Urteil des OLG Hamm vom 19.07.2004

OLG Hamm: wiedereinsetzung in den vorigen stand, bewährung, anfechtung, ausschluss, vergleich, scheidung, gerichtsgebühr, verschulden, körperverletzung, vollstreckung

Oberlandesgericht Hamm, 2 Ws 143/04
Datum:
19.07.2004
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ws 143/04
Vorinstanz:
Landgericht Bochum, 14 Ns 600 Js 44/02
Tenor:
Dem Nebenkläger wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der
sofortigen Beschwerde gewährt.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung des Urteils der 14. kleinen
Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 30. Oktober 2003 wird
dahingehend ergänzt, dass der Verurteilte die dem Nebenkläger in der
Berufungsinstanz erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen hat.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Nebenkläger
insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt der Verurteilte.
G r ü n d e :
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I.
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Der Angeklagte wurde durch Urteil des Amtsgerichts Bochum vom 30. Januar 2003
wegen einer zum Nachteil des Nebenklägers begangenen gefährlichen
Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Die Vollstreckung
der Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Zugleich sind ihm die Kosten des
Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Nebenklägers, dessen Nebenklage
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mit Beschluss vom 30. Dezember 2002 zugelassen worden war, auferlegt worden. Die
rechtzeitig eingelegte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Bochum durch
Urteil vom 30. Oktober 2003 mit der Maßgabe verworfen, dass er unter Strafaussetzung
zur Bewährung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt wurde. Zuvor hatte
der Angeklagte seine zunächst unbeschränkt eingelegte Berufung in der
Berufungshauptverhandlung vom 30. Oktober 2003 mit Zustimmung der
Staatsanwaltschaft auf die Überprüfung des Strafmaßes beschränkt.
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Eine Entscheidung über die Auferlegung der notwendigen Auslagen des Nebenklägers
ist im Berufungsurteil versehentlich unterblieben. Eine Belehrung des in der
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Berufungshauptverhandlung anwesenden Nebenklägers über das Rechtsmittel der
sofortigen Beschwerde gegen die Kostenentscheidung ist ebenfalls unterlassen
worden.
Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 16. März 2004 -eingegangen beim
Landgericht Bochum am 18. März 2004- hat der Nebenkläger die Wiedereinsetzung
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in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen
Beschwerde beantragt und gleichzeitig sofortige Beschwerde gegen die unterlassene
Kostenentscheidung eingelegt.
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II.
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Sein rechtzeitig gestellter Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist zulässig
und begründet.
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Mit der Urteilsverkündung in Gegenwart des Nebenklägers war ihm die unterlassenen
Auferlegung seiner im Berufungsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen auf
den Angeklagten bekannt gemacht worden (vgl. § 35 Abs. 1 StPO), sodass die Frist zur
Einlegung der sofortigen Beschwerde an sich eine Woche danach abgelaufen war ( vgl.
§ 311 Abs. 2 StPO).
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Da die Belehrung des Nebenklägers über das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde
gegen die Kostenentscheidung (vgl. § 464 Abs. 3 StPO) aber unterblieben war, war er
ohne sein Verschulden (vgl. § 44 Satz 2 StPO) daran gehindert, die Frist zur Einlegung
der sofortigen Beschwerde einzuhalten. Mit Schriftsatz vom 16. März 2004 hat der
Bevollmächtigte des Nebenklägers das zuvor aufgrund der fehlenden Belehrung
unterbliebene Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegen die Kostenentscheidung
des Urteils des Landgerichts Bochum vom 30. Oktober 2003 eingelegt, nachdem er am
selben Tage Akteneinsicht erhalten und von der unterbliebenen Belehrung erfahren
hatte. Der Wiedereinsetzungsantrag ist damit rechtzeitig innerhalb einer Woche nach
Wegfall des Hindernisses gestellt worden und begründet
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(vgl. Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 44 Rdn. 22 m. w. N.).
12
III.
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Die sofortige Beschwerde des Nebenklägers gegen die im Berufungsurteil unterlassene
Auferlegung seiner notwendigen Auslagen auf den Angeklagten ist auch zulässig und
begründet.
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Sie ist statthaft (vgl. OLG Hamm VRS 101, 210, 211; OLG Hamm, Beschluß vom
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26. Oktober 2000 –5Ws 203/00-, LR-Hilger, StPO, 25. Aufl., § 464 Rn. 32).
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Ihr steht die Vorschrift des § 464 Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz StPO nicht entgegen.
Danach ist die sofortige Beschwerde gegen eine Entscheidung über die Kosten und
Auslagen unzulässig, wenn eine Anfechtung der in Absatz 1 des § 464 StPO genannten
Hauptentscheidung durch den Beschwerdeführer nicht statthaft ist. Dies wird
übereinstimmend dahingehend verstanden, dass die Kostenbeschwerde unzulässig ist,
wenn die Hauptentscheidung schon nach ihrer Art schlechthin nicht angefochten
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werden kann oder die betreffende Person grundsätzlich –unabhängig von der Frage der
Beschwer im Einzelfall- zur Einlegung eines Rechtsmittels nicht befugt ist ( vgl. OLG
Karlsruhe, VRS 106, 388 m.w.N.; OLG Düsseldorf VRS 96, 222).
Uneinigkeit besteht in diesem Zusammenhang über die Bedeutung der in § 400
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Abs. 1 StPO vorgenommene Einschränkung des Anfechtungsrechts des Neben-
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klägers, wonach dieser ein Urteil u.a. nicht mit dem Ziel anfechten kann, dass eine
andere Rechtsfolge der Tat verhängt wird. Soweit der Senat in Übereinstimmung
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mit Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte bisher zu dieser Regelung die
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Auffassung vertreten hat, dass sie nach § 464 Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz StPO
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zur Unzulässigkeit der Kostenbeschwerde führe (vgl. Senatsbeschlüsse vom
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22. Februar 2001 in 2 Ws 37/01, veröffentlicht in NStZ-RR 2001, 288 und vom
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12. Juli 2001 in 2 Ws 141/01, veröffentlicht in AGS 2001, 249, VRS 101, 210 und ZAP
EN-Nr. 721,01; OLG Frankfurt NStZ-RR 1996, 128; OLG Stuttgart NStZ 1989, 548), hält
er an dieser Auffassung nicht mehr fest. Vielmehr folgt er der im Vor-
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dringen begriffenen Ansicht, wonach es sich bei der Vorschrift des § 400 Abs. 1 StPO
lediglich um einen gesetzlich geregelten, generellen Ausschluss der Beschwer des
Nebenklägers handelt, der die Statthaftigkeit des Rechtsmittels gegen die
Hauptentscheidung ebensowenig wie eine mangelnde Beschwer im Einzelfall beseitigt
und damit die Zulässigkeit der Kostenbeschwerde nicht berührt (OLG Karlsruhe, VRS
106, 388; LR-Hilger, 25. Aufl., § 464 Rn. 57 m.w.N.; 3. Strafsenat des hiesigen
Oberlandesgerichts in ständiger Rechtsprechung, siehe Beschluss
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vom 18. September 2001 in 3 Ws 372/01 m.w.N.). Eine dahingehende Ausle-
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gung folgt aus einem Vergleich der den Bestimmungen der § 464 Abs. 3, Satz 1,
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2. Halbsatz StPO und des § 400 Abs. 1 StPO zugrunde liegenden amtlichen
Begründungen der Regierungsentwürfe (vgl. OLG Düsseldorf, VRS 96, 222 mit näheren
Darlegungen). Anerkannt ist, dass auch eine unterlassene Kostenent-
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scheidung mit dem Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde angefochten werden kann
(vgl. Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 464 Rn. 16).
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IV.
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Die demnach zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
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Nach § 473 Abs. 1 S. 2 StPO sind dem Angeklagten die Kosten eines erfolglos
eingelegten Rechtsmittels aufzuerlegen. Das gilt unabhängig von dem Umstand, dass
der Nebenkläger gemäß § 400 Abs. 1 StPO nicht zur Anfechtung des erstinstanzlichen
Urteils berechtigt war. Aufgrund des Regelungsgehaltes nach § 395 Abs. 4 StPO darf
sich der Nebenkläger in jeder Lage des Verfahrens der erhobenen öffentlichen Klage
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anschließen. Daraus ergibt sich die Konsequenz, dass er auch in jedem Fall berechtigt
ist, sich am Berufungsverfahren zu beteiligen (OLG Hamm, VRS 101, 210, 212; OLG
Hamm, Beschluss vom 4. März 2003 - 1 Ws 63/03 -). Das gilt selbst dann, wenn sich der
Angeklagte mit seinem Rechtsmittel nur gegen den Rechtsfolgenausspruch wendet, da
auch insoweit dem Nebenkläger ein berechtigtes Interesse an der Teilnahme an der
Hauptverhandlung nicht abgesprochen werden kann.
Eine Entscheidung über die erstinstanzlich entstandenen Auslagen des Nebenklägers
ist dagegen nicht veranlasst. Insoweit sind durch das erstinstanzliche Urteil vom
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30. Januar 2003 die notwendigen Auslagen des Nebenklägers dem Angeklagten
auferlegt worden. Entgegen der von der Rechtspflegerin beim Amtsgericht Bochum
vertretenen Ansicht ist diese Kostenentscheidung nicht etwa durch das Urteil des
Berufungsgericht hinfällig geworden.
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Vielmehr führt eine erfolgreiche Berufung nur insoweit zur Abänderung auch der
erstinstanzlichen Kosten- und Auslagenentscheidung, als durch die mit der Berufung
erreichte Änderung der Hauptentscheidung dieser Kostenentscheidung die Grundlage
entzogen wird (vgl. OLG Düsseldorf JurBüro 1985, 898; OLG Karlsruhe
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MDR 1990, 464 m.w.N.). Ist das Rechtsmittel auf die Überprüfung der Rechtsfolgen
beschränkt, so ist demnach eine Änderung der Kostenentscheidung nicht geboten. Aus
dem vorliegenden Berufungsurteil ergibt sich nichts anderes. Zwar ist der Tenor der
Kostenentscheidung im ersten Satz nicht, wie es aus Gründen der Klarstellung
wünschenswert wäre, so formuliert, dass ausdrücklich nur von den Kosten des
"Berufungsverfahrens" die Rede ist. Soweit dort weiter ausgesprochen ist, dass die
"Gerichtsgebühr um ¼ ermäßigt" wird, handelt es sich um die entstandene
Berufungsgebühr. Ebenso bezieht sich der nachfolgende Satz, mit dem in dem gleichen
Umfang die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der
Landeskasse auferlegt werden, ersichtlich auf das Berufungsverfahren. Eine
Zusammenschau der Kostenentscheidung ergibt damit eindeutig, dass eine Änderung
der erstinstanzlichen Kostenentscheidung entsprechend der oben dargestellten
Rechtslage nicht erfolgt ist.
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Eine Festsetzung der dem Nebenkläger in erster Instanz entstandenen notwendigen
Auslagen ist daher bereits aufgrund der Kostenentscheidung des Amtsgericht möglich.
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Die Kostenentscheidung des Beschwerdeverfahrens folgt aus einer analogen
Anwendung des § 473 Abs. 3 StPO sowie aus § 473 Abs. 7 StPO.
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