteilung eines altrechtlichen Entstehungstatbestands sind neben dem
Wortlaut der Bestellungsurkunde jedoch auch die außerhalb der Urkunde liegenden
Umstände des Falls (z.B. die Lage der beteiligten Grundstücke) sowie die damals
gegebenen wirtschaftlichen Verhältnisse und Interessen bei der Ermittlung des
Vertragswillens heranzuziehen (BGH, MDR 1966, 748; BayObLGE, a.a.O.).
21
Insoweit erlangt vorliegend Bedeutung, daß nach damaligem Verständnis eine
Dienstbarkeit im Wege einer stillschweigenden Vereinbarung bereits dann zur
Entstehung gelangen konnte, wenn einzelne Grundstücke oder Grundstücksteile
veräußert wurden, indem den Vertragsparteien der Wille unterstellt wurde, diejenigen
Dienstbarkeiten zu bestellen, die zur bisherigen Benutzung eines nunmehr in
verschiedene Hände gehenden Grundstücks notwendig und sinnvoll waren (vgl. RGZ
13, 249, 252; BayObLG, NJW-RR 1990, 724, 725).
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Allein aufgrund der von der ursprünglichen Eigentümerin M N in den Vertragsurkunden
vorgenommenen Parzellierung des Ursprungsgrundstücks ist daher nach damaligem
Rechtsverständnis die Vermutung begründet, daß auch die hieraus entstandenen
Parzellen C H-Straße und 17, die ausschließlich an einem Feldweg gelegen waren, die
dem Ursprungsgrundstück zukommende Anbindung an die C-B-D (heutige C Straße)
behalten sollten.
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Für die Anwendung des vorstehenden den Vertragswillen der Beteiligten ergänzenden
Rechtssatzes wäre nur dann kein Raum, wenn die Vertragsteile ausdrücklich oder
stillschweigend vereinbart haben, daß die Dienstbarkeit nicht entstehen sollte; hierfür ist
aber der Nachweis erforderlich, daß die Vertragsteile übereinstimmend einen die
Entstehung der Dienstbarkeit widersprechenden Willen gehabt und erklärt haben (vgl.
Dehner, Nachbarrecht, B § 36, S. 10). Davon kann aber vorliegend keine Rede sein, da
das Vertragswerk keinen Anhalt dafür enthält, daß nachfolgende Eigentümer von dem
Recht zur Wegebenutzung ausgeschlossen sein sollten oder daß das Wegerecht mit
dem Tode der Erwerber C2 und T nicht mehr bestehen sollte.
24
c)
25
Ist demnach seinerzeit eine altrechtliche Grunddienstbarkeit begründet worden, so
bestand nachfolgend für jeden Erwerber des belasteten Grundstücks und damit auch für
die Beklagte nach Art. 187 EGBGB keine Möglichkeit eines gutgläubigen lastenfreien
Erwerbs gemäß § 892 BGB (vgl. BGHZ 104, 139, 142).
26
d)
27
Der demzufolge auch gegen die Beklagte bestehende
Grundbuchberichtigungsanspruch der Kläger ist ferner gemäß § 898 BGB nicht verjährt
(vgl. LG Osnabrück, RdL 1957, 305, 306; Palandt-Bassenge, BGB, 62. Aufl., Art. 187
EGBGB, Rn. 3; Mü-Ko-Säcker, a.a.O., Art. 187 EGBGB, Rn. 4).
28
Soweit die Beklagte sich auf einen angeblich anzunehmenden Fall einer
unvordenklichen Verjährung beruft, greift dies aus zwei Gründen nicht durch:
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Zum einen handelt es sich bei dem Rechtsinstitut der unvordenklichen Verjährung um
einen Erwerbstatbestand und nicht um eine Einrede gegen ein Recht (vgl. BayObLGE
1994, 129, 139); zum anderen war dem vorliegend anzuwendenden Preußischen
Allgemeinen Landrecht eine unvordenkliche Verjährung als Erwerbstatbestand nicht
bekannt, da es stattdessen den Tatbestand der Ersitzung gab (vgl. OLG Hamm, MDR
1987, 234).
30
e)
31
Der Anspruch der Kläger ist auch nicht gemäß § 242 BGB unter dem Gesichtspunkt von
Treu und Glauben ausgeschlossen.
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aa)
33
Zwar unterliegt auch ein Grundbuchberichtigungsanspruch grundsätzlich der
Verwirkung (vgl. Palandt-Bassenge, a.a.O., § 898, Rn. 1 i.V.m. § 894, Rn. 13).
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Die Annahme einer Verwirkung setzt jedoch voraus, daß die Kläger der Beklagten
gegenüber zu erkennen gegeben haben, daß sie ihr Recht nicht weiter in Anspruch
nehmen wollen (vgl. BGHZ 122, 308, 315 f.). Davon kann jedoch bereits deshalb nicht
ausgegangen werden, weil die Kläger den Weg bis in das Jahr 2001 hinein benutzt
haben.
35
bb)
36
Es liegt zudem auch kein Fall einer unzulässigen Rechtsausübung vor, der daraus
resultiert, daß die Kläger ihre Grundstücke zwischenzeitlich auch über die L-Straße
erreichen können. Ein Fall unzulässiger Rechtsausübung liegt nämlich erst dann vor,
wenn das Wegerecht für die Grundstücke der Kläger keinen Vorteil mehr hätte (vgl. RGZ
169, 180, 183; LG Osnabrück, RdL 1957, 305, 307). Dies ist aber nicht allein dadurch
gegeben, daß die Kläger nunmehr über eine weitere Verbindung an das öffentliche
Straßennetz verfügen.
37
III.
38
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre rechtliche Grundlage in
den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Gründe, die Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, liegen nicht vor.
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