Urteil des OLG Hamm vom 18.03.2009

OLG Hamm: unterbringung, entschädigung, aufschiebende wirkung, haftbedingungen, schutz der menschenwürde, toilette, aufrechnung, ausstattung, grobe fahrlässigkeit, verfügung

Oberlandesgericht Hamm, 11 U 88/08
Datum:
18.03.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
11. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 U 88/08
Vorinstanz:
Landgericht Detmold, 9 O 294/07
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers sowie die Berufung des beklagten Landes
wird das am 08. Mai 2008 verkündete Urteil der Zivilkammer IV des
Landgerichts Detmold unter Zurückweisung der weitergehenden
Rechtsmittel teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Das beklagte Land wird verurteilt, an den Kläger 2.300,00 € nebst
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem
16.10.2007 zu zahlen
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger zu 63 %
und das be-klagte Land zu 37 %.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 13 % und das
beklagte Land zu 87 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Das beklagte Land kann die Zwangsvollstreckung des Klägers durch
Sicherheitsleis-tung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils
vollstreckbaren Betrages ab-wenden, sofern der Kläger vor der
Vollstreckung nicht Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages leistet.
Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung des beklagten Landes durch
Sicherheits-leistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils
vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern das beklagte Land vor der
Vollstreckung nicht Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird für das beklagte Land zugelassen.
Gründe:
1
I.
2
Der Kläger verbüßt in der vor dem 01.01.1977 errichteten JVA Detmold eine
Freiheitsstrafe. Er nimmt das beklagte Land Nordrhein-Westfalen mit seiner Klage nach
Maßgabe ihm in erster Instanz bewilligter Prozesskostenhilfe auf Zuerkennung einer
Entschädigung wegen seines Erachtens menschenunwürdiger Haftunterbringung über
einen Zeitraum von insgesamt 330 Tagen in Höhe von kalendertäglich 11,00 € in
Anspruch.
3
Der Kläger hat hierzu vorgetragen, in den von seinem Klagebegehren umfassten
Zeiträumen sei er wie folgt untergebracht gewesen:
4
- in der Zeit von Mai bis August/September 2003 zusammen mit jeweils einem weiteren
Mitgefangenen in den 8 m² großen (Einzel-) Hafträumen B3 und B oder B8, die mit
einer offen im Haftraum stehenden, weder baulich abgetrennten noch gesondert
entlüfteten Toilette ausgestattet gewesen seien; als Sichtschutz habe allein ein
mobiler, brusthoher Bretterverschlag gedient, die Ausstattung der Hafträume habe aus
einem Etagenbett, zwei Kleiderschränken, einem Tisch, zwei Stühlen, Toilette und
Waschbecken bestanden;
5
- in der Zeit von Juni 2006 bis Januar oder Februar 2007 zusammen mit jeweils einem
weiteren Mitgefangenen in gleichfalls 8 m² großen (Einzel-) Hafträumen, und zwar für 2
½ Wochen in dem Haftraum B, anschließend für etwa 3 Monate in dem Haftraum C
und schließlich weitere 2 ½ bis 3 Wochen in dem Haftraum C2; die Hafträume B und C
seien gleichfalls jeweils mit einer offen im Haftraum stehenden, weder baulich
abgetrennten noch gesondert entlüfteten Toilette ausgestattet gewesen, auch hier
habe als notdürftiger Sichtschutz ein mobiler, brusthoher Bretterverschlag gedient; der
Haftraum C2 habe dagegen über eine Toilettenkabine verfügt, die allerdings in den
Haftraum entlüftet worden sei; die sonstige Ausstattung der Hafträume habe der der
Hafträume B3 bzw. B/B8 entsprochen.
6
Er habe -so hat der Kläger weiter behauptet- sofort nach seiner Verlegung in die
jeweiligen Hafträume schriftlich unter Verwendung des Formblatts VG-51 einen Antrag
auf Einzelunterbringung gestellt, die Anstaltsleitung habe diesen Anträgen aber nicht
stattgegeben. Die JVA Detmold sei -insoweit unstreitig- in den genannten Zeiträumen
permanent überbelegt gewesen. Der Kläger hat gemeint, die gemeinschaftliche
Unterbringung zu den vorbeschriebenen Bedingungen habe gegen das Gebot
menschenwürdiger Unterbringung verstoßen. Hierin liege eine Amtspflichtverletzung, für
die das Land zumindest wegen Organisationsverschuldens hafte. Die Einlegung eines -
über seine gestellten Anträge auf Einzelunterbringung hinausgehenden- Rechtsbehelfs
gegen die Unterbringung sei angesichts der permanenten Überbelegung der JVA
Detmold aussichtslos und daher unzumutbar gewesen. Die ihm zugefügte Verletzung
seiner Menschenwürde könne nicht anders als durch Zubilligung einer
Geldentschädigung ausgeglichen werden, pro Tag sei dabei ein Betrag von 11,00 €
anzusetzen.
7
Das beklagte Land ist dem entgegen getreten. Es hat unter näherer Darlegung eine ihm
zur Last fallende Amtspflichtverletzung bestritten und geltend gemacht, die
Haftunterbringung des Klägers habe sich im interessierenden Zeitraum tatsächlich wie
folgt dargestellt:
8
- in der Zeit vom 11.06. - 24.10.2003 sei der Kläger zusammen mit jeweils einem
weiteren Mitgefangenen in den Hafträumen B2, B3, B4, B5 und B6 mit einer
Grundfläche von jeweils 9,06 m² Größe und einem Rauminhalt von 26,3 m³
untergebracht gewesen, deren sanitäre Ausstattung dabei der Beschreibung des
Klägers entsprochen habe;
9
- ab dem 21.06.2006 sei der Kläger für 2 Tage im Haftraum B7 mit identischer Größe
und Sanitärausstattung untergebracht gewesen;
10
- anschließend dann bis zum 12.10.2006 zusammen mit 3 Mitgefangenen in dem 17,74
m² großen Gemeinschaftshaftraum C4, der -unstreitig- mit einer Toilettenkabine mit
gesonderter Abluftvorrichtung (Abluftreinigung durch Aktivkohlefilter mit
anschließender Rückführung in die Zelle) ausgestattet gewesen sei;
11
- vom 12.10. - 27.11.2006 habe der Kläger sich auf seinen Wunsch hin mit einem
Mitgefangenen den 9,06 m² großen Haftraum C5 geteilt;
12
- danach habe er vom 27.11.2006 - 15.03.2007 gemeinsam mit einem weiteren
Mitgefangenen den 9,06 m² großen Haftraum C3 bewohnt, auch dieser sei mit einer
Toilettenkabine mit Abluftvorrichtung wie vorbeschrieben ausgestattet gewesen.
13
Die Belegungssituation in der JVA Detmold sei in der fraglichen Zeit stark angespannt
gewesen, selbst unter Ausnutzung der Entlastungsmöglichkeiten durch Verlegung von
Inhaftierten in andere Anstalten sei eine Belegung von Gemeinschaftshafträumen nicht
zu vermeiden gewesen.
14
Das Land hat weiter eingewandt, der Entschädigungsanspruch des Klägers scheitere
bereits daran, dass er es versäumt habe, gegen seine beanstandete Haftunterbringung
Rechtsmittel einzulegen, die entgegen der Behauptung des Klägers auch nicht von
vornherein aussichtslos gewesen seien, da die JVA Detmold einer -unterstellten-
Weisung der Strafvollstreckungskammer ungeachtet der angespannten
Belegungssituation nachgekommen wäre. Zu berücksichtigen sei zudem, dass der
Kläger während seines zweiten Aufenthalts in der JVA Detmold mehrfach selbst seine
gemeinschaftliche Unterbringung beantragt habe, so dass davon auszugehen sei, dass
er insgesamt mit seiner Unterbringungssituation zufrieden gewesen sei.
15
Hilfsweise hat das beklagte Land die Aufrechnung mit einem ihm zustehenden -nach
Grund und Höhe unstreitigen- Anspruch in Höhe von 136,80 € im Zusammenhang mit
einem gegen den Kläger ergangenen Strafbefehl (36 Js 2773/04 StA Detmold) erklärt.
16
Das Landgericht hat der Klage durch das angefochtene Urteil unter Klageabweisung im
Übrigen in Höhe eines Betrages von 863,20 € teilweise stattgegeben. Es ist unter
näherer Darlegung allein für die mit 100 Tagen veranschlagte Dauer der
gemeinschaftlichen Unterbringung des Klägers in Hafträumen mit einer Grundfläche von
weniger als 5 m² pro Gefangenem und Ausstattung mit einer nur durch eine mobile
Schamwand abgetrennten Toilette von einer gegen die Menschenwürde verstoßenden
Haftunterbringung mit einem daraus folgenden berechtigten Entschädigungsanspruch
des Klägers in Höhe von 1.100,00 € (100 Tage x 11,00 €) ausgegangen, hat den
Anspruch allerdings im Wege der Pauschalierung unter Hinweis auf die bei längerer
Dauer zu beanstandender Haftbedingungen festzustellende Unangemessenheit einer
linearen Entschädigung auf einen Betrag von 1.000,00 € gekürzt und zudem in Höhe
17
eines Betrages von 136,80 € als aufgrund der Aufrechnung des beklagten Landes, die
das Landgericht dabei mangels eines dem Land vorzuwerfenden vorsätzlichen oder gar
schikanösen Verhaltens für nicht nach § 393 BGB ausgeschlossen erachtet hat,
erloschen angesehen (§§ 387, 389 BGB). Einen Anspruchsausschluss nach § 839 Abs.
3 BGB hat das Landgericht dagegen mit dem Hinweis verneint, angesichts der im zu
beurteilenden Zeitraum in der JVA Detmold herrschenden Überbelegungssituation
könne nicht davon ausgegangen werden, dass man dem Kläger bei Einlegung eines
Rechtsmittels durch kurzfristige Zuweisung einer Einzelzelle eine Vorzugsbehandlung
hätte zuteil werden lassen. Für die Zeit der Unterbringung des Klägers in den mit einer
Toilettenkabine ausgestatteten Hafträumen C4 und C3 hat das Landgericht eine
menschenunwürdige Unterbringung als Voraussetzung eines
Entschädigungsanspruchs demgegenüber verneint und hierzu ausgeführt, allein die
beengten Platzverhältnisse im jeweiligen Haftraum erforderten noch keine Genugtuung
in Form einer Geldentschädigung, soweit der Kläger daneben die fehlende
Funktionsfähigkeit der Abluftvorrichtung der in den Hafträumen installierten
Toilettenkabinen beanstande, trage er selbst nicht vor, diesen Umstand bei der
Anstaltsleitung gerügt und dort um Abhilfe gebeten zu haben.
Gegen diese Entscheidung wenden sich der Kläger wie auch das beklagte Land mit
ihrem jeweiligen Rechtsmittel.
18
Das beklagte Land verfolgt mit seiner Berufung seinen Antrag auf vollständige
Klageabweisung weiter. Es verweist zur Begründung darauf, selbst bei Annahme einer
menschenunwürdigen Unterbringung des Klägers fehle jeder Anhaltspunkt dafür, dass
diese beim Kläger zu körperlichen oder psychischen Schäden geführt habe, was bei der
Zubilligung einer Geldentschädigung zu berücksichtigen sei, ebenso wie auch der
Umstand, dass sich der Kläger nicht gegen seine Unterbringung zur Wehr gesetzt habe.
Dies rechtfertige den Schluss, dass er sie selbst nicht als menschenunwürdig
empfunden habe. Daneben hält das beklagte Land daran fest, dass
Entschädigungsansprüche des Klägers ohnehin nach § 839 Abs. 3 BGB wegen
Versäumung bestehender Rechtsmittel ausgeschlossen seien. Mögliche Rechtsmittel
wären -so trägt das beklagte Land vor- entgegen der Behauptung des Klägers
keineswegs aussichtslos gewesen, vielmehr hätte aufgrund wöchentlicher
Entlassungen aus der JVA Detmold sowie der Bereitschaft eines Teils der Gefangenen,
sich zur Vermeidung von Eintönigkeit, Langeweile oder Einsamkeit gemeinschaftlich mit
anderen Häftlingen unterbringen zu lassen, durchaus die Möglichkeit bestanden, dem
Kläger kurzfristig eine Unterbringung in einer Einzelzelle zu ermöglichen. Bei
Ausschöpfung der durch §§ 109, 114 StVollzG eröffneten Rechtsmittel, an sich aber
auch schon bei Stellung eines Antrags nach §§ 109, 114 StVollzG hätte der Kläger
mithin "binnen kürzester Zeit" Abhilfe erreichen können, und sei es durch seine
Verlegung in die JVA Münster, wo freie Einzelhafträume zur Verfügung gestanden
hätten. Daneben bestreitet das beklagte Land unter Hinweis auf von ihm
unternommene, näher dargelegte Anstrengungen zur Verbesserung der
Belegungssituation und der Haftbedingungen in den bestehenden Haftanstalten sowie
zur Schaffung neuer Haftplätze ein ihm zur Last zu legendes Organisationsverschulden.
Hinsichtlich der vom Kläger für die Haftunterbringung im Jahr 2003 verlangten
Entschädigung erhebt das beklagte Land überdies die Einrede der Verjährung.
19
Das beklagte Land beantragt,
20
1. die Klage unter Abänderung des angefochtenen Urteils insgesamt abzuweisen;
2. die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
21
22
Der Kläger beantragt,
23
1. das beklagte Land unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils zu
verurteilen, an ihn unter Einschluss des vom Landgericht zuerkannten Betrages
insgesamt 3.630,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszins seit dem 16.10.2007 zu zahlen;
2. die Berufung des beklagten Landes zurückzuweisen.
24
25
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil im Umfang der erfolgten Verurteilung des
beklagten Landes als richtig und verweist insoweit darauf, dass ihm die Existenz
bestehender Rechtsmittel, deren Versäumung ihm das beklagte Land zum Vorwurf
mache, nicht bekannt gewesen sei. Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger daneben
sein erstinstanzliches Klagebegehren im Umfang der Klageabweisung durch das
Landgericht weiter. Unter Wiederholung, Vertiefung und Ergänzung seines Vortrags
erster Instanz bemängelt er insoweit, das Landgericht habe verkannt, dass bereits die
bei der jeweiligen Belegung unzureichende Größe der Hafträume C4 und C3 eine
selbständige Verletzung seiner Menschenwürde darstelle, die entschädigungspflichtig
sei. Hinzu gekommen sei dann, dass die Entlüftungsanlagen der in den beiden
Hafträumen installierten Toilettenkabinen entweder aufgrund eines Defektes oder
wegen grundsätzlicher Untauglichkeit funktionslos gewesen seien. Bei der Bemessung
der ihm zugesprochenen Entschädigung habe das Landgericht einen zu geringen
Tagessatz zugrunde gelegt, da an sich ein Tagessatz von 20,00 € angemessen sei,
darüber hinaus eine nicht gerechtfertigte Pauschalierung vorgenommen und schließlich
zu Unrecht die vom beklagten Land erklärte Aufrechnung durchgreifen lassen.
26
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die
tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts in seinem angefochtenen Urteil Bezug
genommen.
27
II.
28
Die zulässige Berufung des beklagten Landes ist begründet, die nach ihm mit
Senatsbeschluss vom 13.11.2008 gewährter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
wegen Versäumung der Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist gleichfalls
zulässige Berufung des Klägers ist teilweise begründet.
29
A. Berufung des beklagten Landes:
30
Die Berufung des beklagten Landes, mit der es sich dagegen wendet, dass das
Landgericht dem Kläger für einen mit insgesamt 100 Tagen bemessenen Zeitraum
seiner Haftunterbringung in der Zeit von Juni 2003 bis Oktober 2003 unter
Berücksichtigung der erklärten Hilfsaufrechnung des beklagten Landes eine
Entschädigung in Höhe von 863,20 € zuerkannt hat, ist begründet. Der die
Haftbedingungen im Jahr 2003 betreffende Entschädigungsanspruch des Klägers war -
unabhängig von seiner sachlichen Berechtigung- bereits vor der am 08.10.2007
erfolgten Einreichung des verfahrenseinleitenden Prozesskostenhilfegesuchs des
Klägers (§ 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB i.V.m. § 167 ZPO) verjährt. Der Anspruch unterfällt der
regelmäßigen dreijährigen Verjährung des § 195 BGB, die nach § 199 Abs. 1 BGB mit
Schluss des Jahres in Gang gesetzt wurde, in dem der Anspruch entstand und der
Kläger von den anspruchsbegründenden Umständen -d.h. hier den als
menschenunwürdig beanstandeten Haftbedingungen- und der Person des Schuldners -
hier das beklagte Land als Träger der JVA Detmold- Kenntnis erlangt hat oder ohne
grobe Fahrlässigkeit erlangen musste. Entstanden ist der die Haftunterbringung im Jahr
2003 betreffende Entschädigungsanspruch des Klägers noch im Jahr 2003, in dem der
Kläger weiterhin auch die nach § 199 Abs. 2 Nr. 2 BGB erforderliche Kenntnis hatte, so
dass die Verjährung mit Ablauf des 31.12.2003 begann und dem entsprechend mit
Ablauf des 31.12.2006 endete.
31
Dass das beklagte Land die Verjährungseinrede erstmals im Berufungsverfahren
erhoben hat und es sich danach um neuen Vortrag i.S.d. §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2
ZPO handelt, steht ihrer Berücksichtigung nicht entgegen, da die Erhebung der
Verjährungseinrede als solche ebenso wie die den Verjährungseintritt begründenden
tatsächlichen Umstände -Zeitpunkt der Anspruchsentstehung gemäß §§ 195, 199 Abs. 1
Nr. 1 BGB sowie Fehlen verjährungshemmender Maßnahmen nach § 204 BGB-
unstreitig sind (vgl. BGH NJW 2008, 3434 ff).
32
B. Berufung des Klägers:
33
1.
34
Die Berufung des Klägers ist unbegründet, soweit er damit eine Erhöhung der ihm vom
Landgericht zuerkannten Entschädigung für die als menschenunwürdig beanstandeten
Haftbedingungen im Jahr 2003 erstrebt, da der zugrunde liegende Anspruch aus
dargelegten Gründen verjährt ist.
35
2.
36
Soweit der Kläger dagegen in Abänderung des angefochtenen Urteils eine
Entschädigung für seine im Zeitraum Juni 2006 bis nach eigenem Vortrag Februar 2007,
nach Vortrag des beklagten Landes dagegen März 2007 erfolgte Unterbringung in mit
einer Toilettenkabine ausgestatteten Hafträumen erstrebt, erweist sich seine Berufung
als teilweise begründet.
37
2.1.
38
Dabei ergibt sich eine dem beklagten Land vorzuwerfende Amtspflichtverletzung
allerdings nicht bereits aus der gemeinschaftlichen Unterbringung des Klägers als
solcher.
39
2.1.1.
40
Zwar sieht § 18 Abs. 1 Satz 1 StVollzG grundsätzlich eine Einzelunterbringung von
Strafgefangenen während der Ruhezeiten vor. Davon abweichend gestattet jedoch
§ 201 Nr. 3 StVollzG für Anstalten, mit deren Errichtung bereits vor Inkrafttreten des
Strafvollzugsgesetzes am 01.01.1977 begonnen wurde, was auf die
Justizvollzugsanstalt Detmold zutrifft, während der Ruhezeiten eine gemeinschaftliche
Unterbringung von Gefangenen, solange die räumlichen Verhältnisse der Anstalt dies
erfordern.
41
Die Vorschrift verfolgt damit das Ziel, in den vor dem genannten Zeitpunkt errichteten
Anstalten die Anwendung des § 18 Abs. 1 S. 1 StVollzG zu suspendieren. Der
Gesetzgeber will damit verhindern, dass Strafgefangene in diesen Anstalten ohne eine
Einschränkungsmöglichkeit im Einzelfall einen einfachgesetzlichen Anspruch auf
Einzelunterbringung erfolgreich geltend machen können (BGH NJW 2006, 306 ff, 309).
Mit dieser Regelung wird demnach auch einem in der Anstalt bestehendem
Platzmangel begegnet (OLG Celle, NJW 2004, 2766). Gefangene dürfen danach, falls
dies die beschränkten Raumverhältnisse erfordern und es die persönliche Disposition
des Gefangenen erlaubt, in Altanstalten weiterhin mit bis zu sieben weiteren Personen
untergebracht werden (vgl. auch BGH NJW 2006, 306 ff, 309). Zwar handelt es sich bei
der Vorschrift des § 201 Nr. 3 S. 1 StVollzG um ein Zeitgesetz, der Zeitpunkt des Außer-
Kraft-Tretens wird hierin indes nicht bestimmt. Dieser Mangel beeinträchtigt indes die
Wirksamkeit der Norm nicht, da die fehlende Befristung innerhalb des
Gestaltungsermessens des Gesetzgebers liegt und von sachlichen Erwägungen
getragen wird (vgl. BGH NJW 2006, 306, ff, 307).
42
Kann wegen Überbelegung der Anstalt -von der nach dem eigenen Vortrag des
beklagten Landes für die JVA Detmold im hier interessierenden Zeitraum in den Jahren
2006/2007 auszugehen ist- nicht jedem Gefangenen ein Einzelhaftraum zur Verfügung
gestellt werden, hat die Justizvollzugsanstalt im Anwendungsbereich des § 201 Nr. 3
StVollzG das ihr im Rahmen ihrer Organisationshoheit zustehende Ermessen in zwei
Stufen auszuüben: Zunächst ist zu klären, ob dem Gefangenen aus besonderen
Gründen ein Einzelhaftraum zugewiesen werden kann bzw. muss. Ist dies nicht der Fall,
ist zu klären, mit wie vielen und welchen Gefangenen er in einer Zelle untergebracht
wird. Das bei beiden Entscheidungen eröffnete Ermessen ist dabei an
nachvollziehbaren und mit dem Strafvollzugsgesetz in Einklang stehenden Kriterien
auszurichten (OLG Celle NJW 2004, 2766).
43
2.1.2.
44
Dass dem beklagten Land (bereits) unter diesem Gesichtspunkt eine
Amtspflichtverletzung vorzuwerfen ist, ist weder vom Kläger dargetan noch erkennbar.
Auch der Kläger macht nicht geltend, die Entscheidung, ihn gemeinschaftlich
unterzubringen und/oder die Auswahl der Gefangenen, mit denen er zusammen
untergebracht wurde, beruhe auf Ermessensfehlern.
45
2.2.
46
Dem beklagten Land ist hier jedoch als Amtspflichtverletzung vorzuwerfen, dass die
gemeinschaftliche Haftunterbringung des Klägers in den Hafträumen C4 und C3, deren
47
Dauer das Landgericht unwidersprochen mit insgesamt 230 Tagen veranschlagt hat,
unter Bedingungen erfolgte, die menschenunwürdig waren, was einen Verstoß gegen
Art. 1 und 2 Abs. 1 GG sowie zugleich gegen Art 3 EMRK begründet.
2.2.1.
48
Nach verbreiteter Auffassung, der der Senat in ständiger Rechtsprechung folgt, kann
(allein schon) die gemeinschaftliche Unterbringung eines Gefangenen mit anderen
Mitgefangenen gegen die Menschenwürde des betroffenen Strafgefangenen verstoßen.
49
Das Recht auf Achtung seiner Würde kann selbst dem Straftäter nicht abgesprochen
werden, mag er sich auch in noch so schwerer und unerträglicher Weise gegen die
Werteordnung der Verfassung vergangen haben (BVerfG NJW 2002, 2700 f,
2701 m.w.N.). Strafgefangene haben einen Anspruch auf eine menschenwürdige
Unterbringung (BVerfG NJW 2006, 1580 m.w.N.). In der Strafvollstreckung ist zu
beachten, dass die menschliche Würde unmenschliches, erniedrigendes Strafen
verbietet und der Täter nicht unter Verletzung seines verfassungsrechtlich geschützten
sozialen Wert- und Ausgleichsanspruchs zum bloßen Objekt der Vollstreckung
herabgewürdigt werden darf. Aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip ist
daher gerade für den Strafvollzug die Verpflichtung des Staates herzuleiten, jenes
Existenzminimum zu gewähren, das ein menschenwürdiges Dasein überhaupt erst
ausmacht (BVerfG NJW 2006, 1580 f, 1581 m.w.N.).
50
Daraus lässt sich allerdings noch nicht ableiten, dass jede gemeinschaftliche
Unterbringung schon deshalb von vornherein menschenunwürdig ist. Der
Bundesgerichtshof hat selbst bei einer durch die Strafvollstreckungskammer bindend
ausgesprochenen Feststellung eines Verstoßes gegen den Anspruch auf
Einzelunterbringung gem. § 18 Abs. 1 S. 1 StVollzG ausgeführt, dass die bloße
gemeinsame Unterbringung eines Gefangenen entgegen § 18 Abs. 1 S. 1 StVollzG
ohne Hinzutreten erschwerender, den Gefangenen benachteiligender Umstände nicht
als Verstoß gegen die Menschenwürde anzunehmen ist (BGH NJW 2006, 3572). Dem
folgt der Senat.
51
Die Frage, ob solche erschwerenden Umstände vorliegen, stellt eine Beurteilung des
Einzelfalls dar. Sie ist abhängig von der Größe (Grundfläche und Rauminhalt) und
Ausstattung (insbesondere in sanitärer Hinsicht) sowie Belegung (Anzahl der in dem
Haftraum gleichzeitig untergebrachten Gefangenen) des Haftraums. Dabei sind an den
Haftraum bestimmte Mindestanforderungen zu stellen. Er muss hinsichtlich seiner
Größe und Ausgestaltung so beschaffen sein, dass das Recht auf Achtung der
Menschenwürde gewahrt bleibt. Das schließt die Pflicht ein, die Privat- und Intimsphäre
des Gefangenen als Ausdruck seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 1 Abs. 1,
2 Abs. 1 GG) tunlichst zu wahren (BVerfG ZfStrVo 1997, 111). Daneben kann aber auch
von Bedeutung sein, in welchen Zeiträumen und zu welchen Zwecken sich der einzelne
Gefangene in dem betreffenden Haftraum aufhalten muss bzw. musste. Folgt allerdings
bereits aus der Art der (gemeinsamen) Unterbringung, dass die Menschenwürde des
Gefangenen berührt ist, kommt es für die verfassungsrechtliche Beurteilung auf die
Dauer der Mehrfachunterbringung nicht mehr an; dann sind auch die genauen
Aufenthaltszeiten in der Zelle für die Frage einer menschenunwürdigen Unterbringung
rechtlich unerheblich (vgl. OLG Frankfurt NJW 2003, 2843 ff, 2845). Denn Achtung und
Schutz der Menschenwürde ist aller staatlichen Gewalt gem. Art 1 Abs. 1 Satz 2 GG
auferlegt und verbietet dem gemäß auch eine nur vorübergehende menschenunwürdige
52
Behandlung (BVerfG NJW 2002, 2699 f, 2700). Bedeutung hat die Dauer der
Unterbringung daher lediglich für die Frage, ob aus den menschenunwürdigen
Haftbedingungen auch ein Entschädigungsanspruch folgt.
Eine menschenunwürdige Unterbringung ist im Übrigen nach Art. 1 und 2 Abs. 1 GG
rechtswidrig. Ferner verstößt sie zugleich gegen den innerstaatlich mit Gesetzeskraft
geltenden (BGH NJW 1993, 2927) Art. 3 EMRK, wonach niemand der Folter oder
unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf.
Diese Regelung legt den Staaten die Verpflichtung auf, sicherzustellen, dass
Gefangene ausschließlich unter Bedingungen inhaftiert werden, die mit der Achtung der
Menschenwürde vereinbar sind, und zugleich -wenn auch unter Berücksichtigung der
praktischen Erfordernisse der Haft- sicherstellen, dass Gesundheit und Wohlbefinden
des einzelnen Gefangenen angemessen beachtet und gewahrt werden (EGMR NJOZ
2007, 2934 und NJW 2001, 2694).
53
Die Bestimmung des Art. 5 EMRK ist im Streitfall dagegen nicht einschlägig. Sie erfasst
allein den rechtswidrigen Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßnahme als solcher,
nicht aber die Modalitäten des Strafvollzugs (BGH NJW 1993, 2927 f, 2928). Zwar ist
anerkannt, dass auch die Umstände des Vollzugs die Rechtmäßigkeit der Haft in Frage
stellen können, etwa wenn infolge der Haftbedingungen Vollzugsuntauglichkeit eintritt
(BGH a.a.O.). Eine solche Konstellation liegt hier jedoch nicht vor. Die beanstandete
Unterbringung in einer Gemeinschaftszelle führt nicht zur Rechtswidrigkeit des mit der
Vollstreckung der Strafhaft einhergehenden Freiheitsentzugs. Soweit dies teilweise
anders gesehen wird (OLG Celle NJW-RR 2004, 380), vermag der Senat dem nicht zu
folgen.
54
2.2.2.
55
Bei Anwendung der vorstehend dargelegten Maßstäbe verstieß die gemeinschaftliche
Unterbringung in den Hafträumen C4 und C3 im Zeitraum Juni 2006 bis März 2007
gegen die Menschenwürde des Klägers. Denn beide Hafträume waren mit einer vom
beklagten Land angegebenen Größe von 17,74 m² (Haftraum C4) und 9,06 m²
(Haftraum C3) mit Rücksicht auf die jeweilige Belegung im fraglichen Zeitraum -im
Haftraum C4 mit insgesamt 4 Gefangenen, im Haftraum C3 mit 2 Gefangenen- zu klein.
56
Dagegen gibt die vom Kläger gerügte Ausstattung beider Hafträume mit einer
geschlossenen und über einen Aktivkohlefilter entlüfteten Toilettenkabine der auf den
zur Gerichtsakte gereichten Lichtbildern (GA Bl. 89 f) erkennbaren Bauart, die
ausreichenden Sicht- und Geräuschschutz boten und -eine störungsfreie Funktion der
Luftfilter vorausgesetzt- nach unwiderlegter Behauptung des beklagten Landes auch
Geruchsbelästigungen der Mitgefangenen ausschlossen, keine Veranlassung, die dem
Kläger auferlegten Haftbedingungen auch insoweit als menschenunwürdig zu
beanstanden.
57
2.2.2.1.
58
Allerdings enthält das StVollzG keine konkreten Anforderungen an die Mindestgröße
eines Haftraums. Eine zur Festlegung einer solchen Größe nach § 144 Abs. 2 StVollzG
mögliche Rechtsverordnung fehlt bislang. Auch in der Rechtsprechung hat sich noch
keine einheitliche Meinung dazu herausgebildet, welche Mindestgröße der Haftraum bei
dessen Mehrfachbelegung nicht unterschreiten darf (vgl. die Zusammenstellung bei
59
Arloth/Lückemann, StVollzG, § 144 Rn. 2 und Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 10. Aufl.,
§ 144 Rn. 1). So ist teilweise (OLG Karlsruhe NStZ-RR 2005, 224 und OLG Celle NStZ-
RR 2003, 316) die Belegung eines Haftraums mit zwei Gefangenen bei einer
Zellengröße von 9 m² bzw. 9,82 m² mit räumlich abgetrennter Nasszelle mit Toilette und
Waschbecken von 1,3 m² bzw. 1,42 m² nur als eine Verletzung einfachen Rechts, nicht
hingegen von Art. 1 Abs. 1 GG, angesehen worden. Demgegenüber hat das OLG
Frankfurt (OLG Frankfurt NStZ-RR 2005, 155) eine menschenunwürdige Unterbringung
in einem Fall angenommen, in dem sich drei Gefangene eine Zelle teilen mussten, die
abzüglich der Fläche für die abgetrennte Toilette eine Gesamtgröße von ca. 9 m²
aufwies. Nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH NJW 2006, 306 ff, 308
unter Hinweis auf OLG Frankfurt a.M. NJW 2003, 2843 ff, 2845, jeweils m.w.N.) ist eine
die Menschenwürde des Gefangenen missachtende Unterbringung dagegen zu
bejahen, soweit bei gemeinschaftlicher Unterbringung zweier Gefangener in einem
Haftraum mit einer nicht (baulich) abgetrennten oder nicht gesondert entlüfteten Toilette
ein Luftraum von 16 m³ oder eine Bodenfläche von 12 m² unterschritten wird.
Nach Auffassung des Senats liegt ein Verstoß gegen die Menschenwürde selbst bei
Ausstattung des Haftraums mit einer räumlich abgetrennten, gesondert entlüfteten und
damit den insoweit zu stellenden Anforderungen genügenden Toilette -wie hier in den
Hafträumen C4 und C3 durch Einbau einer Toilettenkabine- jedenfalls dann vor, wenn
jedem Gefangenen eine (Zellen-) Grundfläche von rechnerisch weniger als 5 m² zur
Verfügung steht, wie dies hier im Zeitraum Juni 2006 bis März 2007 in den Hafträumen
C4 mit (17,74 m² für 4 Gefangene =) 4,435 m² pro Gefangenem und C3 mit (9,06 m² für 2
Gefangene =) 4,53 m² pro Gefangenem der Fall war. Denn bei einer solchen
Unterbringung wird die Mindestgröße von Hafträumen, die in der Literatur als
Untergrenze ernsthaft erwogen wird (Kaiser/Kerner/Schöch, Strafvollzug, 5. Aufl., § 7
Rn. 86: mindestens 7 m² pro Gefangenem; vgl. auch OLG Frankfurt, aa0. m.w.N.),
deutlich unterschritten, wobei erschwerend hinzu kommt, dass die den Gefangenen zur
Verfügung stehende Nutzfläche durch die Möblierung des Haftraums mit einer der
Kopfzahl der untergebrachten Gefangenen entsprechenden Anzahl von Betten,
Spinden, Stühlen und Tischen noch zusätzlich eingeschränkt wird, ebenso wie auch
durch die im Haftraum installierte Toilettenkabine (vgl. hierzu auch OLG Hamm -
Beschluss des 1 Strafsenats vom 20.01.2005 -1 Vollz (Ws) 147/04-, ZfStrVo 2005, 301 ff
= StV 2006, 152 f). Davon ausgehend, ist bei einer Grundfläche des Haftraums von -wie
hier- weniger als 5 m² der dem einzelnen Gefangenen unter Berücksichtigung des für
die Möblierung notwendigen Flächenbedarfs verbleibende Bewegungsfreiraum so
weitgehend eingeschränkt, dass eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung kaum noch
möglich und der -auch bei Strafhaft fortbestehende- Anspruch des Gefangenen auf
Wahrung eines Mindestmaßes an persönlicher Eigenständigkeit und Intimität in einer
Weise beschnitten wird, die mit den Anforderungen an eine menschenwürdige
Unterbringung nicht mehr vereinbar ist.
60
2.2.2.2.
61
Die sanitäre Ausstattung der Hafträume C4 und C3 mit stationären Toilettenkabinen, die
ausreichenden Sicht-, Geräusch- und bei ordnungsgemäßer Funktion der integrierten
Abluftfilter auch Geruchsschutz gewährleisteten, ist dagegen als solche nicht zu
beanstanden. Soweit der Kläger die fehlende Funktionsfähigkeit der Entlüftungsanlagen
bemängelt, rechtfertigt allein dies ungeachtet der Frage, ob damit menschenunwürdige
Haftbedingungen begründet werden, keine Amtshaftung, da weder dargelegt noch
ersichtlich ist, dass der Kläger bestehende Mängel beim Wachpersonal oder der
62
Anstaltsleitung reklamiert hat, was insoweit ein -nahelie-gendes- Rechtsmittel i.S.d. §
839 Abs. 3 BGB zur Beseitigung etwaiger Beeinträchtigungen gewesen wäre, dessen
Versäumung aus an späterer Stelle noch näher darzulegenden Gründen zum
Ausschluss etwaiger hieran geknüpfter Entschädigungsansprüche des Klägers führt.
2.3.
63
Die dem beklagten Land wegen menschenunwürdiger Unterbringung des Klägers in
den bei der jeweiligen Belegung nicht ausreichend großen Hafträumen C4 und C3
vorzuwerfende Amtspflichtverletzung ist auch schuldhaft begangen worden.
64
Bei der Beurteilung des Verschuldens ist hier nicht auf die an Ort und Stelle zuständigen
Justizbediensteten abzustellen, denen angesichts der Überbelegung der
Justizvollzugsanstalt keine andere Wahl der Unterbringung geblieben sein dürfte. Etwas
anderes kommt nur dann in Betracht, wenn geeignete Hafträume zur Verfügung
standen, die eine Unterbringung zu menschenwürdigen Bedingungen ermöglichten,
weil sich dann eine gleichwohl erfolgte Zuweisung eines Haftraumes, dessen Größe
oder Ausstattung eine menschenunwürdige Unterbringung begründet, als vorsätzliche
Verletzung der Amtspflicht darstellt, die Menschenwürde zu achten und zu schützen.
Fehlt es - wie hier - an einer ausreichenden Zahl an Haftplätzen, die den
Mindestanforderungen für eine menschenwürdige Unterbringung entsprechen, beruht
dies auf einem Organisationsverschulden des beklagten Landes. Ein erheblicher
Mangel an Einzelhaftplätzen stellt nämlich keinen hinreichenden Grund dafür dar,
geltendes Recht zu unterlaufen (BGH NJW 2005, 58 f, 59). Das gilt unabhängig vom
jeweiligen Grund für den Mangel an Einzelhaftplätzen in der betreffenden
Justizvollzugsanstalt. Ein solcher Mangel mag eine gemeinschaftliche Unterbringung
rechtfertigen, keinesfalls aber eine solche zu menschenunwürdigen Bedingungen
(ebenso OLG Hamburg OLGR 2005, 306). Dass -wie das beklagte Land mit Schriftsatz
vom 20.10.2008 unter näherer Darlegung vorträgt- seit Ende der 90er Jahre
Anstrengungen unternommen werden, die Unterbringungskapazitäten in den JVA des
Landes auszuweiten, kann in diesem Zusammenhang als zutreffend unterstellt werden,
lässt das Verschulden des Landes aber nicht entfallen. Denn dass und weshalb das
beklagte Land aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen außerstande war,
Haftbedingungen wie die dem Kläger zugemuteten durch entsprechende -rechtzeitig
veranlasste- bauliche und/oder organisatorische Maßnahmen abzuwenden, macht auch
der Berufungsvortrag des Landes nicht nachvollziehbar, zumal weder dargetan noch
erkennbar ist, dass die vom Land in erster Instanz selbst eingeräumte und unter Angabe
prozentualer Überbelegungsraten (Bl. 72 GA) als "massiv" bezeichnete Überbelegung
der JVA Detmold -und allein um diese geht es hier- sich so kurzfristig und überraschend
eingestellt hat, dass eine rechtzeitige Reaktion hierauf nicht (mehr) möglich war. Zu
berücksichtigen ist dabei weiter, dass allein ein Mangel an Haftplätzen keine
Rechtfertigung für eine -und sei es auch nur vorübergehende- menschenunwürdige
Unterbringung der Gefangenen ist, ebenso wenig wie fiskalische Gründe. Dass sich das
beklagte Land nach seinen Darlegungen bemüht, bestehende Missstände durch
Schaffung neuer Haftplätze und Modernisierung alter Haftanstalten zu beheben, kann
gleichfalls als zutreffend unterstellt werden, führt aber nicht an der Feststellung vorbei,
dass es in der Vergangenheit offensichtlich organisatorisch hingenommen wurde, dass
nach eigenem Vortrag des beklagten Landes in der JVA Detmold durchgängig eine
bestimmte Anzahl von Gefangenen menschenunwürdig untergebracht wurde, obwohl -
bezogen auf den hier interessierenden Zeitraum ab Mitte 2006- spätestens nach der
schon angesprochenen Entscheidung des 1. Strafsenats des OLG Hamm vom
65
20.01.2005 bei gewissenhafter Prüfung unter Berücksichtigung der von der
Rechtsprechung entwickelten Kriterien die Erkenntnis hätte greifen müssen, dass jeder
Gefangene bei Unterschreiten einer Mindestgröße des Haftraums unausweichlich
Beeinträchtigungen ausgesetzt ist, die einem Menschen allenfalls vorübergehend
zugemutet werden dürfen. Das beklagte Land kann sich insoweit auch nicht mit Erfolg
darauf zurückziehen, dass man auf Seiten der Verantwortlichen die Grenzen des
Vertretbaren in Bezug auf die Größe des Haftraumes hier noch nicht als überschritten
angesehen habe, da es sich hierbei gegebenenfalls um einen vermeidbaren
Verbotsirrtum gehandelt hätte. Weiterhin ist ein Verschulden hier auch nicht aus dem
Gesichtspunkt der sogenannten Kollegialgerichts-Richtlinie zu verneinen, da diese nur
gilt, wenn der konkrete Fall beurteilt worden ist, nicht dagegen auch dann, wenn der
Amtsträger sich allgemein auf Gerichtsentscheidungen berufen kann, die seine
Rechtsauffassung stützen (Staudinger/Wurm, BGB, Neubearbeitung 2007, § 839 Rn.
212 unter Hinweis auf BGH NVwZ-RR 2003, 166).
2.4.
66
Der dem Kläger zustehende Entschädigungsanspruch ist entgegen der Auffassung des
beklagten Landes nicht nach § 839 Abs. 3 BGB ganz oder teilweise ausgeschlossen,
weil der Kläger es versäumt hat, sich gegen die ihm zugemuteten Haftbedingungen zur
Wehr zu setzen.
67
Dass ein solcher -teilweiser oder auch gänzlicher- Anspruchsausschluss nach § 839
Abs. 3 BGB in Betracht kommt, wenn der Gefangene es versäumt, durch den
zumutbaren Gebrauch von Rechtsmitteln die Dauer seiner Unterbringung zu
menschenunwürdigen Bedingungen zu verkürzen, kann im Ausgangspunkt nicht
zweifelhaft sein und entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Senats, der
zugleich aber immer wieder darauf hingewiesen hat, dass es in Fallkonstellationen wie
der hier zu beurteilenden dem beklagten Land obliegt, darzulegen und im Bestreitensfall
auch nachzuweisen, dass mögliche Rechtsmittel des Gefangenen -und so auch hier
solche des Klägers- Erfolg gehabt und zur Beendigung seiner menschenunwürdigen
Haftunterbringung geführt hätten.
68
2.4.1.
69
Nach § 839 Abs. 3 BGB tritt die Ersatzpflicht nicht ein, wenn es der Verletzte vorsätzlich
oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels
abzuwenden. Es handelt sich dabei um eine besondere Ausprägung des
Mitverschuldensprinzips, das in seiner allgemeinen Form in § 254 BGB niedergelegt ist.
Die Bestimmung geht davon aus, dass nur demjenigen Schadensersatz zuerkannt
werden kann, der sich in gehörigem und ihm zumutbaren Maße für seine eigenen
Belange eingesetzt und damit den Schaden abzuwenden bemüht hat (vgl. BGH NJW
1971, 1694 f, 1695). Es soll nicht erlaubt sein, den Schaden entstehen oder größer
werden zu lassen, um ihn schließlich gewissermaßen als Lohn für eigene Untätigkeit,
dem Beamten oder dem Staat in Rechnung zu stellen (BGH NJW 1971, 1694 f, 1695).
Der Betroffene hat kein freies Wahlrecht zwischen dem primären Rechtsschutz und der
sekundären Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen (BVerfG NJW 2000,
1402). Anders als § 254 BGB führt die Regelung in § 839 Abs. 3 BGB bei jeder Form
schuldhafter Mitverursachung zum völligen Anspruchsverlust (MünchKomm/Papier,
BGB, 4. Auflage, § 839 Rn. 329).
70
Rechtsmittel i.S.d. § 839 Abs. 3 BGB sind dabei alle Rechtsbehelfe im weitesten Sinne,
die sich unmittelbar gegen ein bereits erfolgtes, sich als Amtspflichtverletzung
darstellendes Verhalten richten und darauf abzielen und geeignet sind, einen Schaden
dadurch abzuwenden oder zu mindern, dass dieses schädigende Verhalten beseitigt
oder berichtigt wird (BGH NJW 2003, 1208 f 1212 und NJW-RR 2004, 706;
Palandt/Sprau, BGB, 68. Auflage (2009), § 839 Rn. 69). Dazu gehören insbesondere
auch Gegenvorstellungen, Erinnerungen, Beschwerden und
Dienstaufsichtsbeschwerden (BGH NJW 1974, 639 f, 640) oder -hier von Interesse-
Verlegungsanträge an die Anstaltsleitung sowie Anträge nach §§ 109, 114 StVollzG.
71
Die Kausalität zwischen der Nichteinlegung des Rechtsbehelfs und dem
Schadenseintritt ist in der Regel zu bejahen, wenn über den Rechtsbehelf
voraussichtlich zugunsten des Geschädigten entschieden worden wäre; sie ist zu
verneinen, wenn die schädigende Amtspflichtverletzung durch den Rechtsbehelf nicht
mehr hätte beseitigt oder berichtigt werden können. Dabei ist grundsätzlich davon
auszugehen, wie die Behörde oder das Gericht richtigerweise hätte entscheiden
müssen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs, der der Senat folgt, nur, wenn eine Verwaltungsbehörde zur
Überprüfung ihres eigenen Handelns veranlasst werden soll (BGH NJW 1986, 1924)
oder wenn es um die (hypothetische) Entscheidung eines Gerichts geht und ersichtlich
eine einigermaßen zuverlässige Beurteilung, wie richtigerweise zu entscheiden
gewesen wäre, nicht ohne weiteres möglich ist (vgl. BGH NJW 2003, 1308 f, 1313).
72
Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Betroffene den Schaden durch
Einlegung eines Rechtsmittels hätte abwenden können, trägt der in Anspruch
genommene Schädiger (BGH NJW 1986, 1924 f, 1925; MünchKomm/Papier, BGB,
4. Auflage (2004), § 839 Rn. 333).
73
2.4.2.
74
Bei Anwendung dieser Grundsätze ist im Streitfall ein Anspruchsausschluss nach § 839
Abs. 3 BGB zu verneinen.
75
2.4.2.1.
76
Dem Kläger standen folgende Rechtsmittel zur Verfügung:
77
Gegen die Verlegung/Einweisung in den konkreten Haftraum konnte er sich beim Leiter
der Justizvollzugsanstalt über die ihm menschenunwürdig erscheinenden Umstände
beschweren. Blieb eine solche Beschwerde erfolglos, war während der Geltungsdauer
des Vorschaltverfahrensgesetzes NW (VorschverfG NW) binnen einer Woche
Widerspruch einzulegen (§ 3 Abs. 2 VorschverfG NW), der aber keine aufschiebende
Wirkung hatte (§ 2 Abs. 1 VorschVerfG NW). Half die Behörde dem Widerspruch nicht
ab, hatte sie ihn mit einer Stellungnahme der nächsthöheren Behörde vorzulegen, die
eine Widerspruchsentscheidung erließ. Gab diese dem Beschwerdebegehren nicht
statt, konnte dagegen binnen einer Frist von 2 Wochen nach § 109 StVollzG gerichtliche
Entscheidung beantragt werden, wobei auch dieser Antrag nach § 114 Abs. 1 StVollzG
keine aufschiebende Wirkung hatte. Allerdings bestand die Möglichkeit, nach § 114
Abs. 2 StVollzG die Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Maßnahme oder den
Erlass einer einstweiligen Anordnung zu beantragen, wobei dieser Antrag nach § 114
Abs. 3 StVollzG auch schon vor Stellung des Antrags nach § 109 StVollzG und gemäß §
78
1 Abs. 3 Satz 2 VorschverfG NW auch schon vor Entscheidung über den Widerspruch
zulässig war, soweit das wegen der besonderen Umstände des Falles geboten war.
2.4.2.2
79
Die Nichtergreifung dieser zur Verfügung stehenden Rechtsmittel ist nach ständiger
Rechtsprechung des Senats regelmäßig als schuldhaft anzusehen.
80
Wird bewusst davon abgesehen, bestehende Rechtsmittel zu ergreifen, liegt hierin ein
vorsätzliches Unterlassen. Soweit dem Gefangenen das dargelegte Rechtsmittelsystem
dagegen -wie der Kläger dies für sich in Anspruch nimmt- unbekannt gewesen sein
sollte, ist ihm gleichwohl Fahrlässigkeit anzulasten, da insoweit eine
Erkundigungspflicht durch Nachfrage bei fachkundigen Mitarbeitern in der Anstalt
(Sozialarbeiter, Betreuungspersonal) oder auch bei Mitgefangenen besteht, zur Not
auch die Hilfe eines Rechtsanwaltes in Anspruch zu nehmen ist, was dem Kläger -wie
die vorliegende, mit anwaltlicher Unterstützung vorbereitete Klage zeigt- auch nicht
unzumutbar war.
81
Ein Verschulden könnte allerdings ausgeschlossen sein, wenn die Ergreifung
bestehender Rechtsmittel unzumutbar war, was regelmäßig indes nicht der Fall ist. Eine
Unzumutbarkeit ergibt sich namentlich nicht bereits daraus, dass wegen der
permanenten Überbelegung der Justizvollzugsanstalt die Anstaltsleitung eine einem
Rechtsmittel stattgebende Entscheidung nur unter Verstoß gegen die Menschenwürde
eines anderen Gefangenen, der an Stelle des Antragstellers in den betreffenden
Haftraum hätte verlegt werden müssen, hätte erfolgen können. In dieser Situation stellt
sich das Absehen von Rechtsmitteln vielmehr so dar, dass der Antragsteller -statt
anderer Gefangener- die menschenunwürdige Behandlung hinnimmt und für dieses für
ihn freiwillige Opfer eine Entschädigung begehrt, was im Ergebnis auf ein dem
Amtshaftungsrecht fremdes, weil § 839 Abs. 3 BGB widersprechendes Wahlrecht
zwischen einerseits der Ergreifung von Rechtsmitteln und andererseits der Duldung und
anschließender Liquidation hinausliefe (Palandt-Sprau, aa0. § 839 Rn. 68).
82
2.4.2.3.
83
Bereits nach dem eigenen Vortrag des beklagten Landes lässt sich indes nicht mit der
erforderlichen Sicherheit feststellen, dass der Kläger im Falle der Ergreifung ihm zur
Verfügung stehender Rechtsmittel die Fortdauer seiner menschenunwürdigen
Unterbringung zeitlich vor deren tatsächlicher Beendigung hätte beenden können, was
zu Lasten des insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Landes geht.
84
Dass bereits einem schlichten Verlegungsantrag des Klägers seitens der Anstaltsleitung
stattgegeben worden wäre, erscheint vor dem Hintergrund der im maßgeblichen
Zeitraum nach eigenem Vortrag des beklagten Landes bestehenden, stark
angespannten Belegungssituation in der JVA Detmold und der hieraus resultierenden
Notwendigkeit einer gemeinschaftlichen Unterbringung von Gefangenen in nach ihrer
Größe unzureichenden Hafträumen ausgeschlossen. Auch für die Annahme, einem
allein auf die als unzureichend bemängelte Zellengröße gestützten Eilantrag des
Klägers wäre kurzfristig entsprochen worden, fehlt es an der erforderlichen
Tatsachengrundlage. Zwar weist das beklagte Land zutreffend darauf hin, dass der
bereits angesprochenen Entscheidung des 1. Strafsenats des OLG Hamm vom
20.01.2005 (1 Vollz (Ws) 147/04 OLG) eine -zuvor abschlägige- Entscheidung der
85
Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Detmold zugrunde lag, so dass mit einiger
Berechtigung davon ausgegangen werden kann, dass die in dieser Entscheidung
aufgestellten Beurteilungskriterien zur Feststellung einer menschenunwürdigen
Haftunterbringung (auch) von der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Detmold
bei Befassung mit einem Rechtsmittel des Klägers berücksichtigt worden wären.
Dessen ungeachtet erscheint aber fraglich, ob die Ausführungen des 1. Strafsenats zur
Zellengröße ausgereicht hätten, einem Rechtsmittel des Klägers bereits dort zum Erfolg
zu verhelfen. Näherliegend erscheint hier nach Einschätzung des Senats, dass ein
Rechtsmittel des Klägers erst im Rahmen des Rechtsbeschwerdeverfahrens Erfolg
gehabt hätte, was nach dem unbestrittenen Vortrag des beklagten Landes eine
Verfahrensdauer von 10 - 12 Wochen bis zur Entscheidung mit sich gebracht hätte.
Dass eine etwaige, dem Antrag des Klägers entsprechende Entscheidung anschließend
zeitnah umgesetzt und hierdurch die menschenunwürdige Haftunterbringung des
Klägers beendet worden wäre, lässt sich dabei ungeachtet gegenteiliger Behauptung
des beklagten Landes nicht mit der gebotenen Sicherheit feststellen. So lassen die
allein auf die Person des Klägers zugeschnittenen Darlegungen des beklagten Landes
zu Unrecht offen, wie viele Gefangene im maßgeblichen Zeitraum in der JVA Detmold
vergleichbaren -und damit ebenfalls menschenunwürdigen- Haftbedingungen
ausgesetzt waren und deshalb -wie der Kläger- eine Verlegung in angemessene
Hafträume beanspruchten oder denen nunmehr aus Anlass einer ebenfalls geltend
gemachten Entschädigung entgegengehalten wird, eine solche Verlegung nicht
beansprucht zu haben. Zu berücksichtigen ist dabei, dass die dem Kläger vorgeworfene
Versäumung bestehender Rechtsmittel schon dann nicht als ursächlich für die Fortdauer
seiner menschenunwürdigen Haftbedingungen angesehen werden kann, wenn auch
nur bei einem der betroffenen Gefangenen mangels ausreichender Kapazitäten der JVA
eine zeitnahe Beendigung der menschenunwürdigen Unterbringung nicht möglich war,
da in diesem Fall nicht auszuschließen ist, dass der Kläger derjenige gewesen wäre,
dessen Unterbringungssituation die JVA Detmold nicht zu seinem Vorteil verändern
konnte. Aus gleichen Gründen greift auch der Verweis des beklagten Landes auf eine
im Falle erfolgreicher Rechtsmitteleinlegung des Klägers mögliche Verlegung in die
JVA Münster nicht durch, so dass an dieser Stelle dahin stehen kann, ob diese JVA
überhaupt zur Aufnahme des Klägers bereit und von ihrer Ausrichtung her überhaupt für
eine dortige Strafverbüßung geeignet gewesen wäre.
86
Unerheblich ist auch, ob die menschenunwürdige Unterbringung des Klägers durch
einen Platztausch mit einem Gefangenen beendet werden konnte, der in einem nicht zu
beanstandenden Haftraum untergebracht war. Auch kann in diesem Zusammenhang
der Vortrag des Landes als richtig unterstellt werden, dass bekanntermaßen ein Teil der
Gefangenen freiwillig bereit sei, sich zur Vermeidung von Eintönigkeit, Langeweile oder
Einsamkeit gemeinschaftlich mit anderen Häftlingen unterbringen zu lassen und – nach
im Senatstermin abgegebener Erklärung des Prozessbevollmächtigten des beklagten
Landes – gar ein Handel über – mittels Wartelisten erworbene - Ansprüche auf
menschenwürdige Haftplätze unter den Gefangenen herrscht. All das rechtfertigt keine
von Vorstehendem abweichende Einschätzung, weil es dem beklagten Land von
Rechts wegen verwehrt ist, sich auf Handlungsalternativen zu berufen, die ihrerseits
wegen Verstoßes gegen die unantastbare und nicht disponible Menschenwürde
rechtswidrig sind und damit gegen den Schutzauftrag aus Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG
verstoßen.
87
2.5.
88
Der Höhe nach rechtfertigt die gegen die Menschenwürde verstoßende, nach den
insoweit unwidersprochenen Feststellungen des Landgerichts insgesamt 230 Tage
währende Unterbringung des Klägers in zu kleinen Hafträumen im Zeitraum Juni 2006
bis März 2007 eine Geldentschädigung in Höhe von 2.300,00 €.
89
2.5.1.
90
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (NJW 2005, 58 f, 59) ist der geltend
gemachte Schaden einerseits kein Vermögensschaden, andererseits auch kein bloßes
Schmerzensgeld im Sinne des § 253 Abs. 2 BGB. Es geht vielmehr um den Ausgleich
einer Verletzung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und des aus Art. 1 und Art. 2
Abs. 1 GG hergeleiteten allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Die Zubilligung einer
Geldentschädigung in bestimmten Fällen der Beeinträchtigung des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts beruht auf dem Gedanken, dass ohne einen solchen Anspruch
Verletzungen der Würde und Ehre des Menschen häufig ohne Sanktion blieben, mit der
Folge, dass der Rechtsschutz der Persönlichkeit verkümmern würde (BGH a.a.O.).
Anders als beim Schmerzensgeldanspruch steht bei dem Anspruch auf eine
Geldentschädigung wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der
Gesichtspunkt der Genugtuung des Opfers im Vordergrund.
91
Allerdings besteht zwischen der Feststellung einer Verletzung der Menschenwürde und
des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sowie der Zuerkennung einer
Geldentschädigung kein zwingendes Junktim. Auch wenn dem Recht des Einzelnen auf
Achtung seiner Menschenwürde nach der Verfassung höchste Bedeutung zukommt,
fordert eine festgestellte Menschenrechtsverletzung nicht zwangsläufig eine
Wiedergutmachung durch Zuerkennung einer Geldentschädigung. Vielmehr steht ein
dahin gehender Anspruch des Betroffenen unter der weiteren Voraussetzung, dass die
Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend ausgeglichen werden kann und
zudem die Verletzung der Menschenwürde ein Mindestmaß an Schwere erreicht, d.h.
die sogenannte Erheblichkeitsschwelle überschreitet. Um das festzustellen, sind
Bedeutung und Tragweite des Eingriffs ebenso in die Betrachtung einzubeziehen wie
Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie der Grad des ihm anzulastenden
Verschuldens (OLG Karlsruhe NJW-RR 2005, 1267 f, 1268; OLG Karlsruhe VersR 2009,
360). Geht es wie hier um die menschenunwürdige Unterbringung eines
Strafgefangenen, ist für die Feststellung einer die Erheblichkeitsschwelle
überschreitenden Verletzung der Menschenwürde und des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts auf die Gesamtumstände des Einzelfalls abzustellen und danach
neben der Dauer der Unterbringung deren physische oder psychische Folgen für den
Betroffenen in den Blick zu nehmen, wobei allerdings festzustellen ist, dass die
Zubilligung einer Geldentschädigung entgegen der Auffassung des beklagten Landes
nicht davon abhängt, dass durch die menschenunwürdige Haftunterbringung körperliche
und/oder psychische Schäden verursacht wurden, da aus dargelegten Gründen die
Genugtuungsfunktion im Vordergrund stehen muss, um so einen angemessenen
Rechtsschutz der Persönlichkeit zu gewährleisten, der zu verkümmern drohte, falls
Verletzungen der Würde und der Ehre sanktionslos blieben. Wesentlich sind danach vor
allem das Ausmaß der dem betroffenen Strafgefangenen zugemuteten Beeinträchtigung
auf der einen sowie der Grad des hierfür verantwortlichen Organisationsverschuldens
des beklagten Landes auf der anderen Seite.
92
Dass die Inhaftierung in einem Haftraum mit einer Grundfläche von weniger als 5 m² pro
93
Gefangenem aufgrund der daraus resultierenden Einschränkung seines
Bewegungsfreiraums wie auch des fast gänzlichen Verlustes jeglicher Intimsphäre sich
als schwerwiegender Eingriff in die Menschenwürde angesehen werden muss, liegt
dabei nach Auffassung des Senats in der Natur der Sache und lässt sich entgegen der
Auffassung des beklagten Landes insbesondere nicht mit dem Einwand in Frage
stellen, da der Kläger sich nicht durch Einlegung von Rechtsmitteln gegen seine
menschenunwürdige Haftunterbringung zur Wehr gesetzt habe, könne er diese auch
nicht als besonders schlimm empfunden haben. Denn damit würde zu Unrecht der
Umstand negiert, dass mögliche Rechtsmittel des Klägers aus dargelegten Gründen nur
ungewisse Aussicht auf Erfolg boten, den betroffenen Gefangenen zudem aber auch
durch die Führung sogenannter Wartelisten in der JVA der Eindruck vermittelt wurde,
allenfalls auf diesem Wege eine angemessene, die Menschenwürde wahrende
Haftunterbringung erreichen zu können. Dass die Einrichtung der angesprochenen
Wartelisten - wie bereits erwähnt - nach im Senatstermin abgegebener Erklärung des
Prozessbevollmächtigten des beklagten Landes dazu geführt haben soll, dass sich in
den Anstalten eine Art Subkultur gebildet hat, die sich darin niederschlägt, dass
Wartelistenplätze gegen Überlassung von Zigaretten gleichsam verschachert werden,
mag in diesem Zusammenhang als zutreffend unterstellt werden, rechtfertigt allerdings
zum einen keinen Rückschluss auf die Person des Klägers und gibt zum anderen
Veranlassung zu dem -wiederholten- Hinweis darauf, dass die Menschenwürde nicht
disponibel und es daher Sache der jeweiligen Anstaltsleitung ist, derartigen
Auswüchsen durch geeignete Maßnahmen zu begegnen.
Demgegenüber misst der Senat dem Organisationsverschulden des beklagten Landes,
das es versäumt hat, rechtzeitig geeignete Vorkehrungen zu treffen, um für jeden
Gefangenen die (räumlichen und sachlichen) Voraussetzungen einer
menschenwürdigen Haftunterbringung zu schaffen, durchaus erhebliches Gewicht bei,
weshalb es im Streitfall geboten erscheint, dem Kläger zur Vermittlung einer
angemessenen Genugtuung für die ihm zugefügte Verletzung seiner Menschenwürde
und seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts eine Geldentschädigung zuzubilligen.
Auch wenn die gegen die Menschenwürde verstoßende Unterbringung des Klägers hier
aus dem Zwang der akuten Überbelegung der JVA Detmold resultierte und nicht etwa
Ausfluss einer bewusst schikanöse Behandlung gerade des Klägers war, beruhte sie
doch letztlich auf einem durchaus erheblichen Versäumnis des beklagten Landes. Auch
unter Berücksichtigung seines Berufungsvortrags vermag der Senat nicht zu erkennen,
dass das Land geeignete Maßnahmen ergriffen hat, die seit Jahren bekannte
Problematik (zutreffend schon OLG Celle NJW-RR 2004, 380) der Überbelegung der
Justizvollzugsanstalten und die Frage der trotz beengter finanzieller Verhältnisse
erforderlichen und verfassungsrechtlich gebotenen menschenwürdigen Unterbringung
von Gefangenen gerade auch mit Blick auf die Verhältnisse in der JVA Detmold zu
lösen.
94
2.5.2.
95
Der Senat zieht in ständiger Rechtsprechung, von der abzuweichen der Streitfall keine
Veranlassung gibt, unter den dargelegten Voraussetzungen eine Entschädigung in
Höhe einer Bandbreite von 10 € bis zu 30 € je Tag für menschenunwürdige
Unterbringungen der hier in Rede stehenden Art in Betracht. Welcher Betrag innerhalb
dieser Bandbreite im konkreten Fall angemessen ist, hängt jeweils von den konkreten
Umständen der Unterbringung ab. Der Senat hält dabei trotz vereinzelter Kritik an dem
Tagessatzsystem fest, weil allein dies vom Ansatz her die gebotene Gleichbehandlung
96
vergleichbarer Fallgestaltungen sicherstellt. Die genannte Bandbreite von 10 € bis 30 €
eröffnet die Möglichkeit, Bedeutung und Tragweite des Eingriffs im Einzelfall
angemessen zu berücksichtigen und trägt zudem dem nicht unerheblichen
Organisationsverschulden des haftenden Landes Rechnung. Dabei ist besonders zu
berücksichtigen, dass aufgrund der mangelnden Kapazitäten der Justizvollzugsanstalt
zwangsläufig ständig eine bestimmte Anzahl an Gefangenen menschenunwürdig
untergebracht war und die jeweiligen Gefangenen, denen diese Unterbringung auferlegt
wurde, das als Zusatzstrafe empfinden mussten.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts hält der Senat es dagegen nicht für
sachgerecht, die Höhe der zuzubilligenden Entschädigung an der Höhe der durch das
Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) für den Fall
unschuldig erlittener Haft geregelten Geldentschädigung auszurichten und so gemäß
§ 7 Abs. 3 StrEG mit pauschal 11,00 € täglich zu bemessen. Nach der Intention des
StrEG, das einen Aufopferungsanspruch gesetzlich regelt (BGHZ 72, 302 ff, 305), sollen
nur die üblichen Unzuträglichkeiten, die die Haft mit sich bringt, ausgeglichen werden.
Daneben bleiben aber Ansprüche außerhalb des StrEG wegen atypischer Folgen des
Vollzugs oder der rechtswidrigen Anordnung der Haft bestehen (BGH VersR 1993, 972).
97
Auch wenn es hier um Ausgleich und Genugtuung für eine schuldhafte Beeinträchtigung
durch unzulässige Haftbedingungen geht, muss dieser Eingriff nicht ohne Weiteres
schwerer wiegen als der Verlust der Freiheit (vgl. KG OLGReport 2005, 813 f, 814). Zu
beachten ist daneben, dass die Entschädigung nach dem StrEG
verschuldensunabhängig gewährt wird, während eine Entschädigung unter
Amtshaftungsgesichtspunkten ein Verschulden voraussetzt. Hinzu kommt, dass in den
nach StrEG zu entschädigenden Fällen die Untersuchungs- bzw. Strafhaft nur bei
rückblickender Betrachtung als ungerechtfertigt anzusehen ist, während es sich hier um
einen von vornherein rechtswidrigen Eingriff handelt (OLG Hamburg OLG-Report 2005,
306), der dem betroffenen Gefangenen infolge von Organisationsmängeln des Landes
bewusst zugefügt worden ist.
98
Die Abwägung dieser Umstände lässt allein aufgrund der objektiven Gegebenheiten der
Unterbringung -ohne die zusätzliche Berücksichtigung im Einzelfall etwa in Betracht
kommender weiterer subjektiver Beeinträchtigungen- eine Entschädigung von unter 10
€ oder über 30 € täglich regelmäßig ausgeschlossen erscheinen.
99
2.5.3.
100
Welcher Betrag innerhalb der genannten Bandbreite im Einzelfall angemessen ist,
hängt jeweils von den konkreten Umständen der in Rede stehenden Unterbringung ab.
101
Dabei ist insbesondere das Ausmaß der Beeinträchtigungen in den Blick zu nehmen
und auch die Frage, in welchem zeitlichen Umfang der Gefangene täglich den
menschenunwürdigen Bedingungen ausgesetzt war, ohne sich dem in zumutbarer
Weise entziehen zu können, zu berücksichtigen. Soweit Beeinträchtigungen im
Zusammenhang mit der Person und oder dem Verhalten des oder der Mitgefangenen
hergeleitet werden -die der Kläger aber ohnehin nicht geltend macht-, kommt dem
regelmäßig eine Entschädigungsrelevanz nur zu, wenn der Gefangene gerade dadurch
in seiner körperlichen Unversehrtheit oder in seinem körperlichen Wohlbefinden
(zusätzlich) unzumutbar beeinträchtigt ist. Wenn sich dagegen keine Besonderheiten
aus den konkreten Umständen der Unterbringung ergeben, die die Beeinträchtigung als
102
besonders erschwerend oder andererseits als weniger gravierend erscheinen lassen,
erscheint in den Augen des Senats bei einer gemeinschaftlichen Unterbringung in
Überbelegung ohne hinreichend abgetrennten und/oder gesondert entlüfteten
Sanitärbereich in der Regel ein Mittelwert von 20 € pro Tag als Entschädigung
angemessen, während die Unterbringung in einer Zelle ohne Überbelegung mit
abgetrennter, aber nicht gesondert entlüfteter Toilette wie auch die in einer überbelegten
Zelle mit nicht zu beanstandender Toilettensituation im Regelfall nur einen an der
unteren Grenze liegenden Betrag von 10 € pro Tag rechtfertigt. Der Senat steht mit
dieser Beurteilung im Einklang mit der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte, die
in vergleichbaren Fällen einer gemeinschaftlichen Unterbringung ohne hinreichend
abgetrennten Sanitärbereich Entschädigungsbeträge von 20 € (KG OLG Report 2005,
813; OLG Karlsruhe NJW-RR 2005, 1267 <2.000,00 € für 98 Tage>) bzw. 25 € (OLG
Hamburg OLG Report 2005, 306) in Betracht gezogen haben. Soweit darüber hinaus
auch Beträge von 50 € (OLG München NJW 2007, 1986) oder gar 100 € (OLG Celle
NJW 2003, 2463) diskutiert worden sind, vermag sich der Senat dem nicht
anzuschließen.
Daraus folgt für den vorliegenden Fall, dass dem Kläger nach den Feststellungen des
Landgerichts für den insgesamt 230 Tage währenden Zeitraum seiner Unterbringung in
den für die jeweilige Belegung zu kleinen, ansonsten aber mit einer den zu stellenden
Anforderungen genügenden Toilette ausgestatteten Hafträumen C4 und C3 im Zeitraum
Juni 2006 bis März 2007 ein Entschädigungsanspruch in Höhe von 2.300,00 €
zuzubilligen ist.
103
3.
104
Der mit der Berufung geltend gemachte Anspruch des Klägers auf Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 16.10.2007 ist als Anspruch auf
Verzugszinsen gemäß §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB berechtigt. Mit an diesem Tag
erfolgtem (Bl. 16 GA) Zugang des Prozesskostenhilfegesuchs des Klägers waren die
Voraussetzungen des § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB erfüllt, weil das
Prozesskostenhilfegesuch zugleich als Zahlungsaufforderung zu verstehen ist.
105
4.
106
Die Hilfsaufrechnung des beklagten Landes geht dagegen ins Leere. Der Senat ist
insoweit nicht an die abweichenden rechtlichen Erwägungen des Landgerichts
gebunden, da das Berufungsgericht auch ohne einen -hier fehlenden- Berufungsangriff
(des Klägers) im Rahmen einer zulässigen Berufung die materiell-rechtliche Prüfung
nicht auf die Berufungsgründe beschränken darf (Musilak/Ball, ZPO, 4. Aufl. § 520 Rn.
1).
107
Ob die Aufrechnung des beklagten Landes bereits an der Bestimmung des § 393 BGB
scheitert, die eine Aufrechnung gegen eine Forderung aus einer vorsätzlich
begangenen unerlaubten Handlung für unzulässig erklärt, erscheint dabei im Streitfall
zwar zweifelhaft, da ein vorsätzliches Handeln des beklagten Landes bei einem allein
an die unzureichende Größe des dem Kläger zugemuteten Haftraums anknüpfenden
Verschuldensvorwurfs eher fern liegt, kann letztlich aber dahin stehen, da die
Aufrechnung jedenfalls an § 242 BGB scheitert. Der Senat folgt insoweit der
Rechtsprechung des OLG Karlsruhe (VersR 2009, 360), das zu Recht feststellt, dass die
Aufrechnung des beklagten Landes sich in Fallkonstellationen wie der hier zu
108
beurteilenden als unzulässige Rechtsausübung darstellt. Zur Begründung wird dabei
zutreffend darauf verwiesen, dass den Grundrechten und hier vor allem dem -vorliegend
verletzten- Grundrecht auf Menschenwürde (Art. 1 GG) bei der im Rahmen der
Generalklausel des § 242 BGB erforderlichen Interessenabwägung eine entscheidende
Bedeutung zukommt, da sie das Ergebnis gesellschaftlicher und gesetzgeberischer
Grundentscheidungen sind. Schon von daher erscheint es nicht gerechtfertigt, dem
beklagten Land die Möglichkeit zu eröffnen, gegen einen durch die Verletzung der
Menschenwürde begründeten Entschädigungsanspruch des Betroffenen mit einer
Gegenforderung aus einer einfachgesetzlichen Bestimmung aufzurechnen. Dies um so
weniger vor dem Hintergrund, dass eine finanzielle Entschädigung bei Verletzung der
Menschenwürde wie dargelegt ohnehin nur unter der Voraussetzung gewährt wird, dass
die Beeinträchtigung erheblich war und nicht in anderer Weise befriedigend
ausgeglichen werden kann, zudem aber auch auf der Erwägung beruht, dass ohne
einen solchen Anspruch Verletzungen der Würde und Ehre des Menschen häufig ohne
Sanktionen blieben mit der Folge, dass der Rechtsschutz der Persönlichkeit
verkümmern würde, überdies aber auch bei dem Anspruch auf immaterielle
Entschädigung wegen Verletzung der Menschenwürde die Genugtuungsfunktion des
Verletzten im Vordergrund steht (OLG Karlsruhe, aa0. unter Hinweis auf BGHZ 161, 33).
Diese Genugtuungsfunktion würde konterkariert, ließe man eine Aufrechnung des
beklagten Landes mit einem bestehenden Anspruch auf Erstattung angefallener
Strafverfahrenskosten zu.
Gegenteiliges ergibt sich hier auch nicht aus der Art des Anspruchs, den das beklagte
Land gegen den Kläger hat. Auch wenn im Rahmen des § 242 BGB stets eine
"Gegenabwägung" durchzuführen, hier also in die Gesamtbetrachtung auch
einzustellen ist, aus welchem Anspruchsgrund die Forderung des beklagten Landes
gegen den Kläger herrührt, führt dies vorliegend allein zu der Feststellung, dass die hier
zur Aufrechnung gestellten Strafverfahrenskosten zwar im Zusammenhang mit einer
durch den Kläger begangenen Straftat stehen, dessen ungeachtet aber nicht
angenommen werden kann, dass der Kläger diese Kosten im Verhältnis zum beklagten
Land vorsätzlich verursacht hat (OLG Karlsruhe, aa0.).
109
5.
110
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 2 ZPO. Der Senat hat dabei
neben dem Umfang des wechselseitigen Obsiegens und Unterliegens der Parteien
berücksichtigt, dass die Berufung des beklagten Landes allein aufgrund der erstmals in
der Berufungsinstanz erhobenen Verjährungseinrede Erfolg hat, da ansonsten auch die
beanstandete Haftunterbringung des Klägers im Jahr 2003 aus dargelegten Gründen
die Zubilligung einer Geldentschädigung jedenfalls in der vom Kläger geforderten Höhe
rechtfertigte.
111
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711
ZPO.
112
Der Senat hat für das beklagte Land die Revision zugelassen, da die Rechtssache
hinsichtlich der für die Verurteilung des beklagten Landes maßgeblichen Erwägungen
grundsätzliche Bedeutung hat und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
eine Entscheidung des Revisionsgerichts erforderlich erscheint, § 543 Abs. 2 ZPO.
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