Urteil des OLG Hamm vom 11.12.2006

OLG Hamm: erblasser, erbschein, gemeinschaftliches testament, einziehung, pflichtteil, nachlassgericht, nacherbschaft, unrichtigkeit, urlaub, eltern

Oberlandesgericht Hamm, 15 W 94/06
Datum:
11.12.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
15. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
15 W 94/06
Vorinstanz:
Landgericht Arnsberg, 6 T 2/06
Tenor:
Die weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Beteiligte zu 1) hat der Beteiligten zu 2) deren außergerichtliche
Kosten für das Verfahren dritter Instanz zu erstatten.
Die Wertfestsetzung für das Verfahren der weiteren Beschwerde erfolgt
durch gesonderte Beschlussfassung.
G r ü n d e :
1
I.
2
Der am 30.7.1925 geborene Erblasser war in einziger, am 24.7.1956 geschlossener
Ehe mit der am 3.12.1929 geborenen und am 4.10.2003 nachverstorbenen I2
verheiratet. Die Beteiligte zu 1) ist das gemeinsame Kinder der Eheleute I. Die Beteiligte
zu 2) wurde am 14.12.1956 geboren. Der Erblasser ist nicht ihr leiblicher Vater, wobei
zwischen den Beteiligten jedoch streitig ist, ob ihm dies bekannt war.
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Im Jahr 1973 lies sich der Erblasser hinsichtlich der Gestaltung eines Testamentes vom
X Landwirtschaftsverband e.V., Kreisverband B, beraten. In einem Schreiben des
Landwirtschaftsverbandes vom 3.12.1973 an den Erblasser heißt es hierzu:
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"Unter Berücksichtigung der von Ihnen geschilderten Verhältnisse schlagen wir
Ihnen zunächst das in der Anlage beigefügte gemeinschaftliche Testament vor,
wonach Ihre Ehefrau zunächst Eigentümer des Hofes wird. Wir machen Sie darauf
aufmerksam, daß dieses Testament von Ihnen gemeinsam abgefaßt werden muss
[...]. Wir machen Sie darauf aufmerksam, daß dieses Testament nur gemeinsam
wieder geändert werden kann. Das würde insbesondere auch Gültigkeit haben
bezüglich der Erbeinsetzung ihrer Tochter I3. Was die Abfindung der Tochter I4
angeht, haben wir zunächst vorgesehen, daß diese auf den Pflichtteil, also die
Hälfte des gesetzlichen Erbteils gesetzt wird. Es bleibt Ihnen bzw. Ihrer evtl.
überlebenden Ehefrau unbenommen, weitere und höhere Abfindungen an Ihre
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Tochter auszuzahlen. [...]
Dem Schreiben war der Entwurf eines gemeinschaftlichen Testaments mit folgendem
Inhalt beigefügt:
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"Wir, die unterzeichneten Eheleute [...] setzen uns hiermit gegenseitig zu Erben
unseres gesamten Sach- Bar- und Grundvermögens ein. Nach dem Tode des
Letztlebenden von uns soll unsere jüngste Tochter I3 [...] Erbe unseres gesamten
Grundvermögens werden, [...]. Unsere gemeinsame Tochter I4 [...] wird von uns
bezüglich des Erbanspruchs auf den Pflichtteil gesetzt. Es bleibt dem
Überlebenden von uns unbenommen, ihr je nach ihrem Verhalten weitere
Ansprüche zuzubilligen."
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Der Erblasser errichtete am 30.8.1976 kurz vor Antritt eines gemeinsamen Urlaubs mit
seiner Ehefrau ein handschriftliches Einzeltestament folgenden Inhalts:
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"Hiermit vermache ich, mein gesamtes Vermögen nach meinem Tode meiner Frau I
geb. C. Sollte meine Frau ebenfalls sterben so gilt folgendes. Mein gesamtes
Vermögen wie Grundstücke, Häuser, Geld, lebendes wie totes Inventar bekommt I3
geb. 2.6.60 Nach ihrem 21. Lebensjahr, wenn sie finanziell in der Lage ist; hat sie
I4 geb. 14.12.56 20,000 DM. zwangzigtausend auzuzahlen. Sollte I3 den Besitz
später verkaufen hat sie noch 10 % vom Reinerlös an I4 abzugeben."
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Nach dem Tode des Erblassers am 12.5.1977 beantragte die Ehefrau am 28.6.1977 die
Erteilung eines Erbscheins, der sie als Alleinerbin ausweist, und erklärte hierzu:
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"Nach dem handschriftlichen Testament vom 30.8.1976 bin ich Alleinerbin meines
Mannes geworden. Es gilt nur der 1. Absatz des Testamentes. Der 2. und 3. Absatz
des Testaments sollten nur gelten falls ihm und mir auf unserer Urlaubsreise, die
wir 1 Tag oder 2 Tage nach der Errichtung des Testamentes zusammen angetreten
haben, etwas zustoßen sollte.
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Meine Kinder sind mit dieser Auslegung des Testamentes einverstanden, da sie
wissen, daß mein Mann das Testament so verstanden haben möchte."
12
Nachdem es den Beteiligten – die Beteiligte zu 1) war zu diesem Zeitpunkt noch
minderjährig und wohnte bei ihrer Mutter – Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben
hatte, erteilte das Nachlassgericht am 17.8.1977 den beantragten Alleinerbschein.
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Die Ehefrau des Erblassers errichtete ihrerseits am 23.7.2002 ein Testament, welches
sie durch zwei Nachträge am 29.4.2003 noch ergänzte. Die Auslegung dieser
letztwilligen Verfügungen ist zwischen den Beteiligten im Verfahren 11 VI 200/2003 AG
Arnsberg ebenfalls streitig. In diesem Testament hat die Mutter der Beteiligten u.a. über
Grundstücke, die zum Nachlass des Erblassers gehörten, verfügt, und zwar
überwiegend zugunsten der Beteiligten zu 2).
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Die Beteiligte zu 1) hat am 21.4.2004 die Einziehung des Erbscheins vom 17.8.1977 als
unrichtig und die Erteilung eines neuen Erbscheins beantragt, der sie als alleinige
Nacherbin ausweisen soll.
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Sie hat hierzu vorgetragen: Der Erblasser habe seine Ehefrau zur Vorerbin und sie
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selbst zur Nacherbin eingesetzt. Dies folge bereits aus der Formulierung des
Testamentes. Für diese Auslegung spreche auch, dass die Beteiligte zu 2) nicht das
leibliche Kind des Erblassers sei, was der Erblasser gewusst habe. Es sei ihm darauf
angekommen, sein gesamtes Vermögen in seinem Stamm weiter zu vererben. Diese
Absicht lasse bereits der Testamentsentwurf des Landwirtschaftsverbandes erkennen.
Auch spreche die Aufzählung der Gegenstände im 2. Absatz des Testaments für den
Willen des Erblassers, dass die Ehefrau nicht über das Vermögen habe verfügen dürfen,
sondern dass dieses in der Substanz für die Nacherbin habe erhalten bleiben sollen.
Eine Einsetzung der Beteiligten zu 1) lediglich als Ersatzerbin sei nicht gewollt. Die
Behauptung der nachverstorbenen Ehefrau, der 2. und 3. Absatz habe nur für den Fall
gelten sollen, dass ihnen während der Urlaubsreise zusammen etwas zustoße, finde im
Testament keine Stütze. Das Testament lasse ein solche Bezugnahme auf die
Urlaubsreise nicht erkennen. Der verwandte Begriff "ebenfalls" könne nicht im Sinne
von "gleichzeitig" verstanden werden. Zudem sei ein gleichzeitiges Versterben so
ungewöhnlich, dass eine klarere Regelung zu erwarten gewesen wäre, hätte der
Erblasser an diesen Fall gedacht. Gegen das von der Beteiligten zu 2) vertretene
Verständnis spreche auch, dass allein der Erblasser und nicht beide Eheleute ein
Testament errichtet hätten und der Erblasser das Testament nach der Urlaubsreise nicht
vernichtet oder abgeändert habe. Zudem habe der Erblasser sich auch nicht erst aus
Anlass der bevorstehenden Urlaubsreise, sondern bereits seit längerem Gedanken über
die Regelung der Erbfolge gemacht, wie sich aus dem Testamentsentwurf von 1973
ergebe.
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Bei der Würdigung der Angaben der Ehefrau bei Beantragung des Erbscheines sei zu
berücksichtigen, dass diese ein Interesse daran gehabt habe, nicht durch Vor- und
Nacherbschaft in ihren Verfügungsmöglichkeiten eingeschränkt zu sein und zudem ihrer
ersten Tochter einen Anteil am Nachlass zu sichern. Von Bedeutung sei, dass die
Eheleute trotz des Entwurfs von 1973 gerade kein gemeinschaftliches Testament
errichtet hätten, was dagegen spreche, dass zwischen ihnen Einvernehmen über die
Regelung der Erbfolge geherrscht habe. Sie habe auch zu keinem Zeitpunkt auf ihre
Ansprüche verzichtet oder sich mit einer bestimmten Testamentsauslegung
einverstanden erklärt.
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Die Beteiligte zu 2) ist den Anträgen entgegengetreten und hat geltend gemacht, der
erteilte Erbschein entspreche dem wirklichen Willen des Erblassers. Im Testament sei
von Vor- und Nacherbschaft weder wörtlich noch sinngemäß die Rede. Der erste Absatz
enthalte die Einsetzung als Alleinerbin. Die Formulierung "sollte meine Frau ebenfalls
versterben" sei auf dem Hintergrund der bevorstehenden Reise zu sehen und meine ein
gleichzeitiges Ableben, jedenfalls ein Ableben beider Ehegatten während der Dauer der
Reise. Die Eheleuten seien bereits 5 Jahre vor der Eheschließung "miteinander
gegangen". Dem Erblasser sei nicht bekannt gewesen, dass die Beteiligte zu 2) nicht
seine leibliche Tochter sei. Dies folge inzident auch daraus, dass sie im
Testamentsentwurf vom 3.12.1973 auf den Pflichtteil gesetzt werde. Die
unterschiedliche Behandlung der Töchter sowohl im Testamentsentwurf als auch im
Testament beruhe darauf, dass die Beteiligte zu 2) sich zum damaligen Zeitpunkt nicht
entsprechend dem Willen der Eltern entwickelt habe, so dass die Eltern Angst gehabt
hätten, sie werde das Erbe verschleudern. Zu würdigen sei auch, dass die Beteiligte zu
1) auch nach Erreichen der Volljährigkeit den erteilten Erbschein 27 Jahre lang nicht in
Frage gestellt habe. Die Beteiligte zu 1) habe auch schriftlich erklärt, dass sie mit der
von der Mutter dargelegten Auslegung des Testamentes einverstanden sei.
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Das Amtsgericht hat durch Beschluss vom 11.7.2005 die Anträge der Beteiligten zu 1)
zurückgewiesen. Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) hat das Landgericht durch
Beschluss vom 18.1.2006 zurückgewiesen. Hiergegen hat die Beteiligte zu 1) weitere
Beschwerde eingelegt, mit der sie ihre ursprünglich gestellten Anträge weiterverfolgt.
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II.
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Die weitere Beschwerde ist nach §§ 27, 29 FGG statthaft und formgerecht eingelegt. Die
Beschwerdebefugnis der Beteiligten zu 1) ergibt sich bereits daraus, dass ihre
Erstbeschwerde ohne Erfolg geblieben ist.
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Das Rechtsmittel ist jedoch unbegründet, da die Entscheidung des Landgerichts nicht
auf einer Verletzung des Rechts beruht (§ 27 Abs. 1 S. 1 FGG).
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Zutreffend ist das Landgericht von einer zulässigen Erstbeschwerde der Beteiligte zu 1)
ausgegangen. Seine Entscheidung erweist sich auch in der Sache im Ergebnis als
zutreffend.
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1. Der Erbschein vom 17.8.1977 war nicht einzuziehen, da er zutreffend die Ehefrau des
Erblassers als unbeschränkte Alleinerbin ausweist.
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Das Recht der Beteiligten zu 1), die Einziehung des Erbscheins zu verlangen, ist
allerdings nicht bereits aufgrund des Zeitablaufs seit dessen Erteilung verwirkt. Es
entspricht gefestigter Rechtsprechung, dass im Erbscheinsverfahren die materiell-
rechtliche Richtigkeit der Rechtslage grundsätzlich Vorrang hat und auch ein Erbschein
noch nach langer Zeit nach seiner Erteilung wegen Unrichtigkeit eingezogen werden
kann (BGHZ 47, 58; KG, OLGReport 1997, 178; BayObLGZ 1997, 59 = NJW-RR 1997,
836). Für eine Verwirkung müssen vielmehr noch besondere Umstände hinzutreten, die
das Verhalten der Beteiligten zu 1) als rechtsmissbräuchlich erscheinen lassen. Dass
zwischenzeitlich keine neuen Tatsachen aufgetreten sind und die der
Erbscheinerteilung zugrunde liegende Testamentsauslegung von der Beteiligten zu 1)
zu Lebzeiten der Mutter widerspruchslos hingenommen worden ist, reicht hierfür jedoch
nicht aus (vgl. BGH, a.a.O.).
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Die ausgewiesene Erbfolge beruht auf dem formwirksamen Testament des Erblassers
vom 30.8.1976. Die Einziehung dieses Erbscheins setzt seine Unrichtigkeit voraus (§
2361 Abs. 1 Satz 1 BGB). Eine Unrichtigkeit liegt vor, wenn die Voraussetzungen für die
Erteilung eines Erbscheins dieses Inhalts nicht (mehr) gegeben sind. Infolgedessen
muss der erteilte Erbschein eingezogen werden, wenn die für die Begründung des ihm
zugrundeliegenden Antrags erforderlichen Tatsachen nicht (mehr) als festgestellt zu
erachten sind (§ 2359 BGB). Hierbei genügt es für die Einziehung, wenn nach
Durchführung der gegebenenfalls erforderlichen Ermittlungen (§ 2361 Abs. 3 BGB) die
gemäß § 2359 BGB erforderliche Überzeugung des Nachlassgerichts von dem im
Erbschein bezeugten Erbrecht über bloße Zweifel hinaus erschüttert ist, weil dann die
Voraussetzungen für die Erteilung nicht mehr erfüllt sind. Um dies festzustellen, hat sich
das Nachlassgericht in die Lage zu versetzen, als hätte es über die Erteilung des
Erbscheins gemäß § 2359 BGB zu befinden. Es muss den Erbschein einziehen, wenn
er nicht mehr erteilt werden dürfte (vgl. BGHZ 40, 54; BayObLGZ 1982, 59; NJW-RR
1997, 836; OLG Zweibrücken, FGPrax 1999, 113; OLG Köln FamRZ 2003, 1784). Dies
gilt auch für die Auslegung eines Testaments, auf dem der Erbschein beruht. Das
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Nachlassgericht hat im Einziehungsverfahren den Testamentsinhalt, soweit er für die im
Erbschein ausgewiesene Erbenstellung von Bedeutung ist, entsprechend den
allgemeinen Auslegungsgrundsätzen festzustellen. Führt die Auslegung zu dem
Ergebnis, dass sich diese Erbenstellung aus dem Testament nicht ergibt, so ist der
Erbschein unrichtig. Er ist einzuziehen, auch wenn seit seiner Erteilung ein langer
Zeitraum verstrichen ist, zwischenzeitlich keine neuen Tatsachen aufgetreten sind und
die der Erbscheinserteilung zugrundeliegende Testamentsauslegung denkgesetzlich
möglich gewesen ist (BGHZ 47, 58; BayObLG NJW-RR 1997, 836).
Das Landgericht hat mit der nachstehend näher behandelten Begründung das
Testament vom 30.8.1976 dahingehend ausgelegt, dass die Beteiligte zu 1) lediglich als
Ersatzerbin, nicht aber als Nacherbin berufen sei. Diese Auslegung hält jedenfalls im
Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand.
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Die Auslegung von Willenserklärungen, auch von Testamenten, ist in erster Linie
Aufgabe des Tatrichters, also des Nachlassgerichts und des an seine Stelle tretenden
Gerichts der ersten Beschwerde. Das Gericht der weiteren Beschwerde kann die
tatrichterliche Auslegung nur daraufhin überprüfen, ob die Auslegungsgrundlage
verfahrensfehlerfrei gewonnen worden ist, die gesetzlichen Auslegungsregeln beachtet
worden sind und das Ergebnis der Auslegung mit dem Akteninhalt, den Denkgesetzen
und zwingenden Erfahrungssätzen vereinbar ist. Das Gericht der weiteren Beschwerde
kann mithin nur feststellen, ob das Auslegungsergebnis möglich erscheint; dagegen
kommt es nicht darauf an, ob es zwingend ist oder ob ein anderes Ergebnis ebenfalls
möglich, vielleicht sogar näherliegend wäre (vgl. Keidel/Meyer-Holz, FGG, 15. Aufl., §
27, Rdnr. 49 m.w.N.).
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Die Testamentsauslegung hat zum Ziel, den wirklichen Willen des Erblassers zu
erforschen. Dabei ist zwar vom Wortlaut auszugehen. Dieser ist jedoch nicht bindend.
Vielmehr sind der Wortsinn und die vom Erblasser benutzten Ausdrücke zu hinterfragen,
um festzustellen, was er mit seinen Worten hat sagen wollen und ob er mit ihnen genau
das wiedergegeben hat, was er zum Ausdruck bringen wollte (BGH, NJW 1993, 256
m.w.N.). Maßgeblich ist insoweit allein sein subjektives Verständnis der von ihm
verwendeten Begriffe (BGH, FamRZ 1987, 475, 476; Palandt/Edenhofer, BGB, 65. Aufl.,
§ 2084 Rdnr. 1). Zur Ermittlung des Inhalts der testamentarischen Verfügungen ist der
gesamte Inhalt der Testamentsurkunde einschließlich aller Nebenumstände, auch
solcher außerhalb des Testaments, heranzuziehen und zu würdigen (BGH, NJW 1993,
256 m.w.N.). Solche Umstände können vor oder auch nach der Errichtung des
Testamentes liegen. Dazu gehört das gesamte Verhalten des Erblassers, seine
Äußerungen und Handlungen. Abzustellen ist zwar stets auf den Willen des Erblassers
zur Zeit der Testamentserrichtung, danach eingetretene Umstände können aber von
Bedeutung sein, soweit sie Rückschlüsse auf diesen Willen zu lassen (vgl. dazu
Palandt/Edenhofer, a.a.O., Rn. 2 f. m.w.N.). Kann sich der Richter auch unter
Auswertung aller Umstände von dem tatsächlich vorhandenen wirklichen Willen des
Erblassers nicht überzeugen, muss er sich mit dem Sinn begnügen, der dem
Erblasserwillen mutmaßlich am ehesten entspricht (BGH, NJW 1993, 256), wobei auch
Auslegungsregeln eingreifen können (BayObLG, FamRZ 2000, 983).
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Rechtsfehlerfrei ist die Beurteilung des Landgerichts, dem Wortlaut des Testaments
könne kein Anknüpfungspunkt entnommen werden, der zwingend oder auch nur mit
deutlich überwiegendem Gewicht für die Annahme spreche, der Erblasser habe seine
Ehefrau auf die Rechtsstellung einer Vorerbin beschränken wollen. Mit dem ersten
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Absatz des Testaments vom 30.8.1976 hat der Erblasser zunächst seine Ehefrau als
Alleinerbin eingesetzt. Dies sagt für sich betrachtet zwar noch nichts darüber aus, ob sie
nach dem Willen des Erblassers Voll- oder nur Vorerbin sein sollte. Denn selbst wer
ausdrücklich zum Alleinerben berufen ist, kann nach dem Willen des Erblassers nur
Vorerbe sein (BayObLG FamRZ 2000, 983). Die einleitende Formulierung des darauf
folgenden Absatzes "Sollte meine Frau ebenfalls sterben" deutet rein sprachlich jedoch
eher darauf hin - wie das Landgericht zu Recht bemerkt hat - dass keine allgemeine
Regelung für das Nachversterben der Ehefrau getroffen werden sollte, sondern dass der
Erblasser bei Abfassung des Testaments nur bestimmte Konstellationen des
Versterbens seiner Ehefrau vor Augen hatte. Denn es darf angenommen werden, dass
es für den Erblasser kein ungewisses zukünftiges Ereignis dargestellt hat, dass seine
Frau irgendwann versterben würde. Hätte er allgemein eine Regelung für die weitere
Erbfolge nach dem Tode seiner Frau treffen wollen, so hätte eine Formulierung wie
"Nach dem Tode meiner Frau" näher gelegen.
Dem Wortlaut kann jedoch für sich betrachtet noch kein entscheidendes Gewicht
beigemessen werden. Die zahlreichen Fehler im Testament legen es nahe, dass der
Erblasser im Abfassen derartiger Dokumente nicht sonderlich gewandt war, so dass die
Wahl der Formulierung nur von begrenzter Aussagekraft ist. Gleiches gilt für den
Umstand, dass der Erblasser die Begriffe Vor- und Nacherbschaft nicht benutzt hat. Es
ist nicht ersichtlich, dass dem Erblasser dieser Begriffe überhaupt bekannt waren. Im
Testamentsentwurf vom 3.12.1973 finden sie jedenfalls keine Verwendung. Umgekehrt
schließt die Verwendung des Begriffs "ebenfalls" es nicht aus, dass der Erblasser mit
dem zweiten Absatz des Testaments den Fall erfassen wollte, dass seine Ehefrau
aufgrund ihres eigenen Versterbens die Erbschaft überhaupt nicht würde antreten
können. Auch wenn man den Vortrag der Beteiligten zu 2) zugrunde legt, dem Erblasser
sei es um den Fall eines "gleichzeitigen" Versterbens während der anstehenden
Urlaubsreise gegangen, lässt sich aus diesem Zusammenhang nicht der sichere
Schluss ziehen, dass die vom Erblasser gewählten Formulierung nicht den Fall
erfassen sollte, dass zunächst die Ehefrau und erst dann er selbst versterben würde.
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Der enge zeitliche Zusammenhang mit dem anstehenden Urlaub zwingt auch nicht zu
der Annahme, der Erblasser habe nur für ein Versterben der Ehegatten während dieser
Reise eine Regelung treffen wollen. Für eine solche Beschränkung findet sich kein
Hinweis im Wortlaut des Testaments. Weiterhin spricht der Umstand dagegen, dass der
Erblasser das Testament nach dem Urlaub nicht vernichtet oder ersetzt hat. Zudem zeigt
der auf Wunsch des Erblassers gefertigte Testamentsentwurf der
Landwirtschaftskammer, dass der Erblasser sich nicht erst aus Anlass der anstehenden
Urlaubsreise, sondern bereits über einen längeren Zeitraum intensiver mit der Frage der
generellen Regelung der Erbfolge beschäftigt hatte.
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Nicht zu beanstanden ist, dass das Landgericht dem Umstand, dass die Beteiligte zu 2)
nicht das leibliche Kind des Erblassers ist, für die Auslegung des Testaments keine
Bedeutung beigemessen hat. Es lässt sich nämlich nicht feststellen, dass dem Erblasser
dies bekannt war. Dass die Beteiligten sowohl im Testamentsentwurf von 1973 als auch
im Testament vom 30.8.1976 in unterschiedlicher Weise bedacht worden sind,
rechtfertigt für sich allein den Schluss auf eine solche Kenntnis des Erblassers nicht. Die
Beteiligte zu 2) hat hierzu vorgetragen, Ursache dafür, dass sie im Entwurf von 1973 auf
den Pflichtteil gesetzt worden sei, sei ihr damaliges Verhalten gewesen. Für die
Richtigkeit dieses Vortrags spricht, dass der Entwurf dem überlebenden Ehegatten die
Möglichkeit eröffnet, der Beteiligten zu 2) "je nach ihrem Verhalten" weitere Ansprüche
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zuzubilligen.
Zwischen den Beteiligten ist inzwischen unstreitig, dass der Erblasser und seine
spätere Ehefrau nicht bereits vor der Ehe zusammen gelebt haben. Die Beteiligte zu 2)
hat ihren zunächst anderslautenden Vortrag durch den Schriftsatz vom 6.12.2005 richtig
gestellt. Die Beteiligte ist offensichtlich auch bereits vor der Eheschließung gezeugt
worden. Für die Frage, ob der Erblasser wusste, dass er nicht der leibliche Vater der
Beteiligten zu 2) ist, kommt diesen Umständen aber keine Aussagekraft zu.
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Weitere Ansatzpunkte für eine Aufklärung, was dem Erblasser zur biologischen
Abstammung der Beteiligten zu 2) bekannt war, sind von der Beteiligten zu 1) nicht
aufgezeigt worden und auch sonst nicht erkennbar. Einer Vernehmung der Zeuginnen L
sowie I5 und I6 bedurfte es in diesem Zusammenhang nicht. Selbst die Beteiligte zu 1)
will ersichtlich nicht die Behauptung aufstellen, dass diesen Zeuginnen etwas über die
entsprechende innere Tatsache, nämlich den Kenntnisstand des Erblassers, bekannt
sei, da sie vorträgt, der Erblasser habe über dieses Thema mit den Zeuginnen nicht
gesprochen. Auch eine Vernehmung der Beteiligten zu dieser Frage war nicht
notwendig. Die Beteiligte zu 2) hat die Behauptung der Beteiligten zu 1) bestritten, dem
Erblasser sei bekannt gewesen, dass sie nicht sein leibliches Kind sei. Es ist nichts
dafür ersichtlich, dass sie im Rahmen einer Beteiligtenvernehmung zu diesem Punkt
andere Auskünfte machen könnte. Aber auch einer Vernehmung der Beteiligten zu 1)
bedurfte es nicht. Denn nach ihren eigenen Angaben hat sie erst mit Volljährigkeit
davon erfahren, dass die Beteiligte zu 2) nur ihre Halbschwester ist. Mithin ist davon
auszugehen, dass der Erblasser ihr gegenüber sich nicht zur Frage seiner Vaterschaft
geäußert hat.
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Folglich kann die von der Beteiligten zu 1) behauptete Kenntnis des Erblassers dem
Vorgang der Testamentsauslegung nicht zugrunde gelegt werden. Die materielle
Feststellungslast trägt insoweit die Beteiligte zu 1), da sie aus diesem tatsächlichen
Gesichtspunkt Schlussfolgerungen für die von ihr angestrebte Testamentsauslegung
herleiten will.
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Aufgrund der fehlenden Kenntnis des Erblassers ist auch der Erwägung, der
Grundbesitz stamme aus der väterlichen Linie und es sei dem Erblasser darum
gegangen, das Vermögen in seiner Blutslinie zu halten, keine Bedeutung für die
Ermittlung des wirklichen Willens des Erblassers beizumessen.
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Die Kammer ist allerdings in der Begründung ihrer Entscheidung nicht ausdrücklich auf
die von der Beteiligten zu 1) in den Mittelpunkt ihres Vorbringens gestellte Frage
eingegangen, ob und ggf. welche Folgerungen für die Auslegung des Testaments vom
30.08.1976 aus dem Zusammenhang mit dem von dem X Landwirtschaftsverband
gefertigten Testamentsentwurf zu ziehen sind. Der Senat kann offenlassen, ob darin ein
Begründungsmangel (§ 25 FGG) zu sehen ist, weil die Entscheidung des Landgerichts
darauf erkennbar nicht beruhen kann.
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Denn auch unter Berücksichtigung des für den Erblasser gefertigten
Testamentsentwurfs der Landwirtschaftskammer lässt sich ein Wille, die Beteiligte zu 1)
als Nacherbin einzusetzen, nicht hinreichend sicher feststellen.
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Aufgrund des Begleitschreibens vom 3.12.1973, aber auch aufgrund des Inhalts des
Testamentsentwurfs muss freilich angenommen werden, dass dieser auf konkreten
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Vorgaben des Erblassers hinsichtlich einer von ihm zum damaligen Zeitpunkt
angestrebten Regelung der Erbfolge beruht. Anders wäre die unterschiedliche
Behandlung der Beteiligten zu 1) und 2) nicht erklärbar. Der Entwurf legt es ferner nahe,
dass jedenfalls zu dem Zeitpunkt der Beratung durch den Landwirtschaftsverband das
Bestreben des Erblassers darauf gerichtet war, auch die Erbfolge nach dem Tode seiner
Ehefrau zu regeln und zwar in der Weise, dass der Grundbesitz und damit der
wesentliche Teil seines Vermögens nach ihrem Ableben auf die Beteiligte zu 1)
übergehen sollte. Zugleich zeigt der Entwurf, dass der Erblasser sich nicht erst aus
Anlass der anstehenden Urlaubsreise, sondern bereits über einen längeren Zeitraum
intensiver mit der Frage der Regelung der Erbfolge beschäftigt hatte. Von Bedeutung ist
ferner die Erwägung, dass der Erblasser den im Entwurf des gemeinschaftlichen
Testaments vorgesehenen weiteren Übergang seines Vermögens nach dem Tode
seiner Ehefrau auf die Beteiligte zu 1) durch ein einseitiges Testament nur mittels der
Anordnung von Vor- und Nacherbfolge erreichen konnte.
Hieraus folgt aber noch nicht mit hinreichender Gewissheit, dass der Erblasser mit dem
dann tatsächlich abgefassten Testament vom 30.8.1976 seine Ehefrau auf die Stellung
einer nicht befreiten Vorerbin beschränken und die Beteiligte zu 1) im Wege der
Nacherbeinsetzung begünstigen wollte. Die sich aus einem Berliner Testament
ergebende Stellung als Alleinerbin ist auch bei gleichzeitiger bindender Einsetzung
einer Schlusserbin nicht vergleichbar mit der Stellung einer nicht befreiten Vorerbin.
Diese ist nicht nur an einer anderweitigen letztwilligen Verfügung über den Nachlass
gehindert, sondern in weitem Umfang auch an lebzeitigen Verfügungen über
Nachlassgegenstände (vgl. §§ 2112 ff. BGB). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die
Ehefrau des Erblasser zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung erst 47 Jahre alt und
daher mit dem Eintritt des Nacherbfalles in näherer Zukunft nicht zu rechnen war. Die
Einsetzung als nicht befreite Vorerbin hätte die Ehefrau in ihrer Möglichkeit, den
Nachlass, insbesondere den Hof, zu Lebzeiten zu verwalten und zu nutzen, und damit in
ihrer wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit auf nicht absehbare Zeit erheblich
eingeschränkt. Demgegenüber hätte die im Testamentsentwurf vorgesehene
Erbeinsetzung ihr als Alleinerbin trotz der Schlusserbeinsetzung der Beteiligten zu 1)
einen deutlich größeren Spielraum bei der wirtschaftlichen Nutzung des Nachlasses bis
hin etwa zur Veräußerung der Nachlassgrundstücke eingeräumt.
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Hinzu kommt ein Weiteres: Der Testamentsentwurf eröffnet dem überlebenden
Ehegatten die Möglichkeit, die Beteiligung der älteren Tochter am Nachlass
abweichend zu regeln, indem dieser "weitere Ansprüche" zuzubilligen. Durch diese
Öffnungsklausel wird die Bindung des überlebenden Ehegatten durch die Einsetzung
der Beteiligten zu 1) als Schlusserbin jedenfalls in gewissen Umfang gelockert, da eine
stärkere Beteiligung der Beteiligten zu 2) am Nachlass sich notwendig zu ihren Lasten
auswirken musste. Sah mithin der Testamentsentwurf nicht nur eine weitgehende
Verfügungsmöglichkeit der Ehefrau des Erblassers zu Lebzeiten vor, sondern eröffnete
er ihr auch grundsätzlich die Möglichkeit, die Weitergabe des Nachlasses nach ihrem
Tode in bestimmten Grenzen abweichend vom gemeinschaftlichen Testament zu
regeln, dann ist es keineswegs zwingend anzunehmen, der Erblasser habe, um auch im
Wege eines einseitigen Testaments letztlich die Weitergabe des Vermögens an die
Beteiligte zu 1) sicherstellen zu können, eine weitgehende Einschränkung der
Erbenstellung seiner Ehefrau herbeiführen wollen. Ernsthaft in Betracht zu ziehen ist
vielmehr auch die Möglichkeit, dass der Erblasser die Regelung der weiteren Erbfolge
grundsätzlich seiner Ehefrau überlassen und nur für den Fall, dass diese nicht Erbin
werden würde, eine eigene Regelung treffen wollte.
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Im Ergebnis ist die Würdigung des Landgerichts daher nicht zu beanstanden. Der
Wortlaut des Testaments und die Begleitumstände bieten keine hinreichend tragfähige
Grundlage, um überzeugend den Schluss auf einen Willen des Erblassers ziehen zu
können, seine Ehefrau lediglich als Vorerbin einzusetzen. Keineswegs sind die von der
Beteiligten zu 1) angeführten Gesichtspunkte, soweit ihre tatsächlichen Grundlagen
feststehen und sie damit überhaupt verwertbar sind, geeignet, zwingend zu einem
abweichenden Auslegungsergebnis zu führen. Denn eine lediglich mögliche
anderweitige Auslegung kann – wie bereits ausgeführt – nicht zu einem Erfolg der
weiteren Beschwerde führen. Aus dieser Sicht kommt es für die Entscheidung des
Senats nicht mehr darauf an, dass das Landgericht seine Entscheidung ergänzend auch
auf die Auslegungsregel des § 2102 Abs. 2 BGB gestützt hat. Der Senat kann sich
deshalb auf den Hinweis beschränken, dass diese Auslegungsregel hier ihren
tatbestandlichen Voraussetzungen nach anwendbar ist. Dafür reicht es bereits aus, dass
nach dem Wortlaut des Testaments zweifelhaft ist, ob eine bestimmte Person, die an die
Stelle einer anderen Person als Erbe treten soll, als Nach- oder als Ersatzerbe berufen
ist. Sachlich geht es dabei jeweils nur um die inhaltlichen Voraussetzungen, von denen
der Eintritt der Substitution abhängt. Erbrechtlich kann es sich immer nur entweder um
eine Ersatz- oder eine Nacherbfolge handeln, je nachdem, ob der erstberufene Erbe –
aus welchem Grund auch immer – wegfällt und deshalb nicht zur Erbfolge gelangt
(Ersatzerbfolge) oder ob der Erstberufene zunächst die Erbschaft antritt und zeitlich
nach ihm eine weitere Person als Erbe berufen ist (Nacherbfolge). Entgegen der
Auffassung der weiteren Beschwerde können sich Unterschiede der einzelnen
Fallgestaltungen nur bei den Wegfallsgründen bzw. den Bedingungen oder einer
Befristung für den Eintritt des Nacherbfalls ergeben, ohne dass die grundsätzliche
Unterscheidung zwischen Nach- und Ersatzerbfolge dadurch berührt wird. Insbesondere
handelt es sich auch beim gleichzeitigen Versterben um einen Fall der Ersatzerbfolge,
weil derjenige nicht zur Erbfolge gelangt, für dessen Person nicht festgestellt werden
kann, dass er den Erblasser überlebt hat (§ 1923 Abs. 1 BGB). Die Auslegungsregel des
§ 2102 BGB erfasst in diesem Zusammenhang sämtliche Fallgestaltungen im
Abgrenzungsbereich zwischen Ersatz- und Nacherbfolge (vgl. BayObLG, FamRZ 2002,
1227 für eine vergleichbare Formulierung in einem Testament: "Im Falle meines
Ablebens und meines Kindes A setze ich B als Alleinerben ein.")
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2. Damit erweist sich zugleich der Antrag der Beteiligten zu 1) als unbegründet, ihr einen
Erbschein nach dem Erblasser zu erteilen, der sie aufgrund eingetretener Nacherbfolge
als alleinige Erbin ausweist.
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3. Die Anordnung über die Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beteiligten zu
2) folgt zwingend aus § 13a Abs. 1 S. 2 FGG.
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