Urteil des OLG Hamm vom 22.02.2007

OLG Hamm: in den verkehr bringen, wiederholungsgefahr, diplom, begriff, qualifikation, irreführende werbung, abmahnung, rechtsberatung, datum, irreführung

Oberlandesgericht Hamm, 4 U 153/06
Datum:
22.02.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 U 153/06
Vorinstanz:
Landgericht Dortmund, 16 O 61/06
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 19. Juni 2006 verkündete
Urteil der III. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Dortmund
teilweise abgeändert:
Der Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der
Zuwiderhandlung zu zahlenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,-
EUR, für den Fall, dass dies nicht beizutreiben ist, ersatzweise
Ordnungshaft, oder Ordnungshaft, es zu unterlassen,
a) mit der Pluralform "Betriebswirt" oder "Wirtschaftsjurist" zu werben,
solange die Kanzlei nicht aus mehr als einem Berufsträger besteht
und/oder
b) mit dem Zusatz "& Kollegen" hinter seinem Namen zu werben,
solange die Kanzlei nicht aus mehr als zwei Berufsträgern besteht,
wenn dies geschieht wie in dem als Anlage K 1 mit der Klageschrift
überreich-ten Briefbogen des Beklagten mit dem Datum 24.02.2005.
Die Berufung des Beklagten wird mit der Maßgabe zurückgewiesen,
dass es im Anschluss an die Unterlassungsverbote heißt: "wenn dies
geschieht wie in dem als Anlage K 1 mit der Klageschrift überreichten
Briefbogen des Beklagten mit dem Datum 24.02.2005".
Der Beklagte wird verurteilt, zu Gunsten der Klägerin an die
Rechtsanwälte T und L, L-Straße in #### E über die vom Landgericht
ausgeurteilten 515,62 EUR nebst Zinsen hinaus weitere 167,04 EUR
nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit
dem 5. April 2006 zu zahlen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der
Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 40.000,- EUR
abzuwenden, falls nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in
dieser Höhe leistet.
A.
1
Die Klägerin verlangt von dem Beklagten, bei dem es sich um einen
Fachhochschulabsolventen des Studiengangs Wirtschaftsrecht handelt und der als
"Einzelkämpfer" schwerpunktmäßig auf dem Gebiet der Nachlasspflegschaft tätig ist, die
Unterlassung bestimmter Werbeangaben, die dieser auf seinen Briefbögen verwendet
hat.
2
In dem Fachhochschulstudiengang Wirtschaftsrecht, den der Beklagte absolviert hatte,
werden juristische und wirtschaftswissenschaftliche Ausbildungsinhalte miteinander
kombiniert. Nach erfolgreichem Abschluss des Studiengangs verleiht die
Fachhochschule den Titel "Diplom-Wirtschaftsjurist (FH)". Diplom-Wirtschaftsjuristen
sind keine Volljuristen und dürfen keine Rechtsberatung erteilen. Der Beklagte erwarb
zudem die Qualifikation "Betriebswirt (Wi.-Dipl. VwA)". Er eröffnete in L eine Kanzlei, in
der er nunmehr auf dieser Grundlage seine Dienste anbietet. Außer ihm sind dort keine
weiteren Wirtschaftsjuristen oder Betriebswirte tätig.
3
Auf einem Briefbogen, den er im Zusammenhang mit einer Nachlassangelegenheit
unter dem 24.02.2005 verwandte und auf den hinsichtlich der genauen weiteren
Gestaltung Bezug genommen wird (Bl. 13), heißt es im Briefkopf wie folgt:
4
"WIRTSCHAFTSJURISTENKANZLEI
5
L2 & KOLLEGEN
6
WIRTSCHAFTSJURISTEN BETRIEBSWIRTE
7
… L2
8
DIPLOM-WIRTSCHAFTSJURIST (FH)
9
BETRIEBSWIRT (WI.-DIPL.- VWA)"
10
Die Klägerin mahnte den Beklagten unter dem 03.02.2006 ab und setzte ihm eine
Nachfrist zur Abgabe der verlangten strafbewehrten Unterlassungserklärung bis zum
24.02.2006.
11
"Seit 2006" (was nicht näher konkretisiert ist) verwendet der Beklagte einen teilweise
modifizierten Briefbogen, und zwar wie folgt:
12
"WIRTSCHAFTSJURISTENKANZLEI
13
L2
14
WIRTSCHAFTSJURIST BETRIEBSWIRT
15
… L2
16
DIPLOM-WIRTSCHAFTSJURIST (FH)
17
BETRIEBSWIRT (WI.-DIPL.- VWA)"
18
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Verwendung des Briefkopfes verstoße
gegen §§ 3, 5 I, II Nr. 3 UWG, da der Beklagte hiermit im Hinblick auf die Größe seiner
Kanzlei und über die Art der angebotenen Dienstleistungen irreführend und damit
unlauter werbe. Die Kanzleibezeichnung in Verbindung mit der Pluralangabe könne nur
so verstanden werden, dass in der Kanzlei mehrere Berufsträger tätig seien. Zudem
würden die Begriffe "Wirtschaftsjuristenkanzlei" und "Wirtschaftsjuristen" den Eindruck
erwecken, die Kanzlei biete Rechtsberatung und anwaltliche Dienstleistungen an,
obschon der Beklagte hierzu nicht berechtigt sei und eine entsprechende Beratung
regelmäßig auch nicht durchführen könne.
19
Die Klägerin hat unter Einbeziehung der gesetzlichen Ordnungsmittel die Verurteilung
des Beklagten beantragt, es zu unterlassen (Ziff. 1),
20
a) mit der Pluralform von "Betriebswirt" oder "Wirtschaftsjurist" zu werben, solange die
Kanzlei nicht aus mehr als einem Berufsträger besteht und/oder
21
b) mit dem Zusatz "und Kollegen" hinter seinem Namen zu werben, solange die Kanzlei
nicht aus mehr als zwei Berufsträgern besteht und/oder
22
c) aa) mit dem Begriff "Wirtschaftsjuristenkanzlei" (in Groß- und Kleinschreibung und mit
und ohne graphisch hervorgehobene Anfangsbuchstaben W, J, K) zu werben,
23
bb) hilfsweise: mit dem Begriff "Wirtschaftsjuristenkanzlei" zu werben, soweit nicht
gleichzeitig deutlich darauf hingewiesen wird, dass keine Besorgung fremder
Rechtsangelegenheiten erfolgt, oder der Umfang der Tätigkeit deutlich und
abschließend beschrieben wird und/oder
24
d) mit dem Begriff "Wirtschaftsjurist" – sei es allein stehend oder in Kombination mit
anderen Begriffen – zu werben, wenn der Begriff nicht unmittelbar mit Zusätzen
versehen ist, die die berufliche Qualifikation ("Diplom-Wirtschaftsjurist (FH)") angeben.
25
Ferner (Ziff. 2) hat die Klägerin die Zahlung einer hälftigen, nicht anzurechnenden
außergerichtlichen Geschäftsgebühr von 588,50 € nach einem Gegenstandswert von
30.000,- € begehrt.
26
Der Beklagte hat geltend gemacht, dass ihm die angebliche Abmahnung und die
angebliche Erinnerung unbekannt seien und dass er seit 2006 ausschließlich den
modifizierten Briefbogen verwende. Eine Wiederholungsgefahr bestehe nicht. Bei der
Verwendung des Begriffs Wirtschaftsjuristenkanzlei werde eindeutig nicht die Pluralform
27
des Begriffes Wirtschaftsjurist verwendet. Die Verwendung der korrekten
grammatikalischen Genitivform "Wirtschaftsjuristenkanzlei" könne ihm nicht verboten
werden. Der Begriff Kanzlei sei nicht nur Anwälten und Steuerberatern vorbehalten. Bei
einem durchschnittlichen Verbraucher werde nicht der Eindruck erweckt, dass
anwaltliche Rechtsberatungsleistungen angeboten würden.
Das Landgericht hat der Klage hinsichtlich der Klageanträge zu 1. c) (ohne den oben
genannten Klammerzusatz) und d) unter Abweisung der Klage im Übrigen stattgegeben
und den Beklagten zu entsprechender Unterlassung verurteilt, ferner zur Zahlung von
515,62 € nebst bezeichneter Zinsen.
28
Zur Begründung hat es ausgeführt, dass eine Irreführung "über die Größe" nicht
vorliege, da der Beklagte unwidersprochen vorgetragen habe, dass er seit 2006
ausschließlich den geänderten Briefkopf verwende, der weder die Pluralform von
Betriebswirt oder Wirtschaftsjurist noch den Zusatz "& Kollegen" enthalte. Mangels
dahingehenden Vortrags müsse davon ausgegangen werden, dass der Beklagte seinen
Briefbogen verändert habe, bevor er am 03.02.2006 durch die Klägervertreter
abgemahnt worden sei. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gehe ins Leere,
eine Wiederholungsgefahr könne nicht mehr angenommen werden. Demgegenüber
werde mit den im Briefkopf verwendeten Begriffen "Wirtschaftsjuristenkanzlei" und
"Wirtschaftsjurist" der Eindruck erweckt, dass die Kanzlei Rechtsberatung anbiete,
obschon der Beklagte hierzu nach dem Rechtsberatungsgesetz nicht berechtigt sei und
entsprechende Beratung somit rechtmäßig nicht durchführen könne. Um eine derartige
Irreführung auszuschließen, müsse der Beklagte auch in den Kopfzeilen den Begriff
"Diplom-Wirtschaftsjuristenkanzlei" verwenden und genau seine Qualifikation als
"Diplom-Wirtschaftsjurist (FH)" benennen.
29
Wegen des Kostenerstattungsanspruchs sei davon auszugehen, dass die
außergerichtliche Tätigkeit nur nach einem Gegenstandswert von 15.000,- €
gerechtfertigt gewesen sei, so dass sich ein auszuurteilender Bruttobetrag von 515,62 €
errechne.
30
Die Parteien verfolgen ihre Klageanträge mit den von ihnen wechselseitig eingelegten
Berufungen weiter.
31
Die Klägerin stellt zunächst klar, dass sie die vom Landgericht vorgenommene
Änderung des Begehrens unter c) aa), nämlich das Weglassen des dortigen
Klammerzusatzes nach dem Klageantrag, akzeptiert. Sie begehrt auch die Verurteilung
des Beklagten hinsichtlich der Unterlassungsanträge zu 1) a) und b) sowie zur Zahlung
weiterer 167,04 € und meint, dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass der
Beklagte seinen Briefbogen zeitlich vor der Abmahnung vom 03.02.2006 verändert
habe, worauf es aber auch nicht ankomme. Die Ansicht des Landgerichts, dass eine
Wiederholungsgefahr nicht mehr angenommen werden könne, gehe fehl. Bei einem
Wettbewerbsverstoß streite für die Wiederholungsgefahr eine tatsächliche Vermutung.
Die Vermutung zu widerlegen sei Sache des Beklagten. Der bloße Wegfall der Störung
oder die Erklärung des Verletzers, künftig von Wiederholungen Abstand zu nehmen,
beseitige die Wiederholungsgefahr nicht. Da der Beklagte eine strafbewehrte
Unterlassungserklärung nicht abgegeben habe, bestehe weiterhin eine
Wiederholungsgefahr. Es sei auch nicht jede Wahrscheinlichkeit für die Aufnahme des
unzulässigen Verhaltens durch den Verletzter beseitigt. Dabei sei unerheblich, wenn
der Beklagte den Zugang von Abmahnung und Unterlassungserklärung bestreite.
32
Überdies werbe der Beklagte bei *internetadresse* nach wie vor mit "L2
Wirtschaftsjuristenkanzlei, Wirtschaftsjurist und Betriebswirt, Sachverständige für
Betriebswirtschaft".
Die Klägerin beantragt,
33
unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils
34
1.) den Beklagten zu verurteilen, es bei Meidung eines für jeden Fall der
Zuwiderhandlung zu zahlenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 €, für den Fall,
dass dies nicht beizutreiben ist, ersatzweise Ordnungshaft, oder der Ordnungshaft,
35
es zu unterlassen,
36
a)
37
mit der Pluralform "Betriebswirt" oder "Wirtschaftsjurist" zu werben, so lange die Kanzlei
nicht aus mehr als einem Berufsträger besteht und/oder
38
b)
39
mit dem Zusatz "& Kollegen" hinter seinem Namen zu werben, so lange die Kanzlei
nicht aus mehr als zwei Berufsträgern besteht,
40
mit der Maßgabe, dass es am Ende der Unterlassungsanträge heißt: "wie geschehen in
dem als Anlage K 1 mit der Klageschrift überreichten Briefbogen des Beklagten mit dem
Datum 24.02.2005."
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2.) den Beklagten zu verurteilen, zugunsten der Klägerin an die Rechtsanwälte T und K,
L-Straße in #### E über die vom Landgericht ausgeurteilten 515,62 € nebst Zinsen
hinaus weitere 167,04 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 05.04.2006 zu zahlen.
42
Der Beklagte beantragt,
43
1. die Berufung der Klägerin zurückzuweisen,
44
2. das Urteil des Landgerichts Dortmund aufzuheben und die Klage abzuweisen.
45
Die Klägerin beantragt,
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die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
47
Der Beklagte begehrt die vollumfängliche Abweisung der Klage. Er meint, der Begriff
Wirtschaftsjurist sei nicht irreführend, da er seiner erworbenen Qualifikation entspreche.
Auch der Begriff Kanzlei sei keineswegs nur Anwälten und Steuerberatern vorbehalten.
Er dürfe sich mit Fug und Recht als Wirtschaftsjuristen bezeichnen. In der Kombination,
also in der Form Wirtschaftsjuristenkanzlei, stelle sich dies nicht anders dar. Mehr als
deutlich weise er zudem auf seine Qualifikation als Diplom-Wirtschaftsjurist (FH) hin.
Die Überschrift seines Briefbogens (Wirtschaftsjuristenkanzlei) werde in mehr als
hinreichendem Maße präzisiert durch die Angaben auf der rechten Seite seines
48
Briefbogens. Er trete nicht werbend auf. Und er tauche auch in einschlägigen
Suchwerken wie z.B. den Gelben Seiten nicht auf. Eine Wiederholungsgefahr bestehe
nicht. Er habe den beanstandeten Briefbogen aus eigener Entscheidung vor der
behaupteten Abmahnung der Klägerin verändert.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
49
B.
50
Die zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet.
51
Die zulässige Berufung der Klägerin hat demgegenüber Erfolg.
52
I.
53
Die Verbotsanträge des Klägers sind im Sinne von § 253 II Nr. 2 ZPO hinreichend
bestimmt. Soweit diese nunmehr im Berufungsverfahren konkretisiert worden sind mit
dem Zusatz "wenn dies geschieht wie in dem als Anlage K 1 mit der Klageschrift
überreichten Briefbogen des Beklagten mit dem Datum 24.02.2005" handelt es sich
lediglich um eine – auch kostenunschädliche - Klarstellung des Verbotsbegehrens, weil
sich der Kläger gemäß der Klageschrift von Anfang an gegen diese konkrete
Briefbogengestaltung gewandt hat.
54
II.
55
Der Kläger als berufsständischer Verband in der Rechtsform einer Körperschaft des
öffentlichen Rechts ist ebenso im Sinne von § 8 III Nr. 2 UWG klagebefugt wie
aktivlegitmiert. Da es sich insbesondere bei Nachlasspflegschaften und
Testamentsvollstreckungen, die der Beklagte unter anderem betreibt, auch um typische
anwaltliche Dienstleistungen handelt, ist von einem entsprechenden
Wettbewerbsverhältnis auszugehen. Auf die diesbezüglichen weiteren Ausführungen
des Landgerichts (Urteil S. 8 f) wird insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen
Bezug genommen.
56
III.
57
An dem Tatbestandsmerkmal einer Wettbewerbshandlung (§ 2 Nr. 1 UWG) in der Form
einer Werbung (§ 5 I UWG) bestehen bei den Angaben des Beklagten auf seinem
Briefbogen keine ernsthaften Zweifel. Unter einer Werbung ist jede Äußerung bei der
Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs zu verstehen, mit
dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen zu fördern
(Bornkamm, in Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, 25. Aufl. 2007, § 5 Rn. 2.12). Dass
die Angaben auf einem Briefbogen letztlich auf die Förderung der eigenen
Dienstleistungen gerichtet sind und der Briefbogen ein selbständiger Werbeträger
darstellt, ist anerkannt und eindeutig (s.a. § 43 b BRAO, §§ 6, 10 BORA i.d. Fassung
2006; dazu Köhler, a.a.O., § 4 Rn. 11.85 ff.). Ein werbendes Auftreten in einschlägigen
Suchwerken wie den Gelben Seiten ist weitergehend nicht erforderlich.
58
IV.
59
Der Kläger kann von dem Beklagten gemäß §§ 3, 5 I, II Nr. 3 UWG – wie tenoriert –die
Unterlassung der beanstandeten Werbeangaben verlangen. Es liegt eine irreführende
Werbung über die geschäftlichen Verhältnisse des Beklagten vor, weil er keine Kanzlei
mit einer Mehrheit von Berufsangehörigen betreibt und dabei eine falsche berufliche
Qualifikation suggeriert.
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Eine Angabe ist dann irreführend, wenn sie den angesprochenen Verkehrskreisen
einen unrichtigen Eindruck vermittelt (BGHZ 13, 244, 253 – Cupresa-Kunstseide; BGH
GRUR 1995, 612, 613 f. – Sauerstoff-Mehrschnitt-Therapie). Dabei genügt es, dass die
Werbung zur Irreführung und Beeinflussung geeignet ist. Auf eine tatsächliche
Irreführung kommt es nicht an (BGH GRUR 1988, 829 – Verkaufsfahrten II; 2000, 239,
241 – Last-Minute-Reise).
61
1. a)
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Daran, dass – wie im ursprünglichen und beanstandeten Briefbogen (Bl. 13) – mit der
Pluralform von "Betriebswirt" oder "Wirtschaftsjurist" (Antrag zu Ziff. 1 a) und mit dem
Zusatz "und Kollegen" hinter seinem Namen (Ziff. 1 b) - irreführend geworben wurde,
ohne dass die Kanzlei zumindest über zwei Berufsträger verfügt, bestehen keine
Zweifel. Denn es wird mit diesem Briefbogen in den angesprochenen Verkehrskreisen
der unzutreffende Eindruck vermittelt, es handele sich um eine "größere" Kanzlei mit
einer Mehrzahl von Berufsträgern, die mitunter als leistungsfähiger und/oder unter dem
Gesichtspunkt einer Arbeitsteilung als differenzierter angesehen wird.
63
b)
64
Auch soweit der Beklagte diese Werbung inzwischen ("seit 2006") eingestellt hat,
besteht gleichwohl noch, anders als es das Landgericht gemeint hat, eine
Wiederholungsgefahr.
65
Der diesbezügliche Verstoß hat vor der Abmahnung auf jeden Fall vorgelegen. Ist es so
zu einem Wettbewerbsverstoß gekommen, streitet sodann eine tatsächliche Vermutung
für die Wiederholungsgefahr (st. Rspr., s. Nachweise bei Bornkamm, a.a.O., § 8 Rn.
1.33). Die Wiederholungsgefahr beschränkt sich dabei nicht auf die identische
Verletzungsform, sondern umfasst auch alle im Kern gleichartigen Verletzungsformen.
An den Fortfall der Verletzungsgefahr sind dabei strenge Anforderungen zu stellen. Die
Vermutung zu widerlegen ist Sache des Verletzers. Dies gelingt ihm im Allgemeinen nur
dadurch, dass er eine bedingungslose und unwiderrufliche Unterlassungsverpflichtung
unter Übernahme einer angemessenen Vertragsstrafe für jeden Fall der
Zuwiderhandlung abgibt (BGH GRUR 1998, 1045 – Brennkessel). Mit der Verweigerung
der Unterwerfung zeigt er, dass nach wie vor eine Wiederholungsgefahr besteht.
Mangels Abgabe einer entsprechenden Unterlassungserklärung durch den Beklagten
ist eine Wiederholungsgefahr vorliegend zu vermuten und zu bejahen. Eine
Widerlegung ist nicht erfolgt. Allein eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse – hier
die spätere Änderung des Briefbogens – lässt die Wiederholungsgefahr unberührt,
solange nicht auch jede Wahrscheinlichkeit für eine Aufnahme des unzulässigen
Verhaltens durch den Verletzer beseitigt ist. Sie entfällt nicht schon dann, wenn ein
Wiedereintreten völlig gleichartiger Umstände nicht zu erwarten ist (BGH GRUR 1961,
288, 290 – Zahnbürsten; GRUR 1988, 38, 39 – Leichenaufbewahrung). Vorliegend
kommt hinzu, dass keineswegs gesichert ist, dass der Beklagte nicht noch über alte
Briefbögen verfügt, die er gegebenenfalls wieder in den Verkehr bringen könnte, oder
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aber auch seinen ursprünglichen Briefbogen wieder einzuführen gedenkt. Eine
entsprechende "Distanzierung" hiervon ist schließlich auch im Prozess nicht erfolgt.
Darauf, ob dem Beklagten die Abmahnung vom 03.02.2006 und die Erinnerung an die
Abgabe der strafbewehrten Unterlassungserklärung vom 21.02.2006 zugegangen sind
und bekannt waren, kommt es streitentscheidend nicht mehr an. Ebenso wenig ist in
diesem Zusammenhang maßgeblich, ob der Beklagte zurechenbar bei
"*internetadresse*" noch über eine entsprechende Eintragung verfügt, in der in
Verbindung mit seiner "Kanzlei" auf eine Pluralform ("Sachverständige für
Betriebswirtschaft") hingewiesen wird.
67
2.
68
Hinsichtlich der Werbung mit dem Begriff "Wirtschaftsjuristenkanzlei" (Antrag zu Ziff. 1 c)
und die Benutzung des Wortes "Wirtschaftsjurist" (Antrag zu Ziff. 1 d) liegt sodann, da
diese Begriffe nicht unmittelbar mit einem klarstellenden Zusatz versehen sind, die die
berufliche Qualifikation des Beklagten als Dipl.-Wirtschaftsjurist (FH) angeben, eine
Irreführung über seine Qualifikation vor. Diese Begriffe suggerieren, dass hier
anwaltliche Dienstleistungen auf wirtschaftlichem Gebiet angeboten werden. Dabei ist
ausreichend, dass sich ein wesentlicher Teil des Verkehs an den betreffenden
Bezeichnungen in der Kopfzeile des Briefbogens orientiert.
69
a)
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Der Begriff "Wirtschaftsjuristenkanzlei" ist isoliert betrachtet zunächst nicht ohne
weiteres als Pluralform mit dem Hinweis auf eine Mehrzahl von Berufsträgern zu
verstehen. Denn soweit dieser das Teilstück "juristen" enthält, geht dies
grammatikalisch auf die Genitivform des Begriffes in Verbindung mit dem Bezugswort
"Kanzlei" zurück. Ebenso wie bei einer Anwaltskanzlei oder irgendeiner anderen
Kanzlei wird der Wortstamm Kanzlei mit der maßgeblichen Berufsbezeichnung
konkretisiert. Die Genitivform "des Juristen" kann sprachlich korrekt dem Wortstamm
nicht anders als mit Wirtschaftsjuristenkanzlei vorangestellt werden. Der Beklagte hat
einen nach der diesbezüglichen Studienordnung zulässigen Abschluss als
Wirtschaftsjurist, nämlich in Form eines Diploms. Insofern kann es ihm grundsätzlich
nicht verwehrt sein, die zulässige und für ihn zutreffende Abschlussbezeichnung
"Wirtschaftsjurist" zu verwenden. Jedenfalls die bloße Verknüpfung mit "Kanzlei" ist
noch nicht zu beanstanden, da Kanzlei letztlich nur Schreibstube oder Büro (von lat.
cancelli = Gitter, Schranken; abgeschlossener Raum) bedeutet und insofern jedenfalls
keine Mehrzahl der Berufsträger ausdrückt. So kann eben auch ein Einzelanwalt eine
Anwaltskanzlei betreiben.
71
b)
72
Maßgeblich ist indes, dass durch die hervorgehobene Verwendung der Begriffe
"Wirtschaftsjuristenkanzlei" und (in der singulären Form) "Wirtschaftsjurist" in der
Kopfzeile des beanstandeten Briefbogens ohne einen unmittelbaren klarstellenden
Zusatz "Diplom" und oder "FH" der Eindruck erweckt wird, dass der Beklagte
anwaltliche Dienstleistungen und Rechtsberatung auf wirtschaftlichem Gebiet anbietet
und auch ein Universitätsstudium und einen Referendardienst durchlaufen hat. Der
Verkehr erwartet unter einem Wirtschaftsjuristen einen auf dem Gebiet der Wirtschaft
tätigen Volljuristen, zumal es auch einen ähnlich klingenden Fachanwalt, nämlich für
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Handels- und Gesellschaftsrecht, gibt. Dementsprechend erwartet der Verkehr in einer
Wirtschaftsjuristenkanzlei einen derartigen oder eine Mehrzahl derartiger
Wirtschaftsjuristen. Hierdurch wird der Eindruck vermittelt, dass der Beklagte über die
betriebswirtschaftlichen Dienste hinaus im Kern auch juristische Dienste anbietet.
Dieser durch die Kopfzeile verursachte und im Brieffenster (in Kleindruck) wiederholte
(falsche) Eindruck wird auch nicht von der Angabe in der rechten Zeile "Diplom-
Wirtschaftsjurist (FH)" ausgeräumt. Einerseits ist zwar richtig, dass rechts an dortiger
Stelle zutreffend der Zusatz "Diplom …" und "FH" aufgenommen ist, der für einen mit
dieser Materie besonders vertrauten Adressaten die Information beinhaltet, dass hier
kein rechtsberatender Jurist seine Dienste anbietet, sondern ein Berufsträger, dessen
Einsatzgebiete – entsprechend den Studienordnungen – im betriebswirtschaftlichen und
juristischen Schnittbereich liegen und der häufig jedenfalls als interner Rechtsberater in
einem Wirtschaftsunternehmen oder Wirtschaftsverband oder in diesem Rahmen auch
selbständig (aber im Kern nicht juristisch) tätig ist. Allerdings vermag ein Großteil des
angesprochenen Verkehrs aus der Gestaltung des Briefbogens nicht hinreichend
deutlich zu erkennen, dass hier nicht ein "Volljurist" wirbt, sondern ein sog.
"Wirtschaftsjurist", der eben keine rein rechtsberatende und anwaltliche Tätigkeit
ausüben darf. Angesichts dieser Fehleinschätzung aus Empfängersicht ist es geboten,
klarstellend, deutlich und auch an ebenso hervorgehobener Stelle auf eben diesen
Umstand durch den Zusatz "Dipl.-Wirtschaftsjurist" oder "Dipl.-
Wirtschaftsjuristenkanzlei", nämlich bereits in der Kopfzeile, hinzuweisen, was dann
bewirkt, dass sich der Empfänger zum Berufsbild des Beklagten von vornherein eine
richtige Vorstellung verschaffen kann. Die derzeitige Briefbogengestaltung, die auch
äußerlich sehr an eine solche aus anwaltlicher Quelle erinnert, ist insoweit nicht
ausreichend, zumal der Beruf eines "Wirtschaftsjuristen" mit einer
Fachhochschulausbildung vergleichsweise unbekannt ist. Laienhaft herrscht jedenfalls
die Sicht vor, dass man bei einem Juristen grundsätzlich auch eine (volljuristische)
Rechtsberatung bekommt, und zwar in dem Spezialbereich Wirtschaft, abgesehen auch
davon, dass durch die (grundsätzlich richtige) Erwähnung des zweiten Abschlusses
"Betriebswirt (Wi-Dipl. VWA)" eine Art Gegensatzpaar vorgezeigt wird, durch das der
Eindruck vermittelt wird, dass über die betriebswirtschaftlichen Dienste hinaus gerade
auch im Kern juristische Dienste angeboten werden.
Im Falle der Mehrdeutigkeit, die hier aus Empfängersicht zumindest auftritt, muss der
Werbende die verschiedenen Bedeutungen gegen sich gelten lassen. Es gilt der
Grundsatz, dass sich derjenige, der mit doppeldeutigen, vielsinnigen und
missverständlichen Angaben wirbt, sich auch die Verständnismöglichkeit zurechnen
lassen muss, die die Angabe im Verkehr als unrichtig erscheinen lässt (BGH GRUR
1997, 665, 666 – Schwerpunktgebiete; Bornkamm, a.a.O, § 5 Rn. 2.111 m.w.N.; Götting,
Wettbewerbsrecht, 2005, § 8 Rn. 32). Ein solches mehrdeutiges Verständnis muss der
Beklagte durch entsprechende Zusätze auch in den Kopfzeilen seines Briefbogens
ausräumen und den Begriff "Diplom-Wirtschaftsjuristenkanzlei" verwenden und genau
seine Qualifikation als "Diplom-Wirtschaftsjurist (FH)" benennen.
74
c)
75
Eine Wiederholungsgefahr besteht in diesem Zusammenhang schon deshalb, weil der
Beklagte auch seit 2006 mit dem modifizierten Briefbogen in gleicher Weise weiter wirbt.
76
V.
77
Die Unterlassungsansprüche des Klägers sind – im Hinblick darauf, dass der
Prozessbevollmächtigte des Beklagten im Senatstermin sich auf die Einrede der
Verjährung berufen hat – nicht gemäß § 11 UWG verjährt, ohne dass es maßgeblich
darauf ankommt, wann der Kläger von den betreffenden Briefbogen Kenntnis erhalten
hat. Denn unstreitig hat der Beklagte seine Verletzungshandlungen in allen Punkten mit
dem ursprünglichen Briefbogen bis zu einem nicht genau konkretisierten Zeitpunkt in
2006 fortgeführt. Solange der Verstoß dauert, kann die Verjährung von entsprechenden
Unterlassungs- und Beseitungsansprüchen noch nicht beginnen (BGH GRUR 1974, 99,
100 – Brünova; 2003, 448, 450 – Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft; Köhler, a.a.O.,
§ 11 Rn. 1.21). Bereits Anfang April ist dann innerhalb der 6-montigen Verjährungsfrist
die Klage eingereicht und alsbald zugestellt worden.
78
VI.
79
Die vom Kläger geltend gemachten Abmahnkosten – in Höhe von insgesamt 682,66 € -
sind, da die Klägerin mit sämtlichen Anträgen durchdringt, in voller Höhe nach einem
Gegenstandwert von 30.000,- € berechtigt (§ 12 I 2 UWG)
80
VII.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 710, 91 I und 97 I
ZPO.
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Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, § 543 ZPO.
83