Urteil des OLG Hamm vom 30.07.2008

OLG Hamm: wiedereinsetzung in den vorigen stand, falsche auskunft, rechtsmittelbelehrung, form, zustellung, protokollierung, merkblatt, anschluss, fristversäumnis, laie

Oberlandesgericht Hamm, 3 Ss OWi 364/08
Datum:
30.07.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
3. Senat für Bußgeldsachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 Ss OWi 364/08
Vorinstanz:
Amtsgericht Herford, 11 OWi 23 Js 1613/07 (716/07)
Schlagworte:
Wiedereinsetzung ; Belehrung
Normen:
StPO §§ 345, 346, 44, 45, OWiG § 80 Abs. 3
Leitsätze:
1. Wird einem Betroffenen, der eine Rechtsbeschwerde zu Protokoll der
Geschäftsstelle begründen möchte, gerichtlicherseits mitgeteilt, er könne
dies auch schriftlich tun, wird deswegen eine Protokollierung nicht
vorgenommen und wird später sein Rechtsmittel nach § 346 Abs. 1
StPO als nicht formgerecht verworfen, so ist der Betroffene aus Gründen
der fairen Verfahrensgestaltung über die Möglichkeit der
Wiedereinsetzung zu belehren (Anschluss an BVerfG Beschl. v.
27.09.2005 - 2 BvR 172/04).
2. Die Wirkung einer zunächst richtig erteilten Rechtsmittelbelehrung
kann durch nachfolgende falsche gerichtlichen Auskünfte entwertet
werden.
Tenor:
1. Dem Betroffenen wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anbringung eines
Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die
Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gewährt.
2. Dem Betroffenen wird folgende Rechtsmittelbelehrung erteilt:
Die Frist zur Anbringung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung des
Antrags auf Zu-lassung der Rechtsbeschwerde beginnt mit Zustellung
dieses Beschlusses. Die Frist beträgt eine Woche. Innerhalb dieser Frist
ist der Antrag bei dem Amtsgericht Herford zu stellen. Die Tatsachen zur
Begründung des Antrages sind bei der Antragstellung oder im Verfahren
über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die
versäumte Handlung – hier also die Begründung des Antrages auf
Zulassung der Rechtsbeschwerde durch eine vom einem Verteidiger
oder einem Rechtsanwalt unterzeichnete Schrift oder zu Protokoll der
Geschäftsstelle des Amtsgerichts Herford – beim Amtsgericht Herford
nachzuholen.
Gründe
1
I.
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Das Amtsgericht Herford hat den Betroffenen mit Urteil vom 16.01.2008 wegen eines
fahrlässigen Verstoßes gegen die Pflicht zur Anlegung eines Sicherheitsgurtes zu einer
Geldbuße von 30 Euro verurteilt. Im Anschluss an die Urteilsverkündung wurde ihm
mündlich eine Rechtsmittelbelehrung erteilt und ein Merkblatt mit einer
ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung ausgehändigt.
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Gegen das Urteil hat der Betroffene am 22.01.2008 Antrag auf Zulassung der
Rechtsbeschwerde zu Protokoll der Geschäftsstelle gestellt und diese mit Schreiben
vom 23.01.2008 – eingegangen am 24.01.2008 – selbst begründet.
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Eine weitere Begründung nach Zustellung des Urteils am 11.02.2008 erfolgte nicht.
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Das Amtsgericht hat daraufhin den Antrag mit Beschluss vom 17.03.2008 als unzulässig
gem. §§ 346, 345 StPO, 80 OWiG verworfen. Der Beschluss ist dem Betroffenen am
28.03.2008 zugestellt worden. Mit Schreiben vom 03.04.2008, gerichtet an das
Oberlandesgericht und dort eingegangen am 04.04.2008 und am 14.04.2008 bei dem
AG Herford eingetroffen, hat der Betroffene erneut die Zulassung der Rechtsbeschwerde
beantragt. Er wendet sich darin gegen die Beschlussbegründung des Amtsgerichts vom
17.03.2008, wonach er nicht die erforderliche Form für eine
Rechtsbeschwerdebegründung eingehalten habe und beruft sich darauf, dass ihm vom
Amtsgericht bei Protokollierung der Einlegung des Rechtsmittels mitgeteilt worden sei,
dass er eine schriftliche Begründung nachreichen könne, was der "korrekte Weg" sei.
6
II.
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Dem Betroffenen war Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. §§ 44, 45 StPO, 80
Abs. 3 OWiG in Frist zur Beantragung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu
gewähren.
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1.
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An sich wäre der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung gegen den
Verwerfungsbeschluss des Amtsgerichts (nachdem dem Betroffenen wegen einer
unvollständigen Rechtsmittelbelehrung in diesem Beschluss – es fehlt die Bezeichnung
des Gerichts, bei dem der Antrag anzubringen war – Wiedereinsetzung von Amts wegen
zu gewähren gewesen wäre) unbegründet, da dieser Antrag – wie das Amtsgericht
zutreffend ausgeführt hat - nicht der Form des § 345 Abs. 2 StPO i.V.m. § 80 Abs. 3
OWiG genügte.
10
2.
11
Grundsätzlich würde auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die
Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde ausscheiden, weil der
Betroffene die verabsäumte Verfahrenshandlung nicht fristgerecht binnen einer Woche
nach Zustellung des amtsgerichtlichen Verwerfungsbeschlusses nachgeholt hat (§ 45
Abs. 2 StPO). Er hatte zwar schon eine Rechtsbeschwerdebegründung schriftlich früher
eingereicht. Dabei ist jedoch nicht die Form des § 345 Abs. 2 StPO (Einlegung durch
einen Verteidiger, Anwalt oder zu Protokoll der Geschäftsstelle) gewahrt worden. Diese
hat der Betroffene - auch nachdem er durch den Verwerfungsbeschluss des Amtsgericht
ausdrücklich darüber informiert wurde, dass die privatschriftlliche Begründung nicht
ausreicht – nicht formgerecht nachgeholt. Die Nachholung der versäumten
Prozesshandlung muss aber in der gesetzlich geforderten Form erfolgen (vgl. BGH NJW
1997, 1516; Meyer-Goßner StPO 50. Aufl. § 45 Rdn. 11).
12
3.
13
Indes verlangt das Bundesverfassungsgericht, dass jedenfalls dann, wenn der
Wiedereinsetzungsgrund in einem den Gerichten zuzurechnenden Fehler liegt, der
Grundsatz fairer Verfahrensführung eine ausdrückliche Belehrung des Betroffenen über
die Möglichkeit der Wiedereinsetzung gebietet (BVerfG Beschl. v. 27.09.2005 – 2 BvR
172/04 – juris – m.w.N.).
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So liegt der Fall hier:
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Der Betroffene war ohne sein Verschulden gehindert, die Frist zur Begründung der
Rechtsbeschwerde einzuhalten, da ihm gerichtlicherseits eine falsche Auskunft erteilt
worden ist. Als der Betroffene am 22.01.2008 seinen Zulassungsantrag zu Protokoll der
Geschäftsstelle beurkunden ließ, wollte er gleichzeitig auch eine Begründung
protokollieren lassen. Dort wurde ihm seitens der Rechtspflegerin mitgeteilt, dass er die
Begründung, da sich abzeichnete, dass sich diese nach den Ausführungen des
Betroffenen sehr umfangreich gestalten würde und es bereits später Nachmittag war,
schriftlich nachholen könne. Eine Protokollierung erfolgte daraufhin nicht. Dies ergibt
sich aus dem Vortrag des Betroffenen und der dienstlichen Stellungnahme der
Rechtspflegerin vom 26.06.2008. Dass dem Betroffenen am Ende der
Hauptverhandlung eine schriftliche Rechtmittelbelehrung (Formblatt OWi 18)
ausgehändigt wurde und sich aus diesem Formblatt zutreffend ergibt, dass der
Betroffene einen Monat ab Zustellung des schriftlichen Urteils Zeit hat, seine
Rechtsbeschwerde zu begründen und auch die geforderte Form dort benannt ist, ändert
an der Bewertung nichts. Zwar wird teilweise vertreten, dass bei einer der schriftlichen
Belehrung widersprechenden unrichtigen mündlichen Belehrung des Betroffenen nicht
einfach von der mündlichen Belehrung ausgegangen werden dürfe (OLG Dresden
NStZ-RR 2002, 171; Meyer-Goßner a.a.O. § 44 Rdn. 13). Es ist jedoch bereits
höchstrichterlich entschieden, dass wenn die aufklärende Wirkung der erteilten
(zutreffenden) Rechtsmittelbelehrung durch nachfolgende unrichtige Zuschriften des
Gerichts wieder aufgehoben wird, die Rechtsmittelbelehrung insgesamt als unrichtig
anzusehen und damit ein Fristversäumnis als unverschuldet anzusehen ist (BGH NStZ
1994, 194 f.). Etwas anderes kann auch nicht gelten, wenn eine ursprünglich zutreffende
Rechtsmittelbelehrung durch nachfolgende mündliche Auskünfte des Gerichts
verunklart wird. Der Betroffene, ein juristischer Laie, konnte darauf vertrauen, dass die
jeweils zuletzt erteilte Auskunft gilt und hatte daher keinen Anlass, die Angaben der
Rechtspflegerin im Hinblick auf das mehrere Wochen zuvor ausgehändigte Merkblatt zu
hinterfragen.
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Im Hinblick darauf war dem Betroffenen nunmehr von Amts wegen Wiedereinsetzung in
dem aus dem Tenor zu Ziff. 1) genannten Umfang zu gewähren und er gem. Ziff. 2) des
Tenors dieses Beschlusses ausdrücklich über die Wiedereinsetzungsmöglichkeit zu
belehren.
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III.
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Mit der Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Anbringung eines
Wiedereinsetzungsantrages gegen die Versäumung der
Rechtsbeschwerdebegründungsfrist ist der amtsgerichtliche Verwerfungsbeschluss
gegenstandslos geworden.
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IV.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 7 StPO.
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